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Auf einmal digital – Warum Deutschland seine Verwaltung jetzt neu erfindet

Zur Corona-Pandemie – Beiträge aus der Universität Potsdam

Prof. Dr. Sabine Kuhlmann auf dem Campus Griebnitzsee. | Foto: Karla Fritze
Foto : Karla Fritze
Prof. Dr. Sabine Kuhlmann auf dem Campus Griebnitzsee.
Die Corona-Pandemie hat von einem Tag auf den anderen das öffentliche Leben in einen Dornröschenschlaf versetzt. Seit inzwischen rund vier Wochen geht nichts mehr, so scheint es. Kultur, Wirtschaft, Sport, Bildung, alle sind im Wartestand. Dabei muss – hinter den Kulissen – eigentlich sogar noch viel mehr funktionieren als bislang. In der Verwaltung etwa. Damit die auch hier geltenden Hygienevorschriften und Abstandsregeln eingehalten werden können, versuchen sich Verwaltungs- und andere staatliche Behörden im digitalen Kaltstart. Die Verwaltungswissenschaftlerin Prof. Dr. Sabine Kuhlmann spricht darüber, wie gut Deutschland auf diese Digitalisierung im Schnelldurchlauf vorbereitet ist – und ob sie gelingt.

Die Corona-Pandemie bringt das wirtschaftliche und öffentliche Leben Europas zu großen Teilen zum Erliegen. Auch die Verwaltung?

Ich denke, in einigen Bereichen kann sie flexibel agieren und ins Home Office wechseln. Aber das hat Grenzen. Zum einen fehlt es an der technischen Ausrüstung. Andere Aufgaben können von den Verwaltungsmitarbeitern gar nicht im Home Office erledigt werden, auch rechtlich. Da gibt es Barrieren, die in den vergangenen Jahren nicht angegangen wurden und nun ist man darauf nicht vorbereitet.  Somit gibt es jetzt auch massive Einschränkungen bis hin zu Stillstand in den Gebieten, wo Dienstleitungen für Bürger erbracht werden, also im Bürgeramt etwa, da die digitale Umstellung bisher nur schleppend vorangekommen ist. Andere Bereiche wiederum sind stark überlastet wie die Gesundheitsämter oder die Jobcenter; aber auch da stößt die digitale Erledigung, teils wegen schlechter Vorbereitung, an Grenzen.

Ist es möglich, dass innerhalb der Verwaltung deshalb Mitarbeiter in anderen Bereichen aushelfen?

Das ist wünschenswert und eine solche flexible Personalpolitik wird in Grenzen sicher praktiziert. Aber auch das lässt sich nicht überall umsetzen, vor allem, wenn bestimmte Fachkompetenzen nötig sind.

Alle Welt versucht derzeit, so viele Arbeitsprozesse wie möglich zu digitalisieren und ins Internet zu verlagern. Trifft das auch auf die Verwaltung zu?

Man bemüht sich tatsächlich – an vielen Stellen, nicht zuletzt der Verwaltung der Universität Potsdam. Es ist absolut erstaunlich, wie pragmatisch und flexibel die Verwaltung plötzlich in der Krise mit digitalen Lösungen umgeht, auch solchen die vor der Corona-Zeit als nicht möglich und nicht rechtsfest galten. Jetzt nimmt man sich diese Flexibilität, wohl wissend, dass sonst vieles zusammenbricht. Das sollte uns zu denken geben. Wir sollten es als Gelegenheitsfenster betrachten und nach dem Ende der Krise zurückschauen und die Rahmenbedingungen ändern – weil es geht!
Zum Beispiel ist der Datenaustausch zwischen Behörden plötzlich viel leichter möglich. Lange hieß es, dem stünden Datenschutzgründe entgegen. Im Jobcenter oder im Flüchtlingsmanagement – überall mussten Daten der einzelnen Personen immer wieder neu aufgenommen werden, also ganz entgegen dem sogenannten „Once only“-Prinzip. Auf einmal ist da mehr Flexibilität drin. In einzelnen Kommunen kann man offenbar sogar die Aufenthaltserlaubnis plötzlich online beantragen; das war vorher unvorstellbar.
Das erinnert mich an die Transformationszeit im Osten Deutschlands nach der Wiedervereinigung, wo ganz viel möglich war. Ich denke, wir sollten die Entwicklungen beobachten und schauen: Was geht? Was ist sinnvoll? Und wie können wir unser Rechtssystem anpassen, damit uns Verbesserungen UND Rechtssicherheit erhalten bleiben.

Wie gut arbeitet die Verwaltung im Ausnahmezustand?

Ich habe nicht den Eindruck, dass alles chaotisch läuft. Natürlich gibt es Bereiche, die überlastet sind. Gesundheitsämter, Jobcenter, Wirtschaftsförderung. Aber es ist auch gut, zu sehen, wo es Bedarfe gibt und wo wir was vorhalten müssen, etwa in der Pflege, im Risiko- und Katastrophenmanagement, in bestimmten Präventionsbereichen. Langfristig sollten daraus dann entsprechende Lehren gezogen werden, über die Optimierung von Entscheidungs- und Verwaltungszuständigkeiten neu nachgedacht und vor allem auch vorliegende Risikoanalysen von der Politik zur Kenntnis genommen werden.

Wo sehen Sie bei der Digitalisierung Nachholbedarf?

In einer ganzen Reihe von Bereichen. Zum einen müssen wir dort anfangen, wo es in hoher Zahl Nachfragen von Bürgern gibt. Wo Verwaltung Millionen von Bürger erreicht: Bürgerämter, Standesamtswesen, Kindergeld, Elterngeld, Bafög, Kfz-Stellen, Baugenehmigungen, Jobcenter usw. Dort sollte es eine medienbruchfreie Abwicklung geben. Da gibt es viel Potenzial für beide Seiten. Das Onlinezugangsgesetz (OZG)  schreibt ja schon bis Ende 2022 die Digitalisierung der 575 wichtigsten Verwaltungsleistungen vor. Die Frage ist, ob das bis dahin zu schaffen ist. Zum anderen muss sich dort etwas tun, wo Verwaltung intern kommuniziert, etwa in Sachen Datenaustausch. Damit der Bürger nicht ständig seine Daten neu eingeben muss. Das muss dann natürlich datenschutzsicher sein.

Was hat Sie positiv überrascht?

Das flexible Handeln und die Kreativität, aber auch der Mut, wenn es darum ging, Probleme zu lösen –  auch unter Nutzung von Grauzonen des Rechts. Das zeigt, dass in den Verwaltungen durchaus kreative Köpfe sitzen, die keineswegs behäbig sind, sondern Lösungen finden wollen.

Wie steht Deutschland in Sachen digitaler Verwaltung im weltweiten Vergleich da?

Die Ausgangslage ist eher schlecht. Das zeigen die Indizes, in denen sich Deutschland im letzten Drittel wiederfindet. Immerhin ging es im vergangenen Jahr leicht aufwärts. Doch leider hat sich gleichzeitig der Abstand zu den anderen europäischen Ländern vergrößert. Das bedeutet: Deutschland kommt voran, aber die anderen sind noch schneller. Deshalb habe ich meine Zweifel, dass die Vorgabe des OZG – bis 2022 die wichtigsten Verwaltungsleistungen zu digitalisieren – zu schaffen ist. Zugleich hoffe ich, dass die Krise uns zeigt: Wir müssen hier unbedingt aufholen.

Wird die Krise auch das Arbeiten der Verwaltung nachhaltig verändern?

Ja, ich bin mir recht sicher, dass es in vielen Bereichen Verschiebungen geben wird. Wie sehr, wird sich erst noch zeigen. Es gibt schon jetzt einen Ruf nach Zentralisierung, etwa im Katastrophenmanagement und Gesundheitsschutz; siehe Änderung des Infektionsschutzgesetzes. Ob das immer angemessen ist, mag man hinterfragen, da auch das dezentrale Management gar nicht so schlecht funktioniert und Abweichungen durchaus sinnvoll sein können. Aber die Frage der Aufgabenverteilung zwischen Ebenen und Verwaltungsbereichen, gerade in Krisenzeiten und im Zusammenhang mit der Digitalisierung, wird an Bedeutung gewinnen. Auch innerhalb der Verwaltung wird es einen Wandel geben und man wird über die Auswirkungen auf Beschäftigung und Qualifikation reden müssen.

Kann die Verwaltungswissenschaft dabei helfen, diese Veränderungen aktiv zu begleiten?

Man sieht derzeit täglich, wie wichtig die Wissenschaft ist. „Die Virologen regieren“, hieß es neulich im Spiegel. Das wird auch in anderen Disziplinen eine Rolle spielen. Im Zusammenhang mit der Lockdown-Problematik sind auch zunehmend Sozialpsychologen, Pädagogen, Juristen zu Wort gekommen. In der Verwaltungswissenschaft gibt es inzwischen internationale Initiativen, die sich mit dem Krisenmanagement in verschiedenen Ländern befassen und welche Lehren man für die Zukunft – auch im Ländervergleich – daraus ziehen kann. Da geht es dann um Fragen der Kompetenzverteilung, der Maßnahmenauswahl in der Krise, der Kapazitäten und Resilienz von Verwaltungen, der Wissensnutzung bei Politikentscheidungen, aber auch um die Rolle von Medien in dem Zusammenhang. Ich denke, dass wir damit dazu beitragen können, die Evidenzbasis von Politik- und Verwaltungsentscheidungen gerade in Krisenzeiten zu verbessern.

 

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