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Die neue Blüte des kleinen Grüns. Analyse des aktuellen Schrebergartenbooms in deutschen Großstädten

Schrebergarten
Foto: Wikimedia Commons
Schrebergarten

Kleingärten galten jahrzehntelang mit Gartenzwergen, exakt getrimmten Rasenflächen und strikten Vereinsregeln als Inbegriff der deutschen Spießigkeit. Doch seit einigen Jahren wandelt sich dieses Bild und das Kleingartenwesen erfreut sich vor allem bei jungen Großstädtern einer immer größer werdenden Beliebtheit (vgl. Kimmerle 2011: o. S.). Die Frankfurter Allgemeine gibt in einem Artikel die Situation wie folgt wieder: „Schrebergärten-Vereine sind nicht mehr das, was sie mal waren. Eine neue Generation hat die Vorstände erobert. Seitdem weht ein Hauch von Anarchie durch die Gartenkolonien.“ (Obertreis 2018: o. S.) Die heutigen Pächter entfernen sich demnach von dem ursprünglichen Image und rufen stattdessen den Kleingarten als Trend aus (vgl. Gräber 2017: o. S.). Doch wie lässt sich dieser Boom und der damit einhergehende Wandel erklären und welche Motivation beziehungsweise Nutzen der Großstädter steckt hinter der Pacht einer Parzelle? 

 

Leben der Großstädter und die Sehnsucht nach dem Land

Negative Aspekte des urbanen Lebens der Gegenwart

Um ein Verständnis für die aktuelle Situation der Großstädter zu erlangen, sollen zunächst grundlegende und thematisch geeignete theoretische Konstrukte der Urbanität genauer betrachtet werden. Georg Simmel gilt mit seiner Publikation „Die Großstädte und das Geistesleben“ als einer der frühen Theoretiker von Urbanität (vgl. Helbrecht 2013: 168). Grundlegend ist hier zunächst die klare Abgrenzung der Begriffe von Urbanität und Ruralität (vgl. Simmel 2006: 9f.). Simmel bezieht sich in seinem Werk auf den „Typus des Großstädters“ (ebd.: 11), der durch die sich ständig wandelnde Metropole, die mit Konkurrenzkampf und reizüberflutenden Sinneseindrücken eine ständige Bereitschaft herausfordert, eine gewisse Art von „Blasiertheit“ (ebd.: 19) entwickelt (vgl. ebd.: 9, 14, 19, 35). Durch den Verstand gesteuert und mit einer nüchternen Grundhaltung ist der Mensch gegen die allgegenwärtige Komplexität gewappnet, vermindert sich jedoch auch dadurch soziale Kontakte innerhalb der anonymen Masse (vgl. ebd.: 11, 19f., 23). Trotzdem kann der Großstädter hier eine Art der individuellen Entfaltung erlangen, die sich in anderen Räumen hätte nicht entwickeln können (vgl. ebd.: 25f.)

Der in der Chicagoer Schule verankerte Louis Wirth führte in seinem Artikel „Urbanism as a Way of Life“ die gedanklichen Überlegungen von Simmel weiter und verdeutlichte, dass durch die Faktoren der Stadt- und Landflucht eine Durchmischung von Wertevorstellungen erfolgen würde, die die Deckungsgleichheit von Raum und Kultur verhindert (vgl. Wirth 1938: 3). Das bedeutet, dass ein Großstädter sich sehr wohl ländlichen Idealen verpflichtet fühlen kann und umgekehrt. Weiterhin führt er an, dass eine Stadt durch die drei Merkmale Größe, Dichte und Heterogenität definiert werden kann, die in einem Zusammenspiel das urbane Gefüge entstehen lassen (vgl. Wirth 1938: 10). Gleichzeitig gibt er Aspekte dieser Charakteristika an, die sich negativ auf den Bewohner auswirken. Demzufolge führt das urbane Leben zu einem Zerfall zwischenmenschlicher Beziehungen mit einer gleichhergehenden Vergrößerung der sozialen Distanz (vgl. ebd.: 11).

Auch im Hinblick auf die heutige Situation der Großstädter lassen sich die genannten Aspekte wiederentdecken. Seit dem Jahr 2007 leben auf der Erde mehr Menschen in Städten als auf dem Land (vgl. Müller 2012: 22). Auch in Deutschland verdeutlicht sich diese Situation: 58 Prozent der Bevölkerung leben in einer Mittel- oder Großstadt (vgl. Bangel et al. 2017: o. S.). Viele Aspekte sprechen für das Leben im urbanen Raum: bessere Perspektiven im Beruf und in der Ausbildung, eine umfassendere Gesundheitsversorgung und ein vielfältiges Angebot im Kulturbereich sind hier nur als Beispiele aufzuführen. Obgleich dessen sinkt die Lebensqualität für viele Menschen durch die zunehmende Urbanisierung. Aufbauend auf den vorherigen theoretischen Betrachtungen von Simmel und Wirth, lassen auch aktuelle Studien diese Tendenz erkennen. Neben Untersuchungen zur körperlichen Verfassung der Großstadtbewohner, die zum Beispiel ein höheres Risiko für Allergien im Vergleich zu den Menschen vom Land verdeutlichen, lassen sich in Studien vor allem Auswirkungen auf die Psyche der Großstädter ausmachen (vgl. Langen et al. 2013: 700). Die Forschungen von Michael A. Rapp et al. zeigen so beispielsweise auf, dass die innerhalb der anonymen Masse entstehende soziale Isolation und auch der städtebezogene Verkehrslärm die innere Unruhe mancher Menschen so weit ansteigen lassen, dass sie einem deutlich höheren Risiko für psychische Erkrankungen wie Depressionen und Angststörungen ausgesetzt sind (vgl. Rapp et al. 2015: 8).

Ein weiterer Umstand, der eng mit dem Großstadtleben verwoben ist, verdeutlicht sich in der Digitalisierung der Arbeits- und Alltagswelt. Zwar ermöglichten die technischen Erzeugnisse eindeutige Vorteile für den Menschen, jedoch sorgen sie auch für zusätzliche Stressfaktoren, da hierdurch zum Beispiel das Gleichgewicht zwischen Arbeit und Freizeit gestört wird (vgl. Dettmers 2017: 167). Vor allem die ständige Erreichbarkeit wird als negativ empfunden, da durch sie neben einem möglichen Mehraufwand auch zusätzlicher Druck durch die Erwartungshaltung entwickelt werden kann (vgl. ebd.: 168). Die Möglichkeit der Kontrolle durch Vorgesetzte kann weiterhin den Leistungsdruck steigen lassen, was noch mehr Stress des Arbeitnehmers erzeugt (vgl. DGB-Index Gute Arbeit 2016: 13). Gleichzeitig erleben viele die Selbstbestimmung ihrer Freizeitaktivitäten als nicht gegeben und sind nicht mehr in der Lage, durch eine effektive Erholung einen Gegenpol zum Arbeitsalltag zu schaffen (vgl. Dettmers 2017: 168). Im Zusammenklang mit den zuvor erläuterten Faktoren des urbanen Lebens und der zusätzlichen Belastung durch negative Aspekte der Digitalisierung entsteht zu Teilen das Bild von rastlosen und gestressten Großstädtern, die auf der dringenden Suche nach einem Ruhepol in ihrem Alltag sind.

Annäherung an den Begriff der „Neuen Ländlichkeit“

Der Begriff der Ländlichkeit beziehungsweise der Ruralität bildet sich durch die Negativdefinition der Urbanität: sie ist überall dort anzutreffen, wo sich keine Stadt befindet (vgl. Helbrecht 2013: 169). Sie kann in einem Zusammenhang mit Landwirtschaft stehen, darf aber nicht mit eben dieser gleichgesetzt werden (vgl. Cloke 2006: 20). Den Gedanken Wirths aufgreifend können Menschen, die in einer Stadt leben und demnach auch dort räumlich eingebunden sind, sich trotz dessen eher dem Land verbunden fühlen. Dieser Umstand wird in der Literatur auch als „Ruralisierung der Stadt“ (Helbrecht 2013: 175) beschrieben.

Es ist folglich nicht verwunderlich, dass aufbauend auf der negativen Situation der technisierten Großstadt immer mehr Menschen die Stadt als solche überdenken und eine Sehnsucht zu einem einfachen Landleben mit und in der Natur entwickeln. Großstädter sind „[…] auf der Suche nach Entschleunigung, authentischen Erfahrungen, echter Natur, Nahraumerfahrungen und Gemeinschaft.“ (Neu 2016: 4), wobei die Stadt stets der Angelpunkt des Lebens bleibt und die Bewegung nicht mit einer Antiurbanität an sich gleichgesetzt werden kann (vgl. ebd.: 5). Das Verlangen verdeutlicht sich in der Gegenwart in einer komplexen Vielzahl unterschiedlicher Trends. Regionales und saisonales Obst und Gemüse im Biomarkt, thematische Zeitschriften wie die „Landlust“ oder „Flow“ und nachhaltige Initiativen wie die der Zero-Waste-Bewegung verdeutlichen ein Umdenken. Sie alle lassen sich mit dem Begriff der „Neuen Ländlichkeit“ zusammenfassen und miteinander verbinden. Anders als das tatsächliche Landleben wird hier jedoch eine idealisierte Vorstellung dessen propagiert, die mit der eigentlichen Realität nicht unbedingt übereinstimmt (vgl. ebd.: 4).

Auch die empirische Trendforschung befasste sich mit der „Neuen Ländlichkeit“. Silke Borgstedt erkannte in ihrer Publikation drei soziokulturelle Strömungen, die die Bewegung überdies bedingen (vgl. Borgstedt 2012: 119). Das sogenannte Re-Grounding beschreibt zunächst die Gegebenheit, dass sich Menschen durch die Vielzahl an komplexen Wahlmöglichkeiten im Alltag zunehmend belastet fühlen und sich ein stabileres und planbares Umfeld wünschen (vgl. ebd.). Bewusst widmet sich der Mensch innerhalb des Prozesses Bereichen, die er selbst gestalten und somit beeinflussen kann (vgl. ebd.: 120). Die organischen und kontinuierlichen Kreisläufe der Natur vermitteln weiterhin die dem Menschen fehlende Stabilität und werden so zu einem neuen Anziehungspunkt (vgl. ebd.). Zugleich wünscht sich der Mensch innerhalb dessen eine Autonomie (vgl. ebd.: 121). Durch freie Handlungsmöglichkeiten können, unbeschränkt von der Bevormundung durch Digitalisierung und gesellschaftlichen Strukturen, eigene Fertigkeiten und Kompetenzen erprobt werden (vgl. ebd.: 122). Sinnlichkeit und Vielfalt kann weiterhin im Hinblick auf die Natur als Gegenreaktion des Menschen auf die zunehmende Rationalisierung und Entfremdung verstanden werden (vgl. ebd.: 123). Alltäglichkeiten sollen unter Einbindung aller Sinne zu „sinnlich-genussvollen Ritualen“ (ebd.) heraufsteigen (vgl. ebd.).

 Die „Neue Ländlichkeit“ kann durch die Großstädter auf sehr unterschiedliche Arten umgesetzt werden. Diese reichen vom bloßen Durchblättern von thematischen Zeitschriften bis hin zum eigentlichen Umzug aufs Land. Eine geeignete Möglichkeit gleich mehrere Trends miteinander zu verbinden, bietet ein Garten. Dieser kann als wichtiger Bestandteil unserer Kultur verstanden werden, denn das lateinische Wort cultivare selbst bedeutet in etwa so viel wie das Land bestellen (vgl. Rasper 2012: 35). Auch umgangssprachliche Begrifflichkeiten wie „ein Talent brachliegen lassen“ oder „die Zuversicht keimt“ verdeutlichen die tiefe Verankerung in unserem kollektiven Gedächtnis (vgl. ebd.). Im Rahmen der „Neuen Ländlichkeit“ gewinnt der Garten nochmals an Bedeutung. „Der Garten ist der letzte Luxus unserer Tage, denn er fordert das, was in unserer Gesellschaft am kostbarsten geworden ist: Zeit, Zuwendung und Raum.“ (Kienast 1990: 50), gab der Landschaftsarchitekt Dieter Kienast bereits im Jahr 1990 an. Mit der derzeitigen Bewegung der „Neuen Ländlichkeit“ kann diese Aussage in einem noch stärkeren Maß aufgefasst werden.

Doch wie lässt sich ein Garten im Rahmen der „Neuen Ländlichkeit" in das hektische Leben der Großstadt integrieren? Das aus den USA stammende Konzept des Urban Gardening bietet hier die Lösung. Die „ertragsorientierte gärtnerische Erschließung und Nutzung von innerstädtischen Flächen (als alternative Wirtschaftsform)“ (Dudenredaktion o. J.: o. S.) wie der Begriff im Duden umschrieben wird, findet bei vielen Großstädtern Gefallen und verbreitet sich seit Beginn des 21. Jahrhunderts auch im deutschsprachigen Raum (vgl. Müller 2012: 22). Innerhalb dieser Bewegung sind eine Vielzahl neuer und bereits bestehender Gartenformen in der Stadt vereint (vgl. Rasper 2012: 24-26). Neben den sich erst seit kurzer Zeit bei uns etablierenden Formen wie Gemeinschafts- und Selbsterntegärten erlebt auch der zuvor als spießig verschriene Schrebergarten in diesem Zusammenhang sein Revival (vgl. ebd.: 24f.; vgl. Gräber 2017: o. S.). Eine Analyse des gegenwärtigen Andrangs auf die Kleingartenkolonien in Großstädten soll im Folgenden nach Klärung der grundlegenden Begrifflichkeit und Darlegung der historischen Entwicklung durchgeführt werden.

Analyse des Schrebergartenbooms

Definition eines Kleingartens

Die genaue Definition eines Kleingartens, umgangssprachlich auch Schrebergarten genannt, ist im Bundeskleingartengesetz (BKleingG) festgelegt. Laut diesem handelt es sich um einen durchschnittlich 370 Quadratmeter großen Pachtgarten, der „[…] dem Nutzer (Kleingärtner) zur nichterwerbsmäßigen gärtnerischen Nutzung, insbesondere zur Gewinnung von Gartenbauerzeugnissen für den Eigenbedarf, und zur Erholung dient […]“ (BKleingG §1 Abs. 1 Satz 1). Eine Kleintierhaltung ist bis auf wenige Ausnahmen, die die anderen Kleingärtner nicht beeinträchtigen, vollständig untersagt (vgl. ebd. §20a Abs. 7). Innerhalb des Gartens steht dem Nutzer zusätzlich eine einfache Laube zur Verfügung, die jedoch nicht als dauerhafter Wohnsitz gebraucht werden darf (vgl. ebd. §3 Abs. 2). Auch die maximale Fläche wird im Gesetz vorgelegt: während ein Garten die Größe von 400 Quadratmetern nicht überschreiten sollte, darf eine Laube nur maximal 24 Quadratmeter groß sein (vgl. ebd. §3 Abs. 1; vgl. ebd. §3 Abs. 2). Ein Kleingarten muss sich des Weiteren innerhalb einer Kleingartenanlage, auch Kolonie genannt, befinden, in der neben anderen Einzelgärten auch gemeinschaftlich genutzte Einrichtungen wie Vereinshäuser und Spielflächen liegen (vgl. ebd. §1 Abs. 1 Satz 2).

Kleingärten sind mit einer geschätzten Anzahl von 910.000 und etwa fünf Millionen Nutzern die verbreiteteste Gartenform in Deutschland (vgl. Rasper 2012: 26; vgl. Bundesverband Deutscher Gartenfreunde e. V. 2018: o. S.). Sie befinden sich auf ungefähr 40.000 Hektar Fläche in rund 14.000 Kleingartenvereinen, die in 19 Landes- und 330 Regionalverbänden unter dem Dach des Bundesverbands Deutscher Gartenfreunde e. V. (BDG) vereint sind (vgl. ebd.). Das Verpachten von Parzellen erfolgt demnach über Kleingartenverbände, die ebenfalls von Bezirksämtern oder privaten Eigentümern Land gepachtet haben und dieses an Interessierte weitergeben (vgl. Senatsverwaltung für Stadtentwicklung und Umwelt 2012: 39). Eine Mitgliedschaft für die Gärtner ist in diesem Falle verpflichtend (vgl. ebd.: 41). Um einen Garten zu erhalten, muss zunächst eine Ablösesumme bezahlt werden, die je nach Parzelle schwanken kann (vgl. ebd.: 40). Zusätzlich zu dieser müssen Kleingärtner auch laufende Kosten für Pachtzins, Mitgliedsbeitrag und Betriebskosten begleichen (vgl. ebd.: 40f.).

Durch ein striktes Regelgeflecht erlangte das Kleingartenwesen in der Vergangenheit einen vermeintlich schlechten Ruf. Es sei hier angemerkt, dass jeder Kleingartenverein eigene Regeln festlegt und diese innerhalb seiner Gartenordnung verankert. Ein Auszug von einem Berliner Kleingartenverein gibt so beispielsweise an, dass mindestens ein Drittel der Fläche für den Anbau von gartenbaulichen Erzeugnissen genutzt werden muss und Ziergehölze maximal 2,50 Meter Höhe erreichen dürfen (vgl. Bezirksverband der Gartenfreunde Pankow e. V. 2017: o. S.). Positiv ist trotz dessen anzumerken, dass auch dem Umweltschutzaspekt eine große Bedeutung zugemessen wird. Der Verein ist vertraglich dazu verpflichtet, seine Pächter über die aktuellen neuen Erkenntnisse des ökologischen Gärtnerns zu unterrichten (vgl. ebd.). Der Einsatz von Pestiziden ist bis auf wenige Ausnahmen, die per Antrag gestellt werden müssen, verboten (vgl. ebd.).

Historische Entwicklung

Die Entstehung des Kleingartenwesens ist im Kontext der Industrialisierung zu verorten (vgl. Appel et al. 2011: 24). Ein enormes Städtewachstum führte zu einer dramatischen Verschlechterung der Situation der unteren Bevölkerungsschichten (vgl. Verk 1994: 29). Katastrophale Wohnsituationen, schlechte Arbeitsbedingungen und ein schnellerer Lebensrhythmus erfassten die Bewohner und verminderten die Lebensqualität (vgl. Egnolff 2015: 38). Ausgehend von den sogenannten Armengärten der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts, die der Versorgung der verarmten Bevölkerung dienen sollten, entstanden durch zunehmende Kritik an der städtischen Situation in den folgenden Jahren alternative Gartenideen zum Ausgleich der Missstände (vgl. Verk 1994: 27, 30f.). Diese führten wiederum zu verschiedenen und voneinander unabhängigen Entwicklungssträngen, die sowohl in den Gründungsmotiven als auch in den Nutzern selbst heterogen sind (vgl. ebd.: 27; vgl. Appel et al.  2011: 24).

Als dominierender Aspekt der Entwicklung wird in der Literatur die Geschichte um den Leipziger Arzt Daniel Gottlob Moritz Schreber genannt, der auch zugleich den Namenspatron für den heutigen Schrebergarten darstellt (vgl. ebd.). Als Kritiker bemühte er sich insbesondere um die Kinder und Jugendlichen der Unterschicht und betrachtete körperliche Bewegung in Form von Turnen und Spielen als Lösung für deren „körperliche[…] Zivilisationsschäden“ (Verk 1994: 31; vgl. ebd.). Seine Vorstellungen erhielten jedoch erst nach dessen Tod die benötigte Aufmerksamkeit (vgl. Appel et al. 2011: 24). Unter Initiative des Schuldirektors Dr. Hauschild wurde in Leipzig ein Erziehungsverein gegründet, der sich in Ehren an den Arzt „Schreberverein“ nannte und dessen Mitglieder sich um Spiel- und Turnplätze für ihren Nachwuchs bemühten (vgl. ebd.; vgl. Verk 1994: 32; vgl. Baacke et al.  2014: 13). Durch das Bestreben eines Lehrers, Kinder für die Natur zu begeistern, entstanden in der kurzdarauf folgenden Umsetzung auch Beete für eben diese (vgl. ebd.: 23). Doch die Lust ließ schnell nach und die Eltern übernahmen die Bewirtschaftung der Gärten, die fortan als Schrebergärten bezeichnet wurden und sich in den folgenden Jahren einer großen Beliebtheit erfreuten (vgl. Senatsverwaltung für Stadtentwicklung und Umwelt 2012: 5).

Ergänzend zu dieser Entwicklung entstanden in den folgenden Jahren noch weitere Konzepte, die die Bewirtschaftung von Parzellen einbezogen und ergänzenden Einfluss auf die heutige Form des Kleingartens ausübten. Im Zusammenhang mit Schreber kann hier zunächst die Lebensreformbewegung genannt werden, die erneut Kritik an der Technisierung und deren Auswirkungen auf die körperliche und psychische Verfassung des Menschen verübte und sich in verschiedene Einzelgruppierungen unterteilte (vgl. Egnolff 2015: 35). Eine dieser war die Naturheilkundebewegung, durch deren „medizinisch-hygienische[…] Interessen“ (Verk 1994: 33) unter anderem Kleingartenanlagen gegründet wurden, die für eine Regeneration in der Natur beispielsweise mit Licht- und Luftbädern ausgestattet waren (vgl. Schäfer-Biermann et al. 2016: 43). Es entstanden weiterhin auch Kleingärten, die sich ausschließlich auf das Wohlergehen von einkommensschwachen Arbeitern auswirken sollten. Das Rote Kreuz verpachtete um die Jahrhundertwende Arbeitergärten, um einen gesundheitlichen Ausgleich zu schaffen, der sich sowohl auf die Vermeidung der gängigen körperlichen Erkrankungen als auch auf die psychische Verfassung bezog (vgl. Senatsverwaltung für Stadtentwicklung und Umwelt 2012: 6). Weiterhin stellte die Deutsche Reichsbahn ihren Arbeitnehmern Gärten auf dem Gleisgelände zur Verfügung, mit denen sie ähnlich den Armengärten Selbstversorgung betreiben konnten (vgl. ebd.). Eine dem Berliner Raum eigene Entwicklung vollzog sich innerhalb der Laubenpieperkolonien, in denen sich Zugezogene im Rahmen der extremen Wohnungsknappheit 1872 in ihrer Not am Rand der Stadt Lauben auf noch unbebautem Land errichteten, das ihnen zugleich als Garten diente (vgl. Appel et al. 2011: 24).   

Kleingärten wurden auch innerhalb der Kriegsjahre genutzt. Mit Beginn des 1. Weltkrieges wurden sie vor allem für die Nahrungssicherung und auch als mögliche Notunterkunft gebraucht (vgl. Verk 1994: 38). Im Hinblick auf die schwierige ernährungspolitische Situation sahen sich immer mehr Städter dazu gezwungen, ein kleines Stück Land zu pachten, was zu einer großen Zahl von sogenannten „Kriegs- bzw. Nachkriegsgärten“ (ebd.) führte (vgl. ebd.). Innerhalb des Nationalsozialismus erfolgte im Anschluss eine uneingeschränkte politische Übernahme der Kleingärten (vgl. Appel 2011 et al.: 29). Die Anzahl stieg auch hier, was sich erneut mit der Ernährungslage und auch der Vereinbarkeit mit der Blut-und-Boden-Politik erklären lässt (vgl. ebd.). Zunehmend wurden auch die Lauben als Wohnsitz genutzt und zu richtigen Häusern ausgebaut (vgl. ebd.).

Während der Zeit der innerdeutschen Teilung lassen sich unterschiedliche Weiterentwicklungen des Kleingartens erfassen. In der BRD  war im Laufe der Zeit eine rückläufige Tendenz erkennbar (vgl. ebd.). Neben den stabilen Jahren des Wirtschaftswunders, die dem Kleingarten seine existenzsichernde Funktion entzogen, wurde auch der zur Verfügung stehende Raum durch den großen Wohnungsbau verringert (vgl. ebd.). Die überdauerten Gärten profitierten 1983 von der Verabschiedung des Bundeskleingartengesetzes, das den Gartennutzern Sicherheit garantierte (vgl. BKleingG). Im Gegensatz zur Entwicklung in der BRD erkannten politische Aktionäre in der DDR schnell, dass Kleingärtner im Sinne der Planwirtschaft die flächendeckende Versorgung der Bevölkerung mit Obst und Gemüse unterstützen konnten, wodurch die bisherige Beschränkung auf die reine Selbstversorgung aufgehoben wurde (vgl. Appel et al. 2011: 30). Gleichzeitig erwirkte die Förderung des Kleingartenwesens eine deutliche höhere Kleingartendichte- und Nutzung im Vergleich zu der BRD (vgl. ebd.). Nach der Wende wurde der größere Ostverband in den kleineren westdeutschen „Bundesverband Deutscher Gartenfreunde e. V.“ aufgenommen (vgl. Schäfer-Biermann et al. 2016: 47). Es sei an dieser Stelle angemerkt, dass die folgenden Entwicklungen in den Jahren zwischen Wiedervereinigung und dem aktuellen Boom in der Literatur kaum Beachtung finden und stattdessen eher das bereits angesprochene negative Image des Kleingartenwesens den Vordergrund rückt.

Aspekte des aktuellen Booms

Auch in der Gegenwart gehört das Kleingartenwesen zum Bestandteil eines Stadtbildes in Deutschland, jedoch durchlebt es hier bereits seit einigen Jahren einen großen Wandel. Das einst kleinkarierte und spießbürgerliche Bild eines Schrebergartens weicht einem hippen Lifestyletrend, dem plötzlich in hohem Maße nachgeeifert wird (vgl. Gräber 2017: o. S.). „Wir sehen einen re­gelrechten Boom, die Nachfrage ist immens und steigt immer weiter“ (Borufka 2016: o. S.), sagt Günter Landgraf vom Landesverband der Berliner Gartenfreunde. Experten betrachten die aktuelle hohe Nachfrage als Pendant zur historischen Entstehungsgeschichte der Kleingärten (vgl. Rasper 2012: 40f.). Die Kritik am Kapitalismus lässt sich demnach sowohl innerhalb der Industrialisierung als auch in der heutigen Globalisierung entdecken, was in beiden Fällen, wenn auch in unterschiedlichen politischen und gesellschaftlichen Verhältnissen, zu einer Revidierung der bestehenden Urbanität führt (vgl. ebd.).

Neben der derzeitigen hohen Nachfrage ist auch der vielschichtige Generations­wechsel der Pächter ein Novum innerhalb des Kleingartenwesens. Mit dem Phänomen des sinkenden Altersspiegels befasste sich die Hamburger Umweltbehörde innerhalb einer Studie für ihre Stadt im Jahr 2015 genauer (vgl. Behörde für Umwelt und Energie et al. 2015: 12). „Immer mehr jüngere Haushalte mit Kindern werden Pächter eines Kleingartens.“ (ebd.), wird innerhalb dieser angegeben. Trotz des nach wie vor bestehenden großen Anteils der Altersklassen ab 50 Jahren, lässt sich durch den momentanen Boom eine Verschiebung der Interessensgruppen erkennen (vgl. ebd.: 50f.). Demnach nehmen die 35- bis 49-Jährigen mittlerweile fast ein Drittel der Kleingärtner ein (vgl. ebd.: 29). Die neuen Pächter sind jedoch nicht nur deutlich jünger, sie sind auch gebildeter. Während im Jahr 2003 nur 7,2 Prozent von ihnen ein Abitur oder eine Fachhochschulreife besaßen, lag der Anteil im Jahr 2015 bereits bei knapp 45 Prozent (vgl. ebd.: 52). Dies verdeutlicht sich auch in einem durchschnittlich höheren Einkommen der Pächter, was zugleich mit der Verjüngung der Gärtner und dem damit steigenden Teil der Erwerbstätigen einhergeht (vgl. ebd.: 53). Auch das Mitwirken ausländischer Pächter steigt und immer mehr Migranten bewirtschaften eine Parzelle (vgl. Bundesverband Deutscher Gartenfreunde e. V. 2006: 4).  

Besonderes Interesse zeigen vor allem die Menschen, die in einer Großstadt wohnen. Sie wünschen sich eine Parzelle, die sich in der Nähe ihrer Stadtwohnung befindet und innerhalb von maximal 20 Minuten zu Fuß oder mit dem Fahrrad erreicht werden kann (vgl. Behörde für Umwelt und Energie et al. 2015: 11). Die Realität ist jedoch eine andere. Durch das rege Interesse an einem kleinen Stückchen Land mitten in der Stadt übersteigt die Nachfrage in den Großstädten bei weitem den tatsächlichen Bestand an zur Verfügung stehendem Pachtgelände, das aktuell durch den aktiv betriebenen Wohnungsbau weiterhin stark minimiert wird (vgl. Hönicke/ Keilani 2018: o. S.; vgl. Bundesverband Deutscher Gartenfreunde e. V. 2018: o. S.). Als Beispiel kann hier Berlin angeführt werden: Obwohl hier innerhalb Deutschlands die höchste Konzentration an Kleingärten vorzufinden ist, warten derzeit mehr als 12.000 Bewerberinnen und Bewerber auf einen Pachtvertrag (vgl. ebd.). Durchschnittlich müssen sie hierfür drei bis fünf Jahre warten (vgl. ebd.).  „Das Interesse hat dramatisch zugenommen - innerhalb von einem Jahr um rund 15 Prozent." (RBB24 2018: o. S.), gibt der Vorstand des Bezirksverbundes Charlottenburg e. V. in diesem Jahr an. Obgleich der Andrang auf die Schrebergärten in den Großstädten enorm ist, kommt es in strukturschwachen Regionen aktuell zu Leerständen (vgl. Deutscher Gartenfreunde e. V. 2018: o. S.).  Betroffen sind vor allem die neuen Bundesländer, in denen nur rund 15 Prozent der Gesamtbevölkerung leben (vgl. ebd.). Hier befinden sich über 50 Prozent des deutschen Kleingartenbestandes, was unweigerlich zu einem Dilemma führen muss (vgl. ebd.).

Lösungsansätze für Großstädter bieten Online-Plattformen wie 'Datschlandia'. Da trotz der Liebe zum Gärtnern Parzellen durchschnittlich an weniger als zwei Tagen die Woche genutzt werden und dies durch die unvollständige Nutzung einem indirekten Leerstand gleicht, bietet diese Form ein Vermittlungsangebot zwischen Suchenden und bereits Pachtenden an, um eine komplette Nutzung zu ermöglichen (vgl. Datschlandia o.J.: o. S.). Auch ältere Kleingärtner, die Hilfe bei der Bewirtschaftung brauchen, ihre Parzelle jedoch trotzdem nicht abtreten möchten, können so unterstützt werden (vgl. ebd.). Weiterhin sollen Vereine in Zukunft bei einer langen Warteliste dazu angehalten werden, eine Teilung der üblichen Parzellen vorzunehmen beziehungsweise vermehrt Gemeinschaftsflächen anzubieten (vgl.  Behörde für Umwelt und Energie et al. 2015: 14).

Motivation und Nutzen der Großstädter

Um den derzeitigen Andrang auf Kleingärten im Rahmen der Bewegung „Neue Ländlichkeit“ nachvollziehen zu können, werden im Folgenden die Motivationsgründe sowie der Nutzen der Bewirtschaftung für Großstädter unter Einbeziehung der aktuellen Situation im technisierten urbanen Raum genauer betrachtet. Sie lassen sich in die Bereiche Erholung, Naturerleben, Gemeinschaft und Gestaltungsmöglichkeit unterteilen. Trotz der Differenzierung muss angemerkt werden, dass sich die Aspekte gegenseitig bedingen und demnach in einer Korrelation zueinander stehen.

Erholung

Einer der Hauptgründe einen Kleingarten innerhalb der Bewegung zu pachten, liegt in dem Wunsch nach einem ruhigen Ort in der Natur, der nach eigenen Wünschen geformt werden kann (vgl. Neu 2016: 4; vgl. Borgstedt 2012: 120). Die Bewirtschaftung von Parzellen bietet eine sinnvolle Beschäftigung mit körperlichem Einsatz, der eine geeignete Alternative zum Arbeitsstress und Büroalltag darstellt und daher die Entspannung fördern kann (vgl. Office International du Coin de Terre et des Jardins Familiaux o. J.: o. S.). Parzellen in einer Kleingartenlage bilden weiterhin im Sinne der soziokulturellen Strömung Sinnlichkeit und Vielfalt eine Anregung verschiedener Sinne. Düfte aus dem Kräuterbeet, die Farbvielfalt der Blumen und der Geschmack von frischem Gemüse und Obst ermöglichen eine Abgrenzung von der digitalisierten und hektischen Großstadt und können so für innere Ruhe sorgen. In der Literatur werden des Weiteren auch Zusammenhänge zwischen Orten der Meditation und Gärten beschrieben. Die Pädagogin Ursula Richard gibt an, dass Achtsamkeit, Verankerung im Lebendigen und Verbundenheit Aspekte sind, die sich sowohl innerhalb eines Gartens als auch in einer spirituellen Einrichtung wie einem Yogazentrum wiederfinden lassen (vgl. Richard 2012: 226f.). Demnach kann das Bewirtschaften einer Parzelle als erweiterte Option für spirituelle Menschen angesehen werden.

Die erholende Wirkung eines Gartens auf den Menschen wurde weiterhin in zahlreichen Studien untersucht. Laut einer Befragung schätzen Gärtner demnach ihre Lebensqualität im Vergleich zu Personen, die nicht gärtnern als deutlich höher ein (vgl. Waliczek et al. 2005: 1363). Zudem hat die Bewirtschaftung einen positiven Effekt auf die Gesundheit des Gärtners (vgl. van den Berg/ Custers 2011: 7f.). Bereits der Blick auf grüne Natur kann laut Wissenschaftlern die Genesung des Körpers vorteilhaft beeinflussen (vgl. Ulrich 1984: 421.). Die eigentliche Gartenarbeit in der Natur lässt das Stresshormon Cortisol laut einer Untersuchung merklich sinken und bietet durch die vielseitigen Bewegungsabläufe einen körperlichen Ausgleich (vgl. van den Berg/ Custers 2011: 8; vgl. Office International du Coin de Terre et des Jardins Familiaux o. J.: o. S.). Der Großstädter erhält demnach durch einen Kleingarten eine neue Möglichkeit, einen positiven Einfluss auf seine Gesundheit auszuüben.

Auch für Kinder, die in einer Großstadt aufwachsen, stellt der Schrebergarten eine geeignete Option der Erholung dar (vgl. Meyer-Rebentisch 2010: 64). Während man in Mietwohnungen stets Rücksicht auf die Nachbarn nehmen muss, kann im Kleingartenverein in der Natur herumgetobt werden, was zu einem ausgeglichenem Gemüt führt (vgl. ebd.: 64f.). „Ganz ohne Aufsicht rennen die Kinder durch die Kolonie. Bullerbü für Großstädter.“ (Schaaf 2012: o. S.), gibt eine Mutter in einem Zeitungsbericht an und verdeutlicht damit grundlegende Gedanken der „Neuen Ländlichkeit“. Dieser Umstand kann auch als Motivation vieler Familien betrachtet werden, die in den letzten Jahren eine Parzelle gepachtet haben.

Naturerleben

Ein Kleingarten bietet für die Menschen der Großstadt neben dem Aspekt der Erholung auch die Möglichkeit, Naturerfahrungen zu sammeln, die sonst im urbanen Alltag verwehrt bleiben. Ein Artikel in der Ze.tt beschreibt die Gegebenheit wie folgt:

 […] nicht jede*r ist bereit, sein*ihr urbanes Umfeld gegen Wald und Wiese einzutauschen. Dafür schillert das Stadtleben zu bunt. Ein Kleingarten ist da wie ein Teilzeit-Kompromiss im Arbeitsleben. Der*die Besitzer*in bekommt dreckige Hände und selbst geerntete Früchte, ohne dafür in die Einöde ziehen zu müssen. (Zwerenz 2017: o. S.)

Bedingt durch die „Neue Ländlichkeit“ widmen sich die neuen Pächter trotz ihrer weiterhin bestehenden Verankerung im urbanen Gefüge also innerhalb der Parzellen zunehmend dem ursprünglichen Leben und ermessen der Ruralität und Natur als Gegenbegriffe zu Urbanität und Digitalisierung neue Wertigkeit. Innerhalb eines Schrebergartens kann dieses Bedürfnis auf unterschiedliche Arten gestillt werden.

Wie auch schon im vorherigen Punkt kann die soziokulturelle Strömung Sinnlichkeit und Vielfalt auch im Kontext des Naturerlebens betrachtet werden. Durch den ökologischen Anspruch des Kleingartenwesens befinden sich hier meist Arten von Flora und Fauna, die bisweilen nicht in einer Großstadt anzutreffen sind und dem Pächter daher vielfältige Sinneneindrücke ermöglichen können (vgl. Bundesverband Deutscher Gartenfreunde e. V. 2008: 57). Eine Studie des Bundesverbandes Deutscher Gartenfreunde gibt hierzu ergänzend an: „Kleingärten weisen eine signifikant höhere Pflanzenvielfalt auf als andere urbane Grünflächen bzw. Gartenformen, wie etwa Stadtparks.“ (ebd.). Besonders junge und naturbewusste Familien nutzen den Kleingarten daher zunehmend, um derartige Naturerfahrungen sammeln zu können (vgl. Neu 2016: 6). Die Eltern möchten ihren Kindern den Bezug zur Umwelt vermitteln und nutzen die Parzelle als Anschauungsmaterial (vgl. ebd.). Der Garten wird hier somit neben dem Erholungs- und Freizeitaspekt auch als ein pädagogisches Konzept für die Kleinsten erlebt.

Dem Vorbild eines Bauerngartens folgend kann in einem Kleingarten auch Obst und Gemüse selbstständig angebaut werden, wodurch auch die anderen zwei Strömungen Re-Grounding und Autonomie rekonstruiert werden können (vgl. Netz o. J.: o. S.). Großstädter können in ihrem Schrebergarten eine „Selbstversorgung light“ (Neu 2016: 6) nachempfinden, die jedoch weniger der ursprünglichen Idee der Selbstversorgung als vielmehr dem Genuss und der Entschleunigung des Alltags dient (vgl. ebd.). Getreu dem Motto „Das eigene Gemüse schmeckt am besten.“ (Meyer-Rebentisch 2010: 58) werden im Kleingarten auch seltene Sorten angepflanzt, die es im Rahmen eines Supermarkteinkaufes nicht zu beschaffen gibt (vgl. ebd.: 60, 85). Der eigene Anbau und anschließende Verzehr kann demnach weiterhin eine Erfahrung darstellen, die die soziokulturelle Strömung Sinnlichkeit und Vielfalt nochmals in einem besonderen Maße verdeutlicht.

Durch das selbstständige Bewirtschaften bietet der Schrebergarten weiterhin auch eine Möglichkeit einen eigenen Beitrag zum Umweltschutz zu leisten, ein Aspekt der vor allem im Hinblick auf die aktuellen Nachhaltigkeitstrends an Bedeutung gewinnt (vgl. Netz o. J.: o. S.). Dass die neue Generation der Pächter sich zeitgleich auch für den ökologischen Anspruch begeistert, verdeutlicht der Wandel der Bepflanzung. Der NABU gibt hierzu an: „Die jungen Wilden, die ihre Gärten allesamt nach ökologischen Kriterien bewirtschaften, bevorzugen […] Wildblumenwiesen, selbstgemachtes Heu und den eigenen Komposthaufen vor der Tür.“ (ebd.) Die dem Kleingarten zuvor anhaftende Spießigkeit mit „Normhecken, englische[m] Rasen und akkurat angelegte[n] Rosenbeete[n]“ (ebd.) verschwindet demnach merklich mit den neuen Pächtern. Stattdessen kann durch die Verwendung von regionalen und traditionellen Gemüse- und Obstsorten inklusive der damit einhergehenden Ansiedlungen aus der Tierwelt ein Beitrag zur Artenvielfalt und zum Umweltschutz geleistet werden, der im Nachklang auch dem Ökosystem der Stadt zugutekommt (vgl. ebd.).

Gemeinschaft

Im Zeitalter der Digitalisierung und der räumlichen Verortung im städtischen Raum ist die Sehnsucht nach realen zwischenmenschlichen Kontakten und einer Gemeinschaft groß (vgl. Neu 2016: 8). Das Dorf, das im Sinne der „Neuen Ländlichkeit“ mit seinem engen Beziehungsgeflecht als Idealtypus des Miteinanders idealisiert wird, kann in einem gewissen Maße auch innerhalb des Kleingartenwesens nachempfunden werden (vgl. ebd.). „Die soziale Bedeutung des Kleingartenwesens hat sich neben der ökologischen […] Komponente in der Vergangenheit mehrfach bewiesen.“ (Thiel 2004: 44), heißt es in einem Artikel einer Fachzeitschrift. Durch die Einbindung in das Vereinsleben und die gleichzeitige Bewirtschaftung paralleler Nachbargrundstücke innerhalb einer Kolonie können zwischenmenschliche Beziehungen gefördert werden, da hier ein schnelles Knüpfen von Kontakten ermöglicht wird (vgl. Office International du Coin de Terre et des Jardins Familiaux o. J.: o. S.). Gleichsam kann durch das Zusammenführen von Personen, die das Interesse an einem Garten teilen, die isolierende Anonymität, die der Großstadt unweigerlich anhaftet, aufgehoben werden. Der NABU verdeutlicht dies mit: „In heutigen Gartenkolonien treffen Alte auf Junge, Rentner-Paare auf Familien und Akademiker auf Arbeiter. Ihnen allen gemeinsam ist die Freude an der Natur und die Lust am Gärtnern.“ (Netz o. J.: o. S.) Da sich das Pachten eines Kleingartens in den meisten Fällen über einen jahrelangen Zeitraum erstreckt, können auch soziale Kontakte über eben diesen erhalten bleiben und so das Gemeinschaftsgefühl bestärken (vgl. Office International du Coin de Terre et des Jardins Familiaux o. J.: o. S.).

Auch Eltern erkennen diesen besonderen Aspekt und sehen einen Nutzen für ihre Kinder im Hinblick auf die Teilnahme am gemeinschaftlichen Miteinander des Kleingartenwesens, durch dessen aktuellen Generationswechsel immer mehr von ihnen innerhalb einer Kolonie anzutreffen sind (vgl. Schaaf 2012: o. S.). Das Vorhandensein von Spielplätzen ermöglicht ganz im Sinne des Namensvetters sowohl Spiel- als auch Kommunikationsplattformen für die Kleinsten (vgl. BKleingG §1 Abs. 1 Satz 2). Gleichzeitig werden innerhalb vieler Vereine auch Kinderfeste angeboten, die den Zusammenhalt und die Möglichkeit neuer Kontakte nochmals steigen lassen (vgl. Landesverband Berlin der Gartenfreunde e. V. 2018: o. S.). Gärten als solche fördern weiterhin das Sozialverhalten eines Kindes, da sie sich unter anderem durch den Anbau von Pflanzen in Geduld üben können, die zugleich Anwendung in der zwischenmenschlichen Aktion findet (vgl. Robinson 2016: 36, 39).

Gleichzeitig wird aber auch eine Integration von Menschen erlaubt, denen diese im Alltag erschwert wird. Pensionierte Rentner, die immer noch einen Großteil der aktuellen Pächter ausmachen, werden durch die Durchmischung unterschiedlicher Generationen gemeinschaftlich eingebunden und erfüllen so einen wichtigen Beitrag für das Vereinsleben (vgl. Office International du Coin de Terre et des Jardins Familiaux o. J.: o. S.). Auch Menschen mit einer Behinderung können durch das verbindende Hobby des Gartens soziale Barrieren genommen werden, die sonst im vorherrschenden Großstadtgefüge zu einer Isolation führen würden (vgl. ebd.). Des Weiteren tritt auch die Eingliederung von Migranten zunehmend in den Vordergrund des Kleingartenwesens. „Das gemeinsame Ziel, die Bewirtschaftung eines Gartens, stellt das Fundament für die Verbindung zwischen einheimischen Kleingärtnern und Migranten her.“ (Gartenfreunde.de 2008: o. S.), gibt Manfred Weiß, Vorsitzender des Landesverbandes Braunschweig der Gartenfreunde e.V. an.

Es muss jedoch an dieser Stelle auch betont werden, dass das der Zusammenhalt innerhalb einer Gemeinschaft auch sehr stark mit der Einstellung der Beteiligten verbunden ist und nicht allein durch das Gärtnern innerhalb einer Kolonie vorgegeben sein kann.

Gestaltungsmöglichkeit

„Das kleine Grüne. Renaissance des Schrebergartens.“ (Architectural Digest 2018: o. S.) heißt es im September 2018 auf dem Titelblatt der Architectural Digest, einer Zeitschrift für Inneneinrichtung und Design. Mit diesem Titel und der damit verbundenen kontextuellen Einbindung in das Design wird ein weiterer neuartiger Aspekt definiert: Kleingärten haben auch einen ästhetischen Wert. Im Hinblick auf die Geschichte scheint dies bisher untergeordnet gewesen zu sein, jedoch begreifen Pächter nun zunehmend ihre Parzelle ganz im Sinne des Re-Grounding als einen zusätzlichen Gestaltungsraum, den sie nach ihren Belieben bearbeiten können. Schrebergärten können demnach als „Räume jenseits des Zugriffs von außen […]“ (Borgstedt 2012: 120) verstanden werden. Gleichsam muss angemerkt werden, dass die dem Kleingarten eigenen Verwaltungsvorschriften, die Freiheit der Gestaltung trotz dessen in einem gewissen Maße minimieren.

Inspirationsquellen für Projekte lassen sich mittlerweile einige finden. Neben weiteren thematischen Magazinen erscheinen derzeit auch vielfältige Bücher auf dem Markt. So zum Beispiel das im Jahr 2017 veröffentlichte Buch „Lust auf Laube. Die neue Schrebergarten-Kultur.“, das besonders eindrucksvolle und von Großstädtern bewirtschaftete Kleingärten präsentiert und die „Neue Ländlichkeit“ sehr einträglich verkörpert. „Der Tag des offenen Kleingartens“ ist weiterhin eine Initiative des Berliner Raumes, bei dem ähnlich wie bei dem ursprünglichen Pendant „Tag der offenen Gartentür“, Personen ihren Garten für Besucher öffnen (vgl. Bezirksverband der Kleingärtner Berlin-Weißensee e. V. 2018: o. S.). Auf diese Art kann ein direkter Austausch hinsichtlich der Gestaltung zwischen Schrebergartenliebhabern erfolgen. Auch die Sozialen Netzwerke bieten mit Plattformen wie Pinterest und themenspezifischen Blogs Inspirierendes an, da sie gleichfalls durch eine fotografische Inszenierung zum Nachahmen aufrufen.

Gemein haben diese Formen der Präsentation, dass dem Kleingarten die Wertigkeit eines Prestigeobjektes zugesprochen werden kann. So kann innerhalb der Sozialen Netzwerke durch das Bewerten und Kommentieren einer ästhetischen Gartengestaltung und deren fotografischer Umsetzung von Parzelle und Laube ein gewisses Image des kultivierten und grün eingestellten Großstädters gebildet und aufrecht erhalten werden. Dies verdeutlicht sich auch durch den Einsatz von kostspieligen Elementen innerhalb des Schrebergartens. „Im Schrebergarten ist plötzlich Design gefragt.“ (Ochs 2008: o. S.), gibt die Architektin Nanni Grau an. Innerhalb ihres Büros „Hütten & Paläste“ befasste sie sich mit einem modernen Typus einer Laube (vgl. ebd.). Mit Entwürfen wie DuLa, kurz für DurchLaube, und MiLa, kurz für MiniLaube, entstanden moderne Aufenthaltsräume für junge und urbane Familien, die auch in ihrem Garten nicht auf Komfort verzichten möchten und Wert auf eine ansprechende Repräsentation legen (vgl. ebd.). Kosten für die architektonischen Werke beginnen bei 15.000 Euro, was nochmals die neue Wertigkeit des Schrebergartens verdeutlicht (vgl. ebd.).

Zusammenfassende Betrachtungen

Abschließend lässt sich festhalten, dass das Kleingartenwesen im Kontext der aktuellen Großstadtsituation durch das Nachempfinden einer idealisierten Ländlichkeit eine geeignete Möglichkeit des Ausgleichs darstellt. Innerhalb seiner Geschichte wurde dem Schrebergarten zunächst eher die Versorgung und gesundheitliche Aufrechterhaltung der ärmeren Bevölkerung zugeschrieben. Auch in der Gegenwart sind diese beiden Faktoren als grundlegende Motivationsgründe der Großstädter zu verstehen, jedoch werden sie hier durch die derzeitigen Strömungen als zusätzliche Bereicherung im Alltag und nicht als Basis der Existenz aufgefasst. Durch die Abkehr der negativen Faktoren der Urbanität kann auch in Zukunft mit einer gleichbleibenden Begeisterung der Städter gerechnet werden. Es lässt sich weiterhin annehmen, dass bei einem fortschreitenden Generationswechsel strikte Regeln des Vereinslebens weichen und stattdessen der Fokus auf den Bereich des Umweltschutzes und der Nachhaltigkeit verstärkt wird. Um jedoch ein eindeutigeres Bild abzeichnen zu können, wären weitere empirische Studien zur aktuellen Kleingartennutzung wünschenswert.

Quellen:

 

 

Autorin Anne Priezel
Zeitraum Mai 2019