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Interdisziplinäre Ringvorlesung: Der diskrete Charme der Xenophobie. Junge Forschende fragen nach


„Die Interdisziplinarität, von der immer gesprochen wird, wurde echt, real.“


Vom 01. – 03.  November 2019 fand an der Universität Potsdam die Ringvorlesung: Der diskrete Charme der Xenophobie. Junge Forschende fragen nach statt. Die innovative, interdisziplinäre und politisch höchst aktuelle Lehrveranstaltung bestätigte das Konzept von Studiumplus, das den Studierenden ermöglicht, im Rahmen ihres Bachelor-Studiums ihre persönlichen Kompetenzprofiele zu entwickeln und damit durch berufsfeldspezifische Schlüsselkompetenzen ihre professionelle Laufbahn zu gestalten.
Das Besondere an dieser Lehrveranstaltung war, dass die Vorlesungen von ehemaligen Studierenden gehalten wurden, die durch die gemeinsame Forschungsaufgabe zu Kolleginnen und Kollegen geworden sind. Die jungen Forschenden, die in ihren Vorlesungen ihre Forschungsergebnisse präsentiert haben, bekamen bereits als Bachelor-Studierende in den Modulen von Studiumplus und speziell in Zessko-Modulen Anregungen für ihre Forschungsziele und ihre Berufsorientierung. Die interdisziplinäre Struktur der Zessko-Lehrangebote in den Mentorenschulungen, in Studentischen Projekten und in Kursen zum Erwerb der interkulturellen Kompetenz schuf die Voraussetzung dafür, dass eine fächerübergreifende Vernetzung entstehen konnte.

Der Blickwinkel der Referierenden

Im Austausch, der bereits in Vorbereitung auf die Ringvorlesung entstand, wurde das aktuelle Thema der Fremdenfeindlichkeit aus der Perspektive von verschiedenen Fachrichtungen der Uni Potsdam untersucht. Die in der Ringvorlesung präsentierten Ergebnisse stießen auf ein hohes Interesse der teilnehmenden Studierenden und regten intensive Diskussionen an. Dies bestätigten sowohl PD Dr. Kirjuchina, die die Ringvorlesung ins Leben gerufen hat, als auch die Referierenden Nicole Wiedemann und Sören Barkey, die dafür gewonnen werden konnten, im Anschluss über ihre Perspektive auf die Veranstaltung zu berichteten. Bereits während ihres Bachelor-Studiums knüpften beide die Kontakte zum Zessko. So engagierte sich Frau Wiedmann, aktuell im Masterstudium Soziologie und VWL, im Pangea-Projekt und in der ehrenamtlichen Arbeit mit Geflüchteten. Auch ihre Bachelor-Arbeit schrieb sie über das Thema ihres Vortrags in der Ringvorlesung: „Soziale Strukturen der Prekarisierung. (Arbeits-)Migration und ‚neofeudale Absetzung‘“. Ermutigt durch Dr. Kirjuchina, sich mit ihrem Thema weiter zu beschäftigen, erlebte sie die Teilnahme als Referentin als große Herausforderung, „die uns weitergebracht hat“. Dem stimmt auch Herr Barky zu, momentan im Master Germanistik an der UP, der zum Thema: „,Not In My Backyard'. Klimaschutzdiskurs zwischen Kosmopolitismus und Kommunitarismus“ sprach. Während seines Bachelor-Studiums war er als Mentor tätig und erwarb das Zertifikat für interkulturelle Kompetenz in Studium und Beruf.
Das Thema Xenophobie auf der Metaebene und aus vielen verschiedenen Blickwinkeln zu betrachten, fächerübergreifende Verknüpfungen festzustellen und besonders die interdisziplinären Fachgespräche in Diskussionen mit dem aufmerksamen Publikum beeindruckten beide. Die Entstehung von Netzwerken und der große Wissenszuwachs, das Lernen voneinander, aber auch selbst die Möglichkeit bekommen zu haben, gehört zu werden, wurden von den Referierenden hervorgehoben. „Die Interdisziplinarität, von der immer gesprochen wird, wurde echt, real“, so Wiedemann.
Dass während der Diskussionen Protokoll geführt wurde, gibt den jungen Forschenden die Möglichkeit die Vorträge im Nachgang mit neuen Impressionen zu überarbeiten und sie für die Veröffentlichung im Herbst 2020 in einem Sammelband vorzubereiten.
Der Rahmen der Ringvorlesung und die hervorragende Unterstützung durch das Zessko fanden großes Lob im Hinblick auf die Voraussetzungen, um sich als junge Nachwuchsforschende auszuprobieren und weiterzuentwickeln. „Das sollte in Zukunft weitergeführt werden“, waren sich beide einig.

Der wissenschaftliche Anspruch

Inhaltlich bestand von PD Dr. Kirjuchina das Anliegen herauszustellen, wie der Begriff der Kultur zum Streitbegriff geworden ist und zugleich auch zum instrumentellen Begriff mit dem „alle soziale Konflikte als kulturelle Differenzen artikuliert [werden], um sie der direkten politischen Auseinandersetzung zu entziehen“.¹  Bei der Gleichsetzung von personaler Identität mit ethnischer Herkunft werden Unterschiede zwischen ethnischen Gruppen als unüberbrückbar definiert und die Lebensverhältnisse der Menschen in jeweiligen Gesellschaften zu einer innenkulturellen Logik totalisiert. Während die Wiener Kultur- und Sozialanthropologin Ayşe Çağlar vor dreißig Jahren die Kulturalisierung von Migration als ‚Gefängnis‘ oder ‚Zwangsjacke‘ für Migranten qualifizierte, avanciere der Kulturalismus heute zu einer verhängnisvollen Zwangsjacke für das Denken schlechthin. Im Bann der kulturalistischen Interpretation der politischen Konflikte und der sozialen Probleme entstehe ein verzerrtes, aus dem Kausalzusammenhang losgelöstes Weltbild. Die Voraussetzung für die Befreiung aus der ‚Zwangsjacke‘ des kulturalistischen Denkens bestehe darin, die aktuellen Probleme unserer Gesellschaft in ihrem Wesen zu erkennen, die wahren Ursachen der bestehenden Konflikte zu verstehen und eine realistische Vorstellung von unserer Welt zu gewinnen. Das kritische Wissen setze Feindbilder und damit die bewährte Herrschaftsstrategie „Divide et impera“ außer Kraft.

Zu den in der Ringvorlesung gewonnenen Erkenntnissen haben die Studierenden am 15. November Essays geschrieben. Der „lange Tag des Essay-Schreibens“ wurde von der Schreibberatung des Zessko mitgestaltet.


Kontakt: PD Dr. Kirjuchina
Text: Beate Busch
Veröffentlicht: 25.11.2019

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¹ Jost Müller: Mythen der Rechten: Nation, Ethnie, Kultur. Berlin/Amsterdam 1995, S. 57.



Ankündigung der Ringvorlesung:

zwei herbstlich gefärbte Bläzzer inmitten von grünen Blättern, deren Pflanzen auch Dornen tragen
Foto: Zessko

01. – 03.  November  2019
Campus Am Neuen Palais | Haus 11 | Raum 0.09

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Der Begriff der Xenophobie bezeichnet eine negative, feindliche Einstellung allem Fremden gegenüber und stellt einen Kausalzusammenhang zwischen Furcht und Fremdenfeindlichkeit her.
Aufgrund ihres Doppelcharakters als eine Denkform, zugleich aber auch als ein Strukturelement der Gesellschaft, reflektiert die Xenophobie weniger individuelle Einstellungen als Machtstrukturen und Wertesysteme, geopolitische und wirtschaftliche Interessen sowie historische und soziale Aspekte der jeweiligen Gesellschaft. Deswegen können
die gesellschaftlich akzeptierten Modi der In- und Exklusion nicht losgelöst von diesen Kontexten analysiert werden.
Junge Forschende der Universität Potsdam untersuchen ausgehend von verschiedenen Fachperspektiven Widersprüche im Umgang mit Fremden im Hinblick auf latente Ursachen für die verhüllte Anziehungskraft der Xenophobie, um Chancen für ihre Überwindung auszuloten.

Das Programm der Ringvorlesung entnehmen Sie bitte dem PDF-Dokument.

Der Lange Tag des Essay-Schreibens für Teilnehmende wird durch die Schreibberatung des Zessko unterstützt und mitgestaltet.

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