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Geschichte der Jüdischen Gemeinde in Oderberg

Foto: Anke Geißler
Ehemaliger Standort der Synagoge in Oderberg

Oderberg ist ein altes Handels- und Festungsstädtchen am Rande des Oderbruchs und nahe der deutsch-polnischen Grenze. Seit dem Mittelalter war hier ein wichtiger Umschlagplatz für Holz, Fisch und anderen Waren aus dem Hafen der Hansestadt Stettin, dem heutigen Szczecin. Im Dreißigjährigen Krieg (1618-1648) wurde die Stadt zerstört, ihren Wiederaufbau ab Mitte des 17. Jahrhunderts erschwerten Großbrände und Hochwasser. Aufgrund der 1755 durch Friedrich II. veranlassten Verlegung der Zollstation nach Hohensaaten im Rahmen des Ausbaus des Oder-Kanals und der Trockenlegung des Oderbruchs fehlten der Stadt für mehrere Jahrzehnte wichtige finanzielle Einnahmen.  

In dieser Zeit ließen sich hier dennoch Juden nieder. Für 1672 ist die Anwesenheit des Schutzjuden Benedikt Levi belegt, dessen Haus bei einem der Brände zerstört wurde. 20 Jahre später betrieb Elisabeth Schulhoff, die Ehefrau von Aron Salomon eine Pfandleihe in Oderberg.  Ausgestattet mit königlichen Schutzbriefen beförderten weitere Juden durch ihre Geschäftstätigkeit als Handwerker und Kaufleute sowie durch ihre Netzwerke den wirtschaftlichen Aufstieg der Stadt. Aus Anerkennung hierfür erhielten in der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts der Schmied Jürgen Isaac sowie sein Sohn Michael Isaac das Bürgerrecht. Wie der Ortschronist Fischbach 1786 notierte, lebten schließlich sechs jüdische Familien in Oderberg, die mit ihrem Schulmeister 46 Personen zählten und sogar eine eigene Betstube besaßen.  

Die Oderberger Juden hatten sich also inzwischen zu einer Gemeinde zusammengeschlossen und sich eine kleine Infrastruktur aufgebaut. Dazu gehörte auch ein eigener Friedhof kurz hinter der Stadtgrenze. Dies alles bezeugt, dass sie durch die christliche Mehrheitsgesellschaft akzeptiert waren. Weiterhin ist davon auszugehen, dass die Oderberger Juden auch am kulturellen Leben der Stadt teilnahmen und dies auch bereicherten.

Trotz großer Belastungen infolge der Befreiungskriege zu Beginn des 19. Jahrhunderts erholte sich die Stadt allmählich in ökonomischer Hinsicht: durch die Ansiedlung einer holzverarbeitenden Industrie, der Errichtung von Kahnbau-Betrieben und der Anbindung an das Eisenbahnnetz. Oderberg profitierte außerdem von Fischerei und wachsenden Tourismus; das kulturelle Leben in der Stadt ebenso. Diese Entwicklung wirkte sich auch positiv auf das jüdische Leben aus.

Zwölf Oderberger Juden erhielten auf Grundlage des Emanzipationsediktes vom März 1812 die preußische Staatsbürgerschaft und nahmen feste Namen an. Tischlermeister Quade vermietete seinen jüdischen Nachbarn einen Raum in seinem Haus in der Ritterstraße, damit sie sich hier eine neue Betstube einrichten konnten. Da sich die Jüdische Gemeinde in der Folgezeit auf 47 Mitglieder vergrößerte und der Platz bei Gottesdiensten nicht mehr ausreichte, kaufte sie dem Tischlermeister 1824 das gesamte Grundstück ab. Noch im gleichen Jahr baute sie hier ihre Synagoge – im für Oderberg typischen Fachwerk-Stil. Eine eingebaute Frauenempore lässt darauf schließen, dass die Gemeinde dem konservativen Ritus folgte. 1850 erreichte die Jüdische Gemeinde zu Oderberg mit 52 Mitgliedern ihren Höchststand.  

Industrialisierung, Handel und Tourismus bescherten der Stadt einen gewissen Wohlstand. Allerdings führten zunehmende Konkurrenz im Brauereigewerbe durch Massenproduktion, die wachsende Attraktivität der Großstädte wie Berlin sowie die ökonomische Krise, v.a. nach dem Ersten Weltkrieg, zum allmählichen Niedergang der lokalen Wirtschaft und damit zur Abwanderung der Bevölkerung.  Dies wirkte sich insbesondere auf die Jüdischen Gemeinden aus. Lebten in Oderberg an der Wende zum 20. Jahrhundert noch 43 Juden, so zählte die Gemeinde im Jahr 1925 gerade noch sieben Mitglieder. 1926 war das Synagogen-Gebäude in solch einem schlechten Zustand, dass es wegen Baufälligkeit abgerissen werden musste. Einen Neubau gab es nicht, da sich die Jüdische Gemeinde zu Oderberg bereits aufgelöst hatte und die wenigen verbliebenen Juden am religiösen Leben im 20 km entfernten Angermünde teilnahmen.

Gleichwohl engagierten sich die Oderberger Juden weiterhin für ihre Stadt. So gehörte der Kaufmann Meyer Gobitz 1876 zu den Gründern und aktiven Mitstreitern der örtlichen Freiwilligen Feuerwehr. Gemeinsam mit dem Holzhändler Ludwig Lesser errang er zudem ein Mandat in der Stadtverordnetenversammlung. 1884 eröffnete Sanitätsrat Dr. Ludwig Kempe eine Arztpraxis in Oderberg, die sein Sohn Georg später übernahm. Die Familie stiftete schließlich auch einen Krankenwagen für den Sanitätsdienst der Arbeiter-Samariter-Kolonnen. Und Nettka Kempe gehörte zu den Mitbegründerinnen der Ortsgruppe des Vaterländischen Frauenvereins, einem Vorläufer des Deutschen Roten Kreuzes.

Bevor die Gewalt gegen Juden mit den Novemberpogromen 1938 eine neue Eskalationsstufe erreichte, lebten schon keine Juden mehr in Oderberg. Sie konnten sich wie Familie Salomon, Ernst Rose und Rechtsanwalt Happ ins Ausland retten oder waren inzwischen untergetaucht.

Nach 1945 kehrten keine Juden mehr nach Oderberg zurück. Ein Stolperstein des Künstlers Gunter Demnig erinnert seit Mai 2012 an die in Oderberg geborene und in Berlin lebende Jüdin Frieda Lesser, die im März 1943 nach Auschwitz deportiert und ermordet worden war. Außerdem weist ein kleines Schild an einem restaurierten Fachwerkhaus in der Angermünder Straße mit der Aufschrift „Rittergasse [ – ] Von 1824 bis 1926 befand sich hier eine Synagoge“ auf den Standort des einstigen jüdischen Gotteshauses.

Anke Geißler-Grünberg

Literatur

Berger, Maria / Faber, Uri / Grützmann, Felicitas u.a. (Hrsg.): Synagogen in Brandenburg. Spurensuche, Berlin 2013, S. 178f.

Brocke, Michael / Ruthenberg, Eckehart / Schulenberg, Kai Uwe: Stein und Name. Die jüdischen Friedhöfe in Ostdeutschland. (Neue Bundesländer/DDR und Berlin), Berlin 1994, S. 531-533.

Ders.: in Zusammenarbeit mit Nathanja Hüttenmeister/Birgit Klein/Gesine Palmer/Aubrey Pomerance: Die mittelalterlichen jüdischen Grabmale in Spandau 1244–1474, in: Ausgrabungen in Berlin (9) 1994, S. 8–116.

Dormeyer, Carl: Die Bedeutung von Oderberg/M., sein Steinkreis und andere Male der weiteren Umgebung, in: Heimatkalender für den Kreis Angermünde 1927, S. 39-51.

Fleischer, Horst: (Kurzer) Abriss der Chronik Oderbergs; 5 Teile, in: Eberswalder Jahrbuch für Heimat-, Kultur- und Naturgeschichte, hrsg. vom Verein für Heimatkunde zu Eberswalde e. V., Eberswalde 2001-2006.

Ders.: Die bekannten ur- und frühgeschichtlichen Funde in der Gemarkung Oderberg mit dem Ortsteil Neuendorf. Ergebnisse der Überprüfung, in: Ebd. 2006-2007, Eberswalde 2006, S. 123-134.

Geißler-Grünberg, Anke: Jüdischer Friedhof in Oderberg. Grabstein-Dokumentation und Mosaiksteine zu seiner Geschichte, in: Maajan - Die Quelle. Jahrbuch der Schweizerischen Vereinigung für Jüdische Genealogie (Bd 8, Heft 123) 2023, S. 51-104.

Kirsch, Eberhard: Der Steinkreis auf dem jüdischen Friedhof zu Oderberg. Die ältesten jüdischen Grabmale Brandenburgs?, in: Jahrbuch für Brandenburgische Landesgeschichte (73) 2022, S. 83-102.

Schmook, Reinhard: Oderbruch, in: Jüdisches Brandenburg. Geschichte und Gegenwart, hrsg. von Irene A. Diekmann, Berlin 2008, S. 262-264.

Weißleder, Wolfgang: Der gute Ort. Jüdische Friedhöfe im Land Brandenburg, Potsdam 2000, S. 59.

 

Internet

Alicke, Klaus-Dieter: Geschichte der jüdischen Gemeinden im deutschen Sprachraum, URL: www.jüdische-gemeinden.de/index.php/gemeinden/e-g/528-eberswalde-brandenburg [letzter Aufruf: 18.02.23]

Arbeiter-Samariter-Bund Deutschland e.V., URL: www.asb.de/ueber-uns/geschichte

Binnenschifffahrts-Museum Oderberg: Ein Stolperstein für Frieda Lesser, URL: www.bs-museum-oderberg.de/news/1/168492/nachrichten/ein-stolperstein-f%C3%BCr-frieda-lesser.html

Bundesarchiv Koblenz: Gedenkbuch. Opfer der Verfolgung der Juden unter der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft in Deutschland 1933-1945, URL: www.bundesarchiv.de/gedenkbuch

Schmook, Reinhard: Zum Umgang mit jüdischen Spuren im Oderbruch (Barnim-Lebus), in: Transodra online. Deutsch-polnische Grenzregion, URL: www.transodra-online.net/de/node/1434

Yad Vashem: The central database of Shoa Victims’ Names, URL: yvng.yadvashem.org