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Wissenschaft zum Selbermachen – Im Schülerlabor der Chemiedidaktik werden Lernende mit brandaktuellen Forschungsthemen konfrontiert

Prof. Dr. Amitabh Banerji. | Foto: Tobias Hopfgarten
Foto : Tobias Hopfgarten
Prof. Dr. Amitabh Banerji
Sie messen, prüfen, protokollieren und präsentieren ihre Ergebnisse. In rund 300 deutschen Schülerlaboren, so deren Bundesverband, ziehen sich jedes Jahr etwa eine halbe Million Kinder und Jugendliche Kittel und Handschuhe an, um für einen Tag Nachwuchsforscher zu sein. Die Einrichtungen haben sich bewährt. Nicht zuletzt, weil sie insbesondere den naturwissenschaftlich-technischen Unterricht in den Schulen unterstützen. Bio, Physik, Chemie – die Fächer nehmen hier vor dem Hintergrund spezieller Fragestellungen mit Anwendungsbezug konkrete Formen an. Den Faden nimmt das neue Schülerlabor „ILUP“( Innovation-Lab-Uni Potsdam) der Professur für Didaktik der Chemie an der Universität Potsdam auf und spinnt ihn weiter. Im Mittelpunkt der Übungen stehen jedoch – anders als bei den gängigen Angeboten, die sich eng am Schulstoff orientieren – aktuelle Zukunftstechnologien. Die ersten Schulklassen haben das Labor bereits besucht. Der Regelbetrieb soll zum Start des Wintersemesters 2019/20 aufgenommen werden.

Gemurmel im Raum. Für das Stimmengewirr sorgen mehr als 20 Masterstudierende, angehende Chemie- Lehrkräfte. Heute findet eine Generalprobe statt. Nicht für ein Konzert, das die jungen Leute geben wollen, sondern für Veranstaltungen, die im neuen Potsdamer Chemie-Schülerlabor in wenigen Tagen stattfinden. Die künftigen Lehrerinnen und Lehrer stellen sich an ihre Arbeitsplätze. Vor ihnen befinden sich gut sortiert alle Materialien, die sie gleich benötigen werden. Auch ein Arbeitsblatt und ein Tablet sind dabei. Letzte Absprachen, dann wird es ernst – und ruhiger. Entlang der Gassen haben sich Duos gebildet, Teams, die aus je einem „Lehrer bzw. einer Lehrerin“ und einem „Schüler bzw. einer Schülerin“ bestehen. Ihre Aufgabe ist es, im Handversuch eine organische Leuchtdiode (OLED) zu bauen. Zukunftstechnologie also. Verwendet wird organisches Material, das – sonst untypisch – elektrischen Strom leitet und leuchtet.

An dem Testdurchlauf nehmen auch Laura Teidge und Marleen Berlet teil. Letztere ist für 90 Minuten noch einmal Schülerin. Wie für ihre Kommilitoninnen und Kommilitonen ist das Rollenspiel durchaus herausfordernd. Einerseits gilt es, präzise anzuleiten, das richtige Maß an Hilfestellungen zu finden, die Uhr fest im Blick zu haben. Andererseits will wohl überlegt sein, welche Fragen Schüler an ihr studentisches Gegenüber richten könnten und wo möglicherweise korrigierend eingegriffen werden muss. Die beiden Studentinnen beherrschen ihre Parts. Laura Teidge erklärt nun das Vorgehen. Unterstützend zu den praktischen Arbeiten spielt sie später bei jedem der vier Arbeitsschritte ein Video auf dem Tablet ab, das die einzelnen Aufgaben genau erklärt. Visualisierung sei eine Methode, die man unbedingt im Labor nutzen will, erläutert Amitabh Banerji, als er den beiden kurz über die Schulter schaut. Der Professor für Didaktik der Chemie hat das Labor wenige Wochen nach seinem Wechsel von der Universität Köln nach Potsdam etabliert. „Die Tablets dienen dazu, die Fehlerquote zu minimieren“, sagt er. „Wir haben in Köln die Erfahrung gemacht, dass Arbeitsanleitungen nicht richtig durchgelesen wurden. Der mediale Zugang ist für Schüler und Schülerinnen von heute der bessere und führt objektiv dazu, Fehler zu minimieren.“

Schritt für Schritt zur Solarzelle

Inzwischen haben Laura Teidge und Marleen Berlet den ersten Herstellungsschritt hinter sich. Dabei wurde die leitfähige Seite eines Spezialglases detektiert, mit Aceton gereinigt und mit einem Stück Klebefilm abgeklebt. Jetzt gehen die beiden jungen Frauen zu einem kleinen Versuchsaufbau auf der anderen Seite der Laborgasse. Marleen Berlet fixiert den Glasträger mithilfe eines Klebebandes auf einem PC-Lüfter, der an einer 4,5-Volt-Batterie angeschlossen ist. Auf das rotierende Glas spritzt sie etwa 0,1 Milliliter einer Superyellow-Lösung, so der Name des organischen Halbleiters – das Herzstück der OLED. Keine leichte Aufgabe, die Spritze mit Handschuhen zu bedienen. Für die „echten“ Schüler könnte es an dieser Stelle schwierig werden, doch bei Marleen Berlet klappt es auf Anhieb. Nur beim Entfernen des Glasträgers, auf dem sich nun eine homogene, tiefgelbe Schicht befindet, braucht sie etwas länger. Das Klebeband scheint etwas groß geraten und will nicht recht nachgeben. Amitabh Banerji schaut wieder kurz vorbei. Früher, erinnert er sich, sei die Halbleiterschicht anders aufgebracht worden. „Wir haben für die Rotierbeschichtung eine Bohrmaschine genommen.“ Das sei gefährlich gewesen und habe zu einer relativ hohen Fehlerquote geführt. „Indem wir die Konzentration der Halbleiterlösung verringert haben, ist es uns nun aber gelungen, die Geschwindigkeit, mit der die Platte gedreht werden muss, zu halbieren“, erklärt der Chemie-Didaktiker. „Deshalb reicht jetzt ein einfacher PC-Lüfter.“

Während Banerji weiterzieht, um nach den anderen Gruppen zu sehen, nehmen die beiden Studentinnen den dritten Arbeitsschritt in Angriff: Unter Anleitung von Laura Teidge platziert Marleen Berlet drei Tropfen Galinstan – eine flüssige Metalllegierung – auf dem Kupferstreifen einer Fassung. Diese besteht aus einem Objektträger, zwei schmalen Gummistreifen und selbstklebenden Kupferstreifen. Vor ihnen liegt nun die letzte, entscheidende Versuchsphase: Marleen Berlet legt das Spezialglas mit der Halbleiterschicht auf die Fassung und befestigt es mit Klammern. Danach schließt sie eine 9-Volt- Batterie mit dem Pluspol an das freigelegte Glas und mit dem Minuspol an die Kupferleitungen an. Im Ergebnis leuchtet es hell grüngelb auf der Kontaktfläche zwischen dem Superyellow und dem Galinstan. Auch die anderen neben ihnen schließen das Experiment erfolgreich ab. Noch sind die Teams jedoch nicht am Ziel. Denn nach der Praxis muss noch die Theorie vertieft werden. Die Schulklassen werden vor dem praktischen Teil eine erste theoretische Einführung in das Thema erhalten. Jetzt aber wenden sich die Studierenden nach und nach dem Arbeitsblatt zu. Es enthält drei Aufgaben, die sie auf dem Tablet bearbeiten. Alle scheinen mit der zur Verfügung stehenden Zeit zurecht zu kommen. Amitabh Banerji ist sichtlich zufrieden. Die Gruppe hat die Generalprobe gut bewältigt. „Mir fällt ein Stein vom Herzen, dass die Studierenden so gut durchgekommen sind“, verrät er. „Es ist also machbar, Theorie und Praxis im vorgegebenen Zeitrahmen zu schaffen. Der Durchlauf heute hat ihnen Sicherheit gegeben, das Feeling für die anstehenden Veranstaltungen nochmals verbessert.“

Die Experimente zeigen, wo die Reise hingeht

Im Schülerlabor setzt Amitabh Banerji auf das Erfolgserlebnis. Es sei demotivierend, wenn aufwändige Experimente nicht funktionierten. Zu schnell entstehe bei Lernenden dann der Eindruck, die Naturwissenschaften seien zu schwierig. Auch bei Lehrerinnen und Lehrern sinke die Akzeptanz von Themen rapide, sobald die damit verbundenen Experimente nicht überzeugten. „Wir wollen Spaß an naturwissenschaftlichen Fragestellungen vermitteln. Insbesondere bei innovativen Themen ist es dabei äußerst wichtig, dass die Experimente die intendierten Phänomene deutlich aufzeigen und ‚robust‘ sind, sodass ein Erfolg wahrscheinlich wird“, so Banerji. Zu den Lehrerinnen und Lehrern, die noch im Sommersemester das Labor mit ihren Klassen besuchen, gehört auch Anke Wienecke von der Voltaire-Gesamtschule Potsdam. Ihre 11. Klasse wird sowohl organische Leuchtdioden als auch organische Solarzellen herstellen. „Ich nehme das Angebot wahr, weil es sehr dazu geeignet ist, Schüler zu motivieren, sich noch intensiver mit dem Fach Chemie zu beschäftigen. Die Experimente sprechen ihre Lebenswirklichkeit an, das könnte das Interesse für den Unterricht noch einmal befördern“, sagt sie.

Amitabh Banerji ist davon überzeugt, dass das neue Labor hilft, den Schülern die Naturwissenschaften näher zu bringen. „Mit unserem Ansatz wollen wir zeigen, wo diese künftig eine große Rolle spielen werden“, erklärt er. Wo geht die Reise hin? Das ist die Frage, die er den Schülern beantworten will. Die Auswahl der Themen ist gar nicht so einfach. Im Moment konzentriert sich der Forscher auf Problemstellungen rund um die Themen Klima und Energie. Schüler ließen sich hierfür leicht interessieren. „Durch den Zugang über das Experiment, aber auch den innovativen Kontext, die Technologien von morgen. Denn wir müssen uns beispielsweise nicht nur überlegen, wie man neue Energiereserven erschließt, sondern auch, wie man vorhandene effizienter nutzt.“ Aktuell werden im Schülerlabor ausschließlich Veranstaltungen zur organischen Elektronik angeboten. Klassen können hier neben Leuchtdioden auch Solarzellen aus organischen Halbleitermaterialien herstellen. Es werden jedoch bereits neue Themen erarbeitet. Eines davon ist die Umwandlung von Kohlenstoffdioxid in seine Ausgangsstoffe. Ein Thema, das in der Fachwissenschaft noch in den Kinderschuhen steckt. Wissenschaft zum Selbermachen, das ist Banerjis Weg, um junge Leute dafür zu begeistern, später aktiv in Forschung und Entwicklung die Zukunft mitgestalten zu wollen.

Wie es mit dem Schülerlabor weitergehen soll, erklärt Amitabh Banerji einige Flure weiter in seinem Büro. Er will das Labor unbedingt weiterentwickeln, um auch andere aktuelle Forschungsthemen didaktisch aufbereitet Lernenden und Lehrenden zugänglich zu machen. Schon länger beschäftigt ihn die Frage, wie es gelingen kann, fachwissenschaftliche Forschung in die Schule zu tragen. „Unsere Idee ist es, das Schülerlabor als Brücke zu nutzen“, erzählt er. Dafür solle ein entsprechendes Konzept aus dem Projekt heraus entstehen. Auch Kooperationen zu den Nachbarfächern Biologie und Physik würden Schritt für Schritt aufgebaut. Banerji fängt bei all dem nicht bei null an. Die curriculare Innovation ist einer seiner Forschungsschwerpunkte.

Interessierte Schulen können künftig Koffersets kaufen

Bei einer Tasse Kaffee wirft der Wissenschaftler noch schnell einen Blick in die Zukunft. Damit Lehrerinnen und Lehrer aktuelle Forschungsthemen in ihren Unterricht integrieren können, will ihnen sein Lehrstuhl geeignete Lernmaterialien an die Hand geben. Damit eng verbunden hat Banerji – sprichwörtlich – einen attraktiven Service im Gepäck. Er will einen Koffer mit allen für die jeweiligen Experimente notwendigen Utensilien zusammenstellen. Erste Gespräche dazu, wie die Koffer vermarktet werden können, laufen mit Potsdam Transfer. Banerji gerät ins Schwärmen. In Köln habe er mit dem Angebot gute Erfahrungen gemacht.

Das Schülerlabor soll im Wintersemester 2019 den Regelbetrieb aufnehmen. Geplant ist, etwa acht bis zehn Schulen im Semester einzuladen. Die gegenwärtigen Themen eignen sich insbesondere für die Klassenstufen 11 und 12. „Wir empfehlen, unsere Beispiele zur organischen Elektronik an die Inhalte Elektrochemie, Kunststoffe oder Farbstoffe anzubinden.“ Banerjis unruhiger Blick auf die Uhr zeigt, es wird Zeit, sich zu verabschieden. Sein Arbeitstag ist noch nicht zu Ende. Deshalb grüßt er jetzt freundlich und stürmt ins nächste Zimmer.

Die neue Generation von Displays auf Smartphones verwendet bereits organische Elektronik. Diese noch junge Technologie ermöglicht es Herstellern, flache und energieeffiziente Bildschirme zu entwickeln, die ein noch brillanteres Bild erzeugen als handelsübliche Flüssigkristallbildschirme. Die Anzeigen können sogar gebogen oder komplett flexibel gefertigt werden. Organische Elektronik revolutioniert aber nicht nur den Display- und Beleuchtungsmarkt, sie findet sich auch in der Photovoltaik. Ein Beispiel sind transparente Solarzellenfolien aus organischen Halbleitermaterialien.

Der Wissenschaftler

Prof. Dr. Amitabh Banerji studierte an der Freien Universität Berlin Chemie und Informatik für das Lehramt an Gymnasien. Er promovierte 2012 an der Bergischen Universität Wuppertal über die experimentell-didaktische Erschließung organischer Leuchtdioden und war von 2014 bis 2019 Juniorprofessor an der Universität zu Köln. Seit Frühjahr 2019 hat der Wissenschaftler die Professur für Didaktik der Chemie an der Universität Potsdam inne.
E-Mail: abanerjiuni-potsdamde

 

Dieser Text erschien im Universitätsmagazin Portal Wissen - Zwei 2019 „Daten“.