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von Stefanie Wieczorek
Zu Lebzeiten war Marcus Herz ein bekannter und vielgefragter Arzt und Philosoph, der in seinem „Haus“ Vorlesungen über medizinische und philosophische Themen hielt, sowie über Experimentalphysik und Elektrizität.
Geboren wurde Marcus Herz als Sohn eines Thoraschreibers der Berliner Jüdischen Gemeinde in Berlin. Seine Familie lebte in armen Verhältnissen und schickte ihn 1762 nach Königsberg, um dort eine Kaufmannslehre zu beginnen. Nachdem er die Lehre abgebrochen hatte begann er am 21. April 1766 ein Studium der Philosophie und der Medizin an der Königsberger Universität Albertina,[1] welches ihm von Sponsoren bezahlt wurde. Dort lernte er Immanuel Kant (1724–1804) kennen. Dieser unterstützte den talentierten Studenten und stattete ihn am Ende seines Studiums 1770 mit Empfehlungsschreiben für Moses Mendelssohn (1729–1786) und Johann Georg Sulzer (1720–1779), einem Philosophen und Mitglied der Akademie der Wissenschaften, aus.[2] Des Weiteren wählte Kant ihn 1770 als Respondenten seiner Arbeit zu seiner Einführung als Professor für Logik und Metaphysik.[3] In Berlin angekommen brachte ihn Moses Mendelssohn mit dem Manufakturinhaber David Friedländer (1750–1834) in Kontakt. Dieser ermöglichte ihm unter anderem die Fortsetzung seines Medizinstudiums an der Universität Halle.[4] 1774 beendete er das Studium mit seiner Dissertation: De varia naturae energia in morbis acutis atque chronicis. Am 26. Februar und 02. März 1774 fand seine Examination statt, die er laut dem amtierenden Dekan der Hallenser Universität Johann Peter Eberhard (1727–1779) mit ausgezeichneten Leistungen ablegte. Seine Doktorarbeit verteidigte er öffentlich und ohne die Hilfe eines Ordinarius.[5]
Daraufhin ließ er sich als praktischer Arzt in Berlin nieder und war auch am Jüdischen Krankenhaus tätig. Jedoch mussten erst einige Auflagen erfüllt werden, um sich in Berlin als Arzt niederzulassen: Zuerst musste Marcus Herz sich beim Obercollegium Medicum melden und schriftliche Nachweise über sein Universitätsstudium und die Promotion vorlegen, 12 Exemplare seiner Streitschrift und sein Doktoratsdiplom im Original einreichen. Daraufhin absolvierte er eine mündliche Prüfung und demonstrierte praktische Fähigkeiten, er nahm an einem Anatomiekurs im Theatrum anatomicum teil, diagnostizierte einen praktischen Fall und arbeitete einen Therapievorschlag aus, schließlich musste er noch eine Prüfung vor dem Collegium medicum bestehen. Geprüfte Ärzte durften lediglich innere Krankheiten behandeln, für die äußeren Gebrechen waren Wundärzte zuständig.[6] Außerdem war es ihnen nicht erlaubt, Heilmittel herzustellen oder zu verkaufen, dies war Aufgabe der Apotheker.
Marcus Herz hatte viele Patienten, die meisten besuchte er an ihrem Krankenbett in der eigenen Wohnung, sogar mehrere Male am Tag.[7] Er war über den gesamten Krankheitsverlauf der Patienten unterrichtet und ließ sich von den Patienten oder deren Nachtwachen alles über die Krankheitsentwicklung berichten.[8] Es wird vermutet, dass Marcus Herz bereits um 9 Uhr am Morgen auf dem Weg zu seinen Patienten war. 1797 beschreibt Karl August Boettiger (1760–1835) ihn als einen der tätigsten Menschen in Berlin, da er alle Geschäfte des Tages zu Fuß erledigte.[9]
Im Jahr 1776 verlobte er sich mit Henriette de Lemos (1764–1847), der Tochter des Leiters des Jüdischen Krankenhauses in Berlin, Benjamin de Lemos (1711–1789). Sie heirateten am 01. Dezember 1779 als Henriette Herz 15 Jahre alt war. Markus Herz sorgte für die weitere Ausbildung Henriettes und brachte sie durch sein offenes „Haus“ mit den geistigen Größen Berlins zusammen.[10] In seinen Privaträumen hielt er Vorlesungen und veranstaltete anregende Gesprächsrunden. Manchmal fanden sich bis zu 50 Gäste bei Marcus Herz ein, wie die Brüder Alexander (1769–1859) und Wilhelm von Humboldt (1767–1835), Justizminister Karl Abraham von Zedlitz (1731–1793), der spätere König Friedrich Wilhelm III. (1770–1840), der Philosoph Friedrich Daniel Schleiermacher (1768–1834) und viele andere.[11]
Um 1779 wohnte Marcus Herz in der Heiliggeiststraße, das Ehepaar Herz zog dann in die Spandauer Straße, in das „Burgersche Haus“, diese Adresse wird noch 1793 als Wohnsitz vermerkt. Um 1796 wohnten sie in der Neuen Friedrichstraße 22 und zogen später in die Markgrafenstraße 59. Das Ehepaar Herz hatte in der Tiergartenstraße 18 einen Sommerwohnsitz, der mit der Zeit zu einem wichtigen Ort geistiger Gespräche wurde.[12]
1782 litt Marcus Herz an einer schweren Krankheit, einem starken Fieber, welches er nur knapp überlebte. Seine Ärzte waren zu dieser Zeit Christian Gottlieb Selle (1748–1800) und Johann Christoph Friedrich Voitus (1741–1787), aus Dankbarkeit widmet er ihnen seinen Grundriß aller medicinischen Wissenschaften. Auf der anschließenden Kur in Bad Pyrmont lernte er den Fürsten Friedrich Karl August von Waldeck (1763–1812) kennen, der ihn 1785 zu seinem Leibarzt machte und ihn zum Hofrat ernannte.[13] Ihm widmete Marcus Herz seine Schrift: Versuch über den Schwindel.[14] Außerdem wurde er 1782 zum Leiter des Jüdischen Krankenhauses ernannt.[15] Im Jahr 1787 verlieh ihm König Friedrich Wilhelm II. (1744–1797) den Professorentitel für Philosophie, der mit einem Gehalt und einem Pensionsanspruch verbunden war. 1792 versuchte er in die Königlich–Preußische Akademie der Wissenschaften aufgenommen zu werden. Aber auch eine Bittschrift im Oktober 1792 an König Friedrich Wilhelm II. führte zu keiner Aufnahme, wohl aufgrund seiner Religionszugehörigkeit, wie er vermutete.[16]
Marcus Herz starb am 19. Januar 1803 an einer Lungenkrankheit. Er wurde auf dem Jüdischen Friedhof in der Großen Hamburger Straße neben Moses Mendelssohn begraben.[17]
Nach seinem Tod heiratete Henriette Herz nicht wieder, obwohl sie finanzielle Schwierigkeiten und viele Bewerber hatte.[18] In ihren autobiographischen Aufzeichnungen charakterisierte sie Marcus Herz als einen Menschen, der „alle junge(n) Leute […] gerne in seinem Hause [sah]“.[19] Der Erfolg seiner Vorlesungen führte auch dazu, dass er in manchen Dingen um Rat gefragt wurde, die die Themen dieser betrafen, wie zum Beispiel zu den damals aufkommenden Blitzableitern.[20] Er bevorzugte nicht nur in der Wissenschaft, sondern auch in der Literatur Klarheit und Durchsichtigkeit, wie bei Gotthold Ephraim Lessing (1729–1781), mit dem er auch persönlich bekannt war.[21] Marcus Herz liebte es Gesellschaft zu haben und suchte in ihr eine Erholung seiner täglichen Pflichten. Diese nahmen ihn stark ein und doch konnte er keinen Tag ohne diese Tätigkeiten verleben. Plagte ihn eine zu starke Migräne, sodass er seiner Arbeit nicht nachkommen konnte, so ärgerte er sich, laut Henriette Herz, voller Ungeduld darüber, dass er sich nicht überwinden konnte, doch aufzustehen.[22]
Marcus und Henriette Herz sollen, trotz des Altersunterschiedes, eine harmonische Ehe geführt haben. Auch die Kinderlosigkeit änderte daran nichts. Obwohl Henriette Herz ihn als „klein und häßlich“ beschrieb,[23] fiel ihr doch auch der „geistreiche Ausdruck seines Gesichts“,[24] bei ihrem ersten Treffen, auf. Desweiteren wurde Marcus Herz’ Humor, vor allem in seiner Schrift Freymüthige Kaffeegespräche zwoer jüdischen Zuschauerinnen über den Juden Pinkus von 1772, in einem Nekrolog über ihn von 1805, hervorgehoben.[25]
Marcus Herz war seit dem Beginn seiner Studien fest mit der wissenschaftlichen Welt verbunden. Seinem Lehrer und lebenslangen Freund Immanuel Kant schrieb er am 11. September 1770: „[I]ch werde nie aufhören den Tag, an welchen ich mich den Wißenschaften übergab für den glücklichsten und denjenigen da Sie mein Lehrer wurden für den ersten meines Lebens zu halten.“[26] Sein erster Besuch nach der Rückkehr aus Königsberg galt Moses Mendelssohn, den er daraufhin noch oft besuchte[27] und dessen Arzt er später wurde.[28] Doch so fruchtbar die Gespräche mit Moses Mendelssohn auch waren, Herz’ ganze Verehrung galt Immanuel Kant. Seine Verehrung zeigt sich nicht nur in den wiederholten Grüßen am Ende eines jeden Briefes an Kant, sondern auch in dem Entschluss Marcus Herz’, „[…] alle(n) Wißenschaften ferner zu entsagen […]“,[29] nachdem er gehört hatte, dass Kant nicht mehr so viel von den Betrachtungen aus der spekulativen Weltweisheit hielt wie zuvor.[30] Glücklicherweise setzte er diesen Entschluss nicht in die Tat um. Auch erwähnte er Immanuel Kant gegenüber, wieviel Freude es ihm machte dessen philosophische Lehren vor einer täglich zunehmenden Zuhörerschaft unter großem Beifall vortragen zu können.[31] Diese Freundschaft und Verehrung drückt sich auch darin aus, dass Marcus Herz ein Bildnis Kants in seiner Stube zu hängen hatte, welches er oft betrachtete und „[…] bey jedem Denken und Forschen nach Wahrheit anstaun(t)e […]“.[32] Dieses Kant Bildnis war eine Kopie des 1768 von Johann Gottlieb Becker angefertigten Porträts des damals vierundvierzigjährigen Immanuel Kants. Marcus Herz nahm diese Kopie 1770 mit nach Berlin, nach seinem Tod ging das Bild in den Besitz David Friedländers über, dessen Enkel es der Deutschen Staatsbibliothek schenkte.[33]
Marcus Herz war einer der gefragtesten Ärzte unter den jüdischen Bürgern der Stadt Berlin und ein anerkannter Aufklärer. Nicht nur seine medizinischen Schriften, wie Briefe an Aerzte (1784) und Versuch über den Schwindel (1786), auch seine philosophische Schrift Betrachtungen aus der spekulativen Weltweisheit (1771), fanden Beachtung.
Neben diesen brachte er auch Schriften heraus, die die Stellung der Juden verbessern und ihnen die deutsche Kultur näher bringen sollten. Zu nennen wäre da unter anderem: Über die frühe Beerdigung der Juden (1787).
Marcus Herz versuchte seinen Kollegen den Zusammenhang von Krankheit und Seele näher zu bringen und war dafür psychologische Aspekte in die medizinische Praxis einfließen zu lassen. Auch war er stets bemüht, die Krankheiten nicht nur zu heilen, sondern ihre Entstehung aufzuspüren, um vorbeugend therapieren zu können. Für seine Zeitgenossen war er der „philosophische Arzt“.[34]
[1] Meyer, Bernhard: Denken in „Gränzörtern“. Marcus Herz. In: Goder, Ernst (Hrsg.) u. a.: Berlinische Monatsschrift. Publikation zur Stadtgeschichte. Berlin: Luisenstädtischer Bildungsverein e. V., 12/1998, S. 51.; [2] Meyer, Bernhard: Ein Leben im Geist der Aufklärung. Der Arzt und Philosoph Markus Herz (1747–1803). In: Goder, Ernst (Hrsg.) u. a.: Berlinische Monatsschrift. Publikation zur Stadtgeschichte. Berlin: Luisenstädtischer Bildungsverein e. V., 1/1997, S. 30; [3] Meyer, Bernhard: Denken in „Gränzörtern“, S. 51; [4] Meyer, Bernhard: Ein Leben im Geist der Aufklärung, S. 30. [5] Leder, Christoph Maria: Die Grenzgänge des Marcus Herz. Beruf, Haltung und Identität eines jüdischen Arztes gegen Ende des 18. Jahrhunderts. Münster: Waxmann Verlag, 2007, S. 43f. [6] Ebd., S. 45. [7] Ebd., S. 46. [8] Ebd., S. 60. [9] Ebd., S. 47. [10] Meyer, Bernhard: Ein Leben im Geist der Aufklärung, S. 31. [11] Ebd., S. 34. [12] Leder, Christoph Maria: Die Grenzgänge des Marcus Herz, S. 46. [13] Meyer, Bernhard: Ein Leben im Geist der Aufklärung, S. 32. [14] Ebd., S. 33/34. [15] Meyer, Bernhard: Denken in „Gränzörtern“, S. 51. [16] Meyer, Bernhard: Ein Leben im Geist der Aufklärung, S. 33f. [17] Ebd., S. 35. [18] Ebd., S. 31. [19] Zitiert nach: Herz, Henriette: Henriette Herz in Erinnerungen, Briefen und Zeugnissen. Leipzig und Weimar: Kiepenheuer Verlag 1984, S. 26. [20] Herz, Henriette: Henriette Herz in Erinnerungen, Briefen und Zeugnissen, S. 28. [21] Ebd., S. 29. [22] Ebd., S. 30. [23] Zitiert nach: Fürst, I. (Hrsg.): Henriette Herz. Ihr Leben und ihre Erinnerungen. Berlin: Bessersche Buchhandlung, 1850, S. 24. [24] Zitiert nach: Ebd. [25] Schlichtegroll, Friedrich (Hrsg.): Nekrolog der Teutschen für das neunzehnte Jahrhundert. Gotha: Justus Perthes 1805, Bd. 3, S. 30. [26] Zitiert nach: Brief von Marcus Herz an Immanuel Kant vom 11. September 1770. [27] Brief von Markus Herz an Immanuel Kant vom 11. September 1770. [28] Meyer, Bernhard: Ein Leben im Geist der Aufklärung, S. 32. [29] Zitiert nach: Brief von Marcus Herz an Immanuel Kant vom 09. Juli 1771. [30] Brief von Marcus Herz an Immanuel Kant vom 09. Juli 1771. [31] Brief von Marcus Herz an Immanuel Kant vom 24. November 1778. [32] Zitiert nach: Brief von Marcus Herz an Immanuel Kant vom 25. November 1785. [33] Biehahn, Erich: Mitteilungen. Das Berliner Kantbildnis. In: Kant – Studien. Berlin: Januar 1959, Bd. 50, Heft 1–4, S. 255f. [34] Meyer, Bernhard: Denken in „Gränzörtern“, S. 53f.
Zitierhinweis:
Stefanie Wieczorek: Marcus Herz. Biographie (Version II, 2017), in: haskala.net. Das online-Lexikon zur jüdischen Aufklärung / hg. von Christoph Schulte, URL<>, letzter Zugriff [Datum, Uhrzeit].
zusammengestellt von Martin Davies und Stefanie Wieczorek
Zitierhinweis:
Martin Davies und Stefanie Wieczorek: Marcus Herz. Bibliographie (Version II, 2017), in: haskala.net. Das online-Lexikon zur jüdischen Aufklärung / hg. von Christoph Schulte, URL<>, letzter Zugriff [Datum, Uhrzeit].