10 Fragen zum Thema Hochwasser an Prof. Annegret Thieken (Geoökologin an der Uni Potsdam) & Prof. Bruno Merz (Hydrologe am Geoforschungszentrum und an der Uni Potsdam)
- Welche treibenden Faktoren lassen Hochwasser entstehen?
Hochwasser entstehen hauptsächlich durch starke oder anhaltende Niederschläge, Schneeschmelze sowie kurzzeitige, intensive Starkregen. Entscheidend ist, wie viel Regen in welcher Zeit fällt, wie viel Wasser im Boden versickern kann und in der Landschaft zurückgehalten wird und wie schnell das Regenwasser in Bäche und Flüsse gelangt. Natürliche Faktoren wie Bodenbeschaffenheit und Hangneigung spielen ebenso eine Rolle. Daneben beeinflussen menschliche Eingriffe wie Flächenversiegelung, Flussbegradigung und Verlust von natürlichen Überschwemmungsflächen (Auen) das Ausmaß von Hochwasser, da sie die Fähigkeit der Landschaft verringern, Wasser aufzunehmen und zu speichern.
- Werden Hochwasserereignisse in bestimmten Gebieten Deutschlands aufgrund des Klimawandels häufiger oder intensiver auftreten?
Die Antwort fällt unterschiedlich aus, je nach Hochwassertyp. Es wird zwischen großräumigen Flusshochwassern sowie kleinräumigen, sehr schnell auftretenden Sturzfluten unterschieden. Zusätzlich gibt es pluviale Überschwemmungen, die nach intensiven Starkniederschlägen, insbesondere in Städten, auftreten, auch ohne Ausuferung von Bächen oder Flüssen. Trendanalysen zeigen für Flusshochwasser in vielen Gebieten Zentral- und Nordwesteuropas klimabedingte Zunahmen der Hochwasserabflüsse in den letzten Jahrzehnten. Auch bei Sturzfluten und pluvialen Überschwemmungen wird durch die Zunahme von Starkniederschlägen mit einer höheren Häufigkeit von Hochwasserereignissen gerechnet.
- Wie ändern sich Hochwasserereignisse durch den Klimawandel? Werden wir mehr Ereignisse zu anderen Jahreszeiten sehen?
Es gibt empirische Belege, dass der Klimawandel das zeitliche Auftreten von Hochwasserereignissen im Jahr verändert. Beispielsweise verschieben sich in Nordosteuropa Hochwasser durch frühere Schneeschmelze im Frühling nach vorne, während die Winter- und Frühjahrshochwasser in Nordwesteuropa zunehmend später im Jahr auftreten. Daneben nehmen insbesondere Starkniederschläge und kurzzeitige Ereignisse im Sommer zu, was für zunehmende Risiken sorgt.
- Erwarten wir mehr Hochwasser in Städten?
In Städten führen Starkniederschläge, wie sie etwa bei Gewittern auftreten, aufgrund des hohen Anteils versiegelter Flächen besonders schnell zu Überflutungen. Weil der Klimawandel die Häufigkeit und Intensität solcher Starkregenereignisse erhöht, müssen Städte künftig mit mehr Überflutungen rechnen. Stadtplanung und Hochwasserschutz stehen deshalb vor der wichtigen Aufgabe, sich an dieses wachsende Risiko anzupassen.
- Können künstlich angelegte Wälder, Auen, Moore oder ähnliche Systeme nachhaltig vor Hochwasser schützen?
Künstlich angelegte oder naturnahe Systeme wie Wälder, Auen und Moore können nachhaltig vor Hochwasser schützen. Man spricht hier auch von natürlichen oder natur-basierten Lösungen. Wälder verzögern den Abfluss von Niederschlägen durch Wasserspeicherung im Boden und durch Verdunstung, sie stabilisieren den Boden und vermindern Erosion. Auen und Moore wirken als natürliche Rückhaltebecken, die Hochwasser abmildern, indem sie Wasser zeitweilig speichern und langsam abgeben. Die Wirksamkeit hängt jedoch stark von Standortbedingungen ab. Bei sehr starken Regenfällen oder gesättigten Böden sind ihre Dämpfungswirkungen jedoch begrenzt. Solche Systeme sind daher wichtige, aber ergänzende Bausteine im Hochwasserschutz.
- Wie beeinflussen Hochwasserereignisse das Wohlbefinden von Menschen?
Das direkte Erleben eines Hochwasserereignisses beeinflusst das Wohlbefinden der Betroffenen stark und oft über lange Zeit. Betroffene leiden häufig unter Angstzuständen, Depressionen, Schlafstörungen und posttraumatischen Belastungsstörungen, die monatelang oder Jahre anhalten können. Die psychische Belastung entsteht unter anderem durch den Verlust von Wohnraum und Hab und Gut oder auch Familienangehörigen und Freunden, dem Erleben von Bedrohung und Verlust, Unsicherheit und Angst vor erneuten Ereignissen. Betroffene fühlen sich oft auch mit dem Wiederaufbau allein gelassen. Gezielte Unterstützung, wie psychosoziale Angebote und Therapien, sind wichtig für die Bewältigung dieser Belastungen.
- Nehmen Hochwasserschäden zu?
Hochwasserschäden nehmen insbesondere an Infrastruktur und Gebäuden deutlich zu. So verursachte das Juli-Hochwasser 2021 allein in Deutschland Gesamtschäden von rund 33 Milliarden Euro, davon waren rund 5,5 Milliarden Euro versichert. Hauptursachen für die Zunahme sind der Klimawandel sowie die verstärkte Bebauung und Wertekonzentration in hochwassergefährdeten Gebieten, etwa entlang von Flüssen.
- Welche Vorkehrungen muss Deutschland in den kommenden Jahren zum Schutz vor Hochwasser treffen?
Deutschland hat in den letzten Jahren viel in Hochwasservorsorge investiert. Trotzdem gibt es Verbesserungsbedarf auf mehreren Feldern. Eines dieser Felder ist der Schutz von kritischer Infrastruktur wie Energieversorgung, Gesundheitseinrichtungen oder Kommunikationsnetzen. Lokale Überflutungen können sich zu weitreichenden Netzausfällen ausweiten. Hier werden Strategien gebraucht, um die kritische Infrastruktur besser auf extreme Ereignisse vorzubereiten und resilienter zu machen.
- Welche Maßnahmen können Einzelpersonen ergreifen, um sich und ihr Eigentum bei Hochwasser effektiv zu schützen?
Einzelpersonen können ihr Eigentum durch verschiedene Maßnahmen schützen. Dazu gehören bauliche Anpassungen wie der Einbau von Rückstauklappen sowie wasserdichten Kellerfenstern und -türen. Mobile oder stationäre Schutzbarrieren können zusätzlich das Eindringen von Wasser verhindern. Wichtig ist auch der Abschluss einer Elementarschadenversicherung, da Standardgebäudeversicherungen Schäden durch Hochwasser meist nicht abdecken. Genauso entscheidend ist es, sich frühzeitig über die Hochwassergefahr zu informieren und passende Reaktionen zu kennen. Nur wer sich vorher vorbereitet, kann im Ernstfall schnell und sicher handeln, um sich und sein Eigentum bestmöglich zu schützen (https://www.starkregenvorsorge-flyer.de/).
- Wie effektiv sind bestehende Warnsysteme für Hochwasser, und wo gibt es Verbesserungsbedarf?
Hochwasserwarnsysteme in Deutschland sind technisch gut entwickelt. Die Hochwasservorhersagezentralen der Bundesländer veröffentlichen Vorhersagen für hunderte von Flusspegeln im ganzen Land. Das Modulare Warnsystem (MoWaS) des Bundes bündelt Warnungen von verschiedenen Stellen und verbreitet sie über diverse Kanäle wie Warn-Apps (NINA, Katwarn), Rundfunk, Sirenen oder Cell Broadcast. Allerdings gibt es Verbesserungsbedarf bei der lokalen Umsetzung, zum Beispiel bei der schnellen und flächendeckenden Übermittlung der Warnungen an alle Betroffenen. In extremen Situationen können Ausfälle in Mobilfunknetzen die Warnverbreitung erschweren. Zudem ist es wichtig, dass Warnungen verständlich, rechtzeitig und zielgruppengerecht formuliert sind sowie die Bevölkerung besser für den Ernstfall sensibilisiert wird. Handlungsempfehlungen, die zur Stärke und Dynamik des herannahenden Ereignisses passen, sind essentieller Bestandteil von Warnungen.