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Medien sind Kult(ur) – Der Bildungsforscher Björn Egbert über die Herausforderungen im Umgang mit neuen Medien

Bildungsforscher Prof. Dr. Björn Egbert. Foto. Tobias Hopfgarten.
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Bildungsforscher Prof. Dr. Björn Egbert. Foto. Tobias Hopfgarten.

Tablets, Smartphones und -watches und interactive Whiteboards, aber auch gigantische Datenbanken, Messengerdienste und Suchmaschinen. Der Einfluss neuer Medien und medialer Techniken auf unseren Alltag ist enorm und nimmt ständig zu. Der Bildungsforscher Björn Egbert, Professor für Grundschulpädagogik Sachunterricht an der Universität Potsdam, geht der Frage nach, wie diese Vielfalt an Möglichkeiten und Einflüssen im schulischen Unterricht so berücksichtigt werden kann, dass Kinder einen aufgeklärten und aktiven Mediengebrauch erlernen. Hilfreich ist dabei der Austausch im „International Network on Cultural Diversity and New Media (CultMedia)“, das Forschende unterschiedlicher Disziplinen zusammenbringt, die sich solchen Fragen widmen. Im September 2019 trafen sich die Mitglieder von „CultMedia“ auf Einladung von Björn Egbert in Potsdam. Matthias Zimmermann sprach mit ihm über Medien, den Weg zum richtigen Umgang mit ihnen und den Wert eines Forschungsnetzwerks.

Medien ändern uns und wir ändern Medien. Inwiefern?

Egbert: Menschliche Praktiken und Beziehungen unterliegen in einer sich mediatisierenden Welt ständigen Veränderungen, wobei zugleich die mediatisierte Welt durch die veränderten menschlichen Bedürfnisse, Praktiken und Beziehungen einem permanenten Wandel unterworfen ist.
Lassen Sie mich diese Prämisse unseres Netzwerkes mit einem Beispiel aus dem schulischen Zusammenhang erläutern: Mehr und mehr Schulen werden umfassend mit Digitaltechnik ausgestattet. Das führt dazu, dass Unterrichtskonzepte, die bisher nicht möglich waren, sich jetzt umsetzen lassen: Arbeitsstrategien, Recherchetechniken, die Arbeit mit Datenbanken, Bibliotheksseiten, Suchmaschinen uvm. Dadurch ändert sich für die Schüler inhaltlich und methodisch viel. Das Gleiche gilt natürlich auch für die Lehrkräfte, die diese neuen Möglichkeiten nutzen können, aber auch müssen. Das ist genau das Gebiet, in dem neue Medien und Netzwerke auf die Lernkultur einwirken. Als Wissenschaftler ist es unsere Aufgabe zu fragen, ob traditionelle Lernkulturen angesichts der sozioökonomischen Transformationsprozesse noch zeitgemäß sind und sein können. Andererseits untersuchen wir, wie sich die Lernkulturen durch die neuen Medien verändern. Mit immer neuen Interfaces – wie etwa Stiften für Bildschirme statt fürs Papier, die sich im Kunst- wie im naturwissenschaftlichen Unterricht nutzen lassen – ergeben sich bislang ungeahnte Möglichkeiten. Und daraus dann wieder neue Bedürfnisse an die Medien. In unserem Network on Cultural Diversity and New Media (CultMedia) gehen wir derartigen Fragen und den darunterliegenden Veränderungen in der Kultur des Alltäglichen nach.

Über allem, was unter dem Sammelbegriff „Medien“ steht, schwebt das Internet. Warum ist es anders als andere Medien? Und wie wirkt es sich auf uns aus?

Das ist natürlich stark abhängig davon, in welchem Umfeld man über „Medien“ spricht. Die Informatik verwendet den Begriff ganz anders als die Elektrotechnik oder eben die Bildungswissenschaften. Für das CultMedia-Netzwerk spielt das Internet eine zentrale Rolle, weil mit seiner Etablierung die massiven sozioökonomischen Veränderungen in Gang gesetzt wurden, die Medien heute so allgegenwärtig machen. Das Internet ist inzwischen die Grundvoraussetzung für einen Großteil der Möglichkeiten, die heute unter dem Begriff „Medien“ zusammengefasst werden. Wenn wir also untersuchen, wie sich die Nutzung von Messangerdiensten von Text- zu Bild-Diensten verschiebt, ist das Internet als zugrundeliegende Struktur automatisch mit dabei.

Sie sind Professor für Grundschulpädagogik Sachunterricht. Wie kommt es, dass Sie sich mit Mediennutzung und ihren Auswirkungen beschäftigen?

Ich selbst habe Mathematik und Technik studiert, da ging es viel um Theorie und Programmieren. Ursprünglich komme ich als Wissenschaftler also eher aus dem technischen Bereich. Gleichzeitig spielen digitale Medien und ihr Gebrauch in meiner Lehre eine zentrale Rolle. Ich habe in den Wirtschaftswissenschaften promoviert, „Entrepreneurship Education“ war zu dieser Zeit brandaktuell. Und ich habe angefangen zu überlegen, wie Unterricht so gestaltet werden kann, dass er stärker an der Lebenswelt der Schülerinnen und Schüler orientiert ist. Was sich aufdrängte: moderne Recherche-, aber auch Präsentationstechniken mithilfe von Beamern oder Interactive Whiteboards. Vor allem aber wollte ich Unterrichtskonzepte weiterentwickeln. Beispielsweise habe ich versucht, mit Schülerinnen und Schülern komplexe ökonomische Konzepte zu erarbeiten, die im Lernprozess immer wieder variiert werden konnten. Es war der Versuch, das Lernen variabler zu gestalten.

Anfang September 2019 haben Sie in Potsdam die CultMedia-Jahrestagung in Potsdam organisiert. Wie kam es dazu?

Im Grunde habe ich die Tagung nach Potsdam mitgebracht. Auf der letzten Jahrestagung 2018 in Prag habe ich angeboten, die nächste Konferenz auszurichten. Als ich dann in Potsdam berufen wurde, war es an der Zeit, das Versprechen einzulösen. Zugleich passt der Ort perfekt, denn Potsdam ist eines der Zentren des CultMedia-Netzwerks und war 2002 auch einer der Gründungsorte.

CultMedia ist das „International Network on Cultural Diversity and New Media“. Was ist das Ziel des Netzwerkes?

Zentrales Anliegen des Netzwerkes ist es, kulturelle Medien-Praxen zu analysieren und diese Analysen vielen unterschiedlichen Fachdisziplinen zugänglich zu machen. Wenn es uns gelingt, Forschende aus aller Welt und aus verschiedenen Fachrichtungen zusammenzubringen und dadurch einen breiten Reflexionsprozess anzustoßen, erfüllt das Netzwerk seine Aufgabe: Bewusstsein schaffen und eine kritische Auseinandersetzung darüber anstoßen, was neue Medien und Kulturen in unterschiedlichen Kontexten bewirken. Wichtig ist uns der Blick über Ländergrenzen hinweg – denn viele Prozesse, denen wir uns widmen, verlaufen länder- oder kulturkreisspezifisch. Daher ist es wichtig, die jeweiligen Unterschiede und deren Ursachen zu betrachten. Dass dies gelingt zeigt sich nicht zuletzt daran, dass es aus immer mehr Teilen der Welt Interesse an unserem Netzwerk gibt, zuletzt beispielsweise aus Rumänien und Mittelamerika.

Schwerpunkte der diesjährigen Tagung waren „Nachhaltigkeit, (künstliche) Intelligenz, Ästhetik und Verantwortung“ – was ist damit gemeint?

Nachhaltigkeit ist ein hochaktuelles gesellschaftliches Spannungsfeld zwischen Ökonomie und Ökologie, das natürlich auch für den Medienbereich wichtig ist. Am Beispiel Handy: Die Entwicklung der Technik bringt uns immer neue Möglichkeiten, aber auch Verantwortung, etwa bei der Entsorgung. Und zwar nicht nur bei uns, sondern weltweit. Daher ist es wichtig, mit zu bedenken, was mit alten Handys beispielsweise in afrikanischen Staaten passiert, wo unter Recycling etwas anderes verstanden wird als bei uns.
In Sachen KI geht es nach wie vor darum, den Begriff der „Künstlichen Intelligenz“ wissenschaftlich zu bestimmen und abzugrenzen von den sehr unterschiedlichen Vorstellungen, die sich Menschen davon machen. Daneben treten immer mehr ethische Fragen: Was bedeutet es für uns, wenn ein Programm, etwa einer Gesichtserkennung, durch das Lernen einer KI verändert wird? Wer kontrolliert das? Wer trägt dafür die Verantwortung? Das Thema der Technikfolgeabschätzung ist entsprechend hochaktuell.
Das Stichwort Verantwortung zielt ganz klar auf gesellschaftliche Transformationsprozesse, z.B. in der Bildung, die begleitet, aber auch angestoßen werden müssen: Es geht darum, Kompetenzen im Mediengebrauch zu entwickeln, bei Erwachsenen, bei Lehrerinnen und Lehrern sowie Lernenden gleichermaßen. Das umfasst neben technischen vor allem auch ethische Aspekte, etwa bei der Nutzung des Internets.

Können Sie die Ergebnisse der Tagung kurz zusammenfassen?

(Lacht.) Das würde sicher den Rahmen sprengen. Aber ein Beispiel kann ich geben. Für den Bildungsbereich haben wir etwa die Frage diskutiert: Wie können wir junge Menschen mit diesen Herausforderungen einer sich stark transformierenden Lebens- und Arbeitswelt nicht nur vertraut machen, sondern mit Kompetenzen ausstatten, damit sie in mündiger Weise an dieser Transformation teilhaben? Denn WhatsApp als „Konsument“ zu nutzen, ist nicht teilhabe. Dazu gehört eine aktive Auseinandersetzung: Was will, was muss ich preisgeben? Wie kann ich diese Technologie für mich nutzen? Was bedeutet die Nutzung für mich und meine Daten?
Ich denke, dass Bildung, auch schulische Bildung, in diesem Bereich erst am Anfang steht. Insofern kommt auf unser Netzwerk eine Menge Arbeit zu. Und ich bin froh, dass wir dafür Forschende aus sehr unterschiedlichen Disziplinen an Bord haben: Informatiker, Bildungsforscher, aber auch Philosophen. Denn ein kritischer, verantwortungsbewusster Umgang mit neuen Medien wird immer wichtiger.

Vielen Dank!



Das Netzwerk

Wie verändert sich Kommunikation in Zeiten des Internet? Wir erleben einen umfassenden Kulturwandel, mit Auswirkungen auf alle Lebensbereiche moderner Gesellschaften. Das Forschungsnetzwerk CultMediauntersucht diesen Wandel interdisziplinär auf philosophischer, kulturwissenschaftlicher, psychologischer, sozialwissenschaftlicher, kommunikations- und informationswissenschaftlicher Ebene.

Die Tagung

Menschliche Praktiken und Beziehungen unterliegen in einer sich mediatisierenden Welt ständigen Veränderungen, wobei zugleich die mediatisierte Welt durch die veränderten menschlichen Bedürfnisse, Praktiken und Beziehungen einem permanenten Wandel unterworfen ist. Dieser Prämisse folgend, bestand das wissenschaftliche Ziel der Konferenz „Menschliche Praktiken und Beziehungen in der mediatisierten Welt. Nachhaltigkeit, (künstliche) Intelligenz, Ästhetik und Verantwortung“ des International Network on Cultural Diversity and New Media darin, Neue bzw. Digitale Medien als Form der Technik in ihrer Wechselwirkung mit Individuen bzw. Gesellschaften und ihren Bedürfnissen sowie kulturellen Gegebenheiten/Praxen zu erfassen. Dadurch wurden technologisch strukturierte Medien als soziotechnisches System in den Mittelpunkt wissenschaftlicher Betrachtungen gestellt, um diese wechselseitigen Beeinflussungen zu erfassen und aus Sicht verschiedener Fachdisziplinen in Verbindung zu setzen sowie zu analysieren.

 

Der Wissenschaftler

Prof. Dr. Björn Egbert studierte Technik und Mathematik für das Gymnasium und promovierte an der Pädagogischen Hochschule (PH) Freiburg im Fach Wirtschaftslehre. Seit April 2019 ist er Professor für Grundschulpädagogik Sachunterricht an der Universität Potsdam.
E-Mail: egbertuni-potsdamde

Text: Matthias Zimmermann
Online gestellt: Matthias Zimmermann
Kontakt zur Online-Redaktion: onlineredaktionuni-potsdamde