Zum Hauptinhalt springen

02/2023 - Mohammad Dalla

Foto: Dr. Karine Hestroffer

Mohammad Dalla kam 2016 aus Syrien an die Universität Potsdam und studierte im Master Anglophone Modernities in Literature and Culture. Er engagiert sich in mehreren Projekten zu "Special Vulnerable Groups" von Flüchtlingen mit verschiedenen Organisationen wie der Stiftung Sozialpädagogisches Institut Berlin (SPI), dem Lesben- und Schwulenverband (LSVD) Berlin-Brandenburg, Hiwarat e.V. und dem Gunda-Werner-Institut der Heinrich-Böll-Stiftung. Von 2019-2020 arbeitete Mohammad als wissenschaftlicher Mitarbeiter im Team des preisgekrönten Projekts "Critical Cultural Literacy Online" der Universität Potsdam. Nach seiner Arbeit bei der Bundesstiftung Magnus Hirschfeld (BMH) zog es ihn erneut an seine Alma Mater zurück. Nun promoviert er in der Research Training Group minor cosmopolitanisms an der Universität Potsdam und der University of Melbourne.


Du bist mit einem Studentenvisum aus Syrien vor ca. 5 Jahren an die Universität Potsdam gekommen. Wie war das für dich? Was motivierte dich zu solch einem großen Schritt?

Meine Leidenschaft für Sprachen und Literatur hat mich schon immer motiviert, neue Lernmöglichkeiten zu erkunden, z. B. Spanisch, Deutsch und Englisch zu studieren und im Journalismus und in den Medien in Syrien zu arbeiten. Da die Bildungsmöglichkeiten in Syrien durch die politische Lage erschwert waren, habe ich ein Studium im Ausland in Betracht gezogen. Bei der Suche nach einer geeigneten Gelegenheit wurde ich auf den MA-Studiengang Anglophone Modernities an der Universität Potsdam aufmerksam. Während ich meinen Bachelor abschloss, begann ich mit den Vorbereitungen für diese Reise.

Wie hast du vor deinem Umzug nach Deutschland über Potsdam gedacht und inwiefern haben sich deine Vorstellungen bestätigt, oder eben nicht?

Da die Reise nach Deutschland meine erste Auslandserfahrung war, hatte ich keine spezifischen Erwartungen, sondern hoffte einfach, dass alles reibungslos ablaufen würde. Bei meiner Ankunft in Berlin war ich überfordert mit den Herausforderungen, die der Umzug in ein neues Land mit sich bringt, vor allem angesichts der schwierigen Wohnungssituation in Berlin/Potsdam und der langwierigen administrativen Prozesse bezüglich der Aufenthaltssicherung. Auf der anderen Seite hatte ich das Glück wunderbare Menschen kennenzulernen, die mir auf dieser Reise geholfen haben, viele von ihnen kamen aus der Universitätscommunity.

Wieso hast du dich für ein Studium an der UP entschieden? Und warum wolltest du Anglophone Modernities in Literature and Culture studieren?

Dieses Programm bietet einen Einblick in anglophone Literaturen und Kulturen aus der ganzen Welt, nicht nur aus Nordamerika und dem Vereinigten Königreich. Es zielt auch darauf ab, die "Moderne" oder vielmehr eine Vielzahl von Modernen zu verstehen, wobei ein besonderer Schwerpunkt auf der konstitutiven Rolle nicht-westlicher Kulturen bei der Entstehung der modernen Welt liegt. Dieser kritische Ansatz und die Interdisziplinarität des MA-Studiengangs heben ihn von den traditionellen Amerikanistik-/Anglistik-Studiengängen ab, was mich sehr fasziniert hat.

Du bist ehrenamtlich immer sehr aktiv gewesen. Was hast du dort gemacht? Was ist dein Antrieb, dich für Geflüchtete neben deinem Studium/Job ehrenamtlich einzusetzen?

Sehr oft, wenn nicht sogar immer, sind Geflüchtete sowohl in ihren Herkunftsländern als auch während (und nach) des Asylverfahrens in den Aufnahmeländern mit Gewalt, Diskriminierung und anderen Schwierigkeiten konfrontiert. Obwohl ich das Privileg hatte, als internationaler Student nach Deutschland zu kommen und meinen Student*innenstatus bis zur Erlangung der deutschen Staatsbürger*innenschaft im letzten Jahr beizubehalten, habe ich mich (und war ich politisch gesehen) aufgrund der Tatsache, dass ich im historischen Kontext der sogenannten "Europäischen Flüchtlingskrise" nach Deutschland kam, als Teil der syrischen Diaspora im Exil und der “Refugee Community” betrachtet. Allerdings war meine Motivation, mich in der Geflüchtetenhilfe zu engagieren, nicht nur in meiner persönlichen Identität verwurzelt, sondern vor allem in meinem politischen Engagement für die Veränderung sozialer Ungleichheiten, Machtasymmetrien und Ungerechtigkeiten.

Seit 2016 bin ich aktiv in verschiedenen Projekten zu den Themen von "besonderen vulnerablen Gruppen" von Geflüchteten mit verschiedenen Organisationen wie z. B. der Stiftung Sozialpädagogisches Institut Berlin (SPI) als Betreuer für unbegleitete minderjährige Geflüchtete, dem Lesben- und Schwulenverband (LSVD) Berlin-Brandenburg als Mentor für LSBTIQ+ Geflüchtete, dem Verein Hiwarat e.V. als Moderator und Referent für politische Bildung, und dem Gunda-Werner-Institut der Heinrich-Böll-Stiftung als Projektleiter. Diese Erfahrungen haben meine Sichtweise zutiefst bereichert und mich dazu inspiriert, einen neuen Ansatz für akademische Forschung und Engagement zu verfolgen.

Welchen Themen treiben dich um und warum?

Bei der Arbeit an verschiedenen Bildungs-, Kultur- und politischen Projekten hatte ich die Gelegenheit, die Komplexität von Identitäten zu erkunden, und mir wurde klar, dass alles auf Menschen hinausläuft. Ohne echtes Verständnis verliert Vielfalt ihren Wert und ihre Bedeutung, und hier wurde mein Interesse an "Identitätspolitik" und Refugee Studies geweckt, die zu meinem Forschungsthema sowohl für meine Masterarbeit als auch für meine Doktorarbeit wurden. 

Ich betrachte mein berufliches und akademisches Engagement als Teil einer größeren aktivistischen Agenda, die darauf abzielt, die sozialen Ungleichheiten und ihre strukturellen Ursachen zu beseitigen, mit denen Geflüchtete (wie auch viele andere) am Schnittpunkt von Mehrfachdiskriminierung konfrontiert sind. 

Jede Gesellschaft würde sehr davon profitieren, sich von unterdrückenden Systemen wie Rassismus, Klassismus, Nationalismus, Patriarchat, Sexismus, Homo- und Queerfeindlichkeit, toxischer Maskulinität und Islamfeindlichkeit zu befreien, die viele, nicht nur (queere) Geflüchtete betreffen. Kritisches Engagement, Empathie, Offenheit und lebenslanges Lernen sind die Schlüssel, um die Gräben zu überbrücken und Menschen zusammenzubringen.

Du warst Stipendiat der Heinrich-Böll-Stiftung. Was hat dir das bedeutet?

Als ehemaliger Stipendiat der Heinrich-Böll-Stiftung (HBS) hatte ich die Möglichkeit, diese besondere Form der politischen Teilhabe in Deutschland zu erleben. Neben der finanziellen Unterstützung werden den Stipendiat*innen alle möglichen optionalen Seminare, Workshops und Sommerschulen angeboten, die sich mit den drängendsten Themen unserer Zeit befassen - vom Klimawandel bis hin zu innenpolitischen Fragen wie dem Aufstieg des Rechtspopulismus und dem Umgang mit sozialen Ungleichheiten. 

Meiner Erfahrung nach bestand das Hauptziel dieser Veranstaltungen darin, Raum für kritische Diskussionen, Austausch und Debatten zu schaffen. Bei diesen Veranstaltungen habe ich viel über Deutschland, das politische System und die Geschichte des Landes gelernt und einige der anregendsten Diskussionen mit anderen Stipendiat*innen ähnlicher und unterschiedlicher Fachrichtungen geführt. Dies führte auch dazu, dass ich ein Praktikum am Gunda-Werner-Institut, das mit der HBS verbunden ist, absolvierte, was den Weg für meine zukünftige Karriere ebnete.

Nachdem du ca. 3 Jahre bei der Bundesstiftung Magnus Hirschfeld (BMH), und zuletzt als Assistent der Geschäftsführung, gearbeitet hast, bist du nun wieder an der UP zurück! Was führt dich wieder an deine Alma Mater?

In 2019 bin ich dem Team der BMH als studentische Hilfskraft im Referat Gesellschaft, Teilhabe und Antidiskriminierung beigetreten. Zwei Jahre lang habe ich an Projekten gearbeitet, die sich mit den Themen der LSBTIQ+-Communities (darunter auch queere Geflüchtete) in Deutschland befassen. Nach dem Studium habe ich über eineinhalb Jahre als Assistent der Geschäftsführung und Projektförderungsmanagement gearbeitet. 

Die BMH hat eine interessante Positionierung an der Schnittstelle von staatlichen Institutionen, Zivilgesellschaft und Academia. In den fast vier Jahren meiner Tätigkeit dort habe ich Einblicke in die Möglichkeiten erhalten, wie die sozialen, strukturellen und politischen Diskriminierungen, denen marginalisierte Gruppen ausgesetzt sind, angegangen werden können. Gleichzeitig stellte ich mir aber auch viele Fragen zu den Grenzen der bestehenden Bewegungen für Minderheitenrechte und der Antidiskriminierungsinstitutionen, die größtenteils im Rahmen der Identitätspolitik tätig sind bzw. arbeiten. Diese Fragen brachten mich schließlich dazu, mein Promotionsprojekt zu beginnen.

Wie sehen deine Zukunftspläne aus?

Als Teil der Research Training Group (RTG) minor cosmopolitanisms sind die nächsten Jahre sehr spannend. Ich promoviere in einer Joint-Degree-Konstellation mit der Universität Potsdam als Heimatuniversität und der University of Melbourne als Gastuniversität, wo ich Ende dieses Jahres einen einjährigen Forschungsaufenthalt verbringen werde. Neben unsere Forschung organisieren wir zusammen mit meinen Kolleg_innen aus der RTG eine Reihe von Veranstaltungen: eine Lecture-Serie im kommenden Semester, zwei Summer Schools, Outreach-Projekte im Zusammenhang mit unserer Forschung und die Abschlusskonferenz der RTG im Jahr 2025.

Ziel all dieser Veranstaltungen und Projekte ist es, einem Verständnis dafür näher zu kommen, wie wir, wenn auch unter Bedingungen der Ungleichheit, eher an, in und mit einer Vielzahl von "Wir"s denken können als an ein einziges universelles ‘Ich’ oder ‘Wir’, wenn es darum geht, die vorherrschenden Ungerechtigkeiten in unserer modernen Welt zu thematisieren und zu überwinden.

In Zeiten globaler, eskalierender militärischer Konflikte, zunehmender nationalistischer und rechtsextremer Bewegungen und anhaltender Wirtschafts- und Umweltkrisen mag es weit hergeholt erscheinen, das kosmopolitische Projekt erneut zu überdenken, aber die RTG hat sich dieser Herausforderung gestellt, und ich bin froh, Tei l dieses Abenteuers zu sein.

Herzlichen Dank für das interessante Gespräch!