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Vielfalt verstehen – Linda Juang forscht zur Entwicklung von Kindern mit Migrationshintergrund

Im Büro von Linda Juang zeigt sich die Vielfalt der amerikanischen Gesellschaft. | Foto: Sandra Scholz
Foto : Sandra Scholz
Im Büro von Linda Juang zeigt sich die Vielfalt der amerikanischen Gesellschaft.
Linda Juang ist Professorin für Heterogenität in institutionalisierten Bildungsprozessen. Die USAmerikanerin mit taiwanesischen Wurzeln kam 2014 an die Universität Potsdam. Mit ihrer Forschung hofft sie, einen wichtigen Beitrag zu einer gelingenden Kindheit in Einwandererfamilien leisten zu können.

Linda Juang wirkt unruhig, während die Fotos zum Interview gemacht werden. Im Laufe des Gesprächs taut sie auf, besonders, wenn es um fachliche Fragen geht. Über Privates spricht die Wissenschaftlerin offensichtlich weniger gern als über ihre Forschung, bei der ihr Ausdruck lebhaft wird und sie aus dem Fachsimpeln kaum herauskommt. Linda Juang untersucht, wie die Gesellschaften – in Deutschland, aber auch anderswo – gut damit umgehen können, dass sie kulturell an Vielfalt gewinnen. Dabei fokussiert sie sich auf junge Menschen und wie sie – vor dem Hintergrund ihrer unterschiedlichen kulturellen Backgrounds – lernen können, sich zu verständigen. Wie können Schüler, Lehrer und auch Eltern einander trotz unterschiedlicher Weltanschauungen verstehen? Dafür untersucht Juang, wie sich junge Menschen mit Migrationshintergrund in einer Gesellschaft entwickeln und unter welchen Umständen sie aufwachsen. Bei der Frage, was es heißt, mit einem anderen kulturellen Hintergrund in einer Mehrheitsgesellschaft groß zu werden, kommt sie bisher zu dem Schluss, dass sich dabei kulturelle Identitäten vermischen. Kultur und Identität, so die Wissenschaftlerin, seien nichts Statisches.

Durch Austausch den eigenen Background verstehen

Linda Juang fand ihr Forschungsfeld während ihres Bachelor-Studiums in Child Development. Ihr fiel auf, dass es zu wenige Untersuchungen zu Kindern mit Einwanderungshintergrund gab. „Ich habe lediglich einen Kurs zu Schwarzen Kindern und ihrer Entwicklung belegen können. Es gab deutlich zu wenig wissenschaftliche Arbeiten zu diesen Themen, um nicht zu sagen: eine riesige Forschungslücke!“, so die Bildungswissenschaftlerin. Und dieser nahm sie sich in ihrer Dissertation an, bei der sie zu asiatisch-amerikanischen Collegestudenten forschte. „Vielleicht hat mich der Kurs meiner einzigen afroamerikanischen Professorin in Minnesota sogar soweit beeinflusst, dass ich dachte, ich könne vielleicht selbst Forscherin werden. Meine Professorin war die Einzige, die einen Blick auf Schwarze Kinder und ihre Entwicklung wagte. Heute bin ich sicher: Sie hat mich mehr inspiriert, als mir damals bewusst war.“

Einen nicht unerheblichen Einfluss auf ihren Lebensweg dürfte auch ihre eigene Herkunft genommen haben. „Meine Eltern sind aus Taiwan nach Minnesota eingewandert. Und ich habe früh gemerkt, dass wir in meiner Familie Dinge anders machen als die Familien meiner Klassenkameraden. Das fing schon beim Mittagessen an“, so die Professorin. Mittlerweile sei sie wiederum sehr amerikanisch – was ihr besonders auffällt, seitdem sie in Deutschland lebt. „Ich habe immer das Gefühl, dass ich überschwänglicher bin als Deutsche.“ Die Aktualität ihres Forschungsthemas sieht sie auch in ihrer persönlichen Umgebung. „Mich und meine zwei Kinder betrifft ja Akkulturation, also wie jemand sich in einer anderen Kultur zurechtfindet, wie er die Kultur in Teilen adaptiert. Ich sehe an meinen Kindern zum Beispiel, dass sie richtige Berliner sind – sie sind kalifornisch-amerikanisch-deutsch-österreichische Berliner, würde ich sagen. Das bin ich nicht – das werde ich wohl auch nicht mehr, weil ich schon erwachsen bin“, sagt die Neu-Berlinerin, die in Charlottenburg wohnt.

Richtig nah dran soll ihre Forschung sein – und zwar an Kindern mit Migrationshintergrund sowie ihren Familien. „Ich will relevante Aspekte der Kindheitserfahrungen und -entwicklung von ihnen erfassen und mir ist wichtig, einen Beitrag zu leisten, damit die Welt wieder friedlicher wird. Da muss man bereits im Kindesalter anfangen“, so die Forscherin. Dafür geht sie mit einer Interventionsstudie direkt in Schulen. „Meine Feldforschung basiert auf dem Identity Project, das wir derzeit in Deutschland adaptieren. Wir bitten Jugendliche, über ihren kulturellen Hintergrund zu sprechen. So lernt jeder erst einmal etwas über seine eigenen Weltanschauungen sowie deren Ursprünge und kann dadurch andere Perspektiven besser verstehen und respektieren. Das ist zumindest unsere These, die wir in einer Schule in Berlin Neukölln erforschen“, sagt Linda Juang. „Außerdem lehren wir dazu an der Universität. Lehramtsstudierende erhalten eine theoretische Fundierung und sollen so für ihren späteren Berufsalltag fit gemacht werden. Wir hoffen, sie mit Fähigkeiten auszustatten, die sie brauchen, um kulturelle Vielfalt im Klassenraum als Ressource zu behandeln.“ Schon jetzt sind Lehramtsstudierende in einem Lehrforschungsprojekt im Klassenraum dabei – etliche von ihnen sind selbst Ausdruck einer kulturell vielfältigen Gesellschaft. „Das ist toll! Wenn da Menschen stehen, die selbst einen Migrationshintergrund haben, leuchten die Augen der Schüler“, sagt Linda Juang und strahlt dabei.

Migrationshintergrund als Stärke erforschen

Auf lange Sicht hofft sie, mit ihrer Forschung das Leben von Kindern und Jugendlichen mit Migrationshintergrund einfacher zu machen, indem sie Verständnis schafft. „Das ist aber noch ein weiter Weg. Dafür braucht es nicht nur Forschung in der Entwicklungspsychologie. Auch Soziologen und Politikwissenschaftler sind gefordert. Es gibt viel zu tun und zu verstehen“, sagt die Wissenschaftlerin. Überhaupt findet sie, dass in Deutschland noch zu wenig zu Ethnizität und kultureller Vielfalt geforscht wird. „In den USA wurde in den 1950er und 60er Jahren damit begonnen, ethnische Minderheiten zu erforschen und dabei ressourcenorientiert vorzugehen.“ In Deutschland sei ein solcher Fokus erst zur Jahrtausendwende entstanden. Bis dahin habe eine defizitorientierte Perspektive auf kulturelle und ethnische Minderheiten vorgeherrscht. „Dass man sich die Stärken und Resilienz-Faktoren der Kinder und Jugendlichen mit Migrationshintergrund anschaut, kommt erst jetzt wirklich auf“, so Juang. Doch noch immer werde sehr viel zu Sprache geforscht und zu wenig zur sozial-emotionalen Entwicklung der Kinder und Jugendlichen mit Migrationshintergrund. Natürlich sei es einfacher, Sprachkompetenzen zu erfassen, als ein Schulklima statistisch auszuwerten. Dabei sei dies nicht minder wichtig. „Die Siebtklässler, mit denen wir die Interventionsstudie machen, sind real, ihre Probleme sind real. Ich gehe sehr gerne in die Klasse und arbeite mit den Schülerinnen und Schülern“, sagt Juang.

„Der Ruf an die Universität Potsdam war ein Glücksfall für mich“, so die Forscherin. Gerade Berlin, als Stadt mit vielen Einwanderern, biete beste Bedingungen für ihre Forschung. Deshalb hat sie den Ruf ins nahe gelegene Potsdam dankend angenommen. Zuvor war sie an der University of Santa Barbara in Kalifornien tätig, hatte aber bereits Erfahrungen in Deutschland gesammelt. „Nachdem ich meinen Ph.D. abgeschlossen hatte, wollte ich gern nach Europa, und mein ehemaliger Statistikprofessor, ein Deutscher, schlug mir Jena vor, wo zu Kindheitsentwicklung geforscht wurde. Dort wurden ost- und westdeutsche Kinder und Jugendliche und ihre Entwicklung genauer untersucht. Das passte. Später war ich an der TU Berlin und daher konnte ich mir sehr gut vorstellen, wieder nach Deutschland zurückzukehren und hier meiner Forschung nachzugehen“, sagt sie. Dass sie die Professur in der Inklusionspädagogik erhielt, lag vielleicht auch an ihrem Fokus auf kulturelle Vielfalt. „Inklusion wird in Deutschland ja oft mit Behinderung verbunden. Die UN versteht darunter noch mehr und mein Ruf an die Universität Potsdam, als Forscherin mit einem Fokus auf sozial-emotionale Entwicklung von Kindern mit Fluchterfahrung und Migrationshintergrund, trägt dem Rechnung.“ Es sei eine gute Entscheidung gewesen, sagt sie rückblickend: „Ich bin wirklich gerne an der Universität Potsdam und unterrichte auch gerne Lehrämter. Besonders, dass wir eine Förderung für das Lehrforschungsprojekt, bei dem Lehramtsstudierende in die Schulen gehen, bekommen haben, freut mich. Damit werden sie hoffentlich zu Lehrerinnen und Lehrern, die von kultureller Vielfalt nicht überfordert sind.“

Die Forscherin

Prof. Dr. Linda Juang studierte Child Development in Minnesota und Entwicklungspsychologie in Michigan, wo sie auch promovierte. Seit 2014 ist sie Professorin für Heterogenität in institutionalisierten Bildungsprozessen an der Universität Potsdam.
E-Mail: juanguni-potsdamde

 

Dieser Text erschien im Universitätsmagazin Portal Wissen - Eins 2021 „Wandel“.