Am anderen Ende des Flurs arbeitet das Porsche-Betreuerteam in einem nahezu identischen Raum konzentriert an Laptops. Einer von ihnen ist Marco Seefried. Der gebürtige Schwabe ist selbst seit den frühen 1990er Jahren Rennfahrer und blickt auf eine erfolgreiche Karriere zurück. Wie die meisten der Rookies hat er bereits in der Kindheit mit dem Go-Kart angefangen. Heute ist er der Coach des Rookie Programms und gibt seine Erfahrung an die nächste Generation von Spitzensportlern weiter. Dazu zählen neben den technischen Fähigkeiten auch Soft Skills, wie der richtige Umgang mit dem enormen Druck, den dieser Job mit sich bringt. „Im Supercup fahren die Rookies Sprintrennen über 30 Minuten mit hohen Anforderungen an Konzentration, schnelle Entscheidungen und Durchsetzungsvermögen. Einige Fahrer wechseln dann nach zwei, drei Jahren in den Langstreckensport. Aufgrund der Dauer der Rennen über 6, 12, oder auch 24 Stunden teilen sich dort mehrere Fahrer ein Auto. Dann muss man in gewissen Dingen umdenken. Teamfähigkeit, Kontinuität und Kompromissfähigkeit sind da unverzichtbar“, weiß Seefried aus erster Hand.
Auch der Umgang mit Medien gehört zu dem, was die Rookies lernen müssen. Der Porsche Mobil 1 Supercup ist ein sogenannter Markenpokal, ein Wettbewerb, der von Porsche selbst organisiert wird, an dem alle Fahrer mit identischen Fahrzeugen teilnehmen. Während dieser Zeit sind die Fahrer quasi Markenbotschafter für den deutschen Automobilhersteller und vertreten den Motorsport nach außen. Dementsprechend gehören Schulungen zur Markengeschichte, Firmenstruktur und den Bestsellern von Porsche zum Rookie Programm. Genau wie der richtige Umgang mit Interviews: „Man muss die Wortwahl dem Medium entsprechend anpassen können“, sagt Seefried schmunzelnd. „Wenn die Fahrer sagen ‚Ich hatte Graining auf meinem Tyre‘, dann würde das ohne eine zusätzliche Erklärung nicht funktionieren.“
Gleiche Chancen für Alle
Bei dem zweitägigen Stopp innerhalb der Saisonvorbereitung des Programms in Potsdam geht es aber um etwas anderes – und zwar ganz konkret um Gesundheit und Leistungsfähigkeit der Fahrer. Im Keller der Hochschulambulanz befindet sich ein Fitnessstudio. In einer Ecke trainieren gerade einige ältere Patienten und Freizeitsportler im Rahmen einer Physiotherapie. „Viel los heute“, sagt einer von ihnen und grinst. In der gegenüberliegenden Ecke steht eine türkisblaue Beinpresse, die an einen Computer angeschlossen ist. Auf ihr sitzt der 18-jährige Flynt Schuring, mit Gurten über Kreuz fixiert, ein Bein auf dem Boden, eins auf dem Schlitten der Maschine. „Push – Pull“, wiederholt Dr. Josefine Stoll in kurzen Intervallen. Flynt Schuring gibt sichtlich alles, eine Linie auf dem Bildschirm visualisiert seine Leistung. Gemessen wird, wie gut der Rookie die enorme Belastung kompensieren kann, die während der Rennen auf Beine und Rumpf wirkt. Tatsächlich sind für den Rennsport aber kein bestimmter Körperbau und keine große Muskelmasse notwendig. „Die Chancengleichheit ist in kaum einem Sport so hoch wie im Motorsport“, erläutert Oliver Schwab, der Projektleiter des Supercups.
Ein Stockwerk weiter oben steht Pietro Delli Guanti auf einem Laufband. Auf seiner Brust kleben EKG-Elektroden, ein weißes Netzhemd gibt Kabeln und Sensoren zusätzlichen Halt. Die wissenschaftliche Mitarbeiterin Pia Manski steigt auf ein Treppchen und nimmt eine Blutprobe vom Ohr des Italieners. Dann beginnt der gestaffelte Ausdauertest mit sechs km/h, einem langsamen Tempo, bei dem das Laufen noch schwerfällt. „Joggen, nicht gehen“, ermahnt Manski. Nach drei Minuten hält sie das Laufband an, nimmt erneut Blut ab für die Bestimmung des Laktatwerts, der Auskunft über die Übersäuerung der Muskeln gibt. Dann geht es mit acht km/h weiter – alle drei Minuten wird das Tempo um zwei km/h gesteigert, bis der Rookie nicht mehr mithalten kann.
Die Testreihe in Potsdam ist vielfältig: An den zwei Tagen werden neben einer ausführlichen ärztlichen Untersuchung, EKG, Herzultraschall und Blutentnahme noch die Rumpfkraft, das Sehen, das Hören und die Reaktionszeit getestet. Letztere sogar gleich zweimal. „Die motorische Reaktionszeit, also die Geschwindigkeit, mit der man einmalig eine Aufgabe schnellstmöglich durch eine Bewegung erfüllt, ist größtenteils genetisch vorherbestimmt. Was sich jedoch trainieren lässt, ist die Präzision bei wiederholten Aufgaben und wie lange man sich konzentrieren kann“, erklärt Prof. Dr. Frank Mayer. Er betreut die Rookies seit 2021, arbeitet mit Porsche seit mehr als 20 Jahren zusammen. Als Rennarzt reist er mit den Rookies zu Orten mit so klingenden Namen wie Imola, Monte Carlo oder Monza. Denn der Porsche Mobil 1 Supercup folgt dem Verlauf der Formel 1. Oder wie Oliver Schwab es ausdrückt: „Wir sind quasi die Vorband der Formel 1. Wenn der Formel 1 Grand Prix um 3 startet, fahren wir um 12.“
Aussichten und Absichten
Während der Serie selbst kann Mayer vor Ort intervenieren, etwa bei Infekten oder muskulären Problemen. Beim Gesundheitscheck in der Hochschulambulanz geht es vor allem darum, mögliche Probleme frühzeitig zu erkennen oder ihnen sogar vorzubeugen. Aber jeder Fahrer bekommt auch ein auf ihn persönlich zugeschnittenes Trainingsprogramm und einen Ernährungsplan. „Am Ende der Saison schauen wir dann, ob die Fahrer daran gearbeitet und sich verbessert haben. Oder haben sie es zur Kenntnis genommen und ad acta gelegt? Auch das fließt in die Bewertung mit ein“, erklärt Seefried.
Denn das Rookie Programm ist auch ein Wettbewerb. Der Sieger wird weiterhin unterstützt, zum Beispiel mit der Lizenz für die berüchtigte Nordschleife des Nürburgrings: „Diese Strecke ist so speziell, dass es dafür eine eigene Lizenz gibt, für große und kleine Fahrzeugkategorien. Die Lizenz hat einen Gegenwert von rund 30.000 Euro und wird dem Gewinner von Porsche finanziert“, so Seefried. Ziel aller Teilnehmer ist es, Profirennfahrer zu werden, viele hoffen auf einen Job als Werksfahrer. Letztere nehmen dann vor allem an Langstreckenrennen teil, wie dem legendären 24-Stunden-Rennen von Le Mans.
Das erste Rennen dieser Saison wird der Große Preis der Emilia-Romagna im norditalienischen Imola sein. Zusammen mit Marco Seefried werden sie zunächst bei einem Trackwalk jede Kurve und jede Gerade eingehend studieren. Während der anschließenden Trainingsfahrten sind die Rookies per Funk mit ihrem Coach verbunden, kriegen maßgeschneidertes Feedback. Beim Rennen jedoch nicht. Dann ist volle Konzentration gefragt, während die Fahrer in der engen Kabine des Porsche 911 GT3 Cup ihrem Traum vom Sieg hinterherrasen.
Weitere Informationen zur Hochschulambulanz: https://www.uni-potsdam.de/de/sportmedizin/