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Geschichte der Jüdischen Gemeinde in Kriescht-St. Johannes (Krzeszyce-Świętojańsko)

Blick auf Krzeszyce
Foto: Anke Geißler-Grünberg
Blick auf Krzeszyce, mit Scheune und Pfarrkirche
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Foto: OLF1.1. FrankRuhlLibre

Świętojańsko (bis 1945 auf Deutsch St. Johannes) ist ein eigenständiges Dorf östlich der Gemeinde Krzeszyce (Kriescht), der es verwaltungsmäßig  zugeordnet ist. Der Ort gehört heute zum Kreis Sulęcin (Zielenzig)  der Wojewodschaft Lubuskie; in den Jahren 1975 bis 1998 jedoch zur Wojewodschaft Gorzów (Landsberg).

Der Ort St. Johannes wurde im Jahre 1773 mit zahlreichen weiteren Klein-Siedlungen im Ordensbruch des Johanniterordens gegründet,  wie Wolfgang Stribrny in „Der Johanniterorden und die Neumark“ die Neubesiedlung der Wartheregion in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts beschreibt. „Das Besondere der Siedlung im Ordensbruch bestand darin, dass nicht nur 37 bäuerliche Kolonien und ‚Etablissements‘ (Kleinsiedlungen) entstanden. Vielmehr wurden an Privatleute Güter (Entreprisen genannt) vergeben, und der Orden selbst legte sechs Vorwerke an. 1792 lebten im Ordensamt Sonnenburg knapp 7000 Menschen in 1200 Haushalten. Die Neusiedler waren freie Leute. 40 Prozent der Familien erhielten einen ausreichenden Besitz von 40 Morgen (10 ha). Kleinsiedler bekamen nur 5 bis 10 Morgen und waren auf den Entreprisen und Vorwerken (…) arbeitspflichtig. Grundherr blieb der Johanniter-Orden, dem bis zur Liquidierung zugunsten des Staates am 30. Oktober 1810 Zinsen gezahlt werden mussten.“

Unter den neuen Dörfern und Wohnplätzen des Johanniterordens im Warthebruch  waren neben St. Johannes (1773) Dutzende weitere mit auffallend exotischen Namen nach Herkunftsorten von Siedelnden oder potentiell attraktiven Umsiedlungsorten: u.a. Anapolis (gegründet ca. 1780), Ceylon (1789), (Dresden 1775), Florida, Freiberg (1783), Groß Friedrich (ursprünglich Friedrich der Große, 1773), Hampshire (1783), Havannah (1778/79), Jamaika (1784), Korsika (1774), Malta (1774/75 – das einzige Dorf, das seinen ausgefallenen Namen seit der Aktion „Neues Amerika“ (Nowa Amerika) im 18. Jahrhundert bis heute behalten hat), Klein Mannheim (1774), Maryland (1779), Pennsylvanien (1783), Philadelphia (1775), Stuttgardt (1775). Ferner habe es Höfe mit den Namen Yorkstown, Charleston und New York gegeben.

Hinweise auf jüdisches Leben in Kriescht-St. Johannes

Über die Entstehung und Entwicklung der jüdischen Gemeinde in Kriescht und St. Johannes geben wenig Quellen Auskunft. In einem Schreiben der Abteilung für Kirchenverwaltung und Schulwesen der Regierung von Frankfurt (Oder) an den Minister der geistlichen, Unterrichts- und Medizinal-Angelegenheiten vom 30. November 1843 heißt es über das „Kultus- und Schulwesen der Juden“ im Regierungsbezirk, konkret über die Gemeinde in Kriescht, dass sich die dortige jüdische Gemeinde, wie auch in Sternberg, Grochow und Ziebingen im Sternbergschen Kreis, statt in einer Synagoge in einer Betstube treffe, „die gemiethet und zu gottesdienstlichen Verrichtungen eingerichtet sind.“ Die Mitglieder der Gemeinde konnten, so das Dokument, frei über ihre Teilnahme an den Zeremonien entscheiden. Wer teilnahm, musste einen individuell berechneten Beitrag zu Unterhalt der Räume und Einrichtungsgegenstände sowie zur Vergütung des „Lehrers oder Vorsängers“ zahlen. Eine Dokumentation des Regierungsbezirks Frankfurt (Oder) über das Jahr 1840 zählte für die Gemeinde Kriescht 12 Juden insgesamt, davon zwei schulpflichtige Kinder, die jedoch beide christiliche Schulen besuchten.

In seinem nicht veröffentlichten Erinnerungsbuch „Verlorene Heimat Warthebruch“ beschreibt Dr. Willi Schlaak seine Begegnungen mit dem jüdischen Leben in der Gemeinde Kriescht zu Beginn des 20. Jahrhunderts so: „Im Warthebruch hat es anscheinend früher viele Juden gegeben. Als Kind habe ich noch häufiger von Juden erzählen hören. (…) Der letzte Jude verließ Kriescht Anfang der zwanziger Jahre. Er hieß Jakob (oder Jakobsohn?) und wohnte in der Sonnenburger Straße in dem Haus des Malermeisters Strauß. Ich habe ihn noch kennengelernt, als mein Vater zur Zeit des Schwarzmarktes und des Tauschhandels einen Joppenstoff bei ihm kaufte und mich mitgenommen hatte.“

Von Kriescht nach München – der Briketthändler Siegfried Gerson

Eine biografische jüdische Spur ist derweil konkreter bekannt: Der Kaufmann Siegfried Gerson, 1878 im preußischen Kriescht geboren. Im Rahmen der Projekt- und Broschürenreihe „KulturGeschichtsPfad“ der Stadt München durch ihre unterschiedlichen Stadtbezirke, ist Gersons Geschichte in der Ausgabe über Berg am Laim zusammengetragen worden.

Der Krieschter Siegfried Gerson ging demnach 1911 aus Preußen nach München und betrieb dort seit 1912 ein Geschäft für Kohlen- und Briketthandel in der Grafinger Straße 29. Im April 1914 heiratete er die Münchnerin Elsa Michaelis, der gemeinsame Sohn Herbert wurde am 6. Februar 1919 geboren. Um sich der Ausgrenzung von Juden aus dem Vereinswesen zu wiedersetzen, beteiligte sich Siegfried Gerson an der Gründung des Jüdischen Turn- und Sportvereins München und wurde von Januar 1934 bis März 1935 dessen Vorsitzender.

Gersons Unternehmen beschäftigte 1937 sechs Mitarbeiter; auch Sohn Herbert Gerson arbeitete zuletzt in dem Betrieb. Da Siegfried Gerson aber Jude war, wurde sein Geschäft nach der Pogromnacht vom 9. auf den 10. November 1938 beschlagnahmt, er selbst kam bis 19. November im KZ Dachau in die sogenannte Schutzhaft. Das Unternehmen eignete sich der Nationalsozialist Josef Lack, der 1915/16 in der Firma gearbeitet hatte, sogar ohne Zustimmung der „Arisierungsstelle“ an. „Lack beutete das Unternehmen für seine privaten Interessen aus und wirtschaftete es innerhalb weniger Monate herunter“, so die Broschüre.

Am 20. August 1940 emigrierte Siegfried Gerson mit Frau und Sohn über Russland und Shanghai in die USA. Dort erfuhr Elsa Gerson im Herbst 1945, dass ihre Mutter Frieda Michaelis (geb. 1867), die zuletzt im Krankenheim der Israelitischen Kultusgemeinde Wien (IKG) gelebt hatte, am 3. Juni 1942 nach Theresienstadt deportiert und dort am 6. August 1942 ermordet worden war. Elsa Gersons Schwester, Theodora Mannheimer, und deren Ehemann Gustav hatten sich im Dezember 1941 im Krankenheim der IKG das Leben genommen. 1951 kehrten Siegfried und Elsa Gerson nach München zurück.

Peggy Lohse

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Foto: OLF1.1. FrankRuhlLibre

Quellen, Literatur und Internet:

Buchard, Przemysław: Pamiątki i zabytki Kultury żydowskiej w Polsce. Warszawa, Zakłady graficzne „Reprint“, 1990.

Jehle, Manfred: Die Juden und die jüdischen Gemeinden Preußens in amtlichen Enquêten des Vormärz. Teil 2, München 1998, S. 683, 687, 711.

Dr. Michałowski, Andrzej (Red.): Wykaz zabytkowych cmentarzy w Polsce. Województwo Gorzowskie. Ośrodek Ochrony Zabytkowego Krajobrazu, Narodowa Institucja Kultury, Studia i Materialy 4/10 (7), Warszawa, 1996, S. 26.

Dr. Schalm, Sabine; Dr. Pohl, Karin: Kulturgeschichtspfad 15. Berg am Laim. Broschüre des Kulturreferats der Landeshauptstadt München, S. 95 ff, URL: www.google.com/url (Zugriff: 15.10.2021)

Dr. Schlaak, Willi: Die Juden, Aus: Verlorene Heimat Warthebruch; veröffentlicht von Heinz Habermann, In: Oststernberger Heimatbrief, 01/2014, S. 11, URL: oststernberg.de/wp-content/uploads/2015/12/Heimatbrief-1-2014.pdf (Zugriff: 15.10.2021)

Stribrny, Wolfgang (2004): Der Johanniterorden und die Neumark. In: Jaworski, Handt, Czarnuch, Kostkiewicz-Górska (2006): Joannici i ich mistrz Jan Maurycy von Nassau-Siegen (1604-1679) / Die Johanniter und ihr Herrenmeister Johann Moritz von Nassau-Siegen (= Materialien aus der wissenschaftlichen Konferenz organisiert von der Deutsch-Polnischen Gesellschaft Educatio Pro Europa Viadrina und Stiftung Brandenburg), Gorzow Wlkp., S. 118 f., URL: www.wimbp.gorzow.pl/wp-content/uploads/2011/01/Joannci_i_mistrz.pdf (Zugriff: 15.10.2021)

 

Jüdischer Friedhof in Świętojańsko. In: Datenbank der Stiftung zum Schutz des Jüdischen Kulturerbes in Pollen (FODZ), URL: fodz.pl (Zugriff: 15.10.2021)

Grabsteine und Namensliste des Jüdischen Friedhofs Swiętojańsko (Sankt Johannes, Kreis Sulęciński, Lebus), in: Online-Projekt Genealogienetz.de, URL: grabsteine.genealogy.net/namelist.php (Zugriff: 15.10.2021)

Cmentarz żydowski w Świętojańsku, in: Wikipedia, URL: pl.wikipedia.org/wiki/Cmentarz_żydowski_w_Świętojańsku (Zugriff 15.10.2021)

Wirtualny Sztetl: Świętojańsko, URL:  sztetl.org.pl/en/towns/s/742-swietojansko/114-cemeteries/36066-cmentarz (Zugriff: 15.10.2021)