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Rätsel der Evolution – Forscher identifizieren Gen, das Fremdbestäubung bei Schlüsselblumen fördert

Einem internationalen Forscherteam um Genetiker und Botaniker des Instituts für Biochemie und Biologie und des Botanischen Gartens der Universität Potsdam ist ein wesentlicher Schritt zur Lösung eines jahrhundertealten Rätsels der Botanik gelungen, das schon Charles Darwin faszinierte. Ihre neuesten Forschungsergebnisse veröffentlichten die Wissenschaftler, unter der Leitung von Michael Lenhard, in der Fachzeitschrift eLife. Sie identifizierten aus Schlüsselblumen das Gen, das den beiden unterschiedlichen Griffel-Längen von Individuen dieser Art zugrunde liegt und dadurch die Fremdbestäubung fördert.

Viele Pflanzen besitzen weibliche und männliche Geschlechtsorgane in einer Blüte. Oft haben sie Anpassungen entwickelt, um Selbstbefruchtung zu verhindern und die Fremdbestäubung zu fördern. Wie das Inzest-Tabu beim Menschen dient dies dazu, die schädlichen Folgen der Inzucht zu vermeiden. Eine der faszinierendsten Anpassungen ist die sogenannte Heterostylie (Verschiedengriffligkeit). Sie ist in der Evolution mindestens 20 Mal unabhängig voneinander entstanden. Bei verschiedengriffligen Arten kann man die Individuen in zwei Klassen einteilen. Bei der einen Form ist der weibliche Griffel lang, die männlichen Staubblätter mit dem Pollen sind kurz. Bei der anderen Form ist es umgekehrt. Auf diese Weise sind in beiden Formen die männlichen und weiblichen Geschlechtsorgane räumlich voneinander getrennt. Die Position der männlichen Organe in der einen Form entspricht dabei der Lage der weiblichen Organe in der anderen Form. Durch diese reziproke Anordnung wird die Selbstbestäubung reduziert und die Fremdbestäubung gefördert. Das geschieht, weil bestäubende Insekten den Pollen der zwei Blütenformen an unterschiedlichen Stellen auf ihren Körpern tragen und dadurch vorwiegend auf die weiblichen Organe der jeweils anderen Form übertragen.
Die Bedeutung der Heterostylie wurde von Charles Darwin entdeckt, und er meinte später, keine andere Erkenntnis habe ihm so viel Freude bereitet wie diese. Trotz dieser Vorgeschichte sind auch heute die molekulare Grundlage der Heterostylie sowie ihr evolutionärer Ursprung weitestgehend unbekannt. Man weiß, dass die verschiedenen Merkmale, wie Griffel- und Staubblatt-Länge, durch verschiedene Gene kontrolliert werden. Diese liegen dicht nebeneinander auf demselben Chromosom im Zellkern. Das System ähnelt der Geschlechtsbestimmung bei Säugern. Die kurzgriffligen Pflanzen tragen den betreffenden Chromosomenabschnitt in zwei Formen, entsprechend den XY-Chromosomen bei männlichen Säugern; die langgriffligen Pflanzen aber nur in einer Form, wie die XX-Chromosomen bei Weibchen. Welches jedoch die verantwortlichen Gene sind, ist nach wie vor unbekannt. Dadurch ist es bisher auch unmöglich, den evolutionären Ursprung dieses komplexen Zusammenspiels von Merkmalen nachzuvollziehen.
Um verantwortliche Gene zu identifizieren, verglich das Forscherteam an der Universität Potsdam die aktiven Gene in kurzgriffligen Blüten von Schlüsselblumen mit denen in langgriffligen. Dieser Vergleich führte zu einem Gen, das nur in der kurzgriffligen Form vorhanden ist, wo es spezifisch im Griffel aktiv ist. In der langgriffligen Form fehlt das Gen komplett. In der Säugetier-Analogie entspricht es also einem Gen, das lediglich auf dem Y-Chromosom vorhanden ist. Das Gen kodiert für ein Enzym, welches ein wachstumsförderndes Pflanzenhormon abbaut. Dieses Hormon fördert vor allem die Zellstreckung. Der Unterschied in der Griffellänge beruht auf unterschiedlicher Zellstreckung. Um zu zeigen, dass das Gen tatsächlich für den Unterschied in der Griffellänge verantwortlich ist, untersuchten die Wissenschaftler eine Reihe von Fällen aus Schlüsselblumen, bei denen die Blüten untypischerweise sowohl lange Griffel als auch lange Staubblätter bilden. Wie erwartet, fehlte das Gen in allen diesen Fällen entweder ganz oder war inaktiv. Ebenfalls entsprechend der Erwartung fanden sich in den kurzen Griffeln im Vergleich zu den langen nur geringe Mengen des wachstumsfördernden Pflanzenhormons. Eine Behandlung der kurzgriffligen Blüten mit dem Hormon konnte die Griffellänge auf den Wert der langgriffligen Blüten anheben. Wie man es auch bei Genen beobachtet, die bei Säugern nur auf dem Y-Chromosom vorliegen, verändert sich das Gen aus den Schlüsselblumen im Lauf der Evolution ebenfalls schneller als vergleichbare Gene, die unabhängig von der Heterostylie sind. Diese Untersuchungen zeigen, dass das gefundene Gen einen der Bausteine darstellt, aus denen die Evolution die komplexe Kombination von Blütenanpassungen bei der Heterostylie zusammengesetzt hat.
Dieser Befund öffnet nun zum einen das Tor, um auch die anderen beteiligten Gene zu identifizieren und so die Evolution der Heterostylie nachvollziehen zu können. Zum anderen ist eine Anwendung der Ergebnisse der Heterostylie-Forschung auf dem Gebiet der Hybridzüchtung denkbar. Um den Ertrag von Nutzpflanzen zu steigern, verwendet die moderne Landwirtschaft sogenanntes Hybridsaatgut, das immer wieder durch Kreuzen unterschiedlicher Eltern hergestellt werden muss. Wäre es möglich, auch in Nutzpflanzen zwei Formen wie bei den Schlüsselblumen zu schaffen, die sich nur miteinander, aber nicht untereinander selbst fortpflanzen können, könnte das die Erzeugung von Hybridsaatgut deutlich erleichtern und dadurch direkt der Landwirtschaft zugute kommen.

An den Forschungen waren neben den Potsdamer Forschern auch Arbeitsgruppen der Universität Zürich, des RIKEN Instituts in Yokohama, Japan, der Universität Oxford und des Instituts für Pflanzengenetik und Kulturpflanzenforschung (IPK) in Gatersleben beteiligt.

Kontakt: Prof. Dr. Michael Lenhard, AG Genetik
Telefon: 0331 977-5580
E-Mail:michael.lenharduni-potsdamde
Internet:https://elifesciences.org/content/5/e17956
Foto: Blüte einer kurzgriffligen Pflanze (links), bei der am Mund der Blüte nur die Staubbeutel zu erkennen sind, langgrifflige Blüte (rechts), bei der man die Narbe oben auf dem langen Griffel sieht (Foto: Michael Lenhard)

Medieninformation 06-09-2016 / Nr. 131
Prof. Dr. Michael Lenhard, Dr. Barbara Eckardt

Universität Potsdam
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