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Von A wie Alphabet bis Z wie Zweitsprache – Christoph Schroeder will mithelfen, dass Deutschkurse für Einwandernde besser werden

Christoph Schroeder in seinem Büro.
Foto : Kevin Ryl
Christoph Schroeder, Professor für Deutsch als Fremd- und Zweitsprache, erforscht seit vielen Jahren, was es bedeutet, eine neue Sprache zu lernen.

Integration fängt mit Sprache an. Wer in einem fremden Land wirklich leben und nicht nur vom Rand aus zusehen will, muss sich verständigen können. Und zwar sprechend, lesend und schreibend. Eine Aufgabe, die es in sich hat, wie der Potsdamer Germanist Christoph Schroeder weiß. Er ist Professor für Deutsch als Fremd- und Zweitsprache und erforscht seit vielen Jahren, was es bedeutet, eine neue Sprache zu lernen. Er sagt: Menschen, die nach Deutschland einwandern, wird das bislang schwerer gemacht als nötig.

Wer nach Deutschland kommt, um hier zu leben, will meist eines: sich ein neues Leben aufbauen – Job, Wohnung, Familie, Freunde. Voraussetzung dafür ist in der Regel ein sogenannter Integrationskurs. Diese werden seit 2005 vom Bundesamt für Migration und Flüchtlinge organisiert und dienen dazu, Neuankommenden deutsche Kultur, Geschichte und Rechtsordnung nahezubringen. Vor allem aber sollen sie ihnen die deutsche Sprache vermitteln. Ganze 600 der 700 Unterrichtseinheiten, um die Teilnehmenden auf das Sprachniveau B1 zu bringen. Seit ihrer Einführung haben bis Ende 2021 mehr als 3,5 Millionen Menschen an den Kursen teilgenommen. Allein 2016, auf dem Höhepunkt der sogenannten Flüchtlingskrise, waren es 535.000. Und neun von zehn Teilnehmenden schließen den Sprachkurs auf A2-Niveau oder besser ab. Eine Erfolgsgeschichte? Nur bedingt, sagt Christoph Schroeder. Denn die Zahlen lassen sich auch anders lesen. Nachdem zwischen 2012 und 2016 stets mehr als zwei Drittel der Teilnehmenden das B2-Niveau erreicht hatten, kam mit dem Zuwanderungsboom 2015/16 der „Ergebnisknick“: 2018 schaffte die Hälfte den B1-Test im ersten Anlauf nicht, nur gut die Hälfte erhielt das begehrte Zertifikat überhaupt, ein Drittel immerhin noch A2. Die Erklärung liegt für Christoph Schroeder auf der Hand: Unter den Neuankommenden seien viele, die gar nicht Lesen und Schreiben können. Was sie in den Kursen bewältigen müssten, sei ungleich schwerer: „Das ist eine gewaltige Aufgabe: Lesen und Schreiben lernen – und das auch noch in einer fremden Sprache!“ Zwar gebe es für eigens für sie die sogenannten Alphabetisierungskurse. Doch die würden ihrer Aufgabe nicht gerecht, die Erfolgsquote überdurchschnittlich schlecht. „Diese Kurse sind das Problemkind der Integrationskurse“, so der Germanist. Dies habe sich nach 2015/16 besonders deutlich gezeigt, als verstärkt Menschen nach Deutschland kamen, die kaum bis gar keine Schulbildung hatten. „Die geringen Erfolgszahlen haben mir bestätigt, was wir schon vorher kritisiert haben: Die Kurse funktionieren für sie nicht richtig. Sprachvermittlung hat nicht nur einen technischen Aspekt, sondern auch – und für diese Menschen vor allem – einen sozialen Aspekt.“ Wofür brauchen wir Sprache? Einkaufen, Bewerbungen schreiben, Müll trennen, Zug fahren, überall ist Lesen und Schreiben im Spiel. Es sei Aufgabe der Kurse, das zu zeigen und zu vermitteln. „Die Menschen lernen in diesen Kursen nämlich nicht nur Buchstaben, Wörter und Sätze“, so der Forscher. „Viele von ihnen müssen überhaupt erst einmal den sozialen Wert der Schriftsprache erkennen.“ Nach wie vor gebe es Gegenden auf der Welt, in denen ein geteilter Zugang zu Schriftlichkeit üblich sei: Einige wenige schreiben, alle anderen lassen schreiben. „In Deutschland üben Kinder schon in der Grundschule Schreibanlässe, wie Briefe an Oma. Für viele Menschen in den Kursen ist das Neuland, in das wir sie führen müssen.“ Außerdem sei es wichtig, die Anforderungen an Lernende in den Alphabetisierungskursen anzupassen: „Sie sollten nicht in engen Fristen ein bestimmtes Kompetenzniveau erreichen müssen, sondern zunächst einmal den enorm wichtigen Zugang zu Schriftlichkeit selbst.“

Als Professor für Deutsch als Zweit- und Fremdsprache entschloss sich Christoph Schroeder, die Alphabetisierung von Zuwandernden zu einem Schwerpunkt zu machen: „Das ist ein hochspannendes Thema, nicht nur wissenschaftlich, sondern auch, um sich gesellschaftlich zu engagieren – und die Kurse besser zu machen.“ Seitdem bringt der Forscher seine Expertise ein, wo es geht. Schon 2014 war er mit einem Artikel dem medialen Jubel über das Erfolgsmodell der Integrationskurse entgegengetreten. „Gerade die bildungsfernen Einwanderer, die die Kurse am nötigsten hatten, profitierten am wenigsten von ihnen“, heißt es dort. Immer wieder schreibt er in verschiedenen Medien über das Thema, egal ob breitentauglich in der Süddeutschen Zeitung oder in Ministerien gelesenen Fachzeitschriften für Ausländerrecht. Auch in Fachgutachten für die Friedrich-Ebert-Stiftung oder Policybriefe bringt er sich ein. „Wir sind auch im Gespräch mit dem Bundesamt, das an der Weiterentwicklung der Kurse arbeitet“, sagt er. „Und hoffen sehr, dass unsere Anregungen Anklang finden.“

Der Germanist will aber auch selbst zur Veränderung der Lehrpraxis beitragen. Dafür hat er sich mit einem Weiterbildungsträger in Berlin-Spandau zusammengetan, der viel Erfahrung in der Konzeption und Durchführung von Integrationskursen hat. „Wir bringen die wissenschaftliche Expertise ein, unser Partner die Erfahrung in der Weitervermittlung.“ Die Weiterbildung soll einen Fokus legen auf kontrastive Aspekte: „So ist durchaus denkbar, Menschen mit bislang wenig Zugang zu Schriftlichkeit erste Schritte in der Sprache zu ermöglichen, in der sie schon mündlich kompetent sind. Das hilft ihnen dann auch mit Blick aufs Deutsche“, so der Forscher.

Nicht zuletzt will Christoph Schroeder die wissenschaftlichen und praktischen Erkenntnisse auch in die Uni bringen. Am besten mit einem eigenen Modul zur Alphabetisierung in der Zweitsprache. Bis es soweit ist, gibt Schroeder regelmäßig Lehrveranstaltungen, hat eine Ringvorlesung organisiert mit Kolleginnen aus Jena und Wien, „die sich im Bereich Alphabetisierung wissenschaftlich engagieren“. Das Interesse der Studierenden gibt ihm Recht. „Es ist mir wichtig, dass unsere Studierenden auch etwas davon haben. Immerhin werden einige von ihnen sicher später solche Kurse unterrichten.“

Kontakt:
Prof. Dr. Christoph Schroeder, christoph.schroeder.iiiuni-potsdamde
https://www.uni-potsdam.de/de/daf/personal/christoph-schroeder

Weitere Informationen:
Das Fazit von Christoph Schroeder und Natalia Zakharova zu 10 Jahren Integrationskurse: https://mediendienst-integration.de/artikel/10-jahre-integrationskurse-eine-kritische-bilanz.html
Informationen des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge zu den Integrationskursen: https://www.bamf.de/DE/Themen/Integration/ZugewanderteTeilnehmende/Integrationskurse/integrationskurse-node.html
Policybrief von Christoph Schroeder und seinem Team zur Reform der Alphabetisierungskurse: https://library.fes.de/pdf-files/a-p-b/19284.pdf