Alltagsweltbild und Naiver Realismus (DFG)
Im Alltag gehen wir davon aus, dass es gewöhnliche Objekte gibt wie Personen, Tische und Steine. Wir gehen davon aus, dass diese Objekte bestimmte Eigenschaften besitzen wie z. B. Farbe und Form und dass sie in vielfältigen kausalen Beziehungen zueinander stehen. Auch gehen wir davon aus, dass es diese Alltagsgegenstände unabhängig von uns gibt, dass sie uns unmittelbar in der visuellen Erfahrung zugänglich sind und dass wir auf der Grundlage unserer visuellen Erfahrung Überzeugungen über sie rechtfertigen können. Grundlegende Annahmen wie diese bilden den Kern der Menge von (expliziten und impliziten) Überzeugungen, die wir als „Alltagsweltbild“ bezeichnen werden.
Unser Alltagsweltbild beruht auf unserem alltäglichen Umgang mit der Welt und kommt u. a. in der Alltagssprache zum Ausdruck. Im Alltagsweltbild enthaltene Annahmen über grundlegende Entitäten und Eigenschaften wurden analysiert u. a. von G. E. Moore (1953), P. F. Strawson (1959), W. Sellars (1962), B. Stroud (2011) und P. van Inwagen (2015). Im Alltagsweltbild enthaltene Annahmen über visuelle Erfahrung wurden analysiert u. a. von Sellars (1956), Strawson (1979) und P. Snowdon (1981, 1992) und in neuerer Zeit insbesondere von gegenwärtigen Naive Realisten wie M. G. F. Martin (2004, 2010), C. Travis (2013) und B. Brewer (2011, 2015).
Dieses Projekt nimmt seinen Ausgang zum einen von grundlegenden, im Alltagsweltbild enthaltenen ontologischen und metaphysischen Annahmen über die materielle Welt und zum anderen von grundlegenden, im Alltagsweltbild enthaltenen Annahmen über visuelle Erfahrung. Es sollen zwei Theorien untersucht werden, die den jeweiligen Annahmen gerecht zu werden versuchen: der metaphysische Naive Realismus einerseits und der erfahrungstheoretische Naive Realismus andererseits.
Der metaphysische Naive Realismus, so soll gezeigt werden, ist erfolgreich als theoretische Beschreibung der ontologischen und metaphysischen Annahmen des Alltagsweltbildes. Er stößt allerdings an seine Grenzen, da er – entgegen einer weitverbreiteten Ansicht – inkompatibel ist mit einer Metaphysik und Ontologie der materiellen Welt, die sich am aktuellen Stand naturwissenschaftlicher Forschung orientiert. Untersucht werden soll, ob wenigstens Elemente einer naiv-realistischen Metaphysik/Ontologie kompatibel sind mit dem aktuellen Stand wissenschaftlicher Forschung.
Der erfahrungstheoretische Naive Realismus andererseits scheitert bereits an der angemessenen theoretischen Beschreibung einiger wesentlicher Annahmen des Alltagsweltbildes bezüglich unserer visuellen Erfahrung. Es lässt sich daher zeigen, dass er schon innerhalb der Grenzen unangemessen ist, die der Theoriebildung durch das Alltagsweltbild vorgegeben sind. Deshalb gilt es eine Theorie visueller Erfahrung zu entwickeln, die den alltäglichen Annahmen über visuelle Erfahrung gerecht wird, und dabei zu untersuchen, ob Elemente einer naiv-realistischen Konzeption visueller Erfahrung in die resultierende Theorie integriert werden können. Das Gesamtprojekt gliedert sich somit in folgende zwei Teilprojekte:
(a) Alltagsweltbild und metaphysischer Naiver Realismus (Bearbeiter: Adem Mulamustafić)
(b) Alltagsweltbild und erfahrungstheoretischer Naiver Realismus (Bearbeiter: Till Hopfe)