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Gibt es ein Recht auf Klimaschutz? – Der Jurist Christian Bickenbach untersucht die rechtlichen Grundlagen von Klimaschutzklagen

Prof. Dr. Christian Bickenbach | Foto: Sandra Scholz
Foto : Sandra Scholz
Prof. Dr. Christian Bickenbach
Die trockenen Sommer der letzten Jahre fordern ihren Tribut. Die Auswirkungen der Erderwärmung wie ausgeprägte Hitzeperioden und Überschwemmungen verursachen Schäden in Milliardenhöhe – in der Forst- wie in der Landwirtschaft und in der Binnenschifferei. Neben wirtschaftlichen Einbußen gibt es immer wieder auch Todesopfer. Muss der Staat seine Bürger vor den Gefahren des Klimawandels besser schützen? Wo fängt diese Schutzpflicht an und wo endet sie? Diese Fragen beschäftigen zunehmen die Gerichte.

Die Entscheidung zur ersten Klimaklage gegen die Bundesregierung fiel im Oktober 2019 und war für die Kläger ernüchternd. Das Verwaltungsgericht Berlin wies ihre Klage als unzulässig ab. Geklagt hatten drei Familien aus der Biolandwirtschaft und die Umweltorganisation Greenpeace. Sie wollten die Bundesregierung per Gerichtsurteil verpflichten lassen, das von ihr im Jahr 2014 gesetzte Klimaschutzziel einzuhalten. Der Kabinettsbeschluss legte fest, die Treibhausgasemissionen bis 2020 gegenüber dem Vergleichsjahr 1990 um 40 Prozent zu reduzieren. Lange sah es so aus, als wenn Deutschland dieses Ziel weit verfehlen würde. Erst infolge der Corona-Krise scheint es doch noch in greifbare Nähe zu rücken – doch davon war zum Zeitpunkt der Entscheidung des Berliner Verwaltungsgerichts noch nichts zu ahnen.

Umweltschutz ist im Grundgesetz verankert

Die Landwirte erleben Ernteeinbußen durch Dürren oder Starkregen – Ereignisse, die mit dem Klimawandel heftiger und häufiger werden. Ihre Klagen begründeten die Familien aus Brandenburg, dem Alten Land bei Hamburg und von der Nordseeinsel Pellworm mit der Eigentums- und Berufsfreiheit und dem Grundrecht auf Leben und Gesundheit. Christian Bickenbach ist Professor für Verwaltungsrecht, insbesondere Regulierungs- und Infrastrukturrecht, und blickt mit steigendem juristischen Interesse auf das Phänomen der sogenannten „Klimaklagen“. Denn die Frage, ob es ein Recht auf Klimaschutz gibt, ist nicht so leicht zu beantworten. Zwar ist der Umweltschutz als Staatsziel im Grundgesetz verankert. Aber ein Staatsziel begründet – in juristischem Fachjargon gesprochen – kein subjektives Recht und ist damit nicht einklagbar.

Im aktuellen Fall schätzte das Berliner Verwaltungsgericht das Klimaziel der Bundesregierung als „politische Absichtserklärung, keine rechtsverbindliche Regelung“ ein. Außerdem fehle es den Klägern an der Klagebefugnis. Derzeit beschäftigen die Gerichte weitere Klagen, die den Klimaschutz betreffen: Neun junge Menschen – darunter die Klimaaktivistin Luisa Neubauer – haben im Februar 2020 Verfassungsbeschwerde beim Bundesverfassungsgericht eingelegt. Das 2019 verabschiedete Klimapaket ist aus ihrer Sicht viel zu lasch. Sie fordern eine Überarbeitung und Verschärfung. Bereits seit 2015 klagt zudem der peruanische Bauer Saúl Luciano Lliuya gegen den Energiekonzern RWE. Durch die Erderwärmung sieht der Landwirt seine Existenzgrundlage bedroht – dafür seien auch die Emissionen von RWE verantwortlich. Vor dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) wird die Klage von zehn Familien aus der EU, Kenia und Fidschi sowie eines samischen Jugendverbandes verhandelt, die schärfere EU-Klimaziele erreichen wollen. In der ersten Instanz hatte das Gericht der Europäischen Union (EuG) die Klage abgewiesen. Die Kläger legten Berufung ein.

Das absolute Minimum des Klimaschutzes

„Es geht immer darum, ob Grundrechte verletzt werden“, beschreibt Christian Bickenbach die juristischen Grundlagen der Klagen. „Grundrechte sind generell Rechte, die einem Individuum gegenüber dem Staat zustehen.“ Der Schutz der Menschenwürde, das Recht auf Versammlungsfreiheit oder das Recht auf freie Meinungsäußerung sind typische Beispiele dafür. „Treibhausgase werden aber hauptsächlich von Unternehmen und Privaten emittiert“, erklärt Bickenbach. „An dieser Stelle haben Sie kein staatliches Handeln, wo die Grundrechte als Abwehrrechte fungieren können.“ Die juristisch interessanteste Frage sei dabei, ob der Staat seine Schutzpflichten verletze, wenn er seine Bürgerinnen und Bürger nicht ausreichend vor den Folgen des Klimawandels bewahre: Tut der Gesetzgeber also genug, um Leben, Gesundheit, Eigentum oder freie Berufsausübung zu schützen?

„Für uns Juristen ist entscheidend, wo das sogenannte Untermaßverbot beginnt“, sagt Christian Bickenbach. Jenes Verbot verpflichtet den Staat, für einen angemessenen und wirksamen Schutz der grundrechtlich geschützten Rechtsgüter zu sorgen. Art, Nähe und Ausmaß möglicher Gefahren bestimmen die Notwendigkeit und den Inhalt rechtlicher Regelungen, wobei eben jenes bestimmte Maß nicht unterschritten werden darf. Doch was ist beim Klimaschutz rechtlich gesehen notwendig und ausreichend? „Was ist das Minimum, das die deutsche Bundesregierung für den Klimaschutz und den Schutz der Grundrechte tun muss?“, fragt Bickenbach. Eine Entscheidung darüber ist schwierig – auch, weil die Ursachen des Klimawandels eben nicht auf nationale Grenzen beschränkt, sondern global sind.

Vergangene Entscheidungen als Blaupausen für die Zukunft

Aus Forschersicht fasziniert Christian Bickenbach einerseits die juristische Vielfalt der Klimaklagen, die sowohl vor Verwaltungs- als auch vor Verfassungsgerichten verhandelt werden müssen. Andererseits führt die Klimafrage auch in den Rechtswissenschaften zu Grundsatzfragen, die juristisch neu beurteilt werden müssen.

Christian Bickenbach nutzt dafür unter anderem seine „Wand der Entscheidungen“: In seinem Büro füllen die mehr als 150 grauen Bände der Amtlichen Sammlung der Senate des Bundesverfassungsgerichts etliche Regalmeter. Das Werk listet akribisch und umfassend sämtliche Senatsentscheidungen, Argumentationen und Begründungen zu allen möglichen Rechtsfragen und Verfassungsbeschwerden seit dem Jahr 1951 auf. Hier kann man etwa nachlesen, wie das Verbot der gewerbsmäßigen Sterbehilfe als verfassungswidrig gekippt wurde. Jedes Jahr kommen drei weitere Bände hinzu. Christian Bickenbach fahndet in den Büchern nach möglichen Blaupausen für Rechtsfragen im Klimaschutz. Die über allem stehende Frage ist dabei: „Welche unserer bestehenden grundgesetzlichen Regelungen könnten Lösungen für diese neuen Probleme liefern?“

Die Herausforderung ist groß, zumal es im Klimaschutz noch nicht viele Gesetze gebe. „Das kommt erst allmählich“, sagt der Jurist. Bisherige Entscheidungen über Schutzpflichten – etwa vor Fluglärm, den Gefahren der Kernenergie oder vor den in Deutschland stationierten Chemiewaffen könnten Argumentationsvorlagen liefern, die auch bei Rechtsfragen des Klimaschutzes hilfreich sind. „Aber wenn die Bundesrepublik Gesetze erlässt, um Schutzpflichten zu erfüllen, greifen diese auch immer in die Grundrechte anderer ein“, gibt Bickenbach zu bedenken. Wie brisant dies eigentlich ist, wird gerade in diesen Tagen deutlich, in denen Grundrechte zum Schutz vor Ansteckungen durch das Coronavirus eingeschränkt werden. „Der Unterschied ist aber, dass die Maßnahmen zum Infektionsschutz zeitlich und örtlich begrenzt sind“, sagt Bickenbach. Der Schutz vor dem Klimawandel erfordert dagegen dauerhafte Regelungen.

Die Geschichte der ersten deutschen Klimaklage ist unterdessen abgeschlossen, bevor sie eigentlich richtig begonnen hat. Zwar hatte das Verwaltungsgericht Berlin eine Berufung zugelassen, die Kläger nutzten diese Möglichkeit aber nicht. „Die Erfolgschancen waren zu gering“, vermutet Christian Bickenbach. Stattdessen verfolgen sie ihr Ziel nun über eine Verfassungsbeschwerde vor dem Bundesverfassungsgericht, um auf diesem Weg ein Recht auf Klimaschutz durchzusetzen. Auch dafür sieht der Jurist kaum Aussicht auf Erfolg. Von jährlich etwa 6.000 Beschwerden sind nur ein bis zwei Prozent erfolgreich. „Es geht aber auch um Öffentlichkeit, Aufmerksamkeit und politischen Druck“, urteilt er. All das werden Klimaschutzfragen vor Gericht zukünftig wohl noch häufiger erzeugen.

Der Forscher

Prof. Dr. Christian Bickenbach studierte Rechtswissenschaften an der Johannes Gutenberg-Universität Mainz. Seit 2015 ist er Professor für Verwaltungsrecht, insbesondere Regulierungs- und Infrastrukturrecht an der Universität Potsdam.
E-Mail: christian.bickenbachuni-potsdamde


Dieser Text erschien im Universitätsmagazin Portal Wissen - Eins 2021 „Wandel“.