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Anfechtung

A. Einführung

Die Willenserklärung stellt das Hauptelement eines Rechtsgeschäfts dar und ist somit für die ausgelöste Rechtsfolge von zentraler Bedeutung. Jedoch geht bei der Abgabe einer Willenserklärung immer wieder „etwas schief“ und es tritt eine ungewollte Rechtsfolge ein. Der folgende Beitrag beschäftigt sich mit der Frage, ob die Person trotzdem an ihre Erklärung gebunden ist oder ob ihr die Möglichkeit eingeräumt wird, die Erklärung aus der Welt zu schaffen.

 

B. Anfechtung

Damit die Frage einer Anfechtung überhaupt relevant werden kann, muss zunächst eine Willenserklärung abgegeben worden sein. Eine Willenserklärung ist eine Willensäußerung in den Rechtsverkehr, die auf die Herbeiführung einer privatrechtlichen Rechtsfolge gerichtet ist. Zum Tatbestand einer Willenserklärung gehört u.a. der Geschäftswillen. Mit dem Geschäftswillen wird der Wille des Erklärenden zum Ausdruck gebracht, eine ganz konkrete Rechtsfolge herbeizuführen. Im Idealfall wird der Geschäftswille fehlerfrei erklärt und die Willenserklärung wird korrekt abgegeben. Es kann jedoch auch sein, dass bei der Abgabe einer Willenserklärung bestimmte Willensmängel auftreten.
Je nach Art des Willensmangels sieht das Gesetz verschiedene Rechtsfolgen vor. Einige Willensmängel sind nach dem BGB unbeachtlich, sodass  die Willenserklärungen wirksam sind. In anderen Fällen sind die Willensmängel beachtlich. Es sollen keine Rechtsfolgen ausgelöst werden und die abgegebene Willenserklärung ist nichtig (z.B. Scherzerklärungen, § 118 BGB oder Scheinerklärung gem. § 117 Abs. 1 BGB).
Bei den meisten Willensmängeln sieht das Gesetz jedoch „einen Mittelweg“ vor. Die Willenserklärung ist gültig, sie kann aber durch Anfechtung des Berechtigten vernichtet werden. Der Erklärende, dem der Willensmangel unterlaufen ist, hat somit eine Wahlmöglichkeit: Er kann bei dem (irrtümlich) Erklärten bleiben oder er kann das Erklärte durch eine Anfechtung rechtlich ungeschehen machen. Wird die Anfechtung erfolgreich erklärt, ist das Rechtsgeschäft als von Anfang an (= ex tunc) nichtig anzusehen, § 142 Abs. 1 BGB.
Damit eine Anfechtung wirksam erklärt werden kann, müssen jedoch bestimmte Voraussetzungen erfüllt sein. Konkret bedarf es eines Anfechtungsgrundes, welcher kausal für die Abgabe der Willenserklärung gewesen sein muss. Ferner ist eine Anfechtungserklärung (= Willenserklärung) innerhalb der gesetzlich festgelegten Frist erforderlich.

 

I. Anfechtungsgrund

1. Irrtum

Ein Irrtum bei einer Willenserklärung liegt vor, wenn die (objektiv) abgegebene Erklärung unbewusst vom (subjektiven) Geschäftswillen abweicht. Jedoch wäre es mit den Interessen des Geschäftsverkehrs und der Rechtssicherheit unvereinbar, jeden Irrtum für beachtlich – und damit für anfechtbar – zu erklären. Denn dann könnte sich niemand mehr auf die Erklärung eines anderen verlassen.

 

a) Inhalts- und Erklärungsirrtum

Der Inhaltsirrtum ist in § 119 Abs. 1 Alt. 1 BGB geregelt. Ein solcher Irrtum liegt vor, wenn der Erklärende „bei der Abgabe einer Willenserklärung über deren Inhalt im Irrtum war.“ Der Erklärende erklärt zwar, was er erklären will. Er irrt sich aber über die rechtliche Bedeutung seiner Aussage und misst ihr subjektiv einen anderen Sinn bei, als ihr objektiv in Wirklichkeit zukommt. Zu den Fällen des Inhaltsirrtums gehören u.a. der Irrtum über die Geschäftsart (z.B. erklärt ist Leihe, gemeint ist Miete) oder der Identitätsirrtum (Der Irrende meint eine andere Person oder Sache, als er in seiner Erklärung bezeichnet).
Ein Erklärungsirrtum liegt hingegen vor, wenn der Erklärende bei der Abgabe seiner Willenserklärung „eine Erklärung dieses Inhalts überhaupt nicht abgeben wollte“, § 119 Abs. 1, Alt. 2 BGB. Der Erklärende äußert objektiv also etwas anderes, als er subjektiv eigentlich will. Ein Fall des Erklärungsirrtums liegt vor, wenn sich der Erklärende verspricht, verschreibt oder vergreift.
Beispiel: Kauffrau A vertippt sich bei einer Bestellung und bestellt statt 100 Stück 1.000 Stück.
Die Grenzen zwischen dem Inhalts- und Erklärungsirrtum sind oft fließend. Für die Rechtsfolge macht die Abgrenzung allerdings keinen Unterschied, da gem. § 119 Abs. 1 BGB beide Irrtümer einen Anfechtungsgrund darstellen.

 

b) Irrtum über eine verkehrswesentliche Eigenschaft

Als Anfechtungsgrund gilt auch der Irrtum über solche Eigenschaften der Person oder der Sache, die im Verkehr als wesentlich angesehen werden, § 119 Abs. 2 BGB. Eigenschaften einer Person sind prägende Merkmale tatsächlicher oder rechtlicher Art, die sich aus der Person selbst ergeben und von einer gewissen Dauer sind. Erheblich ist die Eigenschaft nur, wenn sie in unmittelbarer Beziehung zum Geschäftsinhalt steht. Eigenschaften einer Sache sind alle wertbildenden Faktoren. Keine Eigenschaft ist allerdings der Wert oder der Preis einer Sache. Darüber hinaus muss die Eigenschaft verkehrswesentlich sein. Verkehrswesentlich ist, was die Beteiligten als wesentlich vereinbart haben oder mangels Vereinbarung nach der objektiven Verkehrsanschauung als wesentlich angesehen wird.
Beispiel:
(1) Der Kunsthändler H bietet dem interessierten Sammler S ein Gemälde an. S geht dabei davon aus, dass es sich dabei um eines der wenigen noch vorhandenen Orgianle seines favorisierten Künstlers handelt. Tatsächlich handelt es sich jedoch um ein – weder für H noch für S erkennbares – Duplikat eines unbekannten Künstlers.
(2) K bestellt bei V den mehrbändigen Münchener-Kommentar zum BGB. K war der Überzeugung, dass es sich dabei um ein Sonderangebot für besonders treue Kunden handelt. Tatsächlich lag der Preis weit über dem von K erwarteten.
Die Urheberschaft eines Gemäldes, über die S in Beispiel (1) irrt, ist ein wertbildender Faktor des Gemäldes. Die Urheberschaft von Kunstwerken ist im Rechtsverkehr auch als wesentlich anzusehen. Folglich wäre S gem. § 119 Abs. 2 BGB zur Anfechtung berechtigt.
Anders dagegen in Beispiel (2): Der Irrtum des K bezieht sich einzig auf den Preis des Kommentars. Allein der Wert einer Sache oder deren Marktwert sind nicht als Eigenschaften i.S.d. § 119 Abs. 2 BGB anzusehen. Folglich handelt es sich hier um einen unbeachtlichen Irrtum, der K nicht zur Anfechtung berechtigt.

 

c) Unbeachtlicher Motiv- und Rechtsfolgenirrtum

Ein Motivirrtum ist ein Irrtum über den Beweggrund des Erklärenden, der ihn zu seiner konkreten Willensbildung veranlasst hat. Der Erklärende hat aber objektiv das erklärt, was er subjektiv erklären wollte, sodass für eine Irrtumsanfechtung seiner Erklärung kein Raum ist. Ein Motivirrtum ist damit grundsätzlich unbeachtlich. Die Willenserklärung des Erklärenden kann also nicht angefochten werden und ist wirksam.
Beispiel: A bucht eine Urlaubsreise in der irrigen Annahme, er könne in dieser Zeit Urlaub nehmen.
Auch ein Rechtsfolgenirrtum berechtigt nicht zur Anfechtung. Bei einem solchen Irrtum beruht die Erklärung auf einer Fehlvorstellung über die Rechtsfolgen, die sich nicht aus dem Inhalt der Erklärung geben, sondern kraft Gesetzes eintreten.
Beispiel: Händler V verkauft einen Gebrauchtwagen an Käufer K in der Vorstellung, die Mängelgewährleistungsfrist betrage nur sechs Monate.

 

2. Arglistige Täuschung

Nach § 123 Abs. 1, Alt. 1 BGB steht demjenigen ein Anfechtungsrecht zu, der eine Willenserklärung aufgrund einer arglistigen Täuschung abgegeben hat. Unter einer Täuschungshandlung ist ein Verhalten zu verstehen, das darauf abzielt in einem anderen eine unrichtige Vorstellung hervorzurufen, zu bestärken oder zu unterhalten. Die Handlung kann sowohl in einem positiven Tun (ausdrücklich oder konkludent) als auch in einem bloßen Unterlassen (Verschweigen) liegen. Allerdings ist ein Unterlassen nur dann rechtlich beachtlich, wenn eine Rechtspflicht zur Aufklärung besteht. Eine solche Aufklärungspflicht über Tatsachen besteht immer, wenn zulässigerweise danach gefragt wurde, sie für die Entschließung des Gegners für entscheidender Bedeutung sind und ihre Mitteilung nach der Verkehrsauffassung erwartet werden darf oder wenn ein besonderes Vertrauensverhältnis begründet werden soll.
Ferner muss der Täuschende arglistig handeln. Dies setzt vorsätzliches Handeln voraus, wobei bedingter Vorsatz ausreicht. Der Handelnde muss also wissen bzw. zumindest für möglich halten und in Kauf nehmen, dass er die Unwahrheit sagt oder die Wahrheit verschweigt. Der Handelnde muss zudem die Absicht haben, den Getäuschten zur Abgabe der Willenserklärung zu veranlassen. Dafür muss er in dem Bewusstsein handeln, dass der Getäuschte ohne die Täuschung die Erklärung nicht oder nicht mit diesem Inhalt abgegeben hätte. Kennt der Täuschende die wahre Sachlage selbst nicht, ist die Arglist ausgeschlossen

 

3. Widerrechtliche Drohung

Gem. § 123 Abs. 1, Alt. 2 BGB kann eine Erklärung anfechten, wer zur Abgabe der Willenserklärung widerrechtlich durch Drohung bestimmt worden ist. Eine Drohung wird definiert als das Inaussichtstellen eines zukünftigen Übels auf dessen Eintritt der Drohende Einfluss zu haben vorgibt. Als Übel genügt jeder Nachteil. Es ist ausreichend, wenn die Drohung gar nicht ernst gemeint ist, der Bedrohte sie aber für ernst hält.
Ferner muss die Drohung widerrechtlich erfolgen. Dabei können drei Fallgruppen unterschieden werden. Die Drohung mit einer widerrechtlichen Handlung (= Widerrechtlichkeit des Mittels) macht die Bestimmung zur Abgabe einer Willenserklärung stets rechtswidrig (z.B. Drohung mit Tod oder Körperverletzung). Die Rechtswidrigkeit liegt auch dann vor, wenn der mit der Drohung erstrebte Erfolg widerrechtlich ist (= Rechtswidrigkeit des Zwecks).
Beispiel: A droht dem S mit einer Schadensersatzklage wegen eines Autounfalls, bei dem A von S verletzt wurde, wenn S dem A kein Kokain verkauft. Die Klageerhebung ist ein zulässiges Mittel, die hier jedoch einen rechtswidrigen Erfolg anstrebt.
Selbst wenn sowohl das Mittel als auch der Zweck je für sich betrachtet rechtmäßig sind, so kann doch der Einsatz dieses Mittels zur Erreichung dieses Erfolgs rechtswidrig sein (= Widerrechtlichkeit der Zweck-Mittel-Relation).
Beispiel: A droht S mit einer Strafanzeige wegen einer tatsächlich von S begangenen Unfallflucht, um dadurch die Rückzahlung einer Darlehensforderung zu erzwingen. Die Strafanzeige ist ein zulässiges Mittel und die Aufforderung zur Zahlung ein rechtmäßiger Zweck. Aber beides steht in keinem sachlichen Zusammenhang, sodass ihre Verbindung verwerflich und die Drohung widerrechtlich ist.
Ferner muss nach dem Wortlaut des § 123 Abs. 1 BGB der Erklärende zur Abgabe der Willenserklärung bestimmt worden sein. Daraus folgt, dass der Drohende den Willen haben muss, den Bedrohten durch die Ankündigung des Übels zur Abgabe einer Willenserklärung zu bestimmen. Er muss also vorsätzlich handeln.

 

4. Kausalität zwischen Anfechtungsgrund und Willenserklärung

Der jeweilige Anfechtungsgrund muss für die Abgabe der Willenserklärung kausal sein. Bei einem Irrtum muss diese Kausalität in zweifacher Hinsicht vorliegen:
Zum einen muss der Irrtum subjektiv erheblich sein. Es muss anzunehmen sein, dass der Erklärende die Willenserklärung „bei Kenntnis der Sachlage“ nicht abgegeben haben würde. Diese subjektive Erheblichkeit ist zu verneinen, wenn der Erklärende die Erklärung auch ohne den Irrtum abgegeben hätte. Zum anderen muss anzunehmen sein, dass der Erklärende die Erklärung „bei verständiger Würdigung des Einzelfalls“ nicht abgegeben haben würde; es ist also auch eine objektive Erheblichkeit erforderlich. Dabei ist maßgeblich, ob der Irrende als verständiger Mensch und „frei von Eigensinn, subjektiven Launen und törichten Anschauungen“ die Abgabe der Willenserklärung unterlassen hätte.
Ebenso wie bei den Irrtümern, ist auch bei einer arglistigen Täuschung eine Kausalität erforderlich. Die Täuschungshandlung muss zu einem Irrtum führen. Dieser Irrtum muss wiederum ursächlich für die Abgabe der Willenserklärung des Getäuschten sein. Entscheidend ist, dass der Getäuschte ohne den Irrtum die Willenserklärung überhaupt nicht oder nur mit einem anderen Inhalt abgegeben hätte.
Auch die widerrechtliche Drohung muss für die Abgabe der Willenserklärung kausal sein. Die Ankündigung des Nachteils muss dazu führen, dass der Bedrohte eine Willenserklärung abgibt, die er sonst – zumindest in dieser Form und zu dieser Zeit – nicht abgegeben hätte. Die Kausalität ist in dem Fall nicht von dem Standpunkt eines vernünftigen Beobachters aus zu beurteilen. Sie hängt entscheidend von der psychischen Verfassung des Bedrohten ab.

 

II. Anfechtungserklärung

Gem. § 143 Abs. 1 BGB erfolgt die Anfechtung durch formlose Erklärung von dem Anfechtungsberechtigten gegenüber dem Anfechtungsgegner. Sie ist eine einseitige empfangsbedürftige Willenserklärung. Die Erklärung braucht den Ausdruck „anfechten“ nicht enthalten. Es ist ausreichend, wenn der Anfechtungsgegner aus der Erklärung entnehmen kann, dass der Anfechtungsberechtigte wegen eines Willensmangels ein bestimmtes Rechtsgeschäft von Anfang an beseitigen will.
Wer der richtige Anfechtungsgegner ist, regelt § 143 BGB. Bei einem Vertrag ist es der Vertragspartner. Wird ein einseitiges, empfangsbedürftiges Rechtsgeschäft angefochten ist der Anfechtungsgegner die Person, der gegenüber die Erklärung abzugeben war (z.B. der Empfänger einer Kündigungserklärung).

 

III. Anfechtungsfrist

§ 121 BGB normiert die Frist in der die Anfechtung in den Fällen der §§ 119, 120 BGB erklärt werden muss. Demnach hat die Anfechtung unverzüglich zu erfolgen. Der Begriff „unverzüglich“ ist in der Norm legaldefiniert und bedeutet, dass die Anfechtung ohne schuldhaftes Zögern erfordern muss, nachdem der Anfechtungsberechtigte von dem Anfechtungsgrund Kenntnis erlangt hat. Gem. § 121 Abs. 1 S. 2 BGB gilt die Anfechtung gegenüber einem Abwesenden als rechtzeitig erfolgt, wenn die Anfechtungserklärung unverzüglich abgesendet worden ist. Diese kurzweilige Anfechtungsfrist ist erforderlich, um dem Anfechtungsgegner Gewissheit darüber zu geben, ob das Rechtsgeschäft letztlich wirksam ist oder nicht.
Dagegen regelt § 124 BGB die Frist in der die Anfechtung bei einer arglistigen Täuschung bzw. bei einer widerrechtlichen Drohung erklärt werden muss. In diesen Fällen sieht § 124 Abs. 1 BGB eine einjährige Frist vor. Bei Vorliegen einer arglistigen Täuschung beginnt die Anfechtungsfrist mit dem Zeitpunkt, in welchem der Anfechtungsberechtigte die Täuschung entdeckt. Die Frist bei einer widerrechtlichen Drohung beginnt mit dem Zeitpunkt, in welchem die Zwangslage aufhört.

 

IV. Rechtsfolgen einer Anfechtung

Bei der erfolgreichen Anfechtung eines Rechtsgeschäfts, ist dieses gem. § 142 Abs. 1 BGB als von Anfang an (= ex tunc) nichtig anzusehen. Das Rechtsgeschäft wird also behandelt, als sei es überhaupt nicht vorgenommen worden. Der Erklärungsempfänger der Anfechtung hat jedoch auf die Gültigkeit der Willenserklärung vertraut. Deshalb hat der Anfechtende dem Erklärungsempfänger grundsätzlich dessen Vertrauensschaden zu ersetzen, § 122 Abs. 1 BGB. Diese Ersatzpflicht tritt allerdings nicht ein, wenn der Erklärungsempfänger den Grund für die Anfechtbarkeit kannte oder infolge von Fahrlässigkeit nicht kannte (kennen musste).
Zu ersetzen ist nur der Vertrauensschaden (= Vertrauens- oder negatives Interesse), welchen der Anspruchsberechtigte dadurch erleidet, dass er auf die Gültigkeit der Erklärung vertraut hat. Er muss so gestellt werden, wie er stünde, wenn er von dem Rechtsgeschäft nichts gehört hätte. Nicht zu ersetzen ist der Erfüllungsschaden (= Erfüllungs- oder positives Interesse). Darunter ist ein Schaden zu verstehen, der jemandem dadurch entstanden ist, dass der andere nicht erfüllt hat. Der Vertrauensschaden ist der Höhe nach aber durch das Erfüllungsinteresse begrenzt.
Beispiel: M bestellt bei V eine Ferienwohnung für einen Monat zu 1.000€. M ficht den Vertrag wirksam an, sodass dieser ex tunc nichtig ist. Im Vertrauen auf die Gültigkeit des Mietvertrags hat V einen anderen Interessenten abgelehnt, der bereit war 1.200€ zu zahlen. Das ist sein Vertrauensschaden. Dieser übersteigt jedoch das Erfüllungsinteresse des V, der bei Gültigkeit des Vertrags mit M nur einen Anspruch auf 1.000€ gehabt hätte. Deshalb ist der Vertrauensschaden nur bis zu einer Höhe von 1.000€ zu ersetzen.
Im Falle einer Anfechtung wegen § 123 BGB kommt ein Schadensersatzanspruch gegen den arglistig Getäuschten oder widerrechtlich Bedrohten nicht in Betracht.

 

C. Werkzeug

I. Definitionen

Irrtum

Das unbewusste Auseinanderfallen von (subjektivem) Willen und (objektiver) Erklärung.

Eigenschaften einer Person

Prägende Merkmale tatsächlicher oder rechtlicher Art, die sich aus der Person selbst ergeben und von einer gewissen Dauer sind.

Eigenschaften einer Sache

Alle wertbildenden Faktoren, jedoch nicht der Preis der Sache.

 

Verkehrswesentlichkeit

Verkehrswesentlich ist, was die Beteiligten als wesentlich vereinbart haben oder mangels Vereinbarung nach der objektiven Verkehrsanschauung als wesentlich angesehen wird.

Täuschung

Ein Verhalten, das darauf abzielt, in einem anderen eine unrichtige Vorstellung hervorzurufen, zu bestärken oder zu unterhalten.

Drohung

Das Inaussichtstellen eines zukünftigen Übels, auf dessen Eintritt der Drohende Einfluss zu haben vorgibt.

 

II. Prüfungsaufbau

I. Anfechtungsgrund
1. Irrtum
a) Inhalts- oder Erklärungsirrtum, § 119 Abs. 1 BGB
b) Irrtum über eine verkehrswesentliche Eigenschaft, § 119 Abs. 2 BGB

2. Arglistige Täuschung, § 123 Abs. 1, Alt. 1 BGB
3.Widerrechtliche Drohung, § 123 Abs. 1, Alt. 2 BGB
4. Kausalität zwischen Anfechtungsgrund und Willenserklärung
II. Anfechtungserklärung, § 143 BGB

III. Anfechtungsfrist, §§ 121, 124 BGB

 

D. Anwendung

Fall 1:
Student S will seinem Freund F sein altes Fahrrad zum Verkauf anbieten. Daher schreibt S dem F eine Mail und gibt einen Verkaufspreis von 25€ an. F antwortet innerhalb kürzester Zeit und nimmt das Angebot an. Als S die Antwort des F liest, fällt ihm auf, dass er sich in der Mail mit seinem Angebot vertippt hat. Er wollte sein Fahrrad eigentlich für 52€ verkaufen und schreibt dem F daher: „Ich will das Fahrrad doch nicht verkaufen! Hab mich beim Preis vertippt…“

Frage: Ist die Anfechtung des S wirksam?

Lösung Fall 1

Damit die Anfechtung des S wirksam ist, bedarf es eines Anfechtungsgrundes, welcher kausal für den Vertragsschluss gewesen sein muss. Zusätzlich muss er eine Anfechtungserklärung innerhalb der gesetzlich festgelegten Frist abgegeben haben.

I. Anfechtungsgrund

Zunächst müsste ein Anfechtungsgrund bestehen. Als solcher kommt hier ein Erklärungsirrtum gem. § 119 Abs. 1, Alt. 2 BGB in Betracht.

1. Erklärungsirrtum gem. § 119 Abs. 1 Alt. 2 BGB

Zunächst müsste das Vertippen des S einen Erklärungsirrtum i. S. v. § 119 Abs. 1, Alt. 2 BGB darstellen. Demnach liegt ein Erklärungsirrtum vor, wenn der Erklärende „eine Erklärung dieses Inhalts überhaupt nicht abgeben wollte.“ Der Erklärende äußert objektiv also etwas anderes, als er subjektiv eigentlich will. Ein Fall des Erklärungsirrtums liegt vor, wenn sich der Erklärende verspricht, verschreibt oder vergreift. Hier hat S sich vertippt und hat einen Preis von 25€ angegeben, obwohl er das Fahrrad zu einem Preis von 52€ verkaufen wollte. Die objektiv abgegebene Erklärung weicht als unbewusst von seinem subjektiven Geschäftswillen ab. Somit liegt ein Erklärungsirrtum i. S. v. § 119 Abs. 1, Alt. 2 BGB vor.

2. Kausalität des Irrtums

Dieser Erklärungsirrtum müsste auch kausal für den Vertragsschluss geworden sein. Gem. § 119 Abs. 1 BGB kann jemand seine Erklärung anfechten, „wenn anzunehmen ist, dass er sie bei Kenntnis der Sachlage und bei verständiger Würdigung des Falles nicht abgegeben haben würde.“ Es kommt also auf eine subjektive („bei Kenntnis der Sachlage“) und eine objektive Erheblichkeit („bei verständiger Würdigung des Falles“) des Irrtums an. An der subjektiven Erheblichkeit fehlt es, wenn der Erklärende die Erklärung auch ohne den Irrtum abgegeben hätte. Hätte S jedoch gewusst, dass er sich vertippt, hätte er sein Angebot nicht erklärt. Der Irrtum war damit subjektiv erheblich. Objektive Erheblichkeit liegt vor, wenn ein verständiger Mensch die Abgabe der Willenserklärung unterlassen hätte. Hier hätte auch ein verständiger Mensch die Willenserklärung nicht abgegeben. Der Irrtum ist damit auch objektiv erheblich. Damit war der Erklärungsirrtum des S kausal für den Vertragsschluss.

3. Zwischenergebnis

Ein Anfechtungsgrund in Form eines Erklärungsirrtums gem. § 119 Abs. 1, Alt. 2 BGB liegt vor.

II. Anfechtungserklärung

S müsste die Anfechtung zudem gem. § 143 Abs. 1, Abs. 2 BGB gegenüber dem richtigen Anfechtungsgegner erklärt haben. F ist als Vertragspartner der richtige Anfechtungsgegner. Diesem gegenüber hat S in seiner Mail zwar nicht den Begriff der Anfechtung benutzt, es genügt aber, wenn er deutlich macht, dass und warum er nicht an den Vertrag gebunden sein will (sog. laiengünstige Auslegung). Dies hat er getan, indem er F zu verstehen hat, dass er sein Fahrrad aufgrund eines Tippfehlers doch nicht verkaufen will. S hat die Anfechtung damit gegenüber dem richtigen Anfechtungsgegner erklärt.

III. Anfechtungsfrist gem. § 121 BGB

Er müsste die Anfechtung zudem fristgerecht erklärt haben. Gem. § 121 Abs. 1 BGB muss die Anfechtung in den Fällen des § 119 BGB unverzüglich, also ohne schuldhaftes Zögern, erklärt werden. S hat direkt nach dem Erkennen des Tippfehlers seine Anfechtungserklärung an F verfasst. Er handelte damit unverzüglich i. S. v. § 121 Abs. 1 BGB.

IV. Ergebnis

Die erforderlichen Voraussetzungen für eine Anfechtung liegen damit im Ergebnis vor. S hat den Vertrag wirksam angefochten, sodass dieser nach § 142 Abs. 1 BGB als von Anfang an nichtig anzusehen ist.

 

Fall 2
Die Heizungsanlage des A muss dringend repariert werden. Deshalb will er den Handwerksmeister Anton Müller (M1), der schon oft in seinem Haus gearbeitet hat, bestellen. Er findet im Telefonbuch einen anderen Handwerksmeister, Alfons Müller (M2). Diesen ruft er an und erteilt ihm den Auftrag in der Annahme, es handele sich um den ihm bekannten M1. Als M2 erscheint, erkennt A die Verwechslung und weist deswegen die Vertragsdurchführung durch M2 zurück.

Frage: Liegt auf Seiten des A ein Anfechtungsgrund vor?

Als Anfechtungsgrund kommt hier ein Inhaltsirrtum gem. § 119 Abs. 1, Alt. 1 BGB in Betracht. Ein Inhaltsirrtum liegt demnach vor, wenn der Erklärende bei der Abgabe seiner Erklärung im Irrtum war. Der Irrende misst seiner Erklärung subjektiv eine andere Bedeutung bei, als ihr nach objektiver Auslegung zukommt. Hier ging A subjektiv davon aus, dem M1 ein Vertragsangebot zu unterbreiten. Aus objektiver Sicht gibt er seine Erklärung jedoch tatsächlich gegenüber M2 ab (sog. Identitätsirrtum). Er misst seiner Erklärung also eine andere Bedeutung bei, als ihr objektiv tatsächlich zukommt. Somit liegt ein Inhaltsirrtum i. S. v. § 119 Abs. 1, Alt. 1 BGB vor.

 

E. Selbststudium

http://www.bpb.de/nachschlagen/lexika/recht-a-z/21799/anfechtung

http://www.bpb.de/nachschlagen/lexika/recht-a-z/22407/irrtum