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Haskala im Dialog

Foto: Abb. I Sam 28. Text, Übersetzung und Kommentare in der 5. Auflage des Samuelbandes der Kitvē Qodeš
(כתבי קדש, ספר שמואל א׳ וב׳, וויען 51839)

Juda Jeitteles und Juda Leib ben Ze’eb als Exegeten der Aufklärung

Leitung: Prof. Dr. Hannes Bezzel (Universität Jena) und apl. Prof. Dr. Christoph Schulte (Universität Potsdam)

Projektmitarbeiterinnen: Dr. Louise Hecht und Dr. Grit Schorch

Drittmittelprojekt gefördert durch die DFG, 2016-2018

Ziele des Projekts

Juda Jeitteles (1773-1838) und Juda Leib ben Ze’eb (1764-1811) waren jüdische Aufklärer in der Donaumonarchie. Beide haben für eine jüdische Leserschaft Texte der Bibel aus dem Hebräischen ins Deutsche übersetzt und modern kommentiert. Damit haben sie ein Projekt der Berliner Haskala fortgesetzt, das mit Moses Mendelssohns kommentierter Pentateuch-Übersetzung seinen Anfang nahm, die in hebräischen Lettern 1780-1783 gedruckt wurde.

Das leitende Interesse des Projekts ist sowohl ein allgemein ideengeschichtliches als auch ein spezifisches der Jüdischen Studien und der alttestamentlichen Rezeptionsgeschichte: Aus ideengeschichtlicher Sicht geht es darum, anhand der exegetischen Werke zweier heute weitgehend vergessener Denker ein weiteres Licht auf die jüdische Aufklärung in Böhmen und Österreich zu Beginn des 19.Jahrhunderts zu werfen, die im Unterschied zur Berliner Bewegung „Prager Haskala“und „Wiener Haskala“ genannt werden. Wie lassen sich die aufgeklärten Ideen Ben Ze’ebs und Jeitteles’ im Rahmen ihrer Zeit verstehen? Wird die Zäsur des Wiener Kongresses und der Karlsbader Beschlüsse, die in den deutschen Ländern eine Zeit der Emanzipation und des Aufbruchs von der Restauration und dem Biedermeier trennt, auch in der Donaumonarchie spürbar?

Vom Standpunkt der jüdischen Geschichte aus ist es von Interesse, die Mittelstellung beider Maskilim näher in den Blick zu nehmen und ihre Rolle nicht zuletzt im Kontext der innerjüdischen Debatten ihrer Zeit zu verstehen. Jeitteles und Ben Ze’eb begreifen sich selbst als Modernisierer des Judentums. Gleichzeitig – und deswegen – suchen sie das Gespräch mit den Rabbinen des Mittelalters, aber auch mit der modernen protestantischen Exegese. Ben Ze’eb zitiert darum Eichhorn und Herder. Ein wichtiger Gewährsmann ist ihm aber auch, wie anderen Vertretern der Prager Haskala, der Renaissancegelehrte Azarya de' Rossi, auf dessen literale Schriftauslegung im Me’or Enayim er ebenfalls zurückgreift. Wie Leopold Zunz (1794-1886), der Mitbegründer der „Wissenschaft des Judentums“, verfolgen Jeitteles und Ben Ze’eb ein bilinguales emanzipatorisches Programm, das die Erziehung zu besserem Deutsch und zu besserem Hebräisch zugleich zum Ziel hat.

In der Diskussion um die Relevanz der jüdischen Lebensordnung, der Halacha, für die Gegenwart, die sie im Gegensatz zu einigen Radikalaufklärern keineswegs gänzlich negieren, rekurrieren sie, in einer Art humanistischen Ad fontes-Begeisterung, nicht auf den Talmud, sondern auf die Schriften des Tanach, die sie in der Auseinandersetzung mit den Methoden der historisch-kritischen Exegese lesen möchten. Zugleich ist es aber wohl auch kein Zufall, dass Ben Ze’ebs Mabo’, anders als seine Vorlage, die Einleitung Eichhorns, eben keinen Abschnitt über den Pentateuch bzw. die Tora enthält, sondern sich ausschließlich den Propheten und Hagiographen zuwendet: die fünf Bücher Mose, die Tora, steht jenseits der modernen Kritik.

Das Projekt

Jeitteles und Ben Ze’eb erscheinen so in vielerlei Hinsicht als Vertreter einer via media. Einer derartigen Mittelposition ist meist keine Dauer beschieden, und es wäre zu untersuchen, wie ihre Rezeption innerhalb des Judentums im weiteren 19. Jahrhundert verläuft, als, wohl nicht zuletzt aufgrund der wachsenden Nationalbewegungen, innerhalb der Haskala und bei ihren Erben die Phase der Zweisprachigkeit endet und vermehrt in den jeweiligen europäischen Volkssprachen publiziert wird. Das Phänomen einer Literatur, die auf Deutsch in hebräischen Lettern geschrieben ist, ist von kurzer Dauer.

Aus Sicht der alttestamentlichen Rezeptionsgeschichte richtet sich das Augenmerk besonders auf den Dialog der Haskala mit der protestantisch-theologischen Forschung der Zeit. Auf welche Weise und in welchem Maße zitieren oder rezipieren Ben Ze’eb und Jeitteles etwa Eichhorn und Herder? Wie positionieren sie sich zwischen historisch-kritischen und ästhetischen Maßgaben der Bibelauslegung? Was wird von ihnen beiseite gelassen, was wird aufgrund eigener philologischer Studien und aus der Kenntnis der rabbinischen Tradition heraus ergänzt oder modifiziert? Diese Fragen bestehen naturgemäß auch in umgekehrter Richtung. Delitzsch hat die Sirach-Übersetzung Ben Ze’ebs gelobt. Wurden aber auch der Mabo’ und Jeitteles’ Kommentare seitens der akademischen Welt wahrgenommen, kritisiert oder rezipiert? Hier geht es um die Frage nach dem Verhältnis der alttestamentlichen Wissenschaft im 19. Jahrhundert zur zeitgenössischen jüdischen Exegese. Dieser Punkt ist nicht zuletzt deshalb von besonderem Interesse, als damit eine Epoche in den Blick genommen wird, der die heutige exegetische Forschung, sie sei deutsch-, englisch- oder hebräischsprachig, die wichtigsten Entdeckungen und zentralen Thesen verdankt.

Foto: Abb. I Sam 28. Text, Übersetzung und Kommentare in der 5. Auflage des Samuelbandes der Kitvē Qodeš
(כתבי קדש, ספר שמואל א׳ וב׳, וויען 51839)