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Henri Rousseau, Der Traum
Quelle: https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Henri_Rousseau_005.jpg
Henri Rousseau: Der Traum (1910)

Habilitationsprojekt

Religionskunde als Dualismus-Korrektiv? Anthropologische Bausteine für eine Didaktisierung der Religionswissenschaft jenseits von Natur und Kultur

Dr. Irene Dietzel

Die Forschungsarbeit befasst sich mit der Konzeption bekenntnisfreier Religionskunde vor dem Hintergrund einer binären Fächerkultur von Natur- und Geisteswissenschaften in der Sekundarbildung. Ungeachtet der erkenntnistheoretischen Problematisierung dieses Dualismus auf wissenschaftlicher Ebene, bleibt die Polarisierung von naturalistischen bzw. kulturalistischen Weltzugängen ein wirkmächtiges Dispositiv der Schule: Neben den offensichtlichen praktischen Gründen hat dies weitreichende Implikationen: so lässt sich z.B. eine ökonomisch wie futurologisch gedachte Priorisierung von MINT-Fächern beobachten, bei zeitgleicher Überfrachtung von wertereflexiven Fächern wie Ethik und Religionskunde mit gesellschaftspolitischen Aufträgen (z.B. Förderung von interkultureller Kompetenz und Pluralitätsfähigkeit).

Das Nebeneinander der „zwei Kulturen“ (C.P. Snow) in der Fächertafel perpetuiert somit den Eindruck separater Zuständigkeitsbereiche und Deutungssphären, die wissenschaftsgeschichtlich gesehen jedoch stark miteinander verwoben sind. Viele gesellschaftlichen Streitthemen der Gegenwart und Zukunft lassen sich, so argumentiert die Arbeit, auch nur über eine systematische Befassung mit dieser Grenzziehung verstehen.

Das Natur-Kultur Dispositiv bestimmt letztlich auch die Rahmenbedingungen für religionskundliches Lehren und Lernen. Während Theologie und Religionspädagogik diverse Ansätze zum Umgang mit dem Thema ‚(christlicher) Glaube und Naturwissenschaft‘ bieten, stellt die Arbeit die Frage nach einer spezifisch religionswissenschaftlichen Perspektive auf Natur und Kultur: Welche Impulse aus der erkenntnistheoretischen Religionsforschung lassen sich hier zielführend einbringen? Inwiefern sind Reflexionen zur eigenen Disziplingeschichte relevant? Bedarf es eines Neudenkens der Inhalte, Richtlinien und Rahmungen bekenntnisfreier Religionskunde?

Die Forschungsarbeit schöpft aus einem reichhaltigen Fundus sozial- wie kulturwissenschaftlicher Anthropologie – hier ist die Auseinandersetzung mit dem Natur-Kultur-Dualismus grundlegend für die gesamte Disziplin. Mehr noch: Gerade weil die Anthropologie nicht nach ‚Religion‘ fragt, wenn sie den Zusammenhang von Weltbild und rituellem Handeln als eine menschliche Universalie beschreibt, ist anthropologisches Denken und Fragen so wichtig für den religionskundlichen Unterricht. Ziel der Arbeit ist es hier, eine Kompetenzentwicklung in den Blick zu nehmen, die Lernende befähigt zwischen einem naturalistischem Universalismus und einem kulturalistischen Relativismus Orientierung zu finden.

Henri Rousseau, Der Traum
Quelle: https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Henri_Rousseau_005.jpg
Henri Rousseau: Der Traum (1910)