10 Fragen zum Thema Hangrutsche an Prof. Oliver Korup (Geomorphologe an der Uni Potsdam) & PD Dr. Wolfgang Schwanghart (Geomorphologe an der Uni Potsdam)
- Wie entstehen Hangrutsche eigentlich - was sind die wichtigsten Ursachen?
Hangrutsche sind eine spezielle Form von gravitativen Massenbewegungen. Gravitativ heißt, dass die Schwerkraft den wesentlichen Anteil an diesen Ereignissen hat. Sind die aus der Schwerkraft resultierenden Scherkräfte größer als die inneren Reibungskräfte, die den Boden zusammenhalten, wird ein Hang instabil. Niederschlagsereignisse erhöhen beispielsweise den Wassergehalt und Porendruck im Untergrund und reduzieren dadurch die Scherfestigkeit. Ebenso können Erdbeben durch starke Bodenerschütterungen das Kräftegleichgewicht kurzfristig stören und Massenbewegungen auslösen. Viel langsamer hingegen tragen Verwitterung und die Entstehung von Klüften und Scherflächen dazu bei, die Stabilität von Hängen zu reduzieren, so dass Hangrutsche ohne einen klar erkennbaren Auslöser entstehen können.
- Spielen der Klimawandel und zunehmende Extremwetterereignisse eine Rolle bei der Häufigkeit von Hangrutschen?
Die Erwärmung der Atmosphäre durch den aktuellen Klimawandel führt zu einem erhöhten Wasserdampfgehalt in der Luft und somit zu stärkeren Niederschlägen. Auch begünstigt der Klimawandel gerade in Europa extremere Ereignisse und länger anhaltende Wetterlagen. Gerade dauerhafte oder hohe Niederschläge sind für das Auftreten von Hangrutschen zunehmend wichtig. In arktischen und Hochgebirgsregionen stellt das Auftauen von Permafrost zudem ein großes Problem dar. Dort beobachten wir sowohl langsames Bodenfliessen als auch abrupte Rutschungen, insbesondere nach sehr warmen Perioden. Allerdings fehlen uns oft systematische Zeitreihen, um verlässliche Aussagen zur Häufigkeit von Hangrutschen zu machen. Zum Glück treten sehr große Hangbewegungen deutlich seltener auf als kleinere.
- Welche Regionen der Welt sind besonders gefährdet für Hangrutsche - und warum?
Viele Studien belegen, dass steilere Landschaften oft mehr Hangrutsche haben. Gerade hügelige und gebirgige Regionen sind meist stark gefährdet, vor allem wenn sie auch noch niederschlagsreich, vulkanisch aktiv oder erdbebengefährdet sind. Das heißt aber nicht, dass flache Gebiete nicht gefährdet sein können. Tonige Ablagerungen im Untergrund fast ebener Küstenregionen Skandinaviens, Kanadas oder Russlands führen beispielsweise immer wieder zu großen und sehr unberechenbaren Rutschungen, die ohne Vorwarnung schnell auslaufen, und damit weitreichend zerstörerisch sein können. Dort sind es vor allem chemische Verwitterungsprozesse, die einen instabilen Untergrund begünstigen.
- Welche Rolle spielen der Mensch und seine Eingriffe (z.B. Bau, Abholzung, Landwirtschaft) bei der Auslösung von Hangrutschen?
Der Mensch ist zunehmend mitverantwortlich für das Auftreten von Hangrutschen. So führt etwa der Straßenbau zur Untergrabung und Änderung des Wasserhaushalts von Hängen. Großflächige Entwaldung entfernt oder schwächt tiefgreifendes Wurzelwerk, und verringert damit dessen Ankerwirkung in steilen Geländepartien. Auch plötzliche Änderungen des Wasserspiegels in Reservoirs oder Explosionen können Hangrutsche auslösen. Viele Tagebauprojekte müssen sich der Gefahr von Hangbewegungen stellen. Der Mensch kann aber auch im eigenen Interesse helfen, die Gefahr von Erdrutschen zu verringern. Terrassierte Hänge für den Wein- oder Reisanbau, und ausgeklügelte Entwässerungssysteme haben seit Jahrhunderten auch zur Stabilisierung von Hängen beigetragen.
- Wie gut können Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler heute Hangrutsche vorhersagen?
Wenn es darum geht, genau vorherzusagen, wo und wann eine Hangrutschung mit einem bestimmten Volumen geschieht, so sind wir – ähnlich wie bei der Erdbebenforschung – noch weit von dieser Fähigkeit entfernt. Räumliche Vorhersagen können zwar schon sehr gut Gebiete ausweisen, die rutschungsgefährdet sind. Allerdings ist die zeitliche Vorhersage oft an Orte gebunden, über deren Instabilität wir bereits durch Kriechbewegungen informiert, wenn nicht gar alarmiert, sind. Intensives Monitoring von einzelnen Hängen ermöglicht auch Frühwarnsysteme. Dass diese Leben retten können zeigt die erfolgreiche Vorhersage des Bergsturzes in Blatten (Schweiz) im Jahr 2025.
- Welche technischen Möglichkeiten gibt es, gefährdete Hänge zu stabilisieren und Hangrutsche zu verhindern?
Es gibt zahlreiche Möglichkeiten, gefährdete Hänge zu stabilisieren. Hierbei spielen die Größe, und besonders die Mächtigkeit, der Instabilität eine Rolle. Zu den gängigen Methoden der Stabilisierung gehören hauptsächlich die Drainage, welche den Wassergehalt im Hang verringert, das Abtragen von Hängen, oder das Errichten von Stützwänden. An Straßen sieht man auch häufig aufwendige Konstruktionen wie Spritzbetonwände, Verankerungen oder Fangnetze. Es gibt aber auch Möglichkeiten, durch die gezielte Ansiedelung von Vegetation, Hänge zumindest flachgründig zu stabilisieren. Auch kann in einzelnen Fällen die Umleitung bzw. Verbauung von Flussläufen helfen, einer Hangunterschneidung entgegen zu wirken.
- Was unterscheidet eine Hangrutschung von einem großen Massensturz oder Schuttstrom?
Der Begriff Hangrutschung ist sehr allgemein und umfasst viele Arten der Massenbewegung. Feinere Klassifizierungen dieser Phänomene beziehen sich hauptsächlich auf das vorherrschende Material (Erde, Schutt, Fels), den Bewegungstyp (Fallen, Fließen, Gleiten, Stürzen, etc.) und die Geschwindigkeit (weniger als ein paar Millimeter pro Jahr bis zu über 100 Kilometer pro Stunde) der bewegten Masse. Allerdings gibt es eine Vielfalt an lokal unterschiedlichen Bezeichnungen. So sind Schuttströme im Alpenraum als Muren bekannt, wohingegen vulkanische Schlammströme als Lahare bezeichnet werden. Bergstürze gehören zu den größten Ereignissen und können mehrere Kubikkilometer Fels innerhalb von Minuten kilometerweit bewegen.
- Welche langfristigen Folgen haben Hangrutsche für Landschaft, Boden und Wasserläufe?
Hangrutsche sorgen als Folge der Schwerkraft langfristig dafür, dass Hänge und auch Gebirge nicht beliebig wachsen können. Über lange, geologische Zeiträume hinweg sind Hangrutschungen ein wichtiger Prozess für die Abtragung von Gebirgen. Dabei legen sie tiefe und frische Gesteinsschichten frei, welche dann verwittern und auf denen sich neuer Boden entwickelt. Große prähistorische Hangrutschungen bilden heute noch Verkehrshindernisse in vielen Gebirgstälern. Hangrutsche tragen neben Fels und Schutt auch Boden und Biomasse (also auch organischen Kohlenstoff) in Flüsse ein, und sind damit wichtige Lieferquellen in biologischen und chemischen Stoffkreisläufen. Auch ändert dieser Eintrag die Sedimentfracht und die Trübung, welche Auswirkungen auf Gewässergüte und Lebensräume haben kann. Große Hangrutsche können auch ganze Flüsse aufstauen und neue Seen entstehen lassen. Einige dieser Seen können jedoch auch später katastrophal auslaufen und Hochwasserwellen generieren. Darüber hinaus können die ökologischen Störungen, die von Hangrutschungen ausgehen, auch zum Anstieg der Artenvielfalt beitragen.
- Wie gefährlich sind unterseeische Rutschungen für Küstenregionen und die Entstehung von Tsunamis?
Rutschungen unter der Meeresoberfläche können um ein Vielfaches größer sein als ihre terrestrischen Pendants. Viele dieser Massenverlagerungen entstehen oftmals auf den sehr flachen, mit Feinmaterial übersäten, Kontinentalhängen, und können Unterseekabel zerstören und Tsunamis auslösen. Die Storegga Rutschung vor Norwegen hat vor ca. 8000 Jahren ein Gebiet von der Größe Islands bewegt. Der dadurch ausgelöste Tsunami betraf viele Küsten im Nordatlantik, vor allem in Norwegen, Schottland und Dänemark, wo wir heute noch vereinzelt für hohe Wellen charakteristische Ablagerungen finden.
- Gibt es neue Forschungsergebnisse, die unser Verständnis von Hangrutschen deutlich erweitert haben?
Ja. Die Forschung beleuchtet dabei unterschiedliche Aspekte wie die Vorhersage, die Gefahren- und Risikoabschätzung, Möglichkeiten der Frühwarnung und die Kenntnis der Auslöser. Mittlerweile stehen uns umfangreiche Kataloge zur Verfügung, die das verstärkte Auftreten von Hangrutschungen nach Starkniederschlägen oder Erdbeben dokumentieren. Computermodelle helfen uns in, ein besseres Verständnis der komplexen physikalischen Prozesse in Hängen abzubilden und so detaillierte Empfehlungen für Gegenmaßnahmen zu machen. Auch gewachsen ist die Wahrnehmung von Hangrutschungen als Auslöser von ganzen Prozesskaskaden. Denn Rutschungen können weitere Prozesse wie das Ausbrechen von Gletscherseen oder Sturzfluten auslösen und somit ein viel höheres Schadenspotenzial generieren.