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Mehr als ein Fachraum – Ein barrierearmes Lehr-Lernlabor für inklusive Technische Bildung auf dem Campus Golm

Auf dem Tisch liegen Hammer und Säge, Schleifpapier, ein Tacker, Schraubzwingen, zwei Akkuschrauber und: Bilder von Blumen. Was das eine mit dem anderen zu tun haben kann, werden Alister und Anuk, Luka und Alexander gleich verstehen und dann, Schritt für Schritt, handwerklich begreifen. Die Vier – zwischen 13 und 18 Jahre alt – besuchen die Potsdamer Comenius-Schule, eine Schule mit dem Förderschwerpunkt Geistige Entwicklung. Heute aber sind sie mit ihrer Klasse auf den Universitätscampus Golm gekommen, um hier von und mit Studierenden zu lernen. Und zwar im neuen Lehr-Lernlabor für inklusive Technische Bildung, kurz LLiT.

Die Studentinnen Sonja Malkowski und Emilie Radke nehmen sie in Empfang und reden mit ihnen zunächst einmal über Blumen, solche, die sie kennen und besonders mögen, um ihnen dann einen Kasten zu zeigen, in den sie sie pflanzen können. Genau solch einen Kasten wollen sie nun gemeinsam bauen. Die beiden Frauen, die das Fach Wirtschaft-Arbeit-Technik für das Lehramt Förderpädagogik studieren, haben dafür den Unterricht konzipiert. Bis ins Detail. Doch haben sie tatsächlich alles bedacht? Was lässt sich planen? Worauf müssen sie spontan reagieren? Die vier Jugendlichen, die nun mit ihnen an der Werkbank stehen, begegnen ihnen zum ersten Mal. Sie sind nicht nur unterschiedlich alt und bringen verschiedene Fähigkeiten mit, sondern bedürfen vor allem einer individuellen Förderung.

„Genau das ist es, was die Studierenden üben und erproben müssen“, sagt ihre Professorin Isabelle Penning, froh über die gute Zusammenarbeit mit der Comenius-Schule, die das praktische Lernen, aber auch gemeinsames Forschen ermöglicht. Mit dem neuen Labor in Golm hat die erfahrene Förderpädagogin dafür einen perfekten Fachraum geschaffen.

Beobachten und nachbessern

An diesem Vormittag ist es hier so voll wie selten. 16 Mädchen und Jungen hämmern und sägen, kleben und schrauben an den vier Arbeitstischen, die barrierefrei eingerichtet wurden und mit allem ausgestattet sind, was für einen inklusiven technischen Unterricht benötigt wird. Je zwei Studierende betreuen die Vierergruppen, erklären ruhig und im angemessenen Tempo, was als nächstes zu tun ist, welche Werkzeuge dafür benötigt werden, wie man sie handhabt und was zu beachten ist, um sich nicht zu verletzen. Währenddessen beobachten ihre Kommilitoninnen und Kommilitonen jeden Moment des Geschehens, notieren, was gelingt und was nicht, wo das Konzept eine Lücke aufweist und was methodisch noch verbessert werden kann. Im nächsten Seminar werden sie das auswerten und ihren Unterrichtsplan entsprechend anpassen, erklären die beiden Dozentinnen Carolin Hammer und Inga Fahlberg, die heute im Labor alle Abläufe im Blick haben müssen.

Beim Bau der Blumenkästen geht es gut voran. Alister und Anuk, Luka und Alexander haben die zugeschnittenen Teile zusammengeschraubt und beginnen nun, das Holz zu schleifen. „Warum?“, fragt Sonja in die Runde. „Damit man keinen Splitter in die Haut bekommt“, weiß Alister. Dann streichen alle mit der Hand über das Holz und fühlen, wie sich die Oberfläche verändert, wenn sie sie mit dem Sandpapier geschmirgelt haben. Die beiden Studierenden sind zufrieden. Es läuft gut. Die Jugendlichen nutzen sogar das Video auf einem bereitliegenden Tablet, mit dem jeder einzelne Arbeitsschritt noch einmal nachvollzogen werden kann. „So verbinden wir das handwerkliche gleich mit dem digitalen Lernen“, erklärt Emilie.

Heterogenste Schule Potsdams

Am Nachbartisch, an dem eine Trommel gebaut wird, braucht ein Schüler etwas mehr Unterstützung. Es fällt ihm schwer, den Hammer ruhig zu führen. Die betreuende Studentin umfasst das Gelenk seiner Hand, mit der er das Werkzeug zu halten versucht. Gemeinsam schlagen sie den Nagel ins Holz. Die anderen am Tisch helfen sich gegenseitig, zum Beispiel beim Kleben, wenn die eigene Kraft nicht reicht, den Leim aus der Tube zu drücken oder zwei Bauteile lange genug aufeinander zu pressen. Ein Junge hat sich in sich zurückgezogen, muss immer wieder angesprochen und ermuntert werden.

„Die kognitiven und motorischen Voraussetzungen sind eben sehr unterschiedlich“, erklärt der begleitende Lehrer Jan Wendt von der Comenius-Schule, die er zu Recht „die heterogenste Schule Potsdams“ nennt. An diesem Vormittag hält er sich im Hintergrund und beobachtet zufrieden, wie gut und ausdauernd die Jugendlichen mitmachen. „Dass sie sich schnell auf fremde Personen einstellen und konzentrieren können, ist aber auch das Ergebnis von acht bis neun Jahren Schule“, resümiert er. Längere Zeit bei einer Tätigkeit zu bleiben, sei das Ziel der Ausbildung. „Für uns ist es wichtig zu sehen, ob das auch außerhalb des Klassenraums funktioniert und später in einem Betrieb, vielleicht sogar auf dem ersten Arbeitsmarkt“, so Wendt, der aus langjähriger Lehrtätigkeit weiß, wie viel Geduld, Einfühlungsvermögen und Fachwissen es braucht, die Kinder und Jugendlichen in ihrer geistigen Entwicklung voranzubringen. Seine Erfahrungen gibt er gern an die Studierenden weiter: „Wir versuchen, sie auf unsere Seite zu ziehen. Und sie geben uns ja auch Impulse, den eigenen Unterricht zu überdenken.“

Es ist nicht selbstverständlich, dass Förderschulen sich auf eine solche Kooperation einlassen, weiß Isabelle Penning, die mit der Potsdamer Comenius-Schule und der Berliner Biesalski-Schule ein sogenanntes Campusschulen-Netzwerk geknüpft hat. Am Bedarf der Praxis orientiert, werden hier neue fachdidaktische Ansätze entwickelt, im Unterricht erprobt und empirisch erforscht. „Wie müssen wir Technische Bildung gestalten, damit alle Schülerinnen und Schüler etwas lernen?“ Das sei die zentrale Frage, sagt die Fachdidaktikerin, die die Forschungsergebnisse in frei lizensierte Bildungsmaterialien, unterrichtspraktische Publikationen und die Weiterbildung der Lehrkräfte fließen lassen will. Und die Studierenden? Sie können dank der guten Zusammenarbeit praktische Unterrichtserfahrungen mit forschendem Lernen verknüpfen, so wie heute hier im Labor.

Der Stolz ist ihnen anzumerken

An den Werkbänken hat inzwischen die studentische Besetzung gewechselt, damit jede und jeder auch einmal die Beobachtungsposition einnehmen kann. Die Jugendlichen sind dabei, ihre Werkstücke zu bemalen: Holztrommeln, Kerzenständer, Bildhalter und Blumenkästen. Wer einen Stift oder Pinsel nicht halten kann, nimmt Aufkleber zur Dekoration. Einige Mädchen lassen sich unterdessen erklären, was sie an der Standbohrmaschine beachten müssen. Die Schutzbrille vor den Augen, den knallroten Gehörschutz auf den Ohren wagen sie sich heran. Als der Bohrer sich in langsamer Umdrehung durch das Holz gearbeitet hat, ist ihnen der Stolz anzumerken.

Im Labor gibt es einige besondere Maschinen, mit denen sich technische Fertigungsverfahren im Kleinen verstehen lassen, sagt Isabelle Penning und führt eine Tretlaubsäge vor, die wie eine alte Nähmaschine mit wippenden Füßen angetrieben wird. „Die können schon Kinder im Grundschulalter nutzen“, weiß die Professorin, die für die Möglichkeiten des Labors mit einem Video wirbt. Darin stellt sie auch eine winzige Drechselbank vor, an der das Gehäuse eines Kugelschreibers entsteht. „Ob das wirklich Potenziale birgt oder neue Herausforderungen mit sich bringt, das müssen wir noch herausfinden“, sagt die Wissenschaftlerin. Schließlich sei das Labor ja auch ein Forschungsraum.

Für Alister und Anuk, Luka und Alexander ist es vor allem ein Werkraum, in dem sie jetzt den Umgang mit einem Tacker lernen, um ihre Blumenkästen mit Folie auszuschlagen. Zum Schluss füllen sie Erde ein und säen Blumensamen aus. Da wird etwas wachsen. Das bleibt.


Isabelle Penning ist seit 2021 Juniorprofessorin für Didaktik der ökonomisch-technischen Bildung im inklusiven Kontext, Förderschwerpunkt kognitive Entwicklung (Sekundarstufe I) an der Universität Potsdam.

Fachdidaktische Ansätze für eine inklusive Technische Bildung in der Sekundarstufe I zu entwickeln, in der Praxis zu erproben und empirisch zu erforschen, ist das zentrale Ziel im LLiT – Lehr-Lernlabor inklusive Technische Bildung, das 2023 als Praxislernort durch die Gesellschaft für Arbeit, Technik und Wirtschaft im Unterricht e.V. (GATWU) ausgezeichnet wurde. Es gehört zum Fach Wirtschaft-Arbeit-Technik (WAT) und dient als universitäres Lehrformat zur Verknüpfung von Theorie und Praxis, als Forschungsinfrastruktur für fachdidaktische Fragestellungen und als offener und barrierefreier Gestaltungsraum für Technische Bildung. Lehrkräfte können mit ihren Klassen das LLiT als außerschulischen Lernort besuchen und profitieren von neuen unterrichtlichen Umsetzungsideen für eine inklusive Technische Bildung. Der barrierearme, circa 150 Quadratmeter große Fachraum auf dem Campus Golm lädt alle Interessierten dazu ein, eigene Ideen zur Technischen Bildung einzubringen oder an einem der angebotenen Workshops zu wechselnden Themen teilzunehmen.

Hier gibt es mehr Informationen zum LLiT: https://www.uni-potsdam.de/de/wat/index/forschung-und-entwicklung/llit-lehr-lernlabor-inklusive-technische-bildung

 

Dieser Text erschien im Universitätsmagazin  Portal - Zwei 2025 „Demokratie“.