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Unterwegs im anatolischen Hochplateau – Tag 9: Entlang der Störung ohne Störung – geologische Zeugen der Bewegung an der Nordanatolischen Verwerfungszone

Reisetagebuch: Studierende auf Exkursion in der Türkei

Potsdamer Geowissenschaftler bei der Diskussion der nordanatolischen Verwerfungszone. Im Hintergrund ist ein See zu sehen, der durch die seitliche Verschiebung und Heraushebung des langestreckten Hügels entstanden ist. Foto: Ariane Müting
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Potsdamer Geowissenschaftler bei der Diskussion der nordanatolischen Verwerfungszone. Im Hintergrund ist ein See zu sehen, der durch die seitliche Verschiebung und Heraushebung des langestreckten Hügels entstanden ist. Foto: Ariane Müting

Unsere geologische Exkursion in die Türkei geht jetzt dem Ende zu. Der letzte Abschnitt unserer Reise führt uns von dem beschaulichen Safranbolou entlang der weltbekannten nordanatolischen Verwerfungsszone in die Millionenmetropole Istanbul.

Die Ost-West-verlaufende Nordanatolische Verwerfungszone stellt eine rechtshändige Seiten- oder Blattverschiebung dar, die durch die westwärts gerichtete Fluchttektonik des anatolischen Mikrokontinents infolge der Kollision zwischen der arabischen und der eurasischen Kontinentalplatte verursacht wird. Aufgrund der westwärts fortschreitenden Verformungsprozesse liegt die jüngste Deformationszone der Verwerfung in der Marmara-See um Istanbul, wo man mit Forschungsunterseebooten den Störungsverlauf recht genau kartieren konnte. Die derzeitige Bewegungsrate der nordanatolischen Verwerfungszone beträgt etwa 26 mm pro Jahr. Zahlreiche historische und geologische Belege dokumentieren die tektonische Aktivität dieser Verwerfung, und seit 1939 breiten sich Erdbeben mit Magnituden von 7 und mehr in nahezu systematischer Art und Weise von Osten nach Westen aus. Glücklicherweise ist die Stadt Istanbul noch verschont geblieben. Dennoch erreichte uns vor einigen Tagen die Nachricht von zwei Erbeben in der Nähe von Istanbul, welche auf die fortwährende Bewegung und den Spannungsaufbau entlang dieser Störungszone zurückzuführen sind.

Im Gelände finden wir viele eindeutige Hinweise für die mit der Störung verbundenen Deformationsprozesse. Selbst zunächst unscheinbare Veränderungen am Straßenrand, wie die seitliche Verbiegung oder gar der Versatz von Mauern geben uns Aufschluss über rezente Bewegungen entlang der Störungszone. Das sogenannte aseismische Kriechen ist hier oft der Grund für die Deformation von Infrastruktur oder der Landoberfläche. Derartiges Kriechen ist eine langsame, aber kontinuierliche Bewegung ohne einen ruckhaften Versatz während eines Erdbebens. Dies wird durch mechanisch leicht verformabare Gesteine ermöglicht, in deren Mineralen Wasser im Kristallgitter gespeichert ist. Es handelt sich hierbei um sogenannte Serpentinite, die wie ein Schmiermittel wirken. Ihren eigentlichen Ursprung haben die Serpentinite in ozeanischen Krustengesteinen. Sie sind in dieser Region Bestandteil von sogenannten Ophiolithkomplexen in einer alten Kollisionszone zwischen zwei Kontinentalplatten, die vormals durch ein Ozeanbecken voneinander getrennt waren und an der Erdoberfläche aufgeschlossen sind.

Aseismisches Kriechen ist aber nur ein Teil der Geschichte der beobachteten Verformungsprozesse, denn andere Teilstücke der Verwerfungszone bauen die Spannungen in der Erdkruste immer wieder durch Erdbeben ab. Wir finden ruckartig versetzte Mauerwerke, zermahlene und zerbrochene Gesteine sowie Hinweise auf die wiederholte Störung von Flussläufen, die von Norden kommend an der Verwerfung abrupt abgeschnitten werden, parallel zur Verwerfung verlaufen und nach einiger Entfernung wieder in die ursprüngliche Richtung nach Süden weiterfließen. Durch diese lateralen Bewegungen entlang der Verwerfung werden auch Seen unterschiedlicher Größe aufgestaut und ganze Berge, manchmal fast 20 km lang, seitlich verschoben. Sie werden Kamelrücken genannt. Wir sind beeindruckt, denn bisher kannten wir Störungen dieser Größenordnung nur aus Vorlesungen und aus Büchern. Gegen Abend fahren wir nach Istanbul in unser Hotel.

Text: Emily Ikawy und Isabell Grun
Online gestellt: Agnes Bressa
Kontakt zur Online-Redaktion: onlineredaktionuni-potsdamde