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„Auf die ungewohnten Umstände besonnen reagieren“ – Uni-Präsident Prof. Oliver Günther über das Krisenmanagement während der Corona-Pandemie

Zur Corona-Pandemie – Beiträge aus der Universität Potsdam

Unipräsident - und derzeit Krisenmanager - Prof. Oliver Günther, Ph.D. | Foto: Karla Fritze
Foto : Karla Fritze
Unipräsident - und derzeit Krisenmanager - Prof. Oliver Günther, Ph.D.

Deutschland befindet sich infolge der Corona-Pandemie im Ausnahmezustand. Prof. Günther, Sie koordinieren einen Krisenstab und müssen fast im Stundentakt Entscheidungen von großer Tragweite treffen. Worauf kommt es Ihnen jetzt besonders an?

Es kommt darauf an, auf die ungewohnten Umstände besonnen zu reagieren und uns darauf zu besinnen, wie wir zur Lösung der aktuellen Probleme beitragen können. Als Hochschule und als einem der größten Arbeitgeber Brandenburgs geht es uns da zuallererst um die Gesundheit unserer Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, unserer Studierenden und ihren Angehörigen. Aber es geht auch um unsere Kernaufgaben in Lehre, Forschung und Transfer. In der Lehre müssen Prüfungen ermöglicht werden, sofern dies ohne Infektionsgefahr irgendwie machbar ist. Außerdem laufen die Vorbereitungen für das Sommersemester auf Hochtouren – da werden wir soweit es geht über digitale Medien ein reduziertes Angebot umsetzen. Und im Transfer können wir auch über unsere Hochschulambulanz ein wenig mithelfen, was die abzusehenden klinischen Bedarfe angeht.

Wie nehmen Sie Ihre Kolleginnen und Kollegen wahr? Funktionieren Absprachen und Beratungen zwischen anderen Universitäten, dem MWFK und der Landeshauptstadt Potsdam?

Ja, dank Telefon und Internet funktioniert die Kommunikation sehr gut. Auch Videokonferenzen funktionieren, wenngleich es bandbreitenbedingt gelegentlich hakt und die Übertragungsqualität leidet. Alles in allem muss ich aber sagen, unsere Infrastrukturen schlagen sich wacker.  

Hat die Corona-Pandemie Ihren eigenen Gemütszustand verändert? Entdecken Sie Panikmomente an sich selbst oder kommt Angst zum Vorschein?

Ich bin ja ein optimistischer Mensch, von daher: Nein, keine Panikmomente, auch keine Angst. Aber manchmal überkommt mich eine gewisse Nachdenklichkeit. Meine Generation – ich bin 1961 in Westdeutschland geboren – ist ja vergleichsweise sorgenfrei aufgewachsen. Keine Kriege, keine Hungersnöte, keine Seuchen … bis jetzt. Jetzt müssen wir uns mit ganz ungewohnten Einschränkungen unserer Freiheit abfinden. Reisen ist kaum mehr möglich. Meine Frau sitzt schon seit Wochen in Indien fest, weil es keine Flüge von Indien nach Deutschland mehr gibt. Kein Treffen mit Freunden, kein Kino, keine Konzerte, kein Theater, keine Restaurants … Mit dem, was meine Eltern in den Weltkriegen durchmachen mussten, ist das natürlich nicht annäherungsweise vergleichbar. Aber die Sorglosigkeit, der lebensfrohe Hedonismus, die heitere Gelassenheit, diese Gefühlslagen sind erst einmal verschwunden.  Auch wenn ich derzeit gute Fortschritte mache, was mein Klavierspiel angeht.

Was läuft an der Universität Potsdam in diesem Krisenmodus besonders gut? Wo gibt es noch Luft nach oben?

Der Zusammenhalt ist groß, das Engagement ist außergewöhnlich, sodass ich richtig stolz auf meine Universität bin, auf meine Kolleginnen und Kollegen, auf unsere Studierenden. Man findet pragmatische Lösungen. Die gerade auch im akademischen Bereich nicht unüblichen Kleinkriege werden erst einmal ausgesetzt. Daher bin ich zuversichtlich, dass wir das Wintersemester 2019/20 noch zu einem akzeptablen Ende bringen werden, auch was die anstehenden Prüfungen angeht, und dass wir im Sommersemester ein reduziertes digitales Lehrangebot anbieten werden können. Und auch die Forschung läuft natürlich weiter, soweit es die Umstände erlauben.
 
An der UP gibt es viele Expertinnen und Experten, die die Folgen einer solchen Ausnahmesituation abschätzen können und auf den jeweiligen Fachgebieten wissenschaftlich bearbeiten. Erhalten Sie an dieser Stelle Input, der Ihnen wiederum Orientierung gibt?

Absolut. Eine ganz zentrale Rolle spielen hier natürlich die Mediziner und Gesundheitswissenschaftler. Aber auch die Rolle der Sozial- und Wirtschaftswissenschaften ist hier nicht zu unterschätzen. So manche Kollegin, so mancher Kollege äußert sich ja auch öffentlich. Das ist gut für die Wahrnehmung der Wissenschaft in der Bevölkerung.

Auf der anderen Seite ist die Verunsicherung vor allem unter den Mitarbeitenden und Studierenden immens. Die Erwartungen an die Universitätsleitung sind riesig: Sie soll von Null auf gleich die richtigen Ansagen machen und auf jede Frage umgehend eine Antwort geben. Wie gehen Sie mit dem Druck um?

Indem ich mich nicht unter Druck setzen lasse. Es geht nicht darum, immer der Erste zu sein, der irgendwelche Schließungen oder Einschränkungen durchsetzt. Es geht auch nicht darum, binnen Minuten auf jede E-Mail, jede SMS, jeden Facebook-Kommentar zu reagieren. Vielmehr geht es darum, auf wissenschaftlicher Grundlage mögliche Maßnahmen abzuwägen: Was bringt es? Was kostet es? Welche unerwünschten Nebenwirkungen gibt es? Diese Herausforderungen stellen sich weltweit, und wir sehen, dass unser politisches wie auch unser wirtschaftliches Führungspersonal diesen neuen Anforderungen unterschiedlich gut gewachsen ist. Und wichtig ist natürlich auch die Kommunikation. Da gilt es, das richtige Maß zu finden. Alle fünf Minuten einen Tweet abzusetzen scheint mir genauso fehlgeleitet wie das Abtauchen in der Hoffnung darauf, dass andere schon für einen entscheiden werden.

In Krisensituationen braucht es einen engen Führungskreis mit Vertrauten, auf den man sich verlassen kann. Das stärkt langfristig Identifikation und Zusammenhalt. Was lernen Sie (und die Leitungsebene insgesamt) aus dieser Pandemie? Was nehmen Sie daraus für die Zukunft mit?

Wie Sie sagen: Man braucht Kolleginnen und Kollegen, auf die man sich verlassen kann. Deswegen ist die Auswahl von Personal, insbesondere Führungspersonal, so wichtig. Es können eben nicht alle alles gleich gut. Und wer gemäß Peter-Prinzip ein paar Etagen zu weit oben gelandet ist, der bekommt es jetzt zu spüren. Leider nicht nur er oder sie selbst, sondern auch die betreffende Organisationseinheit. Ich habe schon in der Vergangenheit viel in die Personalauswahl investiert, würde da aber in Zukunft eher noch ein bisschen zulegen.

In der Corona-Pandemie erklären Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler täglich, was sie wissen, und zwar sehr verständlich aufbereitet. Sie weisen auch darauf hin, was noch nicht eindeutig ist. Sehen Sie die gegenwärtige Entwicklung als Chance für die Wissenschaft, sich für die Gesellschaft besser zu positionieren? Oder sind Ungewissheiten und Zeitdruck eher als Rückschlag zu bewerten, der der Wissenschaft die Grenzen aufzeigt, um daran zu wachsen?

Das ist eine schwierige, aber wichtige Frage. Die Coronakrise zeigt beide Seiten der Wissenschaft. Einerseits können wir das Problem aggressiv angehen wie keine Gesellschaft vor uns; besser als wir kann man das Virus in historischer Sicht nicht abwehren, ungeachtet der nationalen Eigenheiten und trotz der historisch ebenfalls einmaligen globalen Mobilität. Andererseits wird auch klar, dass die Wissenschaft nicht für alle Probleme eine Lösung in der Schublade hat. Zur Erinnerung: Es gibt nach wie vor keine Impfung gegen HIV! Ich bin Naturwissenschaftler – Informatiker und Teilzeit-Mathematiker und -Ökonom, um ganz genau zu sein – von daher bin ich natürlich voreingenommen. Die Wissenschaft war zentral dafür verantwortlich, dass wir so komfortabel leben können wie wir leben. Leider können wir Wissenschaftler aber nicht alle Probleme sofort lösen, mit denen Natur und Gesellschaft uns konfrontieren. Gleichwohl: Wir bewältigen diese Aufgaben besser als je zuvor.

Insbesondere Bildung und Hochschulen, aber auch Gesundheit, sind hierzulande föderal aufgestellt. Dadurch dauern Entscheidung von der momentanen Tragweite länger, sie müssen unter den Bundesländern abgestimmt werden. Halten Sie unser System für eine Bremse, die am Ende einen „Flickenteppich“ an Regelungen hervorbringt oder für ein vorgeschaltetes Korrektiv, um große Entscheidungen zu hinterfragen?

Föderalismus ist manchmal lästig, das weiß ich aus eigener beruflicher Erfahrung. Andererseits wissen wir spätestens seit Bruno Frey und seinen wesentlichen Beiträgen zur Glücksforschung, dass lokale Governance – und das ist Föderalismus – auch glücklich macht. Und das ist doch der eigentliche Maßstab. Die Franzosen sind ganz und gar nicht durchweg glücklich mit dem dortigen Zentralismus. Insofern geht es immer darum, den richtigen Kompromiss zu finden. Bei der Schulbildung sehe ich allerdings in der Tat Diskussionsbedarf, was mehr Zentralisierung angeht.

Populisten und rechtsextreme Gruppierungen kommen dieser Tage gar nicht mehr vor. Die Zustimmung zur AfD sinkt, wie Umfragen belegen. Sie beteiligen sich weder an - Lösungen in der gegenwärtigen Situation, noch wird ihnen Kompetenz zugetraut. Stärkt die Corona-Pandemie unsere Demokratie?

Das wissen wir noch nicht. Natürlich freue ich mich darüber, dass empathielosen Dummschwätzern wie dem US-Präsidenten jetzt endgültig die Maske abgenommen wird. Aber andere sehen das anders – die Zustimmung zur Trump-Regierung steigt ja derzeit. Insofern bin ich nur verhalten optimistisch. Und freue mich über jeden Fortschritt in der Verhaltensforschung und der Verhaltensökonomie. Science rocks!

 

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