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New Work – Acht Fragen dazu, wie Assistenzsysteme verändern, wie wir in Zukunft arbeiten werden

Auf dem Foto sind Dr.-Ing. Sander Lass, Technischer Leiter des Zentrums Industrie 4.0 Potsdam (links) und sein Team bei der Arbeit zu sehen. Das Foto ist von Tobias Hopfgarten.
Dr. Hanna Theuer (r.) und Dr. Sander Lass
Photo : Tobias Hopfgarten
Dr.-Ing. Sander Lass, Technischer Leiter des Zentrums Industrie 4.0 Potsdam (links) und sein Team bei der Arbeit.
Photo : Tobias Hopfgarten
Dr. Hanna Theuer (r.) und Dr. Sander Lass haben gemeinsam mit Prof. Dr. Norbert Gronau das „Zentrum Industrie 4.0 Potsdam“ aufgebaut.

Die digitale Revolution war gestern. Arbeit 4.0 steht vor der Tür und wird die Art, wie wir arbeiten, grundlegend verändern. Schon wieder? Und wie genau eigentlich? Dr. Hanna Theuer und Dr. Sander Lass haben gemeinsam mit dem Wirtschaftsinformatiker Prof. Dr. Norbert Gronau an der Universität Potsdam das „Zentrum Industrie 4.0 Potsdam“ aufgebaut und seit Jahren beständig weiterentwickelt. Matthias Zimmermann hat ihnen sieben Fragen zur „Arbeit 4.0“ gestellt.

1. Arbeit 4.0: Was ist das?

Theuer: Ich verstehe darunter Arbeit, bei der Personen – unter Einbeziehung neuer Technologien – zielgerichtet die Informationen erhalten, die sie für deren Durchführung benötigen.

Lass: Konkret sind das beispielsweise intelligente Assistenzsysteme. Diese helfen dabei, besonders komplexe oder schwierige Aufgaben zu erledigen. So gewinnt der Mensch Freiräume, sich mit anderen Themen und Aufgaben zu beschäftigen.

2. Was unterscheidet Arbeit 4.0 von den vorherigen Entwicklungsstufen?

Lass: Dampfmaschine, Fließbandorganisation und Automatisierung – das waren die Meilensteine, die grundlegende Veränderungen bewirkten. So auch der aktuelle Schritt – die Digitalisierung. Dies umfasst Systeme, die mir helfen, Dinge zu lösen, und nicht neue Probleme aufwerfen.

Theuer: IT ist nicht mehr nur zentral im Einsatz, sondern in den Bereichen angekommen, wo gearbeitet wird. Sie bietet allen Arbeitenden individuelle interaktive Unterstützung. Arbeit wird so besser an den Menschen anpassbar. So wird eine ganz andere Mensch-Technik-Interkation möglich. Das bietet Potenziale für Mensch und Unternehmen.

3. Wen betrifft Arbeit 4.0 vor allem – und wen nicht?

Theuer: Eigentlich alle, aber auf unterschiedliche Weise. Stark repetitive Arbeiten werden zunehmend von Robotern und anderen Automatisierungsmechanismen übernommen. Wer bislang solche Tätigkeiten ausgeführt hat, wird sich mehr in Richtung Überwachung orientieren können.

Lass: Die Wirk-Umwelt des Werkers wird sich ändern, denn Assistenzsysteme versetzen ihn in die Lage, Dinge zu tun, die vorher nicht oder nur schwer möglich waren. Dank Big Data entstehen ganz neue Datenlagen – und deren Auswertung, z. B. mithilfe von KI, macht es leichter, die richtigen Entscheidungen zu treffen. Damit wirkt der Wandel ebenso auf das Management. Auch im Bereich des Lernens am Arbeitsplatz entstehen neue Möglichkeiten.

Theuer: Selbst soziale Berufe werden sich verändern. In der Pflege und Medizin passiert aktuell sehr viel, etwa rund um die Dokumentation. Das nimmt dem Personal mühseligen Papierkram ab, schafft mehr Freiräume und verbessert letztlich die Qualität der Versorgung. Vermutlich weniger betroffen sind kreative und wissenslastige Bereiche.

Lass: Außerdem bleibt die Betreuung der Automatisierung essenziell – denn die Systeme müssen ja auch in Zukunft konzipiert und gewartet werden. Aber selbst hierbei bieten die zukünftigen Systeme Hilfe.

4. Wird Arbeit 4.0 Arbeitsplätze vernichten oder schaffen?

Lass: Vernichten nein, verändern ja. Wandeln werden sich Tätigkeitsprofile und Anforderungen sowie die Art, die notwendigen Fähigkeiten zu entwickeln. Es entstehen auch Freiräume, die verantwortlich genutzt werden können und müssen – für neue Aufgaben, aber letztlich auch für eine andere zeitliche Verteilung von Arbeit und sogar mehr Freizeit.

Theuer: Vielleicht kommt dadurch langfristig ja sogar die Viertagewoche und die Möglichkeit zu einer besseren Work-Life-Balance.

5. Wie können wir uns auf die Veränderungen vorbereiten?

Lass: Firmen sollten die Augen offenhalten, Entwicklungen antizipieren, sie nicht ablehnen, sondern mitgestalten! Es geht darum zu schauen, welche Möglichkeiten Arbeit 4.0 für das eigene Unternehmen bietet und was dafür nötig ist, sie umzusetzen: Also, welche Technologien brauchen sie und, daran anschließend, welche Weiterbildungen benötigen die Beschäftigten?

Theuer: Die Unternehmen tun gut daran, die Veränderungen aktiv zu begleiten, indem sie etwa ihre Betriebsräte und Digitalisierungsbeauftragten „mitnehmen“. Wenn sie sehen, welche Chancen sich auf diesem Weg bieten, sind auch die Beschäftigten eher bereit, diesen Weg mitzugehen. Also durchaus auch mal schauen, was andere in welcher Form umsetzen und welche technologischen Neuerungen es gibt – beispielsweise bei uns im „Zentrum Industrie 4.0“.

6. Was hat das Zentrum Industrie 4.0 mit Arbeit 4.0 zu tun?

Lass: Unsere Fabrikanlage bietet ein Portfolio verschiedenster Assistenzsysteme und Digitalisierungsinstrumente. Im Zentrum Industrie 4.0 kann man diese „Bausteine“ einer virtuellen Fabrikanlage selbst ausprobieren, Erfahrungen sammeln – und im besten Fall auch Ängsten entgegenwirken und merken, dass sie nicht „wehtun“, sondern helfen, Arbeit besser zu machen. Die Stärke ist ganz klar, dass wir zahlreiche aktuelle Technologien vor Ort haben, sodass Besucherinnen und Besucher Industrie 4.0 nicht nur als bunte Bilder auf Folien und in Filmen vorgeführt bekommen, sondern selbst erfahren.

Theuer: Wie eine AR-Brille Infos einblendet, ist eben etwas grundlegend Neues. Das kann man nicht verstehen, sondern muss es erleben. In der Anlage ist deshalb eine solche Brille in einen technisch sehr realen Produktionsprozess eingebettet. So ist unter nahezu realistischem Bedingungen die Wirkung einer AR-Brille tatsächlich erfahrbar. Dieser direkte Umgang am Objekt in einem Fertigungsszenario hilft, Vertrauen in die Technik zu entwickeln – und zeigt, dass sie praxistauglich ist.

7. Wer kommt ins Zentrum und wie lernen diese Menschen dort Arbeit 4.0?

Lass: Betriebsräte, Forschende, GeschäftsführerInnen, IT- und ProduktionsleiterInnen – ein wirklich breites Spektrum von Akteuren, die bei uns einen Blick darauf werfen wollten, wie Industrie 4.0 funktioniert kann und wie sie bei ihnen aussehen könnte.

Theuer: Die besondere Stärke der Anlage ist natürlich das Hands-on-Prinzip. Jeder kann zum Werkenden werden und unterschiedlichste Assistenzsysteme einsetzen. Dafür haben wir verschiedene Szenarien entwickelt …

Lass: Aktuell arbeiten wir an einem Showcase aus dem Spritzgussbereich. Daran demonstrieren wir zum einen, wie inzwischen auch Assistenzsysteme ggf. unternehmensübergreifend kommunizieren und so die Wertschöpfungskette verbessern. Gleichzeitig simulieren wir, was passiert, wenn es zu einer Ausnahmesituation kommt – ein Werker fällt aus oder eine Maschine geht kaputt. Wie helfen die Assistenzsysteme dabei, solche Störungen zu beheben? Und was können die Werker tun? Denn ohne die geht es nicht.

Theuer: Es ist zudem direkt erfahrbar, was sich bei Arbeit 4.0 ändert und was nicht: Wenn Prozesse sich immer gleichartig wiederholen, braucht man nicht unbedingt Industrie 4.0, Roboter erledigen diese Arbeiten vollautomatisch. Einmal konfiguriert, läuft es immer wieder in gleicher Weise durch. Doch genau das will der Markt häufig nicht mehr: Stattdessen geht es hin zu individualisierten Produkten, für deren Fertigung ständig etwas geändert werden muss. Hier braucht es auch zukünftig Menschen, die schwierige Situationen meistern und wichtige Entscheidungen treffen. Genau dafür sind diese unterstützenden Technologien nötig. Wie das funktioniert und wie diese nutzbar sind, können wir vorführen – Industrie 4.0 zum Anfassen.

8. Hat Arbeit 4.0 Grenzen?

Theuer: Klar, weder Technologie ohne Mensch noch Mensch ohne Technologie werden in der Fabrik erfolgreich sein. Wichtig ist das Zusammenspiel beider – dafür müssen die Betroffenen offen für Neues und die Technologien auf die individuellen Bedarfe angepasst sein. Dann klappt es auch mit der Akzeptanz! Die Dark Factory, bei der das Licht ausgeschaltet wird, weil kein Mensch mehr in ihr arbeitet, wird es nicht geben.

Lass: Der kreative Mensch, der Ideen hat und Probleme löst, wird nicht verschwinden. Aber er hat neue Werkzeuge für seine Arbeit. Arbeit 4.0 funktioniert nur mit dem Menschen als wesentlichem Akteur. Auch hat jeder Technologiebaustein seine Grenzen. Beispielsweise löst KI nicht jedes Problem. Es gilt, eben die passenden Bausteine für den individuellen Fall bestmöglich zu kombinieren. In Konzeption und Realisierung der komplexen I4.0-Systeme liegt eine große Herausforderung. Aus der Fähigkeit, diese zu meistern, entsteht ebenfalls eine Grenze. Dass diese nicht hinderlich wird, daran arbeiten wir.

Zentrum Industrie 4.0

Das „Zentrum Industrie 4.0 Potsdam“ (ZIP) ist eine cyberphysikalische Modellfabrik, mit der sich unterschiedlichste Szenerien der Fertigung simulieren und testen lassen. Das System entstand ab 2010, ursprünglich aus einem Forschungsprojekt, mit dem Ziel, als simulierte Fabrikanlage beliebig viele Produktionsabläufe unter kontrollierten Bedingungen erproben zu können. Das tut sie bis heute, aber inzwischen noch viel mehr. Mittlerweile dient sie als universelle interaktive Lernfabrik ebenso wie als Industrie 4.0-Labor.
https://lswi.de/industrie-40-labor

In der Podcast-Reihe „New Work“, den das Senior Fellow Network der Universitätsgesellschaft Potsdam e.V. initiiert hat, sprechen Sander Lass und Hanna Theuer über „New Work“ und Fabrik 4.0: https://www.uni-potsdam.de/de/uniges/veranstaltungen/podcast-sfn-kapitel/new-work

 

Dieser Text erscheint im Universitätsmagazin Portal - Eins 2023 „Zukunft“ (PDF).