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„Für die Menschenrechte starkmachen“ – Die Politikwissenschaftlerin Dr. Nina Reiners erhält den Dissertationspreis der DGVN und spricht über Deutschlands Rolle im UN-Menschenrechtsrat

Dr. Nina Reiners. | Foto: Tobias Vilén
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Dr. Nina Reiners. | Foto: Tobias Vilén

Ab 2020 ist Deutschland erneut für drei Jahre als Mitglied im UN-Menschenrechtsrat vertreten. Die Bundesregierung spricht von einem „Vertrauensbeweis“, Menschenrechtsorganisationen setzen weltweit große Hoffnungen in die Mitgliedschaft. Doch was bedeutet das – für die Menschenrechte, aber auch für Deutschland? Matthias Zimmermann sprach mit Dr. Nina Reiners. Die Politikwissenschaftlerin forscht zur Entwicklung des Menschenrechtsvertragssystems – und erhält den Dissertationspreis 2019 der Deutschen Gesellschaft für die Vereinten Nationen e.V. (DGVN). Am 27. Februar wird ihr der Preis in der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften offiziell verliehen. Anschließend diskutiert die Wissenschaftlerin mit anderen Expertinnen und Experten darüber, welche Rolle Deutschland in den kommenden Jahren im UN-Menschenrechtssystem spielen kann.

Herzlichen Glückwunsch zur Verleihung des DGVN-Dissertationspreises 2020!

Dr. Nina Reimers: Vielen Dank! Ich freue mich sehr über diese Auszeichnung und auch darüber, dass der Preis nach Potsdam geht. Neben der exzellenten inhaltlichen Betreuung durch Andrea Liese und dem wertschätzenden Arbeitsumfeld bei Harald Fuhr, haben viele Gespräche mit Kolleg*innen und Studierenden hier am Griebnitzsee die Dissertation zu dem gemacht, was sie nun offensichtlich auszeichnet. Zudem war die Unterstützung der PoGS in Form von Workshops und Reisebeihilfen sehr hilfreich für mich als Doktorandin.

Sie erhalten den Preis für Ihre Dissertation „Transnational Lawmaking Coalitions for Human Rights“. Worüber haben Sie dafür geforscht?

Auf der empirischen Ebene habe ich mich mit den UN-Menschenrechtsvertragsausschüssen beschäftigt. Durch das Instrument der sogenannten „General Comments“ haben die unabhängigen Expert*innen im Ausschuss die Möglichkeit, ihre Interpretation der Vertragsnormen darzulegen und somit menschenrechtliche Standards zu setzen. Das Recht auf Wasser wurde sogar als solches erst durch einen General Comment kodifiziert, da es in keinem Menschenrechtsvertrag stand. Für die Ausgestaltung und Annahme der Vertragsinterpretationen gibt es jedoch kaum Kontrollmechanismen für Staaten, was für den Bereich des Internationalen Rechts sehr untypisch ist. Dies ermöglicht den Ausschüssen eine enge Zusammenarbeit mit anderen Akteuren – und mein Interesse für diese Zusammenarbeit führte mich dann zur Entdeckung der „Transnational Lawmaking Coalitions“.

Was ist unter diesen „Transnational Lawmaking Coalitions“ zu verstehen?

Meine Dissertation zeigt, dass zivilgesellschaftliche Akteure Partner für die Vertragsorgane bei der Entwicklung und Interpretation von Menschenrechtsstandards sind – und damit entgegen der vorherrschenden Meinung eine zentrale Rolle spielen. Dieses Ergebnis ist insofern überraschend, als dass zivilgesellschaftlichen Bemühungen im Bereich der Rechtsentwicklung bisher durch staatliche Souveränität mutmaßliche Grenzen gesetzt waren. Ich habe dieses Phänomen als „Transnational Lawmaking Coalitions“ konzipiert. Zentral für die Einflussnahme ist zunächst die Existenz einer Gelegenheitsstruktur durch Ressourcenbedarf in den Ausschüssen. Angesichts von Budgetrestriktionen und zeitlicher Begrenzung der Sitzungen in Genf brauchen die Expert*innen für die Entwicklung von Vertragsinterpretationen Unterstützung. Diese wird von den zivilgesellschaftlichen Akteuren gerne bereitgestellt, da sie für ihre eigene Arbeit Interesse an der Klärung und Entwicklung menschenrechtlicher Standards haben. Während dies gängigen Ressourcentauschmodellen entspricht, erklärt sich ihr Einfluss schlussendlich nur über das vertrauensvolle Verhältnis zu den Entscheidungsträger*innen im Ausschuss.

Wie steht es derzeit um die Menschenrechte in der Welt?

Die Antwort darauf ist nicht ganz einfach. Auf der einen Seite finden wir seit 1945 ein immer stärker ausdifferenziertes Schutzsystem auf der internationalen und regionalen Ebene. Menschenrechtsverträge und ihre Zusatzprotokolle, die zum Beispiel die Möglichkeit der Individualbeschwerde eröffnen, verzeichnen einen Zuwachs an Vertragsstaaten. Auf der anderen Seite kommen diese Staaten aber den bereits eingegangenen Verpflichtungen nicht ausreichend nach und stellen diese teils offen infrage. Wir beobachten also eine Diskrepanz zwischen dem Bekenntnis zu Menschenrechten auf der internationalen Ebene und ihrer tatsächlichen innerstaatlichen Gewährleistung in nahezu allen UN-Staaten. Herausforderungen wie der Klimawandel und der technologische Fortschritt wirken ebenfalls auf den internationalen Menschenrechtsschutz. Zunehmend wird weltweit die Arbeit der Verteidiger*innen der Menschenrechte direkt oder indirekt erschwert – selbst in Demokratien. Und Meldungen wie die des ehemaligen UN-Hochkommissar für Menschenrechte, Zeid Ra'ad Al Hussein, der aus Gründen der mangelnden Unterstützung für sein Amt keine Wiederwahl gesucht hat, sind leider auch keine guten Nachricht für die UN als Schutzinstitution der globalen Menschenrechte.

Wie lässt sich die Lage verbessern?

Puh, da gäbe es natürlich mehre Möglichkeiten. Ich beginne mal mit denen, die internationale Menschenrechtsinstitutionen haben. Hier braucht es klar mehr „Commitment“ der UN-Mitgliedsstaaten. Zunächst ist das UN-Menschenrechtssystem chronisch unterfinanziert und überlastet. Staaten gehen verstärkt dazu über, ihre Beiträge zu „earmarken“, also festzulegen, wofür diese verwendet werden. Das OHCHR braucht aber flexible Finanzierung, um zum Beispiel im Falle aktueller Menschenrechtsverletzungen vor Ort Besuche absolvieren zu können. Des Weiteren hängt ein funktionierendes Monitoringsystem, ob im Menschenrechtsrat oder den Vertragsausschüssen, auch von der pünktlichen und umfassenden Abgabe von Staatenberichten ab. Und auch die Einbeziehung von allen relevanten Akteuren in die internationale Menschenrechtsarbeit ist sicher eine sinnvolle Maßnahme. Das OHCHR ist in den vergangenen Jahren bereits dazu übergegangen, die Zivilgesellschaft noch stärker in seine Arbeit miteinzubeziehen. Die Kampagne #standup4humanrights ist hier ein gutes Beispiel.

Ab dem Jahr 2020 ist Deutschland wieder für drei Jahre als Mitglied im UN-Menschenrechtsrat vertreten. Welche Rolle kann das Land dort spielen?

2020 ist Deutschland sogar sowohl Mitglied im Menschenrechtsrat als auch im Sicherheitsrat der UN – also zwei zentralen Gremien der multilateralen Ordnung und internationalen Zusammenarbeit. Hier kann Deutschland nun zeigen, was man konkret unter Menschenrechten als Grundpfeiler deutscher Außenpolitik versteht – und wie man dabei gleichzeitig die multilaterale Ordnung stärken kann.

Ist Deutschland in Sachen Menschenrechte denn ein Vorbild?

Deutschland steht sicher in vielen Indizes zur Lage der Menschenrechte sehr gut da und übernimmt auf internationaler Ebene auch recht viel Verantwortung. Die Regierung bekennt sich zu Menschenrechten in der Außen- und Entwicklungspolitik und kooperiert dazu mit vielen zivilgesellschaftlichen Partnern, die nun große Hoffnungen in die doppelte Mitgliedschaft haben. Auf der anderen Seite stehen Wirtschaftsinteressen diesem Bekenntnis zu Menschenrechten häufig noch entgegen: Ich denke da konkret an Deutschlands Waffenexporte, aber auch an Situationen, in denen die Regierung zu bestimmten Menschenrechtsverletzungen schweigt oder sich durch ihre Migrationspolitik auch Fragen nach der indirekten Beteiligung an solchen in anderen Staaten stellen lassen muss. Und wenn wir den Blick von den Außenbeziehungen mal nach innen richten, dann gibt es für die deutsche Regierung bei der Umsetzung der von ihnen ratifizierten Abkommen, zum Beispiel der UN-Behindertenrechtskonvention oder dem UN-Sozialpakt, auch noch einiges zu tun.

Was kann Deutschland konkret tun?

Deutschland sollte sich in Zeiten, in denen sich andere Staaten aus den UN-Gremien zurückziehen, für den weltweiten Schutz und die Förderung der Menschenrechte starkmachen. Dazu gehören die entschiedene Verteidigung der UN-Institutionen sowie die klare Benennung von Normverletzungen im Menschenrechtsrat. Damit macht man sich nicht nur Freund*innen innerhalb der UN, aber bleibt glaubwürdig. Wenn man die Menschenrechte stärken will, dann muss man sie auch als solche behandeln: Deutschland sollte öffentlich mehr Bewusstsein dafür schaffen, dass UN-Menschenrechte ebenso relevant sind wie die Rechte in der Europäischen Menschenrechtskonvention. Die Empfehlungen der Ausschüsse aber auch des Deutschen Instituts für Menschenrechte zur Umsetzung im eigenen Land sollten ernst genommen werden. Neben Maßnahmen zur Stärkung des Vertragssystems kann sich Deutschland sicher auch weiter sinnvoll einbringen bei der Benennung und Unterstützung des Amtes der unabhängigen Expert*innen für Themen- und Ländermandate im Rahmen der sogenannten Special Procedures.

Inzwischen sind Sie wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Professur für Internationale Politik und untersuchen die Rolle von nichtstaatlichen Akteuren in der Entwicklung des Menschenrechtsvertragssystems. Was interessiert Sie dabei besonders?

Tatsächlich war ich hier in Potsdam schon als Doktorandin als wissenschaftliche Mitarbeiterin beschäftigt. Aus der Dissertation ist ein Folgeprojekt hervorgegangen, in dem ich mir institutionelle Faktoren für die von mir identifizierten „Transnational Lawmaking Coalitions“ zwischen UN-Expert*innen und zivilgesellschaftlichen Akteuren über Zeit anschaue. Mich begeistert dieses Thema aus mehreren Gründen: Zum einen bin ich methodisch herausgefordert, hinter die formellen Entscheidungsprozesse der UN zu schauen. Deshalb reise ich regelmäßig nach Genf, um dort Sitzungen der Ausschüsse zu beobachten und Interviews zu führen. Zweitens gibt mir das Thema die Möglichkeit, mich mit Kerndebatten in zwei Disziplinen, nämlich den Internationalen Beziehungen und dem Internationalen Recht, auseinanderzusetzen und meine Ergebnisse somit in größere Zusammenhänge einzuordnen. Dazu gibt mir auch die Mitgliedschaft in der interdisziplinären Berlin-Potsdam Kollegforschungsgruppe Gelegenheit. Und dann ist als letzter Grund natürlich noch das Themenfeld selbst zu nennen: Bei aller Kritik an den Menschenrechten und ihrer Instrumentalisierung bleiben sie alternativlos als universeller Normkatalog. Mit all ihren Konflikten begründen sie einen faszinierenden Forschungsgegenstand, der sich an viele wichtige Debatten anknüpfen lässt, zum Beispiel zu ihrer Rolle im Rahmen globaler Ungleichheit, sozialer Gerechtigkeit und Populismus.

Vielen Dank!

Weitere Informationen zur Preisverleihung und Podiumsdiskussion am 27. Februar gibt es hier.

Kontakt:
Dr. Nina Reiners, E-Mail: nreinersuni-potsdamde
https://www.uni-potsdam.de/en/fuhr/team/dr-nina-reiners.html

Text: Matthias Zimmermann
Online gestellt: Sabine Schwarz
Kontakt zur Online-Redaktion: onlineredaktionuni-potsdamde