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Schlauer als Goethe – Das Superhirn Hermann von Helmholtz ins 21. Jahrhundert übersetzen

Hermann von Helmholtz
Photo : Wikimedia/W.J.S. Wellcome
Hermann von Helmholtz

Der in Potsdam geborene Hermann von Helmholtz ist der Underdog unter den Superhirnen. Während sowohl Namen als auch Taten von Alexander von Humboldt oder Charles Darwin weithin bekannt sind, ziehen viele beim Namen „Helmholtz“ fragend die Stirn in Falten. Anlässlich seines 200. Geburtstages zeigte die Universität Potsdam in ihrer Helmholtz-PhänoMINTa-Ausstellung nicht nur, wofür Helmholtz zu Recht Ruhm erlangt hat, sondern auch, warum er der Universität im 21. Jahrhundert immer noch ein Vorbild ist.

Als Johann Wolfgang von Goethe stirbt, ist Hermann von Helmholtz gerade einmal elf Jahre alt. Doch schon in diesem Alter fühlt sich der geborene Potsdamer zu den Naturwissenschaften hingezogen. In einer Zeit der unvorstellbar rasanten wissenschaftlichen Entwicklung avanciert Helmholtz zu einem der gefragtesten Universalgenies seiner Zeit. 1821 in Potsdam geboren, treibt er die Forschung und den Fortschritt in fast allen Gebieten der Wissenschaft voran: Helmholtz ist Wissenschaftstheoretiker, Arzt, Physiker, Musiktheoretiker, Experte für Ästhetik, Philosoph und Mathematiker und damit unzweifelhaft einer der vielseitigsten Wissenschaftler seiner Zeit.

Zwischen damals und heute liegen nicht nur 200 Jahre, sondern auch kaum wegzudenkende Erfindungen und grundlegende Erkenntnisse von Helmholtz, die für uns heute völlig alltäglich geworden sind. Die Helmholtz-PhänoMINTa, die vom 23. Juli bis 2. September 2021 in der Potsdamer Wissenschaftsetage zu sehen war, widmete sich insbesondere der Vielseitigkeit eines Menschen, der überall und zu jeder Zeit wissenschaftliche Geistesblitze hatte, die er in ein schwarzes Büchlein schrieb, das er stets bei sich trug.

So erfindet der Arzt Helmholtz den Augenspiegel, mit dem es erstmals möglich wird, Fehlsichtigkeit und Augenleiden zu korrigieren. Der erst 26-jährige Physiker Helmholtz schreibt Geschichte, indem er den Energieerhaltungssatz formuliert und damit eine der wichtigsten Grundlagen für das Verständnis vieler naturwissenschaftlicher Prozesse schafft. Nun wird die Scientific Community erstmals auf Helmholtz aufmerksam und der 78-jährige Alexander von Humboldt schaltet sich ein, um dafür zu sorgen, dass das offenkundige Genie frühzeitig aus dem Militärdienst entlassen wird. Helmholtz’ Ruf als begnadeter Forscher verbreitetet sich rasant. Als er im Januar 1883 das Adelsprädikat annimmt, ist er seit Generationen der Erste, der das „von“ für seine wissenschaftlichen und nicht für seine politischen oder militärischen Leistungen erhält.

Helmholtz verehrt Johann Wolfgang Goethe für dessen Dichtkunst – für Goethes naturwissenschaftliche Abhandlungen kann er sich allerdings überhaupt nicht erwärmen. Die Hauptthese von Goethes Farbenlehre hält Helmholtz für schlichtweg falsch und stellt ihr seine eigene Farbentheorie entgegen, mit der er letztlich Recht behalten wird. Das Interesse für Wellen, Wind und Wirbel im Urlaub am Strand oder beim Bergsteigen macht Helmholtz zum Vater der heutigen Meteorologie. Als Gründerfigur gilt er auch den Neurologen, da er nicht nur die Nervenzellen erforscht, sondern auch den bis dahin geltenden Glauben entkräftet, dass unsere Nerven Reize mit einer Art Lichtgeschwindigkeit durchleiten. Der leidenschaftliche Pianist Helmholtz analysiert das menschliche Hören, erfindet ganz nebenbei den ersten Synthesizer und inspiriert William Steinway zur besonderen Bauart des Steinway-Flügels.

Als Wissenschaftstheoretiker mahnt Helmholtz, dem einsetzenden Auseinanderdriften der Wissenschaftsdisziplinen Einhalt zu gebieten. Er selbst arbeitet stets interdisziplinär und besitzt die ganz besondere Fähigkeit, Methoden und Gesetzmäßigkeiten aus verschiedenen wissenschaftlichen Disziplinen zu kombinieren und daraus Gesetze abzuleiten.

Helmholtz’ Methode, die Wahrheit sprichwörtlich „zwischen den Disziplinen“ zu suchen, ist der Universität Potsdam Ideal und Vorbild für die Einrichtung einer Helmholtz-Denkfabrik mit dem Ziel, den Schulunterricht in Mathematik, Informatik, Naturwissenschaft und Technik (MINT-Fächer) künftig interessanter und praxisbezogener zu gestalten. In der Denkfabrik arbeiten bis zu 20 Studierende aus verschiedenen Fächern mindestens ein Jahr lang an Experimentier-Miniaturen, sogenannten Helmholtz-Koffern, die in den Schülerlaboren der Uni erprobt und mit den Fachwissenschaften ausgewertet werden. Das, was gut funktioniert, kann dann in die Lehramtsausbildung integriert und den Schulen als Unterrichtsmaterialien zur Verfügung gestellt werden. Gefördert wird die Denkfabrik innerhalb des Deutschlandstipendienprogramms, das zur einen Hälfte vom Bund finanziert und zur anderen Hälfte von Stiftungen oder Unternehmen getragen wird. Für das Projekt sucht die Universität Potsdam fortlaufend nach Stiftern.

Helmholtz schwebte Zeit seines Lebens eine Ausbildungsstätte vor, in der die besten Forscherinnen und Forscher mit Leidenschaft ihre Studierenden ausbilden und in ihnen Begeisterung für wissenschaftliches Arbeiten wecken. Während die Helmholtz-PhänoMINTa darauf aufmerksam gemacht hat, dass die heutige Wissenschaft in vielen Disziplinen auf dem hohen Berg von Helmholtz’ Errungenschaften steht, möchte die Universität Potsdam mit der Denkfabrik die „Helmholtz- Methode“ ins 21. Jahrhundert übersetzen.

Die Ausstellung PhänoMINTa ist noch bis Ende 2021 am Potsdamer Helmholtz-Gymnasium zu sehen. Anmeldung unter:schulleitunghelmholtzschulede

Weitere Informationen: www.uni-potsdam.de/helmholtz200

 

Dieser Text erschien im Universitätsmagazin Portal - Zwei 2021 „Familie und Beruf“ (PDF).

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Sabine Schwarz