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An deutschen Schulen Fuß fassen – Das Refugee Teachers Program will mehr geflüchtete Lehrkräfte an Brandenburgs Schulen bringen

Migrierte Lehrkräfte im Refugee Teachers Program. Das Foto ist von Andres Friese.
Foto : Andres Friese
Das Refugee Teachers Program qualifiziert migrierte Lehrkräfte für den Schuldienst.

Unsere Gesellschaft ist vielfältig – und das müssen Schulen abbilden, da sind sich Dr. Anna Aleksandra Wojciechowicz und Diana Gonzalez Olivo einig. Seit 2016 bereiten die beiden im Refugee Teachers Program geflüchtete Lehrkräfte auf den Schuldienst in Brandenburg vor. Im Interview erklären die Leiterin und die Koordinatorin des Projekts, warum es für qualifizierte Lehrkräfte aus dem Ausland so schwierig ist, tatsächlich an Brandenburgischen Schulen Fuß zu fassen.

Was bedeutet Diversität in der Lehrkräfteausbildung aus Ihrer Sicht?

Wojciechowicz: Diversität steht für mich für eine offene Lern- und Arbeitsgemeinschaft – und damit sind wir schnell bei den Themen der Zugangshürden und Diskriminierung. Aus meiner Sicht wird Diversität oft missverstanden. Denn es geht nicht darum, dass Vielfalt ganz toll ist, sondern darum, die Lehramtsausbildung diskriminierungskritisch zu durchleuchten. Wir müssen uns selbst fragen: An welcher Stelle schließen wir welche Gruppen aus? So zum Beispiel Lehrkräfte, die außerhalb von Deutschland ein Lehramtsstudium abgeschlossen haben und mehrjährige Berufserfahrung mitbringen. Und: Wie ändern wir das? Welche unserer Routinen und Strukturen müssen wir überdenken?

Aktuell beobachten wir, dass sich die Lehrerkräfte-Bildung für Migration allmählich öffnet. Nicht zuletzt macht unser Projekt hier auf eine strukturelle Lücke aufmerksam und es zeigt den betroffenen Lehrkräften, dass sie nicht nur mitgedacht, sondern auch gewollt sind und ernst genommen werden. Ich weiß nicht, ob das für Menschen nachvollziehbar ist, die mit dem Privileg leben, den Beruf, den sie erlernt haben, selbstverständlich auch auszuüben: Doch für unsere Zielgruppe ist es was Besonderes, dass sie an einer deutschen Schule vorkommen dürfen.

Wie profitieren Lehrkräfte, aber auch Schülerinnen und Schüler von Diversität?

Olivo: Die Frage ist problematisch. Es ist keine Frage des Profits, sondern es sollte selbstverständlich sein, dass in der Schule auf allen Ebenen Lehrkräfte tätig sind, die selbst die regionale Diversität repräsentieren. Ich würde daher eher fragen: Wie können Lehrkräfte aus dem Refugee Teachers Program bei ihrem Berufseinstieg in brandenburgischen Schulen von den Kollegien profitieren? Welche Rahmenbedingungen braucht es, dass Schulleitungen und Kollegien die neuen Lehrer*innen so einbinden, dass sie am neuen Arbeitsplatz gut ankommen und ihre Kompetenzen voll entfalten können? Gerade zu Beginn müssen sie besonders gut unterstützt werden, da sie eine intensivere Einarbeitung benötigen. Schulleitungen und Kollegien müssen hier Verantwortung übernehmen, um gute Rahmenbedingungen für den Berufseinstieg zu schaffen. Dabei können migrierte Lehrkräfte nicht auf die Aufgabe reduziert werden, geflüchtete Kinder und Jugendliche in die Schulen zu integrieren. Sie müssen mit allen Aufgaben einer Lehrkraft betraut werden.  

Alle Schüler*innen profitieren wiederum von einem diversen Lehrkörper. Und besonders sicherlich diejenigen, die selbst eine Migrations- oder Fluchtgeschichte haben – sofern sie ein positives Bild von einem ebenso multiethnischen, mehrsprachigen Kollegium erhalten. Repräsentation ist hier das Schlüsselwort: Für die migrationsgesellschaftlichen Verhältnisse, in denen wir heute leben, müssen sich Schulen curricular, personell und strukturell öffnen.

Dabei können wir von anderen Ländern lernen: Während bei uns sogenannte Willkommensklassen vorerst nur Deutsch lernen, unterrichten im Ausland teilweise mehrsprachige Lehrkräfte ihr Fach in der Herkunftssprache und tragen somit dazu bei, dass bei Geflüchteten die Lernrückstände nicht größer werden.

Die Zahlen sind ernüchternd: Einer Befragung der Absolventinnen und Absolventen im Sommer 2021 zufolge sind etwa die Hälfte der Lehrkräfte, die sich zurückgemeldet haben, im Schuldienst beschäftigt. Häufig jedoch auf befristeten Vertretungsstellen oder als pädagogische Unterrichtshilfe. Warum ist es für die migrierten Lehrerinnen und Lehrer so schwierig, in den Schuldienst zu kommen?

Wojciechowicz: Es ist für Lehrkräfte aus dem Ausland tatsächlich sehr schwer, in deutschen Schulen Fuß zu fassen. Während fast überall auf der Welt Lehrkräfte nur ein Fach unterrichten, sind sie in Deutschland für zwei Schulfächer zuständig. Die aktuelle Studie der GEW nennt Zahlen, die uns die Problematik nochmals deutlich vor Augen führen: Lediglich 11 Prozent der Lehrkräfte erhalten die volle Anerkennung ihrer Qualifikation. Was sagt das über unser System aus?

Mit unserem neuen Konzept gehen wir dieses Problem seit April 2020 an. Die Lehrkräfte können nun ein zweites Fach nachholen. Zur Wahl stehen die Fächer Mathematik, Physik, Sport und Wirtschaft-Arbeit-Technik. Wir sind dankbar dafür, dass sich die vier Fachbereiche an der Qualifizierung beteiligen. Es bleibt abzuwarten, ob die Neukonzeption aufgeht. Aus meiner Sicht sollte es möglich sein, auch denjenigen Lehrkräften, die kein zweites Fach nachstudieren können, den Berufseinstieg zu ermöglichen. Schließlich arbeiten seit Jahren vermehrt berufsfremde Personen an Schulen, die den Seiteneinstieg gewählt haben und auch nur ein Fach bedienen.

Gonzalez Olivo: Die hohen Anforderungen an die Nachqualifizierung beschränken sich nicht allein auf das zweite Fach. Je nach Anerkennung der Berufserfahrung müssen die Lehrkräfte zudem einen schulpraktischen Anpassungslehrgang, vergleichbar mit dem Referendariat, schaffen. Um sich überhaupt dafür anmelden zu können, wird das C2-Niveau vorausgesetzt, das mit muttersprachlichen akademischen Sprachkenntnissen vergleichbar ist. Hohe Sprachanforderungen an Lehrkräfte sind sinnvoll. Doch dann müssen systematisch Sprachkurse auf höchstem Niveau angeboten werden, damit auch Lehrkräfte in der Prignitz oder der Uckermark diese besuchen können. Bisher gibt es jedoch nur ein einziges Angebot in Potsdam für eine begrenzte Anzahl von Lehrkräften. Die Deutschausbildung in unserer Qualifizierung bringt die Lehrkräfte nur auf das C1-Niveau, sodass sie ihre sprachlichen Kompetenzen anschließend in Eigenregie vertiefen müssen. Wir benötigen weitere an diese Zielgruppe angepasste Maßnahmen wie zum Beispiel berufsbegleitende Sprachangebote. Sie merken, der Weg von der Prüfung des mitgebrachten Abschlusses bis zur vollen Berufsanerkennung ist ein langwieriger und kostspieliger Prozess, der mit der familiären und finanziellen Situation der Teilnehmenden nicht immer im Einklang gebracht werden kann. Unsere Qualifizierung ist ein sehr wichtiger Meilenstein für Lehrkräfte mit ausländischer Berufsqualifikation. Doch wir benötigen weitere an diese Zielgruppe angepasste Maßnahmen, damit sie zum Beispiel berufsbegleitend sowohl ihre Deutschkenntnisse verbessern wie auch eine Nachqualifizierung absolvieren können – und damit letztlich schneller in den Schuldienst gelangen.

 

Dieser Text erschien im Universitätsmagazin Portal - Eins 2022 „Diversity“ (PDF).