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Wie viel Offenheit braucht Wissenschaft? – Von den Verlockungen der Open Science und ihren Grenzen

Von offenen Daten bis zu Open Access - offene Wissenschaft hat viele Facetten. Foto: Fotolia/amiak.
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Von offenen Daten bis zu Open Access - offene Wissenschaft hat viele Facetten. Foto: Fotolia/amiak.

Freier Zugang zu Forschungsergebnissen, -daten und -methoden? Transparenz von der Frage bis zur Lösung? Die Idee einer „Open Science“ macht Schlagzeilen, vor allem im Schlepptau der Digitalisierung. Denn aktuelle technische Innovationen bieten nicht nur neue Möglichkeiten für die Forschung, sondern auch dafür, diese offener zu präsentieren – und zwar vom Datensatz bis zum Paper. Aber sollte auch alles gemacht werden, was technisch möglich ist? Matthias Zimmermann sprach mit Forschenden an der Uni Potsdam darüber, was sie von den verschiedenen Facetten der Open Science halten und in welcher Form sie diese schon heute betreiben.

Was sie von offener Wissenschaft halte? „Viel!“ Wenn es um Open Science geht, greift Caroline Fischer auch schon mal zum Ausrufezeichen: „Sonst ist die Qualität von Forschung nicht überprüfbar.“ Die junge Verwaltungswissenschaftlerin promoviert am Lehrstuhl für Public und Nonprofit Management der Universität Potsdam und engagiert sich dafür, Forschung transparenter zu machen. So war sie ein Jahr Fellow im Programm „Freies Wissen“ und hat eine Veranstaltung für Promovierende initiiert, um darüber ins Gespräch zu kommen. Vor allem aber will sie mit gutem Beispiel vorangehen: „Ich versuche viel offen zu publizieren, teilweise als Zweitveröffentlichung über den Univerlag oder als Pre-print. Ich werde den Datensatz, mit dem ich im Rahmen meiner Dissertation arbeite, veröffentlichen und plane für den zweiten Teil der Arbeit eine Präregistrierung beim Open Science Framework.“

Transparenz ist schon immer ein Kriterium guter Wissenschaft

Mit ihrer Begeisterung ist die Nachwuchsforscherin an der Uni Potsdam nicht allein. Der Linguist Prof. Dr. Shravan Vasishth bezeichnet Open Science als „die einzige Art und Weise Wissenschaft zu betreiben“. Der Germanist Prof. Dr. Peer Trilcke nennt die Idee, „Forschung transparenter und frei zugänglich“ zu machen, eine „gute, ja in gewisser Hinsicht zwingende“. In Teilen ist dieser Anspruch freilich immer schon Teil von Wissenschaft. So betont der Biologe Prof. Dr. Michael Hofreiter: „Wissenschaft ist eigentlich immer offen, denn jeder Wissenschaftler hat Interesse daran, dass seine Ideen gelesen, geteilt und diskutiert werden.“ Vor diesem Hintergrund findet er den Begriff der Open Science derzeit „ein bisschen gehyped“. Auch der Soziologe Prof. Dr. Ulrich Kohler meint, „intersubjektive Nachvollziehbarkeit ist ein zentrales Qualitätskriterium von Wissenschaft“ – immer schon. Neu seien die in Zeiten des Internets erweiterten Möglichkeiten zu deren Verbesserung. Und von diesen sollte man „guten Gebrauch machen“.

Offen – und öffentlich

Das ist indes keineswegs ein Selbstläufer. Zwar liegen viele Vorteile offener Wissenschaft auf der Hand: Forschung wird durch eine umfassende Präsentation zugänglich und damit grundsätzlich nachvollziehbar, ja replizierbar. Das stärkt nicht nur das Vertrauen in Wissenschaft – innerhalb der akademischen Community, aber auch darüber hinaus. Beispielsweise betont Peer Trilcke, der zugleich Leiter des Theodor-Fontane-Archivs ist, die verbesserte „Chance, Wissenschaft stärker in die Gesellschaft zu tragen“. „Das ist ein gutes Mittel gegen Wissenschaftsskepsis, weil die Forschung so aus dem stillen Kämmerlein rauskommt“, sagt auch Caroline Fischer. Eine leichtere, vor allem aber kostenlose Verfügbarkeit von Ergebnissen und Daten komme zudem wiederum der Forschung zugute: So sei offene Wissenschaft effizienter, denn derzeit würden viele Daten noch doppelt erhoben. Zudem würde „innovative Forschung möglich, wenn offene Daten neu kombiniert werden können“.

Wenn Wissenschaft zum Business wird

Gleichzeitig warnen Forscher wie Peer Trilcke vor möglichen „Schattenseiten einer offenen Wissenschaft: Es gibt Möglichkeiten, die Wissenschaft durch die Verpflichtung auf Offenheit ökonomisch zu instrumentalisieren, was am Ende zum Nachteil gereichen könnte.“ Ein Problem, das schon jetzt dort besteht, wo große Wissenschaftsverlage versuchen, ihre teils überzogenen Margen in ein zukünftiges Open-Science-Umfeld hinüberzuretten: Wer in Top-Journalen und offen zugleich publizieren will, muss sein Paper „freikaufen“. Nicht alle können sich dies leisten. Michael Hofreiter sieht deshalb einen „zusätzlichen Wettbewerbsvorteil reicherer Arbeitsgruppen“. Für den Biologen ein Modell ohne Zukunft: „Das aktuelle Open-Access-System mit Gebühren bis 5.000 Dollar pro Veröffentlichung wird meiner Meinung nach nicht auf Dauer funktionieren.“
Ein weiteres missbräuchliches Geschäftsmodell ist das sogenannte Predatory Publishing: Über Jahre hinweg hat sich der in vielen Disziplinen etablierte Weg zur Veröffentlichung von Forschungsergebnissen als Instrument der Qualitätssicherung erwiesen. Wenn aufwendige Peer Reviews nur vorgetäuscht werden und tatsächlich alles veröffentlicht wird, ist zwangsläufig nicht nur Gutes darunter. Die Folge ist, dass „Artikel, die in hochwertigen Journals aufgrund mangelnder Qualität nicht publiziert werden, ihren Weg in minderwertige Open-Access-Publikationen finden und damit möglicherweise trotz der schlechten Qualität genutzt werden“, so Caroline Fischer.

Karrierebremse für wissenschaftlichen Nachwuchs?

Doch die junge Verwaltungswissenschaftlerin hat noch ein anderes Problem: Gerade für Nachwuchsforschende bringt der Wissenschaftsbetrieb Hürden mit sich, die es ihnen erschweren, Open Science zu betreiben, ohne Abstriche beim Erklimmen der Karriereleiter machen zu müssen. „Beispielweise ist es für mein weiteres Vorankommen wichtig, dass ich meine Artikel möglichst hochrangig publiziere, was ich dann in der Regel nicht offen tun kann“, sagt Caroline Fischer. Wer seine Forschung fortwährend transparent machen will, muss zudem noch immer mehr Aufwand betreiben. „Wenn ich meine Daten veröffentlichen will und diese deshalb ordentlich aufbereiten muss, kostet mich das Zeit und ich habe möglicherweise weniger Publikationsoutput“, so Fischer. Zeit, die gerade der akademische Nachwuchs meist nicht hat. Dass sich Fischer dennoch so vehement für Open Science einsetzt, liegt daran, dass sie von ihr überzeugt ist: „Offene Wissenschaft ist eigentlich einfach nur gute Wissenschaft – wenn sie inhaltlich relevant und handwerklich solide gemacht ist.“ Und das dann auch zeigt.

Open Science an der Uni Potsdam – ein weites Feld

Viele Forscherinnen und Forscher der Universität Potsdam tun dies bereits – auf verschiedene Art und Weise. Oft zeigt sich daran, wie stark Ideen, die Open Science ausmachen, in ihrer Disziplin bereits selbstverständlich und in Praxis übergegangen sind. Michael Hofreiter etwa betont, er sei mit der Idee offener Wissenschaft aufgewachsen. „In meinem Fachgebiet, der Genetik, ist es so, dass Sequenzdatensätze prinzipiell mit der ersten veröffentlichten Analyse in eine öffentliche Datenbank gestellt werden. Gleichwohl habe ich ein gewisses Verständnis, wenn Wissenschaftler gerne noch etwas länger ‚exklusiven‘ Zugang zu ihren Daten hätten, gerade wenn es viel Zeit und Ressourcen gekostet hat, einen Datensatz fertigzustellen.“ Auch Open-Access-Veröffentlichungen seien üblich – „soweit wir uns das leisten können“. Ulrich Kohler gibt mit „Survey Research Methods“ selbst eine Open-Access-Zeitschrift heraus und stellt Replikationsmaterialen und eigene erhobene Daten online zur Verfügung. Der Linguist Sharvan Vasishth veröffentlicht gar alle seine Forschungsarbeiten beim Open Science Framework, inklusive Daten, verwendeten Analyse-Skripten und Zeitschriftenartikeln. Peer Trilcke betont die Bedeutung der Open Science für das Feld der Digital Humanities (DH), in dem er sich gegenwärtig verstärkt engagiert. Anfang Oktober gründete er gemeinsam mit der Medienwissenschaftlerin Prof. Dr. Birgit Schneider an der Universität Potsdam ein Netzwerk für Digitale Geisteswissenschaften. Schon jetzt seien etwa die Korpora und Analysetools eines DH-Projektes zur Untersuchung von literarischen Dramen frei verfügbar. Und das im von ihm geleiteten Theodor-Fontane-Archiv enthaltene kulturelle Erbe soll langfristig vollständig digital erschlossen und zugänglich gemacht werden.

Engagierte Partner – UB und ZIM

Unterstützung finden die Forschenden beispielsweise in der Universitätsbibliothek (UB) und dem Zentrum für Informationstechnologie und Medienmanagement (ZIM). Nicht immer einfach angesichts der mitunter sehr fachspezifischen Vorhaben und Probleme, die dabei auftreten, wie Niklas Hartmann berichtet, der in der UB unter anderem für Forschungsdatenmanagement zuständig ist. „Wenn Leute Open Science sagen, meinen sie häufig verschiedene Sachen, die sich zwar oft überlappen, aber unterschiedliche Schwerpunkte haben.“ Bereits seit Jahren überaus aktiv ist der Universitätsverlag in Sachen Open Access und bietet den Forschenden kostenfreie Möglichkeiten, ihre Ergebnisse zu veröffentlichen. Seit 2015 gibt es außerdem einen DFG-geförderten Fonds, aus dem Open-Access-Publikationen mit Kosten bis zu 2.000 Euro in qualitätsgesicherten Zeitschriften finanziert werden können. „Allen, die eine extra Motivation brauchen, um frei zu publizieren, können wir sagen: Open-Access-Publikationen werden nachweislich häufiger und auch langfristiger rezipiert. Der Effekt ist noch größer, wenn Daten mitpubliziert werden.“ Zur Publikation von Forschungsdaten berät das Forschungsdaten-Team von UB und ZIM bereits. Bald sollen auch zentrale Lösungen fürs Forschungsdatenmanagement zur Verfügung stehen.

Offene Wissenschaft im Studium verankern

Für einen Blick in die Zukunft ist keine Glaskugel nötig. Es ist durchaus davon auszugehen, dass Forschung künftig noch transparenter wird, immerhin machen schon jetzt viele Drittmittelgeber wie die DFG und das BMBF dies zur Bedingung einer Förderung. Zugleich entstehen im Zuge der Digitalisierung immer mehr Instrumente, die den Aufwand für offene Wissenschaft zu stark reduzieren – und den Anreiz, sie zu betreiben, erhöhen. Caroline Fischer wünscht sich, dass Studierende methodisch an eine offene Wissenschaftspraxis herangeführt würden. So werde es für den Nachwuchs einfacher – und ganz selbstverständlich – offen zu arbeiten.

Interviews zu offener Wissenschaft mit …
Caroline Fischer
Prof. Dr. Michael Hofreiter
Prof. Dr. Ulrich Kohler
Prof. Dr. Per Trilcke
Prof. Dr. Shravan Vasishth

Text: Matthias Zimmermann
Online gestellt: Matthias Zimmermann
Kontakt zur Online-Redaktion: onlineredaktionuni-potsdamde