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Foto: Andreas Bauer

10 Fragen zum Thema Wasserqualität und Landwirtschaft an Prof. Stefan Norra (Geoökologe an der Uni Potsdam) & Prof. Gunnar Lischeid (Umweltwissenschaftler  am Leibniz-Zentrum für Agrarlandschaftsforschung (ZALF) e. V.)

  1. Welche landwirtschaftlichen Praktiken wirken sich besonders stark auf die Wasserqualität aus?
    GL: Alle Chemikalien, die von der Landwirtschaft flächenhaft ausgebracht werden, stellen eine potentielle Belastung von Oberflächengewässern und Grundwasser dar. Dazu gehören in erste Linie Mineraldünger und Pflanzenschutzmittel sowie die Gülle viehhaltender Betriebe. In wesentlich geringeren Mengen, aber nicht zu vernachlässigen, sind weitere Chemikalien wie Wachstumsregler, z.B. zur Halmverkürzung von Getreide, oder Nitrifikationshemmer zur Stabilisierung der Stickstoffdünger im Boden zu nennen. Nicht zuletzt ist auch der massive Einsatz von Antibiotika in der Tierhaltung und die dadurch zunehmenden Resistenzen bei unterschiedlichsten Bakterien Grund zur Sorge.

    SN: Eine Zeit lang wurden zudem mit Papierschlamm angereicherte Komposte oder Klärschlämme zur Anreicherung des organischen Kohlenstoffs in landwirtschaftlichen Böden verwendet. In diesen Schlämmen können aber sogenannte Per- und Polyfluorierte Chemikalien (PFAS) angereichert sein, die unter Verdacht stehen, krebserregend zu sein. Gelangen diese in das Grundwasser, muss es in der Trinkwasserherstellung aufwendig entfernt werden.
    Darüber hinaus können Bodenverdichtungen durch schwere landwirtschaftliche Fahrzeuge sich bis in den Unterboden auswirken und bei Regenereignissen zu einem erhöhten Oberflächenwasserabfluss führen, wodurch die Erosion verstärkt wird, was einen erhöhten Eintrag an Partikeln in Gewässern zu Folge hat. Zudem erhöht das die Trübung in den Gewässern aber auch die Konzentrationen an Nährstoffen und Schadstoffen, welche an den Partikeln gebunden sein können. In den Gewässern können durch die Nährstoffe (u.a. Phosphat) so Algenblüten unterstützt werden. Wenn sich hierbei Cyanobakterien entwickeln können toxische Phycocyanine in das Wasser gelangen.
     
  2. Wie beeinflussen der Einsatz von Düngemitteln und Pflanzenschutzmitteln die Qualität von Grund- und Oberflächengewässern?
    GL: Hohe Nitratgehalte im Grundwasser sind für den Menschen gefährlich. In Oberflächengewässern führen hohe Nährstoffeinträge zur Eutrophierung mit entsprechenden Verschiebungen im Artenspektrum sowie zeitweise Sauerstoff-freien Bereichen und Fischsterben in Seen, Flüssen sowie Bereichen der Ostsee. Rückstände von Pflanzenschutzmitteln in Oberflächengewässern führen auch dann zu Schädigungen von Flora und Fauna, wenn sie nicht direkt tödlich wirken, aber im Zusammenspiel mit anderen Schadstoffen und Belastungsfaktoren langfristig die Widerstandsfähigkeit von Organismen und Ökosystemen schwächen.

    SN: Nitrateinträge in das Grundwasser können unter reduzierenden Bedingungen zur Nitritbildung führen, welches als krebserregend gilt und bei Säuglingen zur sogenannten Blausucht führen kann, wenn es getrunken wird. Pflanzenschutzmittel schützen ja bestimmte Nutzpflanzen durch die Tötung anderer Organismen, die die Nutzpflanzen schädigen. Daher bilden Pflanzenschutzmittel in Gewässern auch eine Gefahr für die dortigen Lebendgemeinschaften. Generell stellt die Einleitung von Dünge- und Pflanzenschutzmitteln einen Eingriff in die biochemischen Prozessketten von Gewässern dar, mit der Folge, dass wohl austarierte Gleichgewichte verändert werden und bestehende Ökosysteme geschädigt werden.
    Neben Dünge- und Pflanzenschutzmittel muss auch auf Medikamente und Hormone, die in der Tierhaltung eingesetzt werden hingewiesen werden, welche über Gülle und Abwässer in die Umwelt geraten und hier Schäden hinsichtlich Fortpflanzung und Entwicklung von wildlebenden Tieren verursachen können.
     
  3. In welchen Regionen zeigt sich eine besonders starke Belastung der Gewässer durch landwirtschaftliche Einträge, und woran liegt das?
    GL: Starke Belastungen sind einerseits eine Folge hoher Stoffeinträge. So korrelieren deutschlandweit die Bereiche hoher Nitratkonzentrationen im Grundwasser mit den Regionen verbreiteter Massentierhaltungen, da für die Ausbringung der hohen Güllemengen nicht genügend Flächen zur Verfügung stehen. Andererseits spielen auch die geologischen und meteorologischen Rahmenbedingungen eine wichtige Rolle. Hohe Niederschlagsmengen haben eine starke Verdünnung z.B. der Nitratkonzentrationen im Sicker- und Grundwasser zur Folge, geringe Niederschlagsmengen entsprechend hohe Schadstoffkonzentrationen. In natürlich sauerstoffarmen Grundwasserleitern wird Nitrat mikrobiell abgebaut.

    SN: Nitrateinträge zeigen sich insbesondere in Regionen mit intensiver Viehhaltung und dem daraus resultierenden Gülleaustrag auf landwirtschaftliche Flächen. Dies ist zum Beispiel in vielen Gebieten Niedersachsens der Fall. PFAS Einträge sind vor allem aus Nord- und Mittelbaden bekannt, da hier Papierschlämme in Kompostierwerken genutzt wurden. Aber auch in früheren Jahren genutzte Klärschlämme zur Düngung können heute noch Spätschäden verursachen.
     
  4. Welche Bedeutung hat der Gewässerschutz derzeit in der Agrarpolitik?
    GL: Mit der 2020 veröffentlichten „Farm-to-Fork“-Strategie hat die EU ehrgeizige Ziele zur Reduzierung der eingesetzten Pestizid- und Nährstoffmengen in der Landwirtschaft bis zum Jahr 2030 formuliert. Andererseits monieren viele Kritiker, dass bei der fast zeitgleich erfolgten Überarbeitung der Rahmenbedingungen der Agrarsubventionierung die Chance zur Ausweitung der Umweltauflagen nicht genutzt wurde.

    SN: Sicherlich ist den Verantwortlichen in der Agrarpolitik die Bedeutung des Gewässerschutzes bewusst und kein Landwirt oder Landwirtin belastet mit Vorsatz Gewässer. Allerdings unterstützen die ökonomischen und gesetzlichen Rahmenbedingungen nicht unbedingt einen nachhaltigen Umgang mit Dünge- und Pflanzenschutzmitteln.
     
  5. Welche Maßnahmen – ob technisch oder naturbasiert – gelten als besonders wirksam zum Schutz der Wasserqualität im landwirtschaftlichen Umfeld
    GL: Gewässerrandstreifen sind sehr effizient hinsichtlich der Reduzierung von Stoffeinträgen, die ansonsten von der Oberfläche der Böden direkt in die Gewässer eingetragen werden würden. Stoffeinträge aus Rohrdränagen können dadurch reduziert werden, dass das Wasser nicht direkt in einen Graben oder Bach geleitet wird, sondern erst einmal in Auffangbecken, in denen ein wesentlicher Teil der Stickstoff- oder Phosphor-Austräge zurückgehalten werden. Beide Maßnahmen haben aber keinen Einfluss auf Stoffeinträge ins Grundwasser. Diese lassen sich letztendlich nur verringern, wenn die Ausbringungsmengen deutlich reduziert werden.

    SN: Hier ist der Verzicht auf Dünge- und Pflanzenschutzmittel der wirksamste Schutz der Gewässer. Das erfordert allerdings den Einsatz biologischer Pflanzenschutzmittel, der aber nicht immer die Wirksamkeit der chemischen Pflanzenschutzmittel garantieren kann. Dadurch, dass dem Boden mit der Ernte Nährstoffe entzogen werden, kann eigentlich nicht auf eine Düngung verzichtet werden. Hier ist die Herausforderung nur derart hohe Mengen an Dünger dem Boden wieder zuzuführen, die das Wachstum der Nutzpflanzen im kommenden Jahr garantieren ohne, dass es zu Austrägen in das Grundwasser kommt. Dieses ohne wirtschaftliche Einbußen zu garantieren ist hierbei die Herausforderung für die Landwirtschaft.
     
  6. Wie verbreitet ist das Bewusstsein für die Auswirkungen der Landwirtschaft auf die Wasserqualität innerhalb der landwirtschaftlichen Praxis?
    GL: Schon alleine aufgrund der umfangreichen entsprechenden Auflagen und geforderten Sachkundenachweise kommen Landwirtinnen und Landwirte gar nicht umhin, die Umweltprobleme der Landwirtschaft ernst zu nehmen. Vielen haben darüber hinaus auch ein eigenes Interesse daran, die schädlichen Auswirkungen zu minimieren. Auf großen Unmut stoßen allerdings zunehmend bürokratischere und nicht immer als zielführend angesehene Regelungen.

    SN: Landwirte und Landwirtinnen hängen bei der Ausübung ihres Berufes von funktionierenden Ökosystemen ab, das ist allen bewusst. Daher kann davon ausgegangen werden, dass Landwirte und Landwirtinnen kein Interesse haben ihre Umwelt und damit auch die Wasserressourcen zu gefährden. Allerdings stehen dem politische und ökonomische Ziele entgegen, die hohe landwirtschaftliche Erträge verlangen und damit die nicht nachhaltige Einbringung von Dünge- und Pflanzenschutzmitteln in der Landwirtschaft intendieren.
     
  7. Welche Herausforderungen bestehen bei der Messung und Bewertung landwirtschaftlicher Einflüsse auf die Wasserqualität?
    GL: Nach Jahrzehnten hoher Stoffeinträge in der Landwirtschaft sind entsprechende Belastungen in ganz Mitteleuropa ganzjährig und flächendeckend in Grund- und Oberflächengewässern zu finden, und oft ohne dass noch ein direkter Bezug zu einer bestimmten Anwendung herzustellen ist. Nährstoffe sowie Wirkstoffe und deren  Metaboliten werden teilweise noch Jahre nach der Ausbringung unter geeigneten Witterungsbedingungen im Boden mobilisiert und lassen sich dann immer wieder neu in Grund- oder Oberflächengewässern nachweisen. Dazu kommen Belastungen aus dem außer-landwirtschaftlichen Bereich: Die Eutrophierung von Böden und Gewässern wird u.a. auch durch die hohen Stickstoffeinträge aus Verbrennungsmotoren und Industrieanlagen verstärkt. Trifluoracetat (TFA) wird nicht nur beim Abbau bestimmter Pestizide freigesetzt, sondern auch aus industriellen Anlagen. Glyphosat, ein Wirkstoff eines verbreiteten Pestizids, entsteht auch durch die Umwandlung von Bestandteilen von Waschmitteln in der Umwelt und gelangt somit in Oberflächengewässer.

    SN: Laboranalysen aber auch in-situ Monitoring mit entsprechenden Sensoren in den Gewässern sind immer mit Kosten verbunden, die jemand tragen muss. Auch wenn hier die Analysemethoden weit entwickelt sind, wird aus fiskalischen Gründen nicht immer das Optimum der Umweltüberwachung realisiert. Eine weitere Herausforderung ist auch die Umsetzung der Konsequenzen, die aus den Messungen folgen müssten. So ist die Nitratbelastung bekannt, aber auch weiter existent.
     
  8. Inwiefern verändert der Klimawandel die Zusammenhänge zwischen landwirtschaftlicher Nutzung und Wasserqualität?
    GL: Längere Trockenphasen reduzieren nicht nur das Wachstum der Pflanzen, sondern auch die Aufnahme von Nährstoffen, die dann später ungenutzt aus dem Boden ausgewaschen werden. Das Risiko der Auswaschung von Nährstoffen, von Rückständen von Pestiziden und von anderen Stoffen aus dem Oberboden wird andererseits durch zunehmend häufigere und heftigerer Starkregenereignisse erhöht. Vordergründig positiv wirken sich dagegen sinkende Grundwasserstände aus, da dadurch die Verweilzeit des Sickerwassers und der darin gelösten Schadstoffe im Boden zunimmt und diese somit besser durch Mikroorganismen abgebaut werden können oder an Bodenteilchen sorbieren.

    SN: Hier ist zunächst die Wassermenge zu betrachten. Trockenperioden bedingen einen erhöhten Bedarf künstlicher Bewässerung, welches zu einer Übernutzung von Grundwasserressourcen führen kann. Die Verdichtung der landwirtschaftlichen Böden durch Landmaschinen kann wiederum zu einem erhöhten Oberflächenabfluss führen, der Erosion und Eintrag ausgebrachter Dünge- und Pflanzenschutzmittel in die Gewässer bedingt. Klimawandelbedingte längere Trockenzeiten führen weiterhin dazu, dass sich die Aufnahmefähigkeit von Böden für nach der Trockenzeit auftretende Regen verringert, wodurch wiederum der Oberflächenabfluss verstärkt wird. Auch führen erhöhte Temperaturen zu einer höheren Verdunstung, die zum Beispiel durch Bewässerung kompensiert werden muss. Der Klimawandel mit seinen höheren Temperaturen begünstigt zudem das Eindringen von Schädlingen aus wärmeren Gebieten, die dann wieder mit Pflanzenschutzmitteln bekämpft werden und teilweise letztlich auch in die Gewässer gelangen.
     
  9. Welche Rolle spielt der Lebensmitteleinzelhandel oder das Konsumverhalten für eine umweltfreundlichere Landwirtschaft und besseren Gewässerschutz?
    GL: Das Konsumverhalten kann Fehlanreize der Marktwirtschaft nicht kompensieren. Allerdings haben es Konsument(inn)en durch bewusste Bevorzugung von Produkten umweltschonender arbeitender landwirtschaftlicher Betriebe ermöglicht, dass heute bereits 11% der landwirtschaftlichen Fläche ökologisch bewirtschaftet wird, das heißt, ohne Mineraldünger- und Pestizideinsatz.

    SN: Eine umweltfreundlichere Landwirtschaft ist nicht umsonst zu haben, sondern ist mit höheren Kosten oder einem Ändern individuellen Konsumverhaltens verbunden, die auf den Verbraucher und die Verbraucherin letztlich umgelegt werden. Der Lebensmittelhandel folgt dabei in unserem gesellschaftlichen System marktwirtschaftlichen Prinzipien. Das Konsumverhalten hingegen ist durch gesellschaftliche Leitbilder steuerbar, die entsprechend unterstützt werden müssten. Wenigstens der teilweise Verzicht auf fleischliche Nahrung gegenüber einer vegetarischen Ernährung könnte hier einer umweltfreundlicheren Landwirtschaft Vorschub leisten.
     
  10. Welche Maßnahmen gelten als besonders vielversprechend, um die Wasserqualität langfristig vor landwirtschaftlichen Belastungen zu schützen?
    GL: In Mitteleuropa wird seit ca. 70 Jahren intensive Landwirtschaft mit einem massiven Einsatz von Dünge- und Pflanzenschutzmitteln betrieben. Dies hat inzwischen zu einer flächendeckenden und weiter zunehmenden Belastung von Grund- und Oberflächengewässern auch außerhalb der Ackerbaugebiete geführt. Langfristig führt kein Weg daran vorbei, den Einsatz von Agrochemikalien deutlich zu reduzieren.

    SN: Letztlich ist die politische Bereitschaft hier Voraussetzung Maßnahmen in den betroffenen Gebieten mit allen Konsequenzen durchzuführen. Wenn in Gebieten die Wasserqualität durch die Landwirtschaft beeinflusst wird, müsste die Nutzung der entsprechenden Chemikalien entsprechend reduziert oder untersagt werden. Die entsprechenden ökonomischen Folgen für die landwirtschaftlichen Betriebe bzw. die erhöhten Preise für die landwirtschaftlichen Erzeugnisse sind dann zu gesellschaftlich zu akzeptieren oder aber durch den Staat aufzufangen, wodurch den politischen Entscheidungsträger die entscheidende Rolle zukommt.