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Geschichte der Jüdischen Gemeinde in Joachimsthal

Textilgeschäft der Familie Chaim in Joachimsthal
Quelle: Amtsarchiv Joachimsthal
Textilgeschäft der Familie Chaim in Joachimsthal

Der erste Schutzjude in Joachimsthal war Salomon Levin. Seine Existenz lässt sich bereits seit 1698 nachweisen. Sein königlicher Schutzbrief ist erhalten. Nach dessen Tod wurde der Schutzbrief 1716 auf seinen Sohn Levin Salomon transferiert. Die Anzahl der Familienangehörigen und geduldeten Juden zu dieser Zeit ist aber nicht bekannt. Seit 1718 waren im Ort zwei Schutzjuden, Levin Salomon und Israel David, ansässig. Für das Jahr 1733 finden wir eine Erfassung der hiesigen Juden: zwei Schutzjuden und neun weitere Familien, insgesamt elf geduldete jüdische Familien. Der Erwerbszweck der Schutzjuden, der ihnen erlaubt war, war der Handel mit Gold, Silber, Pelzen.    

Einem Grundbuch-Eintrag von Joachimsthal aus dem Jahr 1815 zufolge besaß die jüdische Gemeinde unter ihrer älteren Bezeichnung „Synagogengemeinde Alt-Grimnitz“ einen eigenen Friedhof. Ihre Synagoge stand in der Kirchstr. 2, hinter der Kirche. Dabei handelte es sich um ein Wohnhaus, das von der jüdischen Gemeinde mitfinanziert wurde. Sie war aber nicht Eigentümerin. Vielmehr erwarb sie sich für immer das Recht auf Nutzung eines Raumes am Sabbat für den Gottesdienst.

Eine Aufstellung aus dem Jahr 1836 erfasst schließlich 19 jüdische Familien in Joachimsthal, mit insgesamt 81 Angehörigen. Einer anderen Auflistung aller hier lebenden Juden zufolge führten sie in der ersten Hälfte des 19. Jahrhundert als Berufsbezeichnung entweder Kaufmann oder Handelsmann.  Am 01. Dezember 1890 waren nur noch 14 jüdische Einwohner gemeldet. Aufgrund von Abwanderung sank ihre Zahl noch weiter, so dass sich die wenigen verbliebenen Juden aus Joachimsthal am Ende des 19. Jahrhunderts der Synagogengemeinde Angermünde anschlossen. Bis in die 1920er Jahre hielt die Entwicklung weiter an, immer mehr jüdische Bewohner zog es in die Großstädte. So lebte bereits die Tochter von Familie Chaim mit ihrer Familie in Berlin.

Die Synagoge bzw. die Betstube wurde laut Aussage der letzten Besitzerin des Gebäudes (im Jahre 2004) noch nach 1924 genutzt. Während der NS-Zeit, aber noch vor dem 09. November 1938 beschlossen der Vorstand der Jüdischen Gemeinde Angermünde und der Besitzer des Hauses, das Recht auf Nutzung zum Gottesdienst aus der Besitzurkunde zu streichen. Dies verschonte das Gebäude dann in der Reichspogromnacht vor der Verwüstung oder Zerstörung.  

Zu Beginn der NS-Zeit lebten in Joachimsthal nur noch zwei jüdische Familien: Familie Joachimsthal und Familie Chaim sowie der Arzt Dr. Landsberg. Im Jahr 2006 haben die Schüler einer Klasse des Joachimthaler Gymnasiums gemeinsam mit ihrer Geschichtslehrerin mittels Recherche und der Methode der „Oral History“ deren Schicksal zusammengetragen:

Der Familie Chaim gehörte ein Textil- und Kurzwarengeschäft in der Schulstr. 5, das auf einer alten Ansichtskarte deutlich zu erkennen ist. Ihr Wohnhaus stand gleich nebenan, Schulstr. 4. Helmuth wurde am 12. Oktober 1872 in Joachimsthal geboren, betrieb das Ladengeschäft und engagierte sich gleichzeitig in den Vereinen der Stadt und in der Kommunalpolitik. Am 20. November 1942 wurde er zusammen mit seiner Frau Regina von Berlin nach Theresienstadt deportiert, wo er am 15. Mai 1944 an den Folgen einer Grippe starb. Tochter Irmgard, eine verheiratete Pagel, überlebte mit ihrem Mann in Verstecken in Berlin. Nach dem Krieg wanderten sie gemeinsam mit der Mutter Regina in die USA aus. Sohn Walther starb 1938 bei einer Gallen-OP im Krankenhaus. Seine Frau Edith, geb. Berg, emigrierte nach Australien. Helmuths Vater, der 1847 geborene Kaufmann Julius Chaim verstarb am 10. Januar 1937. Er wurde als letzter auf dem jüdischen Friedhof in Joachimsthal begraben.  

1946 kamen Regina und Irmgard Chaim nochmals für zwei Tage nach Joachimsthal um einen Gedenkstein für ihren Mann und Vater Helmuth Chaim aufzustellen. Von Familie Joachimsthaler ist lediglich bekannt, dass diese nach England emigrierte. Dr. Landsberg verstarb plötzlich und unter nie ganz geklärten Umständen.

Die Ergebnisse der Recherchen und Befragungen über die ehemaligen jüdischen Nachbarn machte die Gymnasialklasse in zwei Schautafeln der Öffentlichkeit zugänglich. Zu sehen waren sie seit 2006 im Foyer des Rathauses. Dort sollen sie in Zukunft auch wieder ihren Platz finden.

Auf Initiative der Schulklasse beschloss das Stadtparlament außerdem, zwei Stolpersteine für Familie Chaim in der Schulstraße zu setzen. Im Juli 2007 wurden diese dann vor dem ehemaligen Wohnhaus der Chaims unter großem Interesse der Öffentlichkeit installiert. Das Gebäude an der Kirchstraße, in dem sich einst die Betstube befand, wurde nach 2004 aber baulich so stark verändert, dass sich sein einstiges Aussehen nur noch erahnen lässt.

 

Dieter Rauer

Quellen und Literatur

BLHA, Rep. 32 Joachimsthalsches Gymnasium, Nr. 618, Acta 1698-1742
Amtsarchiv Joachimsthal (Schorfheide), Akte I-05-3, EA 1- 02- 127

Bericht der Pfarrerin Beatrix Spreng, in: Gemeindebrief der evangelischen Kirchengemeinde, Herbst 2008.
Brocke, Michael / Ruthenberg, Eckehart / Schulenburg, Kai Uwe: Stein und Name. Die jüdischen Friedhöfe in Ostdeutschland (Neue Bundesländer/DDR und Berlin), Berlin 1994, S. 427.
Dokumentation jüdischer Ritualbauten im Land Brandenburg, in: bet.tfila.org/info - Informationen der Bet Tfila-Forschungsstelle für jüdische Architektur in Europa 01/2005, S. 4.
Märkische Oderzeitung / Ausgabe Eberswalde, vom 13.02.1992.
Petersson, Viola: „Stolpersteine“ für die jüdische Familie Chaim, in: Märkische Oderzeitung, vom 17.07.2007.
Schmook, Reinhard: Zeugnisse jüdischer Kultur. Erinnerungsstätten in Mecklenburg-Vorpommern, Brandenburg, Berlin, Berlin 1992, S. 96-97
Weißleder, Wolfgang: Der gute Ort. Jüdische Friedhöfe in Brandenburg, Potsdam 2002, S. 58.

Brandenburgisches Landesamt für Denkmalpflege u. Archäologisches Landesmuseum: Denkmaldatenbank, URL: ns.gis-bldam-brandenburg.de [28.02.2022]
Yad Vashem: Opferdatenbank, URL: www.yadvashem.org/de.html [28.02.2022]