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Kürzer als ein Wimpernschlag – Mit ultrakurzen Laserstrahlen kann Prof. Henrike Müller-Werkmeister beobachten, wie sich Moleküle bewegen

 

Prof. Henrike Müller-Werkmeister
Versuchsaufbau im Labor von Prof. Müller-Werkmeister
Foto : Tobias Hopfgarten
Prof. Henrike Müller-Werkmeister
Foto : Tobias Hopfgarten
Versuchsaufbau im Labor von Prof. Müller-Werkmeister

Die Sonne war eines der ersten Objekte, die spektroskopisch untersucht wurden. Schon im 19. Jahrhundert entdeckten die Forscher Robert Bunsen und Gustav Robert Kirchhoff, dass man mithilfe von Licht die chemische Zusammensetzung von Sonne und Sternen bestimmen kann. Die Spektroskopie bot ganz neue Möglichkeiten für die chemische Erforschung von Objekten und Materialien. Heute ist die Methode weit fortgeschritten und im Forschungsalltag unentbehrlich. Mit ihr identifiziert man etwa unbekannte Stoffe oder analysiert Blutproben. Das Potenzial ist aber noch längst nicht ausgeschöpft. Die Juniorprofessorin Henrike Müller-Werkmeister optimiert die Spektroskopie im Bereich des schnellen Infrarotlichts und möchte damit „zuschauen, wie sich Moleküle bewegen“.

„Ich mag komplizierte Experimente“, sagt die Juniorprofessorin für Physikalische Chemie. Wenn man in ihrem Laserlabor steht, wird schnell deutlich, was sie damit meint. Die Hälfte des Raums nimmt ein sieben Meter langer Tisch ein, auf dem verkabelte Kisten und Boxen festgeschraubt sind. Ein Blick in die offenen Kisten zeigt jede Menge runde und eckige Metallelemente, Prismen, Spiegel, Linsen und Kristalle. Der Laie verliert hier schnell den Überblick und kann nicht erkennen, nach welchem Muster sie angeordnet sind. Doch was hier zu sehen ist, folgt einem ausgeklügelten Plan. Jedes Schräubchen sitzt an der richtigen Stelle, jeder Spiegel und jede Linse ist hochpräzise ausgerichtet.

Ob alles richtig sitzt und jeder Winkel korrekt ist, zeigt sich, wenn ein ultrakurzer Laserstrahl in das System eingespeist wird. Der gepulste Lichtstrahl mit einer Wellenlänge von 800 Nanometern ist als rötliches Licht sichtbar, wird an Linsen gespalten und gebündelt, über Spiegel umgeleitet, in den eingesetzten Kristallen gebrochen und verändert seine Wellenlänge. Wenn das Licht vielfach gebogen, gebrochen, gebündelt und manipuliert wurde, entsteht am Ende des aufgebauten Lasersystems mittleres Infrarotlicht, mit dem Henrike Müller-Werkmeister und ihr Forschungsteam beobachten können, wie sich Moleküle bewegen.

Bindungen brechen und bilden sich neu

Die Wissenschaftlerin hält das Modell eines Wassermoleküls in den Händen und zeigt, was sie damit meint: Eine rote Kugel stellt das Sauerstoffatom dar, zwei weiße Kugeln sind die daran gebundenen Wasserstoffmoleküle. Sie zieht kurz an einer der weißen Kugeln, die sich mit einem „Plopp“ vom Modell löst. „Das ist ein Bindungsbruch“, erklärt sie. In der Chemie ist das nichts Besonderes. Moleküle und Atome sind ständig in Bewegung, lösen Bindungen und gehen neue ein, verändern ihre Strukturen, geben Energie ab oder nehmen welche auf. „Chemische Prozesse wie diese schreibt man in der organischen oder der anorganischen Chemie als Mechanismus auf dem Papier auf. Aber man konnte sie bisher – etwa bei der Synthese von pharmakologisch wirksamen Substanzen oder von neuen Materialien – nicht beobachten“, erklärt die Physikochemikerin.

Die Forscherin wollte genau das ändern. „Wie kann ich Biomoleküle untersuchen auf der fundamentalen Zeitskala der Chemie?“, fragte sie sich. Dafür benötigt sie Licht einer ganz bestimmten Qualität – mit der richtigen Wellenlänge, Intensität und Pulsfrequenz. „Technisch ist es sehr schwierig, dieses ultraschnelle Infrarotlicht herzustellen“, erklärt Henrike Müller- Werkmeister. Vor mehr als vier Jahren hat die Wissenschaftlerin damit begonnen, das Laserlabor so umzurüsten, dass ganz neue Einblicke in Biomoleküle – etwa Proteine, Zucker oder Enzyme – möglich sind. Seit einem Jahr gelingen die ersten Messungen – mit einem Verfahren, das sich ultraschnelle 2D-Infrarotspektroskopie (2D-IR-Spektroskopie) nennt. Nur etwa zehn Arbeitsgruppen in Deutschland forschen an diesem Verfahren, Biomoleküle haben sogar nur drei Arbeitsgruppen im Blick.

„Ultraschnell“ bedeutet hier: verdammt schnell. Licht legt in einer Femtosekunde gerade einmal 0,33 Mikrometer zurück, eine Femtosekunde ist der millionste Teil einer milliardstel Sekunde. „Aus chemischer Perspektive ist das eine sehr interessante Zeitskala, die aber gar nicht so leicht zu untersuchen ist“, erklärt Henrike Müller-Werkmeister.

Schwingungen in der Molekülsuppe

Dieses Kunststück gelingt ihr nun mit dem Lasersystem in ihrem Labor und der ultraschnellen 2D-IRSpektroskopie, die die Strukturveränderungen – den Tanz der Moleküle – sichtbar macht. Dazu trifft der Lichtstrahl auf eine „Molekülsuppe“ aus Millionen Molekülen, wie es die Juniorprofessorin nennt, und regt Schwingungen in den Verbindungen an. Diese Schwingungen liefern Signale, die als Spektrogramm bildlich dargestellt werden. Das Verfahren betrachtet dabei ganz bestimmte Atomgruppen – sogenannte funktionelle Gruppen –, die wichtig für das Reaktionsverhalten und die Eigenschaften der Moleküle sind. „Es ist so, als wenn wir auf einen ganzen Hörsaal voller Studierender blicken, aber uns ganz gezielt nur anschauen, wie die Haare sitzen“, beschreibt Henrike Müller-Werkmeister das Prinzip.

Interessant wird es für sie vor allem, wenn sich die „Frisuren“ nach einer gewissen Zeit verändern: Wie sehen die Schwingungen der Moleküle nach einer definierten Zeit aus und was verrät das über ihre Eigenschaften und mögliche Wechselwirkungen mit anderen Substanzen? „Molekulare Prozesse beginnen auf sehr kurzen Zeitskalen, nach einer Sekunde hat man schon ein ganz anderes Molekül“, erklärt Henrike Müller-Werkmeister. „Uns interessiert, was genau in dieser Zeit auf der Molekülebene geschieht.“ Denn diese Zwischenschritte sind häufig noch unbekannt. Daher plant sie für die Zukunft Messreihen, die ganze Reaktionsverläufe abdecken können. Was geschieht etwa bei der chemischen Synthese eines Stoffes nach 100 Femtosekunden, einer Nanosekunde oder einer Millisekunde und was genau verändert sich im Molekül?

Der Fingerabdruck von Mikroplastik

Der Aufbau des Labors für 2D-IR-Spektroskopie in Potsdam hat jahrelange Arbeit gekostet. Es ist ein Prozess, der noch nicht abgeschlossen ist und der ständig verfeinert wird. Für das Forschungsteam um Henrike Müller-Werkmeister lohnt sich der Aufwand. Denn die Methode biete eine Art „Werkzeugkoffer“, der sich auf alle möglichen Forschungsfragen anwenden lässt. Das übergeordnete Ziel ist es, chemische und biochemische Reaktionen und die zugehörigen Strukturänderungen besser zu verstehen. Gerade optimiert das Team die IR-Spektroskopie etwa für ganz bestimmte funktionelle Gruppen, die häufig in pharmakologisch wirksamen Molekülen vorhanden sind. „Phosphatgruppen, Sulfatgruppen oder fluorierte Kohlenstoffe sind hochinteressant, in vielen Biomolekülen aktiv und werden weltweit bisher nur von drei anderen Arbeitsgruppen untersucht“, betont Henrike Müller-Werkmeister. Wenn mehr darüber bekannt ist, wie sich diese Moleküle verhalten, könnte das auch neue Erkenntnisse darüber liefern, wie genau sie gegen Erkrankungen wirken oder Zellfunktionen beeinflussen.

Neben Zuckermolekülen und Proteinen haben die Forscherinnen und Forscher auch Mikroplastik im Blick. Denn jede Sorte Plastik besitzt einen individuellen Fingerabdruck in IR-Spektren. „Die große Herausforderung ist es, die Plastikteilchen erst einmal aus Umweltproben zu isolieren – beispielsweise aus Ackerboden“, erklärt Henrike Müller-Werkmeister. Ihrer Forschungsgruppe gelang das mit einer Kombination verschiedener Verfahren: Die gröberen Plastikteilchen wurden zunächst durch Sieben von den Bodenpartikeln getrennt. Die verbliebenen besonders kleinen Teilchen konnten dann elektrostatisch aufgeladen und wie mit einer Art Magnet aus der Erde gezogen werden. Auch durch die unterschiedliche Dichte von Plastik und Bodenpartikeln konnten beide in einem Verfahren voneinander getrennt werden. Auf einem extra entwickelten Siliziumchip können dann bis zu 25.000 Proben mit Plastikteilchen, die kleiner als 15 Mikrometer sind, durchgemessen werden. In diesem Größenbereich können die Partikel gefährlich für Organismen und Umwelt sein und es gibt bisher keine Methode, die große Mengen an Proben in kurzer Zeit analysieren kann. Aus den spezifischen Merkmalen des Spektrums können die Forscherinnen und Forscher genau erkennen, um welche Plastikart es sich handelt, und auch abschätzen, wie alt die Proben ungefähr sind. Aktuell verfeinert das Forschungsteam die Methoden, um künftig große Mengen an Erdproben in kurzer Zeit analysieren zu können.

Ob Biomoleküle, Mikroplastik oder metallische Nanoteilchen – Henrike Müller-Werkmeister, die mit ihrer Arbeit unter anderem am Exzellenzcluster UniSysCat beteiligt ist und hier mit an der grünen Chemie der Zukunft forscht, hat viele Pläne, was sie in ihrem Laserlabor noch alles untersuchen möchte. Demnächst will sie Ergebnisse aus der ultraschnellen Spektroskopie und aus der Röntgenkristallografie miteinander kombinieren. Letztere liefert extrem hochaufgelöste Informationen über Moleküle, die bis auf die atomare Ebene reichen. Für die schnellen Röntgenexperimente arbeitet sie mit Forschenden des Deutschen Elektronen-Synchrotrons in Hamburg zusammen, um noch genauere Einblicke in die Struktur und Reaktionsmechanismen von Biomolekülen zu erhalten. Auch mit diesem Forschungsvorhaben betritt sie Neuland. Aber davon lässt sich die Juniorprofessorin nicht abschrecken. Schließlich dürfen Experimente bei ihr auch mal kompliziert sein.

Das Labor

Das 2D-IR-Spektroskopie-Labor der Arbeitsgruppe verfügt über hochpräzise und modernste Messtechniken, zu dem ein Lasersystem mit zweistufigem regenerativen Verstärker, optische parametrische Verstärker zur mehrstufigen Umwandlung in mittleres Infrarot und/oder variabel abstimmbares sichtbares Licht, Differenz-Frequenz-Erzeugung für mittleres Infrarot, ein 2D-IR-Spektrometer mit Pulsshaper und ein MCT-Detektor gehören.
Der Aufbau wird gefördert durch das Tenure-Track Programm der Uni Potsdam und des Landes Brandenburg und durch die Förderrichtlinien EFRE-InfraFEI und EFRE-StaF der Europäischen Union.

www.uni-potsdam.de/de/usd

Die Wissenschaftlerin

Prof. Dr. Henrike Müller-Werkmeister studierte Biochemie und Physik an der Goethe-Universität Frankfurt. Seit 2017 leitet sie als Juniorprofessorin an der Uni Potsdam eine Arbeitsgruppe in der Physikalischen Chemie zum Thema Ultrafast Structural Dynamics.
E-Mail: henrike.mueller-werkmeisteruni-potsdamde

 

Dieser Text erschien im Universitätsmagazin Portal Wissen - Zwei 2022 „Mensch“ (PDF).