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Geschichte der Jüdischen Gemeinde in Angermünde

Blick auf die Leichenwagenhalle
Foto: Benjamin Hauche
Blick auf die freigelegte Leichenwagenhalle hinter den noch benutzten ehemaligen Scheunen; März 2022
Bet

In Brandenburg, genauer auch in der Region der Uckermark, finden sich schon früh erste Nachweise über jüdisches Leben. Erste Erwähnungen, in denen den Juden Bürgerrechte, nach Beweis von einem bestimmten Grundvermögen, gewährt wurden, finden sich um 1300 herum in der Stadt Templin.

Seit wann genau jüdisches Leben wiederum in Angermünde existiert, ist schwer nachzuweisen. Auf mittelalterlichen Stadtplänen finden sich Hinweise für Judenstraßen; womöglich lebten hier also schon seit dem 14. Jahrhundert Juden. Ein erster konkreter Nachweis in Angermünde findet sich im Jahre 1681. Am 31. Oktober desselben Jahres erwarb der Jude Caspar Benedix Levi einen Angermünder Bürgerbrief. Auch seine Bürgen sind namentlich vorhanden: der Landreiter Johann George Hartlieb und der Hutmacher Jürgen Rendel standen für Benedix Levi ein. Damit war er der erste Schutzjude der Stadt. Da Benedix Levi noch Eigentum in Schwedt, einer Kleinstadt rund 20 km nordöstlich von Angermünde, hatte, leistete nur sein zweitgeborener Sohn, Bendix Levi, am 3. August 1685 den Bürgereid, denn für die Verwaltung des Besitzes war der älteste Sohn, Caspar Levi, vorgesehen.

Rund einen Monat später, am 7. September 1685, erhielt der Jude Michael David den Angermünder Bürgerbrief. Ein Gesuch von Benedikt Levi, dass auch seine beiden Söhne und sein Schwiegersohn Jacob Kirsten (der jedoch nicht in Angermünde, sondern in Lychen wohnte) den Status als Schutzjuden erhalten sollten, erfolgte 1692. Allen drei Gesuchen wurde stattgegeben.

Bendix Levis Leumund war tadellos; so wurde er gar von der „Ritterschaft des Stolpirischen Kreises“ für seine Arbeit als Feldscher und Barbier gelobt und empfohlen. Die Anzahl der in Angermünde lebenden Juden blieb in den folgenden Jahren kontinuierlich klein. Ein Gesuch an den Magistraten zur Anlage eines jüdischen Friedhofes aus dem Jahre 1709 belegt vier Familienväter: Benedix Levi, Michael David, Seelig Marten und Salomon Isaak. Das Bürgerregister vermerkt 1723 drei Schutzjuden und ihre Angehörigen. Hinzu kommen sechs weitere jüdische Familien. Noch im selben Jahr finden sich Nachweise dafür, dass die Gemeinde drei Angestellte beschäftigte: einen Schullehrer, der auch die Aufgaben des Schächters übernahm, einen Totengräber und einen Krankenwärter.

Im Jahre 1778 wurden insgesamt fünfzehn Schutzjuden vermerkt, zum Ende der 1770er Jahre wuchs die Gemeinde auf rund 63 Mitglieder an. 1800 waren es dann zwölf Familien mit rund 76 Personen. Für dasselbe Jahr ist auch die erste jüdische Familie mit insgesamt sieben Mitgliedern in der Nachbargemeinde Greiffenberg belegt. Dass den Juden in Angermünde ihre Rechte und Privilegien durchaus bewusst waren, zeigt sich an der amtlichen Beschwerde einiger Gemeindeangehöriger im Jahr 1780. Sie beanstandeten zum Beispiel, dass der namentlich belegte Gerber „Riemer“ aus Angermünde unrechtmäßig mit Leinwand handelte.

Erst im Jahr 1815 wurde eine Synagoge für die Juden in Angermünde errichtet. Vorher mussten Gottesdienste in den Privathäusern abgehalten werden. Sie wurde nach städtebaulicher Vorschrift als Fachwerk mit Ziegeldach, in der  Klosterstraße 40 (heute Nr. 10), gebaut. Erweitert wurde sie erst 1865 mit dem Bau einer Kuppel, die das Gebäude nun auch charakteristisch als Synagoge auswies. Die Erweiterung erfolgte, weil die Synagoge zu klein geworden war. Waren es bis 1850 noch 108 Juden in der Stadt, wuchs die Gemeinde bis 1865 immerhin auf 135 Mitglieder an.

Neben der Synagoge komplementierte auch eine Mikwe das jüdische Leben in Angermünde. Der für die rituelle Waschung vorgesehene Ort wurde auf dem Grundstück Brüderstraße 1 erbaut. Ein einziger, baulich gezeichneter Nachweis findet sich um 1870 vom Zimmermeister Schleyer, der auf dem Nachbargrundstück zwei Stallungen abreißen ließ.

Bemerkenswert ist auch der Streit um das Schächtungsverbot in Angermünde, der sogar überregionale Erwähnung fand. Nachdem 1893 ein modernes Schlachthaus errichtet wurde, in dem auch teilweise religiöse Schächtungen vorgenommen wurden, wurde 1901 von den Stadtverordneten Angermündes beschlossen, dass nur noch unter Einsatz eines Bolzenschussgerätes geschlachtet werden durfte. Religiöse Ausnahmen wurden hierfür nicht genannt, was einem Schächtungsverbot gleichkam. Anträge von Seiten der Gemeinde, das Verbot wieder aufzuheben, scheiterten. Dass dies nicht nur ein örtlicher Streit, sondern von regionalem Interesse war, zeigen die Anfragen anderer Magistrate an das Angermünder Bürgermeisteramt. Es sollte in Erfahrung gebracht werden, welche genauen Beschlüsse getroffen wurden, um das Verbot abzusegnen.

Die Entrechtung der Juden im Dritten Reich betraf auch die Angermünder Gemeinde. Am Morgen des 1. Aprils 1933 bildete sich ein SA-Trupp in Angermünde, der vor verschiedenen jüdischen Geschäften Stellung bezog und diese mit schwarzen Plakaten mit gelbem Punkt kennzeichnete. Auch ein jüdischer Rechtsanwalt musste dies über sich ergehen lassen; Nichtjuden, die sich trotz des Aufmarsches in die Geschäfte begaben, wurde von den SA-Männern unterstellt, dass sie sich undeutsch verhalten würden, weil sie bei Juden einkauften. Der Druck auf die jüdische Bevölkerung erhöhte sich in der unmittelbaren Folgezeit weiter. Jüdische Beamte, Rechtsanwälte und Journalisten wurden 1933 per Gesetzbeschluss, dem sogenannten Gesetz zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums, von ihren Posten entfernt oder erhielten Arbeitsverbote.

Noch im selben Jahr wurden Juden aus Vereinen ausgeschlossen, damit wurde ihre Partizipationsmöglichkeit am öffentlichen Leben weiter eingeschränkt. Im Angermünder Verein für Heimatkunde e.V. betraf dies beispielsweise die Juden Julius Frank, Gustav Haß und Wilhelm Weidemann. Julius Frank war immerhin mindestens seit 1922 Vereinsmitglied. In den Folgejahren wurden Straßen, die auf jüdisches Leben hinwiesen, umbenannt. Aus der Angermünder Jüdengasse wurde die Lösenergasse und bis 1935 wurden die letzten jüdischen Beamten von ihren Posten entfernt.

Bis 1926 lebten neunzehn jüdische Familien in Angermünde. Im Jahre 1933 zählten zur Synagogengemeinde zu Angermünde noch 80 Personen. 1936 schrumpfte die Gemeinde schließlich auf fünf Familien. Darunter waren Angehörige der Familie Grunewaldt, Freundlich, Freimann, Lewin, Gerson, Cohn und Lewin. Sie mussten die Schändungen der nächsten Jahre ertragen: die Wohnungen der Grunewaldts waren Plünderungen ausgesetzt und ihre Möbel aus dem offenen Fenster geworfen. Die übriggebliebenen Grundstücke der Familien Freundlich, Freimann und Grunewaldt wurden schließlich ab 1938 zwangsenteignet.

Am 10. November 1938 wurde die Synagoge von Nationalsozialisten angezündet und brannte vollständig aus.  Die Ruine wurde vollends beseitigt. 1939 galt die Synagogengemeinde offiziell als aufgelöst, wie der Bürgermeister der Stadt selbst mitteilen konnte. Die letzten jüdischen Bürger der Stadt Angermünde waren die Ehepaare Freundlich und Gerson. Im Januar 1942 wurden Teile ihrer Besitztümer beschlagnahmt. Nur drei Monate später wurden beide Ehepaare zur Sammelstelle nach Berlin deportiert. Ein Polizeivermerk für diesen Tag berichtet euphemistisch von einer „Evakuierung“.

Nur wenige Jüdinnen und Juden der Gemeinde Angermünde überlebten die NS-Zeit. Wenige Familien waren ausgewandert. Von insgesamt drei Kindern des Ehepaares Freundlich konnte nur ein Sohn über Umwege in die USA fliehen. Die Angermünder Jüdin Ellen Wahrburg wurde 1945 aus dem Konzentrationslager Ravensbrück befreit. Mit der Vertreibung der Gersons und Freundlichs hörte die jüdische Gemeinde Angermünde auf zu existieren. Einige Stolpersteine, verlegt im Jahr 2012, erinnern an die Schicksale der Familien.

Benjamin Hauche

 

Bet

Literatur, Internet und Quellen

Arlt, Klaus. Ehlers, Ingrid. Etzold, Alfred. et al. (1992). Zeugnisse jüdischer Kultur: Erinnerungsstätten in Mecklenburg-Vorpommern, Brandenburg, Berlin, Sachsen-Anhalt, Sachsen und Thüringen. Wichern-Verlag, Berlin.

Berger, Maria. Faber, Uri. Grützmann, Felicitas u.a. (2013). Synagogen in Brandenburg. Spurensuche, Hentrich & Hentrich, Berlin.

Brocke, Michael. Ruthenberg, Eckehart. Schulenberg, Kai Uwe. (1994). Stein und Name. Die jüdischen Friedhöfe in Ostdeutschland: (Neue Bundesländer/DDR und Berlin) Band 22. Institut Kirche und Judentum, Berlin.

Eschwege, Helmut. (1990). Geschichte der Juden im Territorium der ehemaligen DDR. Dresden. Band 1. unveröffentlicht, aus dem Bestand der Bayerischen Staatsbibliothek.

Libert, Lutz. Sperling, Margret. (2013). Shalom. Die Geschichte der jüdischen Bürger in Angermünde. 1681 bis 1942. Verlagsbuchhandlung Ehm Welk, Angermünde.

Weißleder, Wolfgang. (2002). Der gute Ort: jüdische Friedhöfe im Land Brandenburg. Verein zur Förderung Antimilitaristischer Traditionen in der Stadt Potsdam e.V., Potsdam.

 

Angermünde (Brandenburg) Eintrag zum jüdischen Friedhof, URL: www.jüdische-gemeinden.de/index.php/gemeinden/a-b/225-angermuende-brandenburg [21.04.2022];

Begehung und Gedächtnis am ehemaligen jüdischen Friedhof Angermünde, URL: 2021jlid.de/kalender/begehung-und-gedaechtnis-am-ehemaligen-juedischen-friedhof-angermuende/ [21.04.2022];

Denkmal-Datenbank des Landes Brandenburg, URL: ns.gis-bldam-brandenburg.de/hida4web/view [21.04.2022];

Stadt Angermünde, URL: www.angermuende-tourismus.de/suche.html [21.04.2022];

Vertrag zwischen dem Land Brandenburg und der Jüdischen Gemeinde – Land Brandenburg, URL: lvjg-brandenburg.de/wp-content/uploads/2020/02/StaatsVertrag.pdf und: bravors.brandenburg.de/de/vertraege-244346 [21.04.2022];

Windoff, Daniela. Von Müllhalde zum Gedenkort – Jüdischer Friedhof Angermünde wird restauriert, URL: www.moz.de/lokales/angermuende/religion-von-muellhalde-zum-gedenkort-juedischer-friedhof-angermuende-wird-restauriert-59873275.html [21.04.2022]

 

Staatsbibliothek zu Berlin, Messtischblätter Greiffenberg und Angermünde: SBB_IIIC_Kart_N 730_Blatt 1482 von 1936; SBB_IIIC_Kart_N 730_Blatt 1483 von 1936.