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Wie muss sich die deutsche Außen- und Sicherheitspolitik ändern?

15.06.2022 Diskussion:

17.15 Uhr
Universität Potsdam, Am Neuen Palais 10
Haus 9, Raum 1.12, 14469 Potsdam

Seit dem 24. Februar 2022 führt Russland Krieg gegen die Ukraine. Die Europäische Union und die NATO haben mit Sanktionen, humanitären
und militärischen Hilfsleistungen sowie einer erhöhten Truppenpräsenz an der NATO-Ostflanke reagiert.
Eine Ertüchtigung der deutschen Bundeswehr ist geplant.
Intensiv wird jetzt darüber debattiert, wie sich die deutsche Außen- und Sicherheitspolitik ändern muss, um auf die Herausforderungen der Zukunft
zu reagieren. Es stellen sich viele Fragen:

› Was sind die außen- und sicherheitspolitischen
Interessen Deutschlands?
› Wie sehen die Streitkräfte der Zukunft aus, und zu welchen Einsätzen sollen sie in der Lage sein?
› Welche Rolle will Deutschland im Rahmen der NATO spielen, welche in der gemeinsamen
Sicherheitspolitik der Europäischen Union?

Diskussion mit
Botschafter Dr. Christoph Heusgen
Vorsitzender der Münchner Sicherheitskonferenz
und Fellow der Konrad-Adenauer-Stiftung
Generalleutnant Alfons Mais
Inspekteur des Heeres
Hans-Peter Bartels
Präsident der Gesellschaft für Sicherheitspolitik
Prof. Dr. Sönke Neitzel
Inhaber der Professur für
Militärgeschichte/ Kulturgeschichte
der Gewalt der Universität Potsdam

Am 15. Juni 2022 fand nach zweijähriger Corona-Pause wieder der Sicherheitspolitische Dialog der Konrad-Adenauer-Stiftung an der Universität Potsdam statt. Teilnehmer der sehr gut besuchten Veranstaltung waren Dr. Christoph Heusgen (ehemaliger Botschafter bei den Vereinten Nationen und nun Vorsitzender der Münchener Sicherheitskonferenz), Generalleutnant Alfons Mais (Inspekteur des Heeres) sowie Dr. Hans-Peter Bartels (ehemaliger Wehrbeauftragter des Deutschen Bundestages und heute Präsident der Gesellschaft für Sicherheitspolitik). Moderiert wurde die Veranstaltung von Prof. Dr. Sönke Neitzel. Nach einer Gesprächsrunde, die von Genugtuung über die Zeitenwende für die Bundeswehr und dem gemeinsamen Wunsch nach mehr internationaler Verantwortung geprägt war, wurden in einer Diskussion mit dem Publikum weitere Themen der Sicherheitspolitik vertieft.

Heusgen betonte den Wert der Völkerrechtsordnung. Die Charta der Vereinten Nationen müsse Grundlage für das internationale Miteinander sein. China und Russland hielten sich vor allem in ihren Einflusssphären nicht an die Regeln des Völkerrechts, worauf die Bundesrepublik auch außerhalb der UNO immer wieder erinnern sollte. Als einer der wichtigsten EZ-Geber und UN-Zahler genieße Deutschland international hohe Anerkennung. Diese Position müsse Berlin nutzen, um sich international stärker zu engagieren, nicht zuletzt bei diplomatischen Initiativen zur Friedensstiftung. Dazu müsse sich das Land aber in der Welt neu aufstellen: BMZ und AA sollten zum Beispiel zusammengelegt werden, damit alle außenpolitischen Instrumente kohärenter angewandt werden können. Ein Nationaler Sicherheitsrat und eine Nationale Sicherheitsstrategie seien nötig. Denn die Herausforderungen für uns würden mehr und größer werden. Der wichtigste Grund für die Abwesenheit eines Nationalen Sicherheitsrates sei jedoch die Sorge (nicht nur im Auswärtigen Amt) vor einer weiteren Kompetenzbündelung im Kanzleramt, vor allem, weil der Sicherheitsrat einen breit verstandenen Sicherheitsbegriff zugrunde legen müsste. Schließlich erinnerte Heusgen daran, dass der Paradigmenwechsel hin zu einer robusteren Außenpolitik schon da sei: Schon unter Außenminister Steinmeier seien Waffenlieferungen in ein Kriegsgebiet erlaubt worden, als Berlin die Kurden ausrüsten half. Die militärische Ertüchtigung der Ukraine sei also folgerichtig. Jedoch dauere die Entscheidungsfindung in Berlin zu lang. Gibt es wirklich eine neue strategische Kultur? Es bleibe noch einiges zu tun.

Mais stellte auf drei Punkte ab: Strategische Kultur, gesamtgesellschaftliche Resilienz und die Funktion von Streitkräften. Das Grundgesetz führe zu Verflechtung zwischen den staatlichen Ebenen und bedinge dadurch eine gewisse Strategieunfähigkeit. Militärische Optionen würden im außenpolitischen Handeln zu früh vom Tisch genommen. Die Bundeswehr dürfe nicht so häufig für zivile Krisen im Inland genutzt werden, denn die Amtshilfe etwa während der Corona-Pandemie schlage für mehrere Jahre auf die Truppe durch, die dadurch an Kampfkraft verliere. Man müsse Streitkräfte auch Streitkräfte sein lassen: Ihr Auftrag sei der Kampf. Die Bundeswehr sei das bewaffnete Instrument deutscher Außenpolitik. Dafür sei aber die richtige Ausstattung nötig – und auch bessere Strategien: Daher sei eine Nationale Sicherheitsstrategie so wichtig. Dass der Generalinspekteur der Bundeswehr nicht mehr im Berliner Ministerium sondern in Bonn sitze, hielt er für einen Fortschritt, weil ihm dies mehr Autonomie ermögliche. Der Veränderungsdruck durch die neue Rolle der Streitkräfte – etwa in der NATO-Speerspitze in Litauen – komme in der Truppe bereits an. Jetzt komme es darauf an, das Sondervermögen auch in Kampfkraft zu übersetzen.

Bartels forderte ebenfalls, dass die Bundesrepublik international mehr Verantwortung übernehme. „Zeitenwende“ bedeute, dass Berlin in einer höheren Gewichtsklasse spielen müsse, die viertgrößte Volkswirtschaft der Welt dürfe sich nicht wegducken. In der Außenpolitik seien viele Akteure mit wirksamen Instrumenten engagiert, aber militärisch müsse noch mehr passieren. Der Münchener Konsens 2014 war auf dem Weg zur Zeitenwende wichtig, darauf könne auch weiterhin aufgebaut werden. Bartels sieht keinen strukturellen Pazifismus in der deutschen Gesellschaft: In Umfragen akzeptierten die Bürger eine effizientere Bundeswehr und würden dafür auch höhere Kosten in Kauf nehmen. Bartels zeigte Verständnis für den zögerlichen Bundeskanzler, doch sein Rat war, nicht weiter zu versuchen, sich in Putins Kopf hineinzuversetzen. Das habe noch nie geklappt. Trotz aller parteiinterner Querelen sei jedoch eines klar: Die SPD sei am Ende des Tages eine kanzlertreue Partei.

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