Geschichte der Jüdischen Gemeinde in Fürstenberg (Oder)

Einen ersten Hinweis über die Anwesenheit von Juden in der Oderstadt Fürstenberg liefert ein Eintrag im Urkundenbuch des Klosters Neuzelle. Protokolliert ist hier nämlich ein Raubüberfall im Jahr 1397, bei dem Juden aus Guben durch einen gewissen Caspar Jeschen zu Schaden kamen. Beide Städte lagen im Gubener Kreis, wobei Fürstenberg zur königlichen Standesherrschaft Neu-Zelle gehörte.
Den nächsten Hinweis liefert dann erst die Stadtchronik Fürstenberg aus dem Jahr 1755: Demnach gab es hier zu diesem Zeitpunkt 253 Häuser und Brandstellen, die sich auf das Töpfer-, Juden-, Oder- und Kietzviertel verteilten.
Der erste namentlich bekannte Jude, der sich um einen Wohnsitz in Fürstenberg bemühte, war der Kaufmann und Schutzjude Salomon Calmann aus Friedland (Niederlausitz). Bereits sein Großvater und sein Vater handelten in der Stadt mit Waren. Nun wollte er sich selbst zu diesem Zweck hier mit seiner Familie niederlassen, was ihm trotz Fürsprache etlicher Bürger zwischen 1779 und 1804 aber immer wieder verweigert wurde: durch die Landesregierung in Lübben, den sächsischen Kurfürsten bzw. das bereits erwähnte Kloster. Friedrich Traugott Callmann entschied sich daraufhin für eine Konversion zum Protestantismus, die er 1813 mit seiner Taufe besiegelte. Er wollte offenbar die preußischen Emanzipationsgesetze der nachnapoleonischen Ära nicht abwarten, die den Juden die freie Wahl ihres Wohnortes ermöglichte – und in der Lausitz sogar erst ab 1821 galten. Callmann nahm den Nachnamen Raymund (auch Reimund) an und durfte fortan in der Stadt bleiben. 1814 lebte er im Kietz-Viertel; seine Familie ist bis 1873 in Fürstenberg nachgewiesen.
1850 hatte Fürstenberg nach Angaben des Landbuches Brandenburg 2.080 Bürger. Von ihnen gehörten 14 der jüdischen Religion an, hatten sich mit ihren Glaubensbrüdern aus den umliegenden Orten aber bereits ein eigenes Bethaus in der Königstr. 54 errichtet. Hierbei handelte es sich um ein massives Hinterhaus-Gebäude mit Ziegeldach, das zwischen 1869 und 1908 mehrfach umgebaut und auf zwei Stockwerke erhöht wurde. 1887 wurde es in den Bauakten erstmals als Synagoge bezeichnet.
Unter den 2.360 Einwohnern, die dann 1859 in der Stadt lebten, waren laut Riehl und Scheu 31 Katholiken und neun Juden. Das Königliche Statistische Bureau Preußens zählte in Fürstenberg am 1. Dezember 1871 insgesamt 2.753 Einwohner, darunter 2.651 Evangelische, 66 Katholiken und 36 Juden. Die Stadt selbst registrierte die sechs Familien Carl Levy, Nachmann Levy, Isidor Baron, Julius Schüler Majer Levy und Meier Klein. In den folgenden Jahren zogen weitere Familien aus anderen Orten Brandenburgs zu, sodass im Jahr 1890 von den 4.021 Einwohnern 43 jüdisch waren und sich auf elf Familien / Haushalte verteilten.
Im gesamten Landkreis Guben lebten 75 Juden unter 42.431 Einwohnern. Bis 1925 verschob sich hier die Zusammensetzung der Bevölkerung weiter. Denn von den 45.708 Einwohnern gehörten nur noch 55 Personen der jüdischen Gemeinschaft an. Mit einem Anteil von 0,12% bildeten sie damit eine absolute Minderheit. Ihren Lebensunterhalt bestritten sie im Wesentlichen mit Kleinhandel; mit dem Seifensieder Louis Levinsohn sogar einen Handwerker.
Dennoch haben in Fürstenberg mehr als zehn jüdische Männer gelebt, die am 7. März 1928 aus der Synagogengemeinde zu Guben austraten und mit ihren Familien ihre eigene Jüdische Gemeinde Fürstenberg a./ Oder gründeten. Vorausgegangen war diesem Akt ihr im Mai 1925 erstmals öffentlich geäußertes Begehren nach Eigenständigkeit. Sie waren nicht mehr bereit, weiterhin für eine Infrastruktur und Verwaltung zu zahlen, die sie aufgrund der Entfernung von 30 km nur eingeschränkt bzw. gar nicht nutzten. Ohnehin besaßen sie im Ort zwei Begräbnisplätze und einen Betsaal, der ihnen kurze Wege ermöglichte. Erich Opitz vermutet, dass die Synagoge bereits 1908 im Zuge des Neubaus eines Wohn- und Geschäftshauses durch den Kaufmann Emil Bergmann abgerissen wurde und sich die jüdische Gemeinschaft im benachbarten Fürstenwalder Hof, Königsstraße 53, eingemietet hatte.
Zu den ersten Gemeinde-Vorstehern wurden der Rentier Adolf Klein und der Kaufmann Isidor Baron gewählt. Letzterer verfügte über eine große Reputation in der Stadtgesellschaft, übte er doch mehrere kommunale Ämter aus und wirkte bereits 40 Jahre als Stadtverordneter, was sich wiederum auf die jüdische Gemeinschaft günstig auswirkt. Welch hohe Anerkennung Isidor Baron für sein Engagement zuteilwurde, lässt sich an seiner bereits am 28. Januar 1915 erfolgten Ernennung zum Ehrenbürger der Stadt erkennen, die auf Vorschlag seines Freundes und Kollegen Bergmann erfolgte. Da es zu Beginn der 1930er Jahre in Fürstenberg 13 jüdische Steuerzahler gab, kann man von einer Gemeindegröße von ca. 50 Mitgliedern ausgehen, also von ca. zehn Familien.
Allerdings wurde die Gemeinde nicht als eigenständige Korporation beim Amtsgericht eingetragen. Das NS-Regime zwang sie daher schon 1935 zur Selbstauflösung und zur administrativen Rückkehr nach Guben. In der Pogromnacht 1938 wurde der Betsaal völlig verwüstet. Zwei Tage später werden Max und Kurt Klein, sowie Heinrich Lewin, Siegfried Fellert und der aus Guben stammende Alfred Mendelsohn verhaftet und ins KZ Sachsenhausen verschleppt. Am Abend des 10. November überfielen Teilnehmer einer antijüdischen Demonstration mit Duldung der Polizei mehrere jüdische Geschäfte und Wohnungen in Fürstenberg. Die meisten anderen Gemeindemitglieder verließen spätestens danach die Stadt in Richtung Berlin oder Frankfurt oder emigrierten ins Ausland. Die noch in Fürstenberg Verbliebenen – Edith Abraham, Pauline Glaser, Arthur und Elsa Klein, Vera Felicitas Klein, Heinrich Lewin sowie Hannchen Loebel – wurden zwischen April 1942 und November 1943 nach Auschwitz, Warschau und Theresienstadt deportiert und ermordet.
Gleichzeitig, also seit Anfang 1942, wurden ca. 500 polnische Juden aus dem Ghetto Lodz nach Fürstenberg gebracht, die bei der Degussa AG und im Märkischen Elektrizitätswerk bis Sommer 1943 schwerste Zwangsarbeit verrichten mussten.
Siegfried Fellert, der aufgrund seiner Ehe mit der Nichtjüdin Emma Fellert vor der Deportation geschützt war, wurde mit seiner Frau und acht weiteren Juden in einem „Altersheim“ in Fürstenberg untergebracht. Beide wurden jedoch im Februar 1945 unter dem Vorwand des illegalen Aufenthalts in der Stadt erschossen.
Umso bemerkenswerter ist, dass mit Werner Fellert ein Bruder von Siegfried nach dem Krieg nach Fürstenberg zurückkehrte und mit seiner Frau Cecilie abermals ein Textilgeschäft im Ort betrieb. Bereits 1946 wurde die Straße, in der Emma und Siegfried zuletzt untergebracht waren, in Fellertstraße umbenannt. Am 28. Juli 2005 verlegte Gunter Demnig in der Königsstraße 61 zwei Stolpersteine, die an den letzten freiwilligen Wohnort der beiden erinnert. Am 4. September 2002 erhielt eine Straße im Fürstenberger Neubaugebiet Scheunenviertel den Namen des Ehrenbürgers Isidor Baron.
Anke Geißler-Grünberg
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