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„Wir können etwas beitragen zum besseren Verständnis unserer Zeit“ – Der Historiker Dominik Geppert über Wendepunkte und die Aufgabe der Geschichtswissenschaft

Prof. Dominik Geppert | Foto: Tobias Hopfgarten
Foto : Tobias Hopfgarten
Prof. Dominik Geppert
Im Herbst 1989 steht die Welt Kopf und alle Augen sind auf Berlin gerichtet. Die Mauer fällt und binnen weniger Monate wird aus zwei deutschen Staaten ein vereintes Deutschland. Mittendrin ist ein junger Mann, Dominik Geppert, der das, was heute als Weltgeschichte in Schulen überall auf der Welt gelehrt wird, staunend miterlebt. „Ich hatte das Gefühl, Geschichte ist nichts Anonymes, das in Strukturen steckt, sondern etwas, das mein eigenes Leben betrifft“, sagt er rückblickend. „Wenig später begann ich, Geschichte zu studieren.“ Fast 30 Jahre später, im Herbst 2018, wird Dominik Geppert Professor für Neuere Geschichte an der Universität Potsdam. Erhalten hat er sich seine Leidenschaft für die Transformationszeit in Deutschland in den 80er und 90er Jahren – und die Überzeugung, dass der Blick in die Geschichte wichtig dafür ist, wie wir das Heute und das Morgen gestalten.

„Ich gehöre nicht zu denen, die sagen: ‚Geschichte ist ein fremdes Land, das nichts mit der Gegenwart zu tun hat.‘“, sagt der Historiker. „Ich glaube schon, dass wir etwas beitragen können zum besseren Verständnis unserer Zeit. Wir haben die Möglichkeit, zwei Schritte zurückzutreten und die Brennweite so einzustellen, dass wir eine größere Tiefenschärfe erreichen – und dadurch auch Orientierungswissen beisteuern.“ Zwei Schritte sind dabei für den Geschichtswissenschaftler durchaus mit großem Fuß bemessen. So hat er in seiner Antrittsvorlesung an der Universität Potsdam im Herbst 2019 den „Brexit in historischer Perspektive“ analysiert und die für Kontinentaleuropäer
nicht immer leicht verständliche Politik des aktuellen britischen Premierministers Boris Johnson aus der Tradition der Politik im Königreich seit der frühen Neuzeit heraus erklärt.

Geppert ist gebürtiger Freiburger, wuchs aber in West-Berlin auf, wo er das Ende des Kalten Krieges vor der eigenen Haustür heraufziehen sah. Neben der Geschichtswissenschaft studierte er Philosophie – „als Spielbein“ – und Teilgebiete des Rechts. „Ich dachte, ich brauche noch den Blick des Juristen. Aber im Rückblick würde ich sagen: Jura studiert man besser ganz oder gar nicht.“ Als Sohn eines Professors für Strafrecht weiß er, wovon er spricht. Dass er nicht in dessen Fußstapfen treten wollte, nahm ihm sein Vater nicht übel. Immerhin setzt sein ältester Sohn die juristische Tradition fort. Geppert selbst musste nicht lange nach seiner Leidenschaft suchen: Schon im zweiten Semester zog ihn die jüngere Geschichte in ihren Bann. „Mich hat schon immer interessiert, wie aktuelle Entwicklungen und das politische Geschehen mit der Geschichte zusammenhängen“, sagt er. „Das führte mich rasch in die neuere Geschichte.“

Berlin, London, Berlin

Seine erste wissenschaftliche Heimat fand der Historiker im Großbritannien der 1970er Jahre. „Die 90er in Deutschland unter Helmut Kohl hinterließen bei vielen das Gefühl von Stagnation und Lähmung“, erklärt er. „Vor diesem Hintergrund fand ich die britische Geschichte der 70er spannend, als mit Brachialgewalt und erheblichen Konsequenzen eine solche Lähmung aufgebrochen worden war.“ Die Brachialgewalt hatte einen Namen: Margaret Thatcher, über deren „konservative Revolution“ Geppert seine Doktorarbeit geschrieben hat. „Ich wollte herausfinden, wie diese Frau, die in vielerlei Hinsicht Außenseiterin war, sich in der konservativen Partei, die stark paternalistisch und aristokratisch geprägt war, durchsetzen und anschließend das Vereinigte Königreich in so kurzer Zeit umkrempeln konnte.“ Da die Menschen das Land in der Krise wähnten und einen Regimewechsel herbeisehnten, seien unwahrscheinliche politische Lösungen plötzlich möglich geworden. Zudem sei Thatcher entgegengekommen, dass viele ihrer politischen Kontrahenten nicht wussten, wie sie mit einer Frau als Kontrahentin auf der politischen Bühne umgehen sollten.

Ursprünglich wollte der frisch promovierte Historiker in den politischen Journalismus wechseln. Doch als sein Doktorvater Hagen Schulze nach London ging und ihm dort eine Stelle am Deutschen Historischen Institut anbot, ergriff er die Chance. „Ich fragte meine Frau, die Französischlehrerin ist: ‚Was hältst du von London? Das ist immerhin näher an Paris als Berlin …‘“ Sie blieben fünf Jahre in der englischen Metropole. Eine besondere Zeit, wie Geppert betont, in der er Großbritannien, seine Menschen und die britische Wissenschaftskultur ausgiebig kennengelernt hat. Besonders die intensive, offene Diskussionskultur in der dortigen Wissenschaftsgemeinschaft schätzt er so sehr, wie er sie hierzulande bisweilen vermisst. „Debatten, die deutlich sind, aber nicht persönlich werden, fehlen mir bisweilen. Es ist bei uns in Deutschland mitunter schwer, eine andere Position zu vertreten, wenn 500 Leute einer Meinung sind. Dabei sind wir als Wissenschaftler darauf angewiesen, infrage gestellt zu werden und selbst zu hinterfragen.“ Dennoch fiel Dominik Geppert die Rückkehr nicht schwer: „Man lernt das eigene Land aus der Ferne anders kennen – und schätzen.“ Er ging zurück an die Freie Universität zu Berlin. Dort gelang es ihm, ein Heisenberg-Stipendium einzuwerben. Dazu kamen zwei Lehrstuhlvertretungen in Marburg und Bonn – und zum ältesten Sohn, der in London geboren worden war, noch ein Paar Zwillinge. „Das war toll, aber auch nicht immer einfach“, gibt er zu. „Während ich ein Jahr lang nach Bonn pendelte, war meine Frau mit unseren drei Kindern, zumindest die Woche über, allein in Berlin.“ Als er dann in Bonn eine Professur erhielt, zog die Familie nach.

Transformationsgeschichte am Beispiel Potsdams

Auf seine fast zehn Jahre an der altehrwürdigen Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität schaut der Historiker gern zurück. Immerhin hat er neben seiner Arbeit in Forschung und Lehre dort die Geschichte der Hochschule herausgegeben und mitverfasst. Die vier Bände habe er dem Bonner Rektor 2018 pünktlich zum 200. Jahrestag der Universitätsgründung gewissermaßen als Abschiedsgeschenk auf den Tisch gelegt, ehe er nach Potsdam wechselte. Und er kam genau zum richtigen Zeitpunkt, um auch hier in ein Forschungsprojekt einzusteigen, das sich mit der Geschichte der Universität beschäftigt. Es geht um die Umwandlung der Pädagogischen Hochschule „Karl Liebknecht“ am Neuen Palais, der Akademie für Staats- und Rechtswissenschaft der DDR in Babelsberg und der Juristischen Hochschule des Ministeriums für Staatssicherheit in die neue Universität Potsdam. „Das war ein Angebot, das ich nicht ablehnen konnte“, sagt Geppert lächelnd. „Ich bin ja einschlägig vorbelastet. Außerdem ist es sicher hilfreich, dass ich neu hinzukomme und auf die kontrovers diskutierte Geschichte eine Außenperspektive habe.“ Hilfreich sei auch, dass er das Projekt zur „Transformation der ostdeutschen Hochschulen in den 1980/90er Jahren“ gemeinsam mit Prof. Dr. Frank Bösch leitet, der nicht nur Direktor des Zentrums für Zeithistorische Forschung (ZZF) ist, sondern auch die Debatte um die Hochschulgeschichte in Potsdam schon ein paar Jahre länger begleitet. Wichtig sei beiden, dass die Untersuchung als Vergleich angelegt ist. Neben der vormaligen Potsdamer PH schauen die drei Doktoranden des Projekts auch auf die Pädagogischen Hochschulen in Halle, Leipzig und Dresden. „Dieser Blick soll uns Aussagen über die Entwicklungen in Ostdeutschland allgemein ermöglichen“, sagt Geppert. „Ich glaube, dass wir auf diesem Weg Schlüsse auch über die Hochschulgeschichte hinaus für die gesamte Transformationsgeschichte in der ehemaligen DDR ziehen können.“ Immerhin hätten die Veränderungen der Jahre nach 1989/90 Wissenschaftlerkarrieren ebenso beeinflusst wie die Lebenswege aller anderen Menschen im Land. „Deshalb hoffen wir, dass unser Projekt einen Beitrag zur Aufarbeitung der langen Geschichte der Wende leisten kann.“

Nach Potsdam ist Dominik Geppert aber nicht der Uni-Geschichte wegen gekommen. Es habe einfach alles gepasst. Der Fokus auf zeitgeschichtliche Forschung am hiesigen Historischen Institut und die enge Zusammenarbeit mit Einrichtungen in der Region wie dem ZZF, dem Zentrum für Militärgeschichte und Sozialwissenschaften der Bundeswehr (ZMSBw) und anderen habe ihn gereizt. Er genieße die Möglichkeit, das Forschungsprofil einer jungen und aufstrebenden Universität mitzugestalten. „Letztlich hatte ich auch das Bedürfnis, mich wieder intensiver mit den Entwicklungen der jüngeren Zeitgeschichte zu beschäftigen. Und die sind hier, schon aufgrund der DDR-Vergangenheit und der räumlichen Nähe zu Berlin, einfach präsenter“, erklärt der Forscher. „Ich war überrascht, wie stark die deutsch-deutsche Dimension von den Studierenden, die ja alle nach 1990 geboren sind, in den Lehrveranstaltungen als ihre eigene Geschichte thematisiert wird. Das macht als Lehrender einfach Spaß.“

Da dürfte es Dominik Geppert nicht schwerfallen, in den kommenden Monaten und Jahren sein eigenes großes Projekt voranzutreiben. Es geht um eine Geschichte des vereinigten Deutschlands nach 1990 im Spannungsfeld von nationaler Einigung, europäischer Integration und globaler Vernetzung. „Alle drei Entwicklungen fanden in unmittelbarer – zeitlicher und eben auch räumlicher – Nähe statt und haben sich wechselseitig beeinflusst. Das will ich herausarbeiten.“ Die Wende lässt Dominik Geppert nicht los.

Der Forscher

Prof. Dr. Dominik Geppert studierte Geschichtswissenschaft, Philosophie und Teilgebiete des Rechts in Freiburg und Berlin. Seit 2018 ist er Professor für Geschichte des 19./20. Jahrhunderts an der Universität Potsdam.
E-Mail: dgeppertuni-potsdamde

 

Dieser Text erschien im Universitätsmagazin Portal Wissen - Zwei 2020 „Gesundheit“.