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Warum manche Streitgespräche uns zusammenbringen können – Ein Besuch beim Debattierclub „Wortgefechte“

Studierende in einem Seminarraum. Das Foto ist von Rut Gonska.
Photo : Rut Gonska
Bei einer Sitzung des Debattierclubs.

Es ist Montag. Ein kalter Abend im Dezember, Schnee bedeckt die Wege. Draußen ist es schon lange dunkel geworden, der Seminarraum hingegen ist hell erleuchtet. Evelyn tritt an das Rednerpult. Mit souveräner Ruhe beginnt die junge Studentin, ihre Gedanken auszuführen. Sie lässt sich Zeit, setzt bewusste Pausen, hält die Stille aus. Sie wählt ihre nächsten Worte mit Bedacht, jedoch ohne dabei unsicher zu wirken. „Practice what you preach. Wenn wir Kindern beibringen wollen, ehrlich zu sein, sollten wir aufhören zu lügen“, so lautet ihr Statement. Um sie herum sitzen weitere Studierende und hören ihr aufmerksam zu. Einige nicken zustimmend, andere dürften sich innerlich bereit machen, das von ihr Gesagte mit präzisen Gegenargumenten zu zerschlagen. Willkommen im Debattierclub.

Eine Debatte ist ein öffentliches Streitgespräch, bei dem nach festgelegten Regeln diskutiert wird. Genau dafür trifft sich jeden Montag um 18 Uhr der Debattierclub „Wortgefechte“ auf dem Campus Griebnitzsee in Potsdam. Hier beleuchten die Studierenden hauptsächlich Fragen aus Politik, Wirtschaft und der Gesellschaft. Lars engagiert sich im Vorstand, zu Beginn erläutert er für alle das heutige Vorgehen. Hauptsächlich nehmen Studierende der Universität Potsdam teil, doch auch Externe sind gern gesehen. Insgesamt sind die Mitglieder des Clubs mit einer Altersspanne von 16 bis 35 Jahren jedoch bunt gemischt.

Nach dem anfänglichen theoretischen Input werden die Teilnehmenden in Gruppen eingeteilt, sie dürfen sich ihre eigene Redeposition jedoch nicht aussuchen. Die „Regierung“ vertritt die Pro-Seite, die „Opposition“ argumentiert dagegen. In dem gewählten Debattenformat wird es eine Spezialität geben, die „fraktionsfreien Redner“. Diese werden sich später in ihrer Rede auf einer von ihnen gewählten Seite positionieren. Eine Jury soll die Debattierenden am Ende in verschiedenen Kategorien bewerten. Lars wird für die Opposition antreten. Ole, der ebenfalls im Vorstand mitwirkt, unterstützt die Jury. Nun soll über das heutige Thema abgestimmt werden. Dieses Mal wird passend zur Jahreszeit ausgewählt: Sollten Eltern ihren Kindern den Glauben an den Weihnachtsmann vermitteln?

Plötzlich herrscht Aufbruchsstimmung, die Regierung und die Opposition begeben sich jeweils in einen anderen Raum. Jede Gruppe bereitet strategisch Argumente vor, die den eigenen Standpunkt untermauern sollen. Die fraktionsfreien Redner sitzen am Tisch und machen sich Notizen. Nach 15 Minuten verbreitet sich Stimmengewusel im Raum, denn Regierung und Opposition kehren aus ihrer Vorbereitung zurück. Es ist also so weit, die Regierung eröffnet das Gespräch. Doch geht es dabei nicht so hart zu, wie man vielleicht meinen könnte. Letzten Endes sollen auch während der ernsten Diskussionen alle Spaß haben und sie möchten eine freundschaftliche Atmosphäre kreieren. Das finde sich auch generell in der Debattier-Community wieder. Lars und Ole berichten euphorisch von Wettbewerben, zu denen Menschen aus ganz Deutschland zusammenkommen.

So wie die Gesellschaft befindet sich auch das Debattieren im Wandel. Die Themen, die heute Relevanz haben, sind andere als noch vor zehn Jahren. Mittlerweile wird der Blick vermehrt auf gesellschaftspolitische Fragen gerichtet. Ein Beispiel wäre hier die Entwicklung der PoC-Community. Oder die gleichberechtigte berufliche Teilhabe von Frauen und Männern. Lars erwähnt, dass man sich auch im Club mehr Vielfalt wünsche: „Wir haben glücklicherweise inzwischen mehr Frauen bei uns. Früher waren sie in der Debattierszene etwas unterrepräsentiert. Mittlerweile sind wir da auf dem richtigen Weg, auch wenn es leider noch zu wenige sind.“ Auch in der Zukunft wird es immer wieder neue Entwicklungen geben, die besprochen werden wollen. Hierin sieht Ole einen wesentlichen Punkt: „Wer in der Zukunft seine eigenen Gedanken nicht schlüssig darlegen und vertreten kann, der wird es wahrscheinlich schwer haben. Deswegen denken wir, dass das Debattieren auch weiterhin relevant sein wird.“ Er erklärt, dass es generell nicht darum gehe, sich mit Worten zu bekämpfen. Vielmehr darum, sich zwei Sichtweisen einer Thematik anzusehen. Das kann eine gute Möglichkeit sein, sich selbst kritisch zu hinterfragen. Insbesondere bei gesellschaftlich kontroversen Themen. Warum vertrete ich eigentlich eine bestimmte Meinung? Was könnte für einen anderen Standpunkt sprechen? Hierbei eröffnen sich neue Perspektiven und das Potenzial für Menschen, aufeinander zuzugehen.

Nach etwa eineinhalb Stunden ist die heutige Debatte beendet. Die Jury bittet alle Teilnehmenden, den Raum zu verlassen. Sie ziehen sich zur Bewertung zurück, durch die Ole gezielt hindurchleitet. Man geht wertschätzend und freundlich mit den einzelnen Rednerinnen und Redner um, spart aber auch nicht mit Ehrlichkeit und klaren Worten. Heute war die Opposition überzeugender. Am Ende werden alle mit Wohlwollen bewertet, schließlich ist bald Weihnachten.

Zum Debattierclub

Die Autorin Jessica Unger studiert an der Universität Potsdam.
Der Text entstand in dem Seminar „Schreiben über die Zukunft – Texten für Journalismus und PR“, das von Luisa Agrofylax und Dr. Jana Scholz in Studiumplus angeboten wurde. Weitere Artikel von Studierenden finden Sie rechts oben über die graue Menüleiste.