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Die Grenzen des Unbekannten – Der Brandenburger Ludwig Leichhardt auf Entdeckungsreise durch Australien

Das australische Outback. Foto: Julia Gebhardt/Pixelio
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Das australische Outback. Foto: Julia Gebhardt/Pixelio

Friedrich Wilhelm Ludwig Leichhardt, geboren 1813 in Trebatsch im Land Brandenburg, ist früh, mit nur 35 Jahren, und unter bis heute ungeklärten Umständen gestorben. Auf einer Expedition durch Australiens heiße Wüsten verschwand er und ist bis heute verschollen. Sein 200. Geburtstag gibt nun Anlass, in Deutschland und Australien die Erinnerung an ihn abermals zu beleben und sowohl sein Wirken als auch die damit verbundenen Geschichten aus postkolonialer Perspektive neu zu bewerten. An dieser Herausforderung beteiligt ist ein vom DAAD gefördertes Forschungsprojekt an der Universität Potsdam: „Leichhardts Erbe: Auf der Suche nach dem Verschwundenen“.

Geboren als sechstes von neun Kindern eines Torfinspektors in der wasserreichen Gegend des heutigen Landkreises Oder-Spree, studierte Ludwig Leichhardt zunächst in Berlin und Göttingen praktische Philosophie, Religionsgeschichte, Sprachwissenschaften, Naturgeschichte, Botanik, Metaphysik und Physik. Später setzte er seine Studien in London und Paris fort, bevor er 1842 nach Australien reiste und dort von 1844 bis 1845 eine erste Expedition in das noch unerschlossene Landesinnere startete. Sie führte ihn von Brisbane über 4.800 Kilometer nach Port Essington und ließ ihn als Held und Entdecker einer Nord-Ost-Route durch den Kontinent zurückkehren. Verehrt wurde er damals nicht nur in Australien für seine Entdeckungen, wie z.B. die des größten australischen Kohlelagers, die schließlich sogar zur wirtschaftlichen Entwicklung des Landes beitrugen. Für seine wissenschaftlichen Leistungen im Bereich der Geografie und Botanik wurde er zudem in Europa mit Preisen bedacht.

Der Universalgelehrte und Entdecker unternahm später eine zweite Expedition mit dem Ziel, Australien nun von Osten nach Westen zu durchqueren. Dieser Versuch scheiterte, aber Leichhardt gab nicht auf. Nach rund zwei Jahren Planung und Organisation brach er 1848 zu seiner dritten und letzten Expedition durch den roten Kontinent auf. Doch es gelang ihm auch dieses Mal nicht, eine Route vom Nordosten in den Südwesten zu finden. Schlimmer noch: Der Entdecker blieb mit seinem gesamten Team auf mysteriöse Weise verschollen. Alle Suchtrupps, die sich in den Jahren nach seinem Verschwinden auf die Suche machten, konnten das Schicksal der Expeditionsteilnehmer nicht aufklären.

Prof. Dr. Anja Schwarz und Prof. Dr. Lars Eckstein widmen sich in ihrem Projekt „Leichhardt’s Legacies: Locating the Disappeared“ gemeinsam mit ihren Partnern der schillernden Persönlichkeit Leichhardts und seiner Bedeutung über die nationalen Kontexte hinweg. Nach der anfänglichen deutsch-australischen Euphorie über seine Entdeckungen, in deren Zusammenhang etliche Stadtteile, Berge, Straßen und Gemeindehäuser auf dem Kontinent nach ihm benannt wurden, ließ die Begeisterung der Australier in den 1880er Jahren, als Deutschland zunehmend zu einer unmittelbaren imperialen Konkurrenz im Pazifik wurde, nach. Auch Leichhardts detaillierte Darstellung der indigenen Bevölkerung in seinen Reisebeschreibungen mag im Widerspruch zu den Bemühungen der weißen Siedler gestanden haben, Aborigines als aussterbende Rasse ohne Besitzansprüche auf ihr Land darzustellen. Zwar war der Universalgelehrte Humboldt’scher Prägung ebenfalls nicht frei von den damals geläufigen rassistischen Ansichten – doch er nahm die Menschen in seinen Schriften und in seinem Umgang ernst. Die beiden Weltkriege schließlich, in denen Australien an der Seite des britischen Mutterlandes kämpfte, machten es für die australische  Gesellschaft unmöglich, den deutschen Erforscher ihres Kontinents als wichtigen Akteur der eigenen Geschichte zu erinnern. Seit den 1980er Jahren wird er neu entdeckt. In Deutschland erinnerte man sich je nach politischer Lage unterschiedlich an Ludwig Leichhardt. Mittlerweile ist er der gefeierte Sohn seines Geburtsortes Trebatsch – das während der Zeit des Nationalsozialismus zeitweise in „Leichhardt“ unbenannt worden war –, wo sich heute noch das Ludwig-Leichhardt-Museum befindet. Auch in Cottbus erinnern das Ludwig-Leichhardt-Gymnasium und das Leichhardt-Haus an den berühmten Entdecker. Doch seine Bedeutung geht über diese einzelnen nationalen oder regionalen Kontexte hinaus und ist nun Gegenstand eines deutsch-australischen Forschungsprojekts.

In Kooperation mit Kollegen der University of Technology Sydney verfolgen die Potsdamer Wissenschaftler Leichhardts transnationales und transkulturelles Erbe – durch seine Schriften und die zahlreichen biografischen, literarischen, touristischen und populärkulturellen Auseinandersetzungen mit ihm –, um es aus heutiger Sicht neu zu bewerten. Leichhardts Ziel war es, mit seinen Expeditionen die Grenzen des Unbekannten auf dem australischen Kontinent zu verschieben und zu minimieren, um somit die Voraussetzungen zu schaffen, ihn zu besiedeln. Schwarz und ihre Kollegen wollen nun nicht zuletzt daran erinnern, dass dieses Land schon seit über 60.000 Jahren von der indigenen Bevölkerung bewohnt wurde. „Sie hatten ihren Bergen und Flüssen schon lange Namen gegeben. Dieses Land war also kein unbeschriebener ‚schwarzer Kontinent‘, wie Leichhardt ihn nannte und in dessen ‚unerforschtes Herz‘ er vorstoßen wollte“, erläutert die Potsdamer Anglistin ihren Ansatz. Hier trifft die historische Grenzverschiebung auf eine postkoloniale Perspektive, die auf den geopolitischen Kontext von Leichhardts Reisen hinweist und ein Eigenrecht für die indigene Bevölkerung proklamiert. Leichhardt ist jedoch weder für die eine noch die andere Seite eindeutig einzunehmen. So helfen seine Reiseberichte heute beispielsweise verschiedenen Aboriginesgruppen dabei, ihren rechtmäßigen Besitzanspruch auf bestimmte Gebiete zu belegen, da auch ihre Vorfahren – wie von Leichhardt beschrieben – bereits dort lebten. „Daneben interessiert mich vor allem die Frage, welche Rolle bei der deutschen Rezeption Leichhardts koloniale Vorstellungen spielten und spielen, und welche Spuren dieser Geschichte heute noch in unserem Selbstverständnis mitschwingen“, konkretisiert Schwarz ihren Forschungsansatz.

Das vom DAAD unterstützte Projekt ermöglicht einen mit mehreren Studienaufenthalten verbundenen, intensiven Austausch zwischen jeweils zwei Professoren und drei jungen Nachwuchswissenschaftlern aus Potsdam und Sydney. Leichhardt war zudem das Thema der internationalen Konferenz „Tausendundein Leichhardt“ im September 2013 am Fürst-Pückler-Museum Park und Schloss Branitz bei Cottbus. Die Ausstellung „‚Gut möglich, dass meine Knochen für immer auf den Ebenen dieser Kolonie bleichen werden‘: 200 Jahre Ludwig Leichhardt“, die am 4. Mai 2013 im Fürst-Pückler-Museum eröffnet wurde, und der dazugehörige Katalog wurden von Projektmitgliedern kuratiert und mitgestaltet. Einen ersten Einblick in Leichhardts Werk und sein Nachleben erhielt das Potsdamer Publikum schon im Juni 2013 zum Wissenschaftstag „Tausend Fragen, eine Stadt“.

Die Wissenschaftlerin

Prof. Dr. Anja Schwarz studierte Kulturwissenschaften und promovierte im Bereich der Postcolonial Studies. Seit 2010 ist sie Juniorprofessorin für Cultural Studies an der Universität Potsdam.

Kontakt

Universität Potsdam
Institut für Anglistik
Am Neuen Palais 10, 14469 Potsdam
anja.schwarzuni-potsdamde

Text: Dr. Sophia Rost, Online gestellt: Agnes Bressa