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Extrem schnell – Wie kommen erdnahe Elektronen auf beinahe Lichtgeschwindigkeit?

Die Konturen in Farbe zeigen die Intensitäten der donutförmigen Strahlungsgürtel. Die grauen Linien zeigen die Flugbahnen der relativistischen Elektronen in den Strahlungsgürteln. Konzentrische Kreislinien im Vordergrund zeigen die Flugbahn von wissenschaftlichen Satelliten, die diese gefährliche Region im Weltraum durchqueren. | Illustration: Ingo Michaelis und Yuri Shprits, GFZ
Photo : Ingo Michaelis und Yuri Shprits, GFZ
Die Konturen in Farbe zeigen die Intensitäten der donutförmigen Strahlungsgürtel. Die grauen Linien zeigen die Flugbahnen der relativistischen Elektronen in den Strahlungsgürteln. Konzentrische Kreislinien im Vordergrund zeigen die Flugbahn von wissenschaftlichen Satelliten, die diese gefährliche Region im Weltraum durchqueren.
Neuere Messungen von Raumsonden der NASA haben gezeigt: Elektronen können in den Van-Allen-Strahlungsgürteln um unseren Planeten ultra-relativistische Energien erreichen und damit nahezu Lichtgeschwindigkeit. Forschende vom Deutschen GeoForschungsZentrum Potsdam und der Universität Potsdam haben herausgefunden, unter welchen Voraussetzungen es zu solch starken Beschleunigungen kommt. Bereits 2020 hatten sie nachgewiesen, dass Plasmawellen, die bei Sonnenstürmen auftreten, eine entscheidende Rolle spielen. Allerdings war bislang offen, warum derart hohe Elektronenenergien nicht bei allen Sonnenstürmen erreicht werden. Im Fachmagazin Science Advances zeigen Hayley Allison, Yuri Shprits, der gemeinsam berufener Professor an der Uni Potsdam ist, sowie Kolleginnen und Kollegen vom GFZ nun, dass hierfür die Dichte des Hintergrundplasmas extrem gering sein muss.

Ultra-relativistische Elektronen im Weltraum

Bei ultra-relativistischen Energien bewegen sich Elektronen mit nahezu Lichtgeschwindigkeit. Dann kommen die Gesetze der Relativitätstheorie zum Tragen. Die Masse der Teilchen wächst um einen Faktor zehn, für sie vergeht die Zeit langsamer und Entfernungen werden kürzer. Mit derart hohen Energien werden die geladenen Teilchen zur Gefahr für Satelliten: Weil sie nicht abschirmbar sind, können sie aufgrund ihrer Ladung die empfindliche Elektronik zerstören. Ihr Auftreten vorherzusagen – zum Beispiel im Rahmen der am GFZ praktizierten Beobachtung des Weltraumwetters – ist daher für eine moderne Infrastruktur sehr wichtig.

Um die Bedingungen für die enormen Beschleunigungen der Elektronen zu untersuchen, nutzten Allison und Shprits Daten einer Zwillingsmission, die „Van Allen Probes“, welche die US-amerikanische Weltraumagentur NASA 2012 startete. Ziel waren detaillierte Messungen im Strahlungsgürtel, dem sogenannten Van-Allen-Gürtel, der die Erde im erdnahmen Weltraum donut-förmig umgibt. Hier – wie im übrigen Weltraum – bildet ein Gemisch aus positiv und negativ geladenen Teilchen ein sogenanntes Plasma. Plasmawellen können als Fluktuation des elektrischen und magnetischen Feldes verstanden werden, angeregt von Sonnenstürmen. Sie sind eine wichtige Triebkraft für die Beschleunigung der Elektronen.

Datenanalyse mit maschinellem Lernen

Im Rahmen der Mission wurden sowohl Sonnenstürme beobachtet, die ultra-relativistische Elektronen hervorriefen, als auch Stürme ohne diesen Effekt. Als entscheidender Faktor für die starke Beschleunigung stellte sich die Dichte des Hintergrundplasmas heraus: Elektronen mit ultra-relativistischen Energien wurden nur dann vermehrt beobachtet, wenn die Plasmadichte auf sehr niedrige Werte von nur etwa zehn Teilchen pro Kubikzentimeter abfiel. Mit einem numerischen Modell, das eine solche extreme Plasmaverarmung auf ein Fünftel bis ein Zehntel ihres durchschnittlichen Wertes einbezog, zeigten die Forschenden, dass Perioden niedriger Dichte bevorzugte Bedingungen für die Beschleunigung von Elektronen schaffen – von ursprünglich einigen Hunderttausend auf mehr als sieben Millionen Elektronenvolt. Für die Analyse der Daten der Van-Allen-Sonden verwendeten die Forschenden Methoden des maschinellen Lernens, deren Entwicklung vom Netzwerk GEO.X finanziert wurde. Sie ermöglichten es, aus den gemessenen Fluktuationen des elektrischen und magnetischen Feldes auf die Gesamtplasmadichte zu schließen.

Die entscheidende Rolle des Plasmas

„Diese Studie zeigt, dass Elektronen im Strahlungsgürtel der Erde lokal sehr schnell auf ultra-relativistische Energien beschleunigt werden können, wenn die Bedingungen der Plasmaumgebung – Plasmawellen und temporär geringe Plasmadichte – stimmen. Die Teilchen surfen quasi auf Plasmawellen und können ihnen in Regionen sehr geringer Plasmadichte die benötigte Energie entziehen. Einen ähnlichen Beschleunigungs-Mechanismus für geladene Teilchen könnte es auch in den Magnetosphären der äußeren Planeten, etwa Jupiter oder Saturn, und in anderen astrophysikalischen Objekten geben“, sagt Yuri Shprits, am GFZ Leiter der Sektion Weltraumphysik und Weltraumwetter und Professor an der Universität Potsdam.

„Es braucht also zum Erreichen solch extremer Energien nicht, wie lange angenommen, einen zweistufigen Beschleunigungsprozess – zunächst aus dem äußeren Bereich der Magnetosphäre in den Gürtel hinein und dann innerhalb. Damit werden auch unsere Untersuchungsergebnisse aus dem vergangenen Jahr untermauert“, sagt Hayley Allison, PostDoc in der Sektion Weltraumphysik und Weltraumwetter.
 
Originalstudie: Hayley J. Allison, Yuri Y. Shprits, Irina S. Zhelavskaya, Dedong Wang, Artem G. Smirnov, Gyroresonant wave-particle interactions with chorus waves during extreme depletions of plasma density in the Van Allen radiation belts, Science Advances 2021, DOI: 10.1126/sciadv.abc0380