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Geschichte der Jüdischen Gemeinde in Zehden (Cedynia)

Stadtzentrum von Cedynia mit Regionalmuseum
Foto: Anke Geißler-Grünberg
Stadtzentrum von Cedynia mit dem Regionalmuseum

Aufgrund einer in das Gebiet des heutigen Cedynia verorteten Schlacht des Frühmittelalters (972) ist die Ortsgeschichte fester Bestandteil des polnischen Nationalen Gedenkens. Im 13. Jh. gelangte das strategisch günstig auf einer Hügelkette liegende Zehden in den Besitz der in Brandenburg residierenden Askanier. Bald darauf gründete sich hier auch ein Ziesterzienserinnen-Kloster. Einhundert Jahre später besaß Zehden definitiv das Stadtrecht.

Im Ergebnis des Wiener Kongresses erhielt Preußen die Neumark als Besitz und das östlich der Oder liegende Zehden gehörte fortan zum brandenburgisch-preußischen Regierungsbezirk Frankfurt (Oder). Das war 1818. Zehden entwickelte sich im Laufe der folgenden Jahrzehnte zu einer Amtsstadt mit Behörden und einer bescheidenen Industrie, zu der eine Bierbrauerei und eine größere Ziegelei-Fabrik zählten. Dennoch bestimmten weiterhin Viehzucht, Fischerei und Ackerbau die städtische Wirtschaft. Die Kirchendomänen spielten ebenfalls eine nicht unwichtige Rolle.

Zur Jahrhundertwende lebten in der Stadt knapp 1.000 Menschen, von denen 28 zur jüdischen Minderheit gehörten. Sie konstituierte sich als Jüdische Gemeinde, legte sodann einen Friedhof an und führte aufgrund einer fehlenden Synagoge ihre Gottesdienste in Privaträumen durch. Noch 1840 hatte der Vorsteher der Jüdischen Gemeinde A.D. Wahrburg den preußischen König Friedrich Wilhelm IV. in einem Immediatgesuch vergeblich um eine finanzielle Unterstützung zum Bau des eigenen Gotteshauses gebeten.

Der König stand solch einem Bau aber keinesfalls ablehnend gegenüber. Laut einem amtlichen Bericht aus dem Königsberger Kreises finanzierte nämlich wenig später ein ehemaliges Gemeindemitglied den Synagogenbau; die Behörden hatten also ihre Zustimmung hierfür erteilt. Die Jüdische Gemeinde in Zehden musste aber „davon 24 r. jährlichen Canon geben.“

Überliefert ist ferner, dass auch die Juden der umliegenden Orte Alt-Cuestrinchen, Neu-Lietzegoericke, Groß-Mantel, Paetzig, Alt Ruednitz und Alt Wustrow das Zehdener Gotteshaus nutzten. Im Jahr 1843 zählte die gesamte Jüdische Gemeinde darum 71 Mitglieder, die ihren Gemeindevorsteher durch Stimmenmehrheit auf unbestimmte Zeit wählten. In Zehden selbst gab es 37 Juden, die vor allem im Stadtzentrum lebten. Ihre zwei schulpflichtigen Kinder besuchten die christliche Schule und wurden in Religionssachen von einem behördlich zugelassenen jüdischen Lehrer unterrichtet.

Die Zehdener Juden verdienten ihren Lebensunterhalt als Händler, Handwerker und als Gastwirte und prägten mit dieser Arbeit gleichwohl das ökonomische und gesellige Leben des Ortes. Bis 1850 erhöhte sich seine Einwohnerzahl auf 1.482; die jüdische Gemeinschaft wuchs auf 42 Mitglieder. Dennoch blieben die Verdienstmöglichkeiten bescheiden, weshalb sich sehr viele Juden entschlossen, Zehden zu verlassen. Allein zwischen 1850 und 1857 sank die Zahl der ortsansässigen Gemeindemitglieder um die Hälfte auf 22, während die Einwohnerzahl der Stadt auf 1.621 anstieg. Diese Entwicklung setzte sich unvermindert fort. Zum Zeitpunkt der Gründung des Deutschen Reiches 1871 lebten in Zehden bereits 1.939 Menschen, von denen nur noch 16 zur Jüdischen Gemeinde gehörten. Bis 1905 sank dann zwar auch die Einwohnerzahl der Stadt auf 1.642; die Zahl der Juden aber auf neun. Damit kam noch nicht einmal mehr ein Minjan zustande, um einen Gottesdienst abzuhalten.

Bis 1930 wanderten drei weitere Juden ab. Mit Beginn der Nazi-Herrschaft 1933 hatten dann auch die verbliebenen sechs Juden die Stadt bereits verlassen – und ihre Gemeinde schon zuvor aufgelöst. Zehden blieb für Juden unattraktiv. Daran änderte auch der Anschluss an das Netz der Eisenbahn im Oktober 1930 nichts, der eine schnelle Verbindung zum westlich der Oder gelegenen Kurort Bad Freienwalde ermöglichte und der Stadt wieder einen Bevölkerungszuwachs bescherte.

Bei Yad Vashem sind inzwischen drei Mitglieder der jüdischen Gemeinschaft gelistet, die aus Zehden stammten. Elsbeth Israelski wurde hier am 16. Februar 1892 in die Familie Jacob geboren und lebte zuletzt im 30 km entfernten Wriezen auf der anderen Seite der Oder. Am 4. März 1943 wurde sie nach Auschwitz deportiert. Olga Revy wurde am 19. August 1879 ebenfalls in Zehden geboren und lebte hier mit ihrem Ehemann Josef Weinreich und dem gemeinsamen, am 20. Mai 1899 ebendort geborenen Sohn Heinz Gerhard. Mutter und Sohn lebten zuletzt in Berlin, von wo auch sie nach Auschwitz deportiert wurden. Dort wurde sie am 29. November 1942 ermordet, er am 15. August 1942.

Anke Geißler-Grünberg

 

Literatur und Internet

Heinrich Berghaus: Geographisch-historisch-Statistisches Landbuch der Provinz Brandenburg und des Markgrafthums Nieder-Lausitz in der Mitte des 19. Jahrhunderts, Bd. 3, Brandenburg 1856, S. 383f und 404f.

Michael Brocke / Julius Carlebach (Hrsg.): Biographisches Handbuch der Rabbiner, Teil 2: Katrin N. Jansen (Bearb.): Die Rabbiner im Deutschen Reich 1871 – 1945, München 2009.

Führer durch die jüdische Gemeindeverwaltung und Wohlfahrtspflege in Deutschland, 1932 – 1933, Berlin 1932.

Die Gemeinden und Gutsbezirke des Preussischen Staates und ihre Bevölkerung. Nach den Urmaterialien der allgemeinen Volkszählung vom 1. December 1871, bearb. und zusammengestellt vom Königlichen Statistischen Bureau, Bd. 2: Brandenburg, Berlin 1873, S. 118f.

Manfred Jehle (Hrsg.): Die Juden und die jüdischen Gemeinden Preußens in amtlichen Enquêten des Vormärz, Teil 1: Enquête des Ministeriums des Innern und der Polizei über die Rechtsverhältnisse der Juden in den preußischen Provinzen 1842 – 1843. Berlin, Provinzen Brandenburg, Preußen, Pommern, Posen, Schlesien, Sachsen, Westfalen, München 1998, S. 685, 692, 700-705.

Meyers Großes Konversations-Lexikon, Bd. 20, Leipzig / Wien 61909, S. 862; URL: http://www.zeno.org/nid/20007717156 (Zugriff: 07.10.2021)

Michael Rademacher: Deutsche Verwaltungsgeschichte von der Reichseinigung 1871 bis zur Wiedervereinigung 1990. Deutsch-österreichisches Ortsbuch: Landkreis Königsberg in der Neumark, URL: https://treemagic.org/rademacher/www.verwaltungsgeschichte.de/koenigsberg_n.html (Zugriff: 07.10.2021)

F. Wilhelm Riehl / J. Scheu (Hrsg.): Berlin und die Mark Brandenburg mit dem Markgrafthum Nieder-Lausitz in ihrer Geschichte und in ihrem gegenwärtigen Bestande. Nach amtl. u. anderen Mittheilungen, Berlin 1861, S. 415f.

 

Wirtualny Sztetl: Cedynia, URL: https://sztetl.org.pl/en/towns/c/21-cedynia (Zugriff: 07.10.2021)

Yad Vashem: Zentrale Datenbank der Namen der Holocaust-Opfer, URL: https://yvng.yadvashem.org/index.html?language=de (Zugriff: 07.10.2021)