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Strafzwecktheorien



A. Einleitung

Das Strafrecht beschäftigt sich mit der Frage des „Ob“ und des „Wie“ der Strafbarkeit eines Verdächtigten bzw. eines Angeklagten. Eine strafrechtliche Verurteilung erfordert die Überzeugung des Richters von der Täterschaft (oder Teilnahme) des Angeklagten als Ergebnis der Hauptverhandlung. Nachdem der Tatrichter das „Ob“ („Hat sich der Angeklagte tatsächlich strafbar gemacht?“) festgestellt hat, stellt sich die Frage, des „Wie“ der Strafe („Welche Strafe ist für dieses Delikt und diesen Täter angemessen?“) Um das „Wie“ der Strafe (das sog. Strafmaß) festzustellen, ist zunächst darüber nachzudenken, welches Ziel man mit der staatlichen Strafe überhaupt verfolgt. Die Frage des Ziels bzw. des Sinn und Zwecks der Strafe beantworten die Strafzwecktheorien, um welche es auf dieser Seite gehen soll.

Beispiel

 

B. Die Strafzwecktheorien

Für die Beantwortung der Frage nach Sinn und Zweck einer staatlichen Strafe haben sich verschiedene Theorien herausgebildet, welche man in zwei Kategorien unterteilen kann.

I. Die absoluten Straftheorien

Nach den sog. absoluten Straftheorien besteht das Ziel einer staatlichen Strafe darin, begangenes Unrecht bzw. eine begangene Strafbarkeit zu sühnen bzw. zu vergelten.

Unabhängig von der gesellschaftlichen Wirkung der Strafe, soll das begangene Unrecht durch eine staatliche Strafe nach dem Prinzip wieder ausgeglichen werden. Vereinfacht ausgedrückt, liegt den absoluten Strafzwecktheorien der Gedanke der Rache im Sinne des biblischen Ausspruchs „Auge um Auge, Zahn um Zahn“ zu Grunde. Wenn der Verurteilte also Unrecht begangen hat und sich dadurch strafbar gemacht hat, muss der Staat zum Ausgleich des Unrechts eine staatliche Strafe verhängen.

Näheres zu den absoluten Straftheorien

II. Die relativen Straftheorien

Die relativen Straftheorien sehen den Sinn und Zweck der Strafe darin präventiv (zukunftsgerichtet) auf die Gesellschaft und den Verurteilten einzuwirken. Die Strafe ist damit nur das Mittel zur Bewirkung konkreter zukünftiger Veränderungen des Verhaltens des Verurteilten und der Gesellschaft und nicht zur Vergeltung und Sühne des begangenen Unrechts gedacht.

Anhand der bezweckten Wirkungen für die Gesellschaft und den Verurteilten wird deutlich, dass man die relativen Straftheorien noch weiter unterteilen kann.

1. Relative Straftheorie der Generalprävention

Einerseits soll die Bestrafung des einzelnen Verurteilten ein Signal an die Gesellschaft senden. Die Gesellschaft soll durch die Bestrafung des Verurteilten einerseits von der Begehung einen Unrechts abgeschreckt werden (negative Generalprävention). So soll durch die Bestrafung der Eindruck entstehen: „der Einzelne wird bestraft, wenn er Unrecht verwirklicht, dann machen wir das lieber nicht“. Andererseits stärkt die Bestrafung des Einzelnen das Vertrauen der Gesellschaft in die Rechtsordnung (positive Generalprävention). Es entsteht der Eindruck: „Der Staat greift bei Unrecht durch, deshalb sollten wir uns weiterhin an die Regeln des Staates halten“.

An den generalpräventiven Theorien wird kritisiert, dass der Zweck der Strafe nur in der Abschreckung der Allgemeinheit und der Bestätigung der Rechtsordnung gesehen wird. Es besteht die Gefahr, dass der Täter zum Objekt staatlichen Strafens zum Wohle der Gesellschaft wird, was unser Grundgesetz verbietet. Die generalpräventiven Theorien enthalten zudem keinen geeigneten Maßstab der Strafbegrenzung, weshalb immer härtere Strafen zu immer mehr Abschreckung und Vertrauen führen könnten. Das wird dem Grundsatz einer tat- und schuldangemessenen Bestrafung und dem Ultima-ratio-Prinzip des Strafrechts (Das Strafrecht ist erst das letzte Mittel zur Unterbindung schädlichen Verhaltens) nicht gerecht.

Näheres zu den relativen Straftheorien der negativen Generalprävention

Näheres zu den relativen Straftheorien der positiven Generalprävention

2. Relative Straftheorie der Spezialprävention

Andererseits soll durch die Bestrafung des einzelnen Verurteilten auch ein Signal an den einzelnen Verurteilten gesendet werden. Die Strafe soll vermitteln, dass der Verurteilte soweit abgeschreckt wird, zukünftig keine weiteren Straftaten mehr zu begehen (negative Spezialprävention) und sein Verhalten von innen heraus zu verbessern, sodass auch kein Anlass mehr für eine erneute Unrechtsbegehung besteht (positive Spezialprävention). Mit anderen Worten soll der Verurteilte durch die Strafe zu der Erkenntnis gelangen: „Ich möchte nicht erneut bestraft werden und deshalb werde ich mich zukünftig rechtskonform verhalten“ und „Ich habe überhaupt keinen Grund mehr, Unrecht zu begehen, deshalb werde ich das auch unterlassen“

An den spezialpräventiven Theorien wird kritisiert, dass die Gefahr besteht, dass die konkrete Strafe auch hier unverhältnismäßig hoch sein könnte, um den Täter besonders abzuschrecken. Die spezialpräventiven Theorien stehen auch vor einem Problem, wenn der Angeklagte zum Verurteilungszeitpunkt als gänzlich „sozialisiert“ bzw. „gebessert“ gilt und mangels Wiederholungsgefahr nicht abgeschreckt, gebessert oder gesichert werden muss. Dann würde konsequenterweise der Sinn und Zweck der Strafe wegfallen und der Angeklagte könnte trotz Unrechtsbegehung nicht bestraft werden.

Näheres zu den relativen Straftheorien der negativen Spezialprävention

Näheres zu den relativen Straftheorien der positiven Spezialprävention

III. Vereinigungstheorie

Heute vorherrschend ist die Vereinigungstheorie, die neben dem Vergeltungsaspekt der absoluten Straftheorien auch general- und spezialpräventive Aspekte der relativen Strafzwecktheorien enthält. Die Vereinigungstheorie stellt somit ein ausgewogenes Verhältnis zwischen absoluten und relativen Straftheorien her.

In Bezug auf das oben genannte Beispiel

 

C. Zusammenfassung

Bei der Frage nach dem Sinn und Zweck einer staatlichen Strafe geht es somit mittelbar um die Verwirklichung der Gerechtigkeit. Wird dies als zweckhafte Begründung für die Auferlegung einer Strafe gewertet, müssen die Tat und Täter, die Gesellschaft und das Opfer in die Überlegungen zur Festlegung einer Strafe einbezogen werden. So soll sowohl ein Vergeltungsaspekt der Strafe als auch ein Täter- und Gesellschaftsbezug verwirklicht werden.


Aus den §§ 38 ff. StGB lässt sich entnehmen, dass im gegenwärtigen Strafrecht von der Vereinigungstheorie auszugehen ist. Denn die Grundlage der Strafzumessung bildet die persönliche Schuld des Täters, vgl. § 46 Abs. 1 S. 1 StGB. Im Ausgangspunkt handelt es sich bei der Strafe um eine repressive Übel-Zufügung, die dem gerechten Schuldausgleich dient. Ein reines Vergeltungsstrafrecht gibt es jedoch nicht, da die Strafe kein ausschließlicher Schuldausgleich um ihrer selbst willen ist. Die Strafe erfüllt auch präventive Zwecke, wobei die Spezialprävention im Sinne des Resozialisierungsgedankens vorrangig ist, vgl. §§ 46 Abs. 1 S. 2, 47 Abs. 1, 56 Abs. 1 StGB. Der Gedanke der Spezialprävention wird auch anhand des Vorrangs der Geldstrafe vor einer Freiheitsstrafe und der Möglichkeit der Strafaussetzung zur Bewährung, vgl. §§ 47 Abs. 1, 56 Abs. 1 StGB deutlich. Generalpräventive Erwägungen finden darüber hinaus dort Berücksichtigung, wo es für die Verteidigung der Rechtsordnung notwendig ist, vgl. § 56 Abs. 3 StGB.

 

D. Werkzeuge

§ 46 StGB Grundsätze der Strafzumessung

(1) Die Schuld des Täters ist Grundlage für die Zumessung der Strafe. Die Wirkungen, die von der Strafe für das künftige Leben des Täters in der Gesellschaft zu erwarten sind, sind zu berücksichtigen.

§ 47 StGB Kurze Freiheitsstrafe nur in Ausnahmefällen

(1) Eine Freiheitsstrafe unter sechs Monaten verhängt das Gericht nur, wenn besondere Umstände, die in der Tat oder der Persönlichkeit des Täters liegen, die Verhängung einer Freiheitsstrafe zur Einwirkung auf den Täter oder zur Verteidigung der Rechtsordnung unerläßlich machen.

§ 56 StGB Strafaussetzung

(1) Bei der Verurteilung zu Freiheitsstrafe von nicht mehr als einem Jahr setzt das Gericht die Vollstreckung der Strafe zur Bewährung aus, wenn zu erwarten ist, daß der Verurteilte sich schon die Verurteilung zur Warnung dienen lassen und künftig auch ohne die Einwirkung des Strafvollzugs keine Straftaten mehr begehen wird. Dabei sind namentlich die Persönlichkeit des Verurteilten, sein Vorleben, die Umstände seiner Tat, sein Verhalten nach der Tat, seine Lebensverhältnisse und die Wirkungen zu berücksichtigen, die von der Aussetzung für ihn zu erwarten sind.
(2) Das Gericht kann unter den Voraussetzungen des Absatzes 1 auch die Vollstreckung einer höheren Freiheitsstrafe, die zwei Jahre nicht übersteigt, zur Bewährung aussetzen, wenn nach der Gesamtwürdigung von Tat und Persönlichkeit des Verurteilten besondere Umstände vorliegen. Bei der Entscheidung ist namentlich auch das Bemühen des Verurteilten, den durch die Tat verursachten Schaden wiedergutzumachen, zu berücksichtigen.
(3) Bei der Verurteilung zu Freiheitsstrafe von mindestens sechs Monaten wird die Vollstreckung nicht ausgesetzt, wenn die Verteidigung der Rechtsordnung sie gebietet.
(4) Die Strafaussetzung kann nicht auf einen Teil der Strafe beschränkt werden. Sie wird durch eine Anrechnung von Untersuchungshaft oder einer anderen Freiheitsentziehung nicht ausgeschlossen.

 

E. Teste dein Wissen!

Frage 1: Wie unterscheiden sich die Wirkungen der Spezialprävention von denen der Generalprävention?

Frage 2: Welche Gefahren bestehen, wenn der Sinn und Zweck der Strafe ausschließlich mit den spezialpräventiven Theorien oder ausschließlich mit generalpräventiven Theorien begründet wird?

Frage 3: Erläutern Sie, wie die Vereinigungstheorie die Auferlegung einer Strafe begründet und an welchen Normen sich ihre Vorherrschaft im StGB zeigt.

 

F. Aktuelles

Beitrag von Prof. Dr. Tonio Walter:
Straftheorien: Nichts als Vergeltung (lto.de)