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Queere Bühnenkunst – Joanna Staśkiewicz erforscht die Neo-Burlesque-Szenen in New Orleans, Berlin und Warschau

Dotti Moscati, Berliner Burlesque-Performerin, bereichert seit 2017 die Berliner Szene als „Burlesque-Clown“.
Foto : Daniel Paikov
Dotti Moscati, Berliner Burlesque-Performerin, bereichert seit 2017 die Berliner Szene als „Burlesque-Clown“.

Ein weißer Schleier und ein rotes Tuch enthüllen und verhüllen abwechselnd den Körper einer Frau, die auf einer in blaues Licht getauchten Bühne tanzt. Mal als weißes Hochzeitskleid, mal als Babydecke und schließlich als Leichentuch, inszenieren die Stoffe den konventionellen Lebenslauf einer Frau – von der Pubertät über das Erwachsenwerden und die Geburt eines Kindes bis hin zum Tod. Doch die rot-weißen Farben, in die sich die Tänzerin hüllt, sind politisch aufgeladen: Es sind die Nationalfarben Polens. Die Frauenpolitik und das Abtreibungsverbot der polnischen Regierung sind es, die die polnische Burlesque-Performerin Betty Q in ihrer sinnlich-humorvollen Show kritisiert.

Mit Burlesque-Aufführungen wie dieser befasst sich Dr. Joanna Staśkiewicz in ihrem Habilitationsprojekt „Queering von Gender, Begehren und lokalen Mythen in der (Neo-)Burlesque“ am Institut für Künste und Medien. Sie versteht diese Form der Bühnenkunst als Kommentar zum politischen Geschehen, und zwar besonders im Hinblick auf Geschlechterfragen und sexuelle Orientierung. Gefördert wird ihr Projekt bis Ende 2024 von der Deutschen Forschungsgemeinschaft – auch eine internationale Konferenz ist geplant, sogar mit Live-Performance.

Doch was genau ist Burlesque eigentlich? Der Begriff stammt vom italienischen „burla“ für Witz oder Schabernack. Bereits im 16. Jahrhundert gab es das burleske Theater, das die vulgäre Komik des einfachen Lebens in Szene setzte. „Es ging darum, die herrschende Kultur auszulachen“, erklärt Staśkiewicz. Später finde sich die Burlesque bei Mozart, auch seine eigenen Kompositionen wurden parodiert. In den 1860er Jahren trat dann die erste Burlesque-Tänzerin, die Britin Lydia Thompson, auf die Bühne. In ihren Shows nutzte sie Elemente des Crossdressing und kleidete sich zum Beispiel in Shorts – damals skandalös. „Thompson löste mit ihrer Tour in den USA einen Burlesque-Trend aus.“ Ihren Höhepunkt erlebte die Bewegung in den 1930er Jahren, als das Phänomen den Broadway erreichte. 1937 verbot jedoch der damalige katholische Bürgermeister der Stadt New York die Kunstform und in der Folge trat sie zunehmend in den Hintergrund. Während in den 1960er Jahren der Go-go-Tanz und der Striptease beliebt wurden, schlief die Burlesque einen Dornröschen-Schlaf, ehe sie in den 1990er Jahren wieder erwachte: als Neo-Burlesque, mit Berühmtheiten wie Dita von Teese, aber auch einem zunehmend queeren Publikum in London oder New York. „Die Performenden definieren sich jenseits der Zweiteilung der Geschlechter“, sagt Staśkiewicz. Sie spricht deshalb auch gerne von „Queerlesque“.

Die Kulturwissenschaftlerin meint, diese Form des Theaters sei immer subversiv und in der Lage, gängige Normen infrage zu stellen. „Burlesque-Aufführungen sind eine Umstülpung der Welt.“ Eigentlich wie im Karneval, wenn einmal im Jahr alle Konventionen außer Kraft gesetzt sind. In den kommenden zwei Jahren wird die Forscherin Shows in New Orleans, Berlin und Warschau besuchen – am liebsten ist sie dabei in kleinen, versteckten Bars – und Interviews mit den Performenden führen. Denn auch biografische Aspekte, etwa Diskriminierungserfahrungen, sollen in ihre Habilitation einfließen.

Jede Stadt hat ihre ganz eigene Burlesque-Community, mit unterschiedlichsten Mythen und Themen. In Warschau sei die Szene besonders politisch. „Die Aufführungen prangern oft die rechte Regierung an und schaffen damit queere ‚Safe Places‘“, erklärt Staśkiewicz. Das seien magische Orte mit einer Do-it-yourself-Ästhetik, an denen es keine Zensur gibt. So nimmt die Burlesque als Spielart christliche Elemente auf, der „Boylesque“-Performer Gąsiu beispielsweise persifliert die polnischen Nationalepen und die homophobe katholische Kirche. Auch in New Orleans ist die Szene voller Überraschungen und feiert das Außergewöhnliche. Da ist einerseits die Nähe zum Voodoo, andererseits kommen eingeschworene Fangemeinden von „Star Wars“ oder „Harry Potter“ bei „Nerdlesque“-Shows zusammen. Performende können etwa als Roboter verkleidet auf der Bühne stehen oder Jedi-Ritter nachstellen. „Die Aufführungen sind so abstrakt, dass sie sich jenseits der Geschlechterbinarität bewegen.“ Die Forscherin bezieht daher Theorien ein, wonach das Groteske der Körper, zum Beispiel in Form von Roboterkostümen, Tattoos oder Piercings, Normen untergräbt. Doch auch in den USA, wo die Nerdlesque und ebenso die sogenannte Clownesque boomen, steht Politik auf dem Programm: Als unter Donald Trump Vergewaltigungsvorwürfe gegen den Richter Brett Kavanaugh laut wurden, zeigte sich die Künstlerin Lefty Lucy ganz nackt – in der Burlesque sehr selten. Ein Bild für Verletzlichkeit. Im Vergleich zu New Orleans und Warschau sei die Berliner Szene eher unübersichtlich. „Die typische Berliner Burlesque zu beschreiben, ist sehr schwierig“, sagt Staśkiewicz. „Sie ist so international.“ Fest steht, dass alles in den 2000er Jahren mit Grotesque-Galas und Fetisch-Abenden begann. Und dass die Inszenierungen meist das legendäre Berlin der 1920er Jahre aufleben lassen, die goldene Zeit der Kabaretts, Tanzlokale und Revue-Theater: als im Schöneberger Eldorado Travestie-Shows stattfanden und 170 homosexuelle Clubs das Nachtleben prägten – mit Leitfiguren wie Christopher Isherwood und Claire Waldoff.

In Deutschland sei die Bühnenkunst bisher nicht erforscht, während sie in der englischsprachigen Literatur bereits seit Langem diskutiert werde. Joanna Staśkiewicz ist selbst mehr durch Zufall auf das Forschungsthema gestoßen. Während ihres Promotionsstudiums zur katholischen Frauenbewegung in Polen hatte sie einen Vortrag in den USA gehalten und dabei auch die Stadt New Orleans kennengelernt. Hier war sie erstmals in Berührung mit der New-Burlesque-Szene gekommen. „Bis heute fasziniert es mich, wie die Perfomances patriarchale Vorstellungen von Erotik verspielt, theatralisch und gleichzeitig humorvoll inszenieren.“

 

Dieser Text erschien im Universitätsmagazin Portal - Eins 2022 „Diversity“ (PDF).