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Über Ungleichheiten reden – Warum man kritisches Bewusstsein in der Schule lernen kann und sollte

Lehrerinnen und Lehrer sollten mit ihren Schülerinnen und Schülern soziale Ungleichheit und Diskriminierung thematisieren und über sie diskutieren – anstatt allein den Wert einer multikulturellen Gesellschaft zu betonen oder die Unterschiede gar zu ignorieren. Denn nur so entsteht im Klassenzimmer ein Klima des kritischen Bewusstseins, auf dessen Grundlage alle bereit sind, langfristig auf eine gerechtere Gesellschaft hinzuwirken. Doch um das zu erreichen, müssten die Lehrkräfte selbst entsprechend geschult werden. Zu diesem Ergebnis kommt ein Team um die Potsdamer Bildungsforscherinnen um Dr. Miriam Schwarzenthal und Prof. Linda Juang. Für ihre Untersuchung haben sie über 700 Berliner Jugendliche mit und ohne familiäre Zuwanderungsgeschichte befragt. Die Ergebnisse ihrer Studie wurden nun im „Journal of Research on Adolescence“ veröffentlicht.

Wie hängt die Art des Umgangs mit kultureller Vielfalt im Klassenzimmer mit einem kritischen Bewusstsein der Schülerinnen und Schüler zusammen? Um Antwort auf diese Frage zu erhalten, untersuchte die Forschungsgruppe drei verschiedene Ansätze: (1) weniger Unterschiede aufzuzeigen, als vielmehr die Idee zu fördern, dass alle Menschen gleich sind, (2) kulturelle Variationen wertzuschätzen und die Schüler und Schülerinnen anzuregen, etwas über ihre eigenen Herkunftskulturen und die ihrer Mitschüler und Mitschülerinnen zu lernen, oder (3) soziale Ungleichheiten, z.B. Diskriminierung, aktiv zu thematisieren. Die Ergebnisse der Studie zeigen: Gemeinsamkeiten hervorzuheben, statt Unterschiede zu benennen – ein sogenanntes color-evasive climate –, mag zwar den Zusammenhalt einer Schulklasse stärken, vernachlässigt aber bestehende soziale Ungleichheiten. Ein multikulturelles Klima zu schaffen, vermag das Lernen über verschiedene Kulturen zu fördern, läuft aber ebenso Gefahr, Diskriminierung und Ungerechtigkeit zu ignorieren. Um soziale Ungerechtigkeit anzuerkennen und einen sozialen Wandel anzustreben, könnte ein kritisches Bewusstseinsklima der geeignetste Ansatz sein.
„Die drei Klimatypen waren in unserer Studie positiv miteinander verbunden, was zeigt, dass sie Hand in Hand gehen können. Sie alle können in einzigartiger Weise dazu beitragen, sozialen Zusammenhalt, Verständnis für die Perspektiven verschiedener Gruppen sowie soziale Gerechtigkeit in vielfältigen Gesellschaften zu erreichen“, sagt Miriam Schwarzenthal, die seit Januar 2022 Juniorprofessorin an der Bergischen Universität Wuppertal ist. Doch bislang sei das Verhältnis keineswegs ausgewogen, da die Schülerinnen und Schüler vor allem ein color-evasive climate in ihren Klassen wahrnahmen.

Die Empfehlung der Forschenden fällt deutlich aus: „Möglicherweise müssten Schulen, um Jugendliche zu ermutigen, sich mit sozialer Ungerechtigkeit auseinanderzusetzen, über Ansätze hinausgehen, die die gemeinsame Menschlichkeit betonen und die kulturelle Vielfalt feiern, und gesellschaftliche Ungerechtigkeit explizit diskutieren“, so die Wissenschaftlerin.
Dafür bräuchten vor allem die Lehrkräfte Unterstützung, betont Miriam Schwarzenthal: „Damit Lehrkräfte das kritische Bewusstsein ihrer Schülerinnen und Schüler fördern können, müssen sie dieses kritische Bewusstsein zunächst selbst entwickeln.“ Helfen könnten moderierte Unterrichtsdiskussionen und erfahrungsbasierte Lernmöglichkeiten. Darüber hinaus könnten Jugendorganisationen, die sich häufig schon länger mit sozialer Ungerechtigkeit befassen, in die Bemühungen zur Förderung des kritischen Bewusstseins von Jugendlichen in der Schule einbezogen werden.

Zur Veröffentlichung: https://onlinelibrary.wiley.com/doi/full/10.1111/jora.12713

Kontakt: Jun.-Prof. Dr. Miriam Schwarzenthal, Institut für Bildungsforschung, Universität Wuppertal,
E-Mail: schwarzenthaluni-wuppertalde, Telefon: 0202/439-1795
Prof. Dr. Linda Juang, Diversity in Education and Development, Universität Potsdam
E-Mail: linda.juanguni-potsdamde; Tel. 0331 977-6398

Medieninformation 18-01-2022 / Nr. 009