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Zwischen Gesetz und Praxis – Wie Gleichbehandlung in der Bundeswehr und anderen „Männerbünden“ funktioniert

Prof. Dr. Maja Apelt und ihr Team | Foto: Tobias Hopfgarten
Funktioniert die Gleichbehandlung in der Bundeswehr und anderen „Männerbünden“? | Foto: AdobeStock/Photoshooter
Foto : Tobias Hopfgarten
Prof. Dr. Maja Apelt und ihr Team
Foto : AdobeStock/Photoshooter
Funktioniert die Gleichbehandlung in der Bundeswehr und anderen „Männerbünden“?
Als 2006 in Deutschland das Allgemeine Gleichstellungsgesetz in Kraft trat, war den Beteiligten klar, dass Benachteiligungen aufgrund der ethnischen Herkunft, des Geschlechts, der Religion oder der sexuellen Identität nicht über Nacht verschwinden. Vielmehr braucht es konkrete Regeln und Verfahren, um Gleichbehandlung umzusetzen. Und es braucht Personen und Gruppen, die im Konfliktfall derart engagiert sind, notfalls gegen praktizierte Diskriminierung zu klagen. Die rechtliche und soziale Praxis, die dabei entsteht, lässt sich damit nicht mehr direkt aus dem Gesetzestext ableiten.

Wie das Gesetz konkret umgesetzt, aber auch die entsprechenden Regeln und Verfahren begründet werden, untersuchen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Professur für Organisations- und Verwaltungssoziologie an der Universität Potsdam. Das Projekt trägt den Titel „Organisation und Recht – politische Interessengruppen und rechtliche Interventionen“ und ist Teil der seit 2018 geförderten DFG-Forschungsgruppe „Recht-Geschlecht-Kollektivität“.

Für die Forschenden ist dabei die Bundeswehr als männlich dominierte Organisation von besonderem Interesse, da das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz in ein spezifisches Soldatinnen- und Soldatengleichbehandlungsgesetz übertragen wurde. Zugleich bemüht sich die Bundeswehr um Vielfalt in den eigenen Reihen, auch um in der Öffentlichkeit an Ansehen zu gewinnen. Antidiskriminierungsbeauftragte engagieren sich für Fairness, in den Teilstreitkräften wurde erkannt, dass Familienfreundlichkeit und Gleichstellung wichtige Argumente für potenzielle Bewerberinnen und Bewerber sein könnten. Entsprechend präsentiert sich die Bundeswehr auf Karriere-Messen mit ihrer Diversity-Strategie als fortschrittliche Arbeitgeberin.

Gleichstellung in der Bundeswehr

Offen bleibt, inwieweit die Gleichbehandlung tatsächlich im Alltag in den Kasernen und während der Einsätze praktiziert wird. Denn noch ist es nicht so lange her, dass etwa Frauen oder trans*Personen gar keinen oder nur sehr eingeschränkten Zugang zum Wehrdienst hatten und dass schwule Soldaten als vermeintliches „Sicherheitsrisiko“ aus der Armee ausgeschlossen wurden. Mittlerweile wird ihre Gleichstellung und Gleichbehandlung, ebenso wie die von lesbischen, bisexuellen, trans* oder queeren Soldatinnen, aktiv vorangetrieben, auch damit die Bundeswehr als moderner Arbeitgeber attraktiv für junge Leute erscheint. „Begonnen hat der Wandel mit der Öffnung der Bundeswehr für Frauen im Jahr 2001“, erklärt Prof. Dr. Maja Apelt, die bereits in einem früheren Projekt zur „Organisation und Geschlecht am Beispiel des Militärs“ geforscht hat.

Die Professorin für Organisations- und Verwaltungssoziologie an der Universität Potsdam leitet das Teilprojekt zu „Organisation und Recht“. „Der Anstoß kam von der Rechtswissenschaftlerin der Humboldt- Universität zu Berlin und Richterin am Bundesverfassungsgericht Prof. Dr. Susanne Baer. Als Baer im Dezember 2012 mit der Caroline von Humboldt- Professur ausgezeichnet wurde, investierte sie das Preisgeld in die Entwicklung eines interdisziplinären Forschungsprojekts, das nach dem Zusammenhang von Recht, Geschlecht und Kollektivität fragt. Im Zentrum steht die Frage, wie Recht mobilisiert wird – wie Menschen das Recht für sich nutzen und so ins gesellschaftliche Bewusstsein rücken“, so Apelt. Juristen, Historiker, Ethnologen und Soziologen fragen dabei auch, wie sich dadurch Geschlechternormen und -verhältnisse verändern und welche Rolle dabei Gruppen, Vereine oder andere Organisationen spielen. Den Fokus auf Organisationen brachte die Soziologin Apelt in den Forschungsantrag ein. Das Konzept der Forschungsgruppe überzeugte die DFG, sodass diese im Frühjahr 2018 ihre Arbeit aufnehmen konnte.

„In unserem Teilprojekt fragen wir danach, wie die Bundeswehr beispielsweise die Gleichstellung nutzt, um sich als moderner Arbeitgeber zu positionieren“, erläutert Dr. Henrik Dosdall, der in Bielefeld über Krisendynamiken der Finanzmärkte promoviert hat und jetzt an der Uni Potsdam arbeitet. „Wie werden Familienfreundlichkeit und Gender Diversity genutzt, um das Profil der Streitkräfte zu ändern? Wie wird die Frage danach, wen die Bundeswehr heute braucht – Kraftpakete oder etwa Informatiker –, beantwortet? Und welche Interessen beeinflussen die Antworten darauf? Oder anders formuliert: Was hat sich seit der Öffnung der Armee für Frauen im Jahr 2001 getan? Wie wirken diversifizierte Kollektive in monogeschlechtlich dominierten Berufsfeldern? Hier wollen wir eine grundlegende Entwicklung aufzeigen und fragen, wie die Bundeswehr mit Recht umgeht – auch angesichts einer heute grundlegend anderen Arbeitsmarktlage.“

Transition und Karriere in der Truppe

Ray Trautwein nimmt in der DFG-Forschungsgruppe trans*Soldatinnen und Soldaten in den Blick und fragt exemplarisch: „Was passiert, wenn ein ‚Mann‘ zur Bundeswehr geht, sich später aber als Frau fühlt und als solche outet? Wie wirkt sich die Transition auf die Karriere aus? Welche Regelwerke greifen in der Truppe und wie werden sie angenommen?“ Trautwein wird für sein Promotionsvorhaben vor allem Interviews führen, in denen persönliche, teils auch sensible Erfahrungen zur Sprache kommen. „Interessant könnte auch die vergleichende Perspektive sein“, ergänzt Trautwein. „Haben trans*Personen ähnliche Probleme in der Organisation Bundeswehr wie damals die ersten Frauen? Wo liegen Gemeinsamkeiten? Was ist anders?“ Trautwein plant, kumulativ zu promovieren. Das heißt: Er schreibt keine Monografie, sondern diverse Aufsätze. Dabei beabsichtigt er, neben trans*Soldaten auch trans*Polizisten hinsichtlich ihrer Outing- und Transitionserfahrungen zu interviewen, um eine weitere Vergleichsebene in der Forschung zu schaffen.

„Befinden sich Soldaten oder Soldatinnen in einem Transitionsprozess, dann gibt es für sie in der Bundeswehr feste Regeln“, hebt Projektleiterin Maja Apelt hervor. „Medizinisch wird beispielsweise alles bezahlt. Ziel ist es, die Einsatzfähigkeit zu erhalten oder wiederherzustellen und damit potenziell einhergehende psychische Einschränkungen abzubauen. Wir aber fragen: Wie erleben die Soldatinnen und Soldaten den Transitionsprozess konkret? Wo kommt es zu Spannungen mit den männlich-heteronormativ geprägten Strukturen? Wer begleitet die Transition?“ Für Apelt eine „spannende Gemengelage“, aus der sie neue Erkenntnisse erwartet – auch um die Geschlechterforschung als zentrale Kategorie in der Organisationssoziologie zu etablieren.
Aus vergangenen Erfahrungen weiß Apelt, dass sich „militärische Organisationen nicht unbedingt freuen, wenn sie von Fremden beforscht werden. So etwas schafft Unsicherheit.“ Gleichwohl hat die Wissenschaftlerin an der Universität Potsdam die Bundeswehr als offene Ausbildungseinrichtung wahrgenommen. Auch mit dem dort angegliederten Institut für Sozialwissenschaften stehen die Forschenden in engem Kontakt. Insofern rechnet sie „mit fruchtbaren Diskussionen, die sowohl die Armee, als auch die Forschenden einen großen Schritt weiterbringen“.

Die Wissenschaftler

Prof. Dr. Maja Apelt studierte Soziologie in Berlin. Seit 2010 ist sie Professorin für Organisations- und Verwaltungssoziologie an der Universität Potsdam. Seit 2018 ist sie zudem in der DFG-Forschungsgruppe „Recht-Geschlecht- Kollektiv“ Leiterin des Teilprojekts „Organisation und Recht – politische Interessengruppen und rechtliche Interventionen“.
E-Mail: maja.apeltuni-potsdamde

Dr. Henrik Dosdall studierte Soziologie an der Universität Bielefeld. Seit 2018 ist er als wissenschaftlicher Mitarbeiter im DFG-Projekt „Organisation und Recht“ am Lehrstuhl für Organisations- und Verwaltungssoziologie an der Universität Potsdam.
E-Mail: dosdalluni-potsdamde

Ray Trautwein studierte Soziologie und Gender Studies an der Universität Konstanz und der HU Berlin. Seit 2018 ist er als wissenschaftlicher Mitarbeiter im DFG-Projekt und promoviert zu Outing- und Transitionsprozessen in Organisationen.
E-Mail: trautweinuni-potsdamde

Das Projekt

Das Projekt „Organisation und Recht“ ist eines von insgesamt sechs Teilprojekten der seit Januar 2018 durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) geförderten Forschungsgruppe „Recht-Geschlecht- Kollektivität“. Das Teilprojekt widmet sich aus einer organisationssoziologischen Perspektive dem Zusammenhang von Organisation und Recht am Beispiel der Gleichstellungs- und Antidiskriminierungsgesetzgebung in männlich dominierten Organisationen wie der Bundeswehr.

Laufzeit: 2018 – 2021
https://www.uni-potsdam.de/de/ls-apelt/forschungsprojekte/organisation-und-recht.html

 

Dieser Text erschien im Universitätsmagazin Portal Wissen - Eins 2020 „Energie“ (PDF).