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Eine Sprache, die alle Menschen inkludiert – AStA-Referentin Viviane Triems über diversitätssensible Sprache

Viviane Treams, AStA-Referentin und Jura-Studentin
Person hält einen Notizzettel mit Divers-Symbol. Das Foto ist von AdobeStock/nito.
Photo : privat
Viviane Treams, AStA-Referentin und Jura-Studentin
Photo : AdobeStock/nito
Viele Frauen und Personen anderer Geschlechter sehen sich im konventionellen Sprachgebrauch nicht repräsentiert.

Unsere Art zu sprechen ist zu einem hart umkämpften Feld geworden: Viele Frauen und Personen anderer Geschlechter sehen sich im konventionellen Sprachgebrauch nicht repräsentiert. Warum das so ist, damit hat sich Viviane Triems beschäftigt. Sie ist Studentin der Rechtswissenschaft, Referentin für Queerpolitik beim Allgemeinen Studierendenausschuss (AStA) der Universität Potsdam und engagiert sich politisch für Diversity. Im Interview erklärt Viviane Triems, weshalb die maskuline Form für die Abhängigkeit von einem männlichen Ernährer steht, warum das Gendersternchen manchmal auch eine Hürde sein kann und wie wir herausfinden, wie unser Gegenüber angesprochen werden möchte.

Was ist das Problem am generischen Maskulinum – also der grammatisch männlichen Form, die alle Geschlechter einschließen soll?

Wir leben in einem patriarchalen System, in dem weiße Cis-Männer* schneller in hohe Ämter, Gremien, Funktionen kommen. An dieses heteronormative System ist alles angepasst – auch die Sprache. Weil Männer früher diejenigen waren, die Berufe ausübten, entstand das generische Maskulinum, wie beim „Tischler“. Der Suffix „-in“ bezeichnete die Frau des Tischlers. Der Mann ist Ernährer, die Frau wird in Abhängigkeit zum Mann betitelt. Dieses System wollen wir aufbrechen, um eine Gleichberechtigung aller Geschlechter zu erreichen, denn alle Geschlechter waren und sind abhängig vom Cis-Mann. Wir brauchen eine Sprache, die alle Menschen inkludiert und vermittelt, dass wir alle bspw. berufliche Ziele erreichen können, wenn die Möglichkeiten dazu geschaffen werden.

Sternchen und andere Zeichen, die innerhalb von Wörtern auf verschiedene Geschlechtsidentitäten hinweisen: Wie verständlich, lesbar und eindeutig sind sie?

Das Argument, dass solche Zeichen den Lesefluss stören, finde ich nicht überzeugend. Wenn man gendergerechte Formulierungen ständig hört und liest, werden sie schnell zur Normalität. Menschen, die es gewohnt sind zu gendern, fällt es umgekehrt schnell auf, wenn keine geschlechtersensible Sprache verwendet wird. Um sachlich korrekt zu formulieren, ist es manchmal auch nötig, etwa nur die maskuline Form zu verwenden. In einer meiner Vorlesungen hat die Professorin nur von „Richtern“ gesprochen – sie wollte darauf hinaus, dass es früher ausschließlich männliche Richter gab und diese Tatsache prägend für die Rechtsprechung war. Ich finde es gut, in solchen Fällen Unterscheidungen zu treffen, damit es sachlich korrekt bleibt.

Kann geschlechtergerechte Sprache auch diskriminierend sein?

Ja, zum Beispiel für Menschen, die Schwierigkeiten haben, eine Sprache oder Lesen zu lernen. Auch für Blinde sind Sonderzeichen innerhalb von Wörtern beim Vorlesen problematisch. Für all jene Menschen stellen diese Formen eine Hürde dar. Wir sollten deswegen aber nicht damit aufhören, uns um eine diversitätssensible Sprache zu bemühen, sondern ständig nach besseren Lösungen suchen.

Findet Diskriminierung nicht vielmehr im Handeln der Menschen statt, zum Beispiel in einer schlechteren Bezahlung von Arbeit, als rein sprachlich?

Es kann durch Sprache diskriminiert werden, aber natürlich auch im alltäglichen Handeln der Menschen. Ich denke aber, dass Sprache viel ändern kann: Wenn wir immer häufiger von „Tischlerinnen“ sprechen, denken auch nichtbinäre** Kinder und Mädchen, dass sie diesen Beruf ergreifen können. Dafür muss aber nicht nur die Sprache, sondern auch das System geändert werden, und das beginnt schon in der Schule.

Das Akronym „LGBT“ für Lesbian, Gay, Bisexual und Transgender wird seit Jahren um weitere Buchstaben ergänzt. Aktuell ist die Abkürzung LGBTQIA+ üblich. Kann Sprache überhaupt alle marginalisierten Gruppen abbilden?

Tatsächlich finden sich immer mehr Untergruppen, weil Geschlecht nun mal ein Spektrum ist. Ich selbst empfinde mich als pansexuell und bin in dem Akronym auch nicht repräsentiert. Man möchte so viele Menschen wie möglich abholen, aber man will auch jene nicht verschrecken, die zu dem Thema keinen Zugang haben und den Überblick verlieren. Inzwischen hat sich der Ausdruck „queer“ etabliert, der alle Untergruppen einschließt. Doch seine Geschichte ist auch kritisch zu sehen.

Wenn sehr persönliche Fragen nach sexueller Orientierung und Geschlechtsidentität zunehmend zum öffentlichen Thema werden – entsteht hier auch ein Druck, Privates nach außen zu kehren?

Ich bin in einer queeren Arbeitsgruppe einer Partei tätig. Wenn neue Menschen dazu stoßen, kann es eine Herausforderung sein, da ich nicht immer weiß, wie die Person angesprochen werden möchte. Manche sagen sofort, welche sexuelle Orientierung oder Geschlechtsidentität sie haben, manche nicht. Jede Person sollte selbst entscheiden, ob sie darüber sprechen möchte. Und wenn nicht, dann geht es niemanden etwas an. Es ist eine gute Lösung, zu sagen „Meine Pronomen sind …“, wenn ich jemanden kennenlerne. So wissen alle, wie ich angesprochen werden möchte.

In der Kritik ist oft von „Sprachpolizei“ die Rede. Menschen fühlen sich gezwungen, ihre Art zu sprechen zu verändern. Wie weit dürfen Forderungen nach diversitätssensibler Sprache gehen?

Mir ist es wichtig, dass man Einzelpersonen nicht aufzwingt, geschlechtersensibel zu sprechen. Bei Menschen, die in der Öffentlichkeit stehen, also politische Ämter innehaben oder journalistisch arbeiten, ist das anders. Als zum Beispiel damit begonnen wurde, die Nachrichten in der Tagesschau geschlechtergerecht vorzulesen, war das ein wichtiger Schritt. Hier geht es um eine Vorbildfunktion. Oft höre ich in meinem Umfeld, dass ältere, weiße Cis-Männer diskriminiert würden, weil sie nun als Feindbild gelten. Wie geht man damit um? Ich denke, dass sich die Kritik nicht an den einzelnen Menschen richtet, sondern an das System. Aber auch Männer, die feministische Einstellungen haben, fühlen sich von dieser Kritik angesprochen. Das kann ich verstehen und wir müssen darüber sprechen.

* Als Cis-Mann/Cis-Frau werden diejenigen bezeichnet, deren Geschlechtsidentität dem Geschlecht entspricht, das ihnen bei der Geburt zugewiesen wurde.

** Nichtbinär sind Personen, die weder männlich noch weiblich sind oder sich nicht ausschließlich mit dem einen oder anderen Geschlecht identifizieren.

 

Dieser Text erschien im Universitätsmagazin Portal - Eins 2022 „Diversity“ (PDF).