Zum Hauptinhalt springen

Schau mir in die Augen!

Was die Pupillen über den Spracherwerb verraten

Katalin Tamási und Carolin Jekel im BabyLab. Foto: Thomas Hölzel
Foto :
Katalin Tamási und Carolin Jekel im BabyLab. Foto: Thomas Hölzel

Im Promotionsprogramm „Idealab“ untersuchen Nachwuchswissenschaftler aus der ganzen Welt den Zusammenhang zwischen Sprache und Gehirn. Die Entwicklung der Sprache und ihre Repräsentation im Gehirn werden dabei ebenso erforscht wie die Ursachen, Auswirkungen und Therapiemöglichkeiten von Sprachstörungen. In Potsdam beschäftigt sich die aus Ungarn stammende Doktorandin Katalin Tamási mit dem frühkindlichen Spracherwerb.

Lena hat es sich gemütlich gemacht. Bequem kuschelt sich die Zweijährige auf Mamas Schoß. Dass sie sich gerade inmitten einer wissenschaftlichen Untersuchung im BabyLab der Uni befindet, scheint sie nicht zu stören. Gebannt schaut das Mädchen auf einen Bildschirm, auf dem verschiedene Figuren und Gegenstände abwechselnd zu sehen sind. Zu jedem Bild spricht eine weibliche Stimme das dazugehörige Wort. „Schaf, Glas, Käse, Mund“, klingt es aus den Lautsprechern. Doch manchmal schieben sich falsche Worte in den Film. „Lena bekommt „Fonne“ zu hören, obwohl eine Sonne zu sehen ist. Aus der Suppe wird eine „Duppe“, aus dem Fisch ein „Sisch“.

Während sich Lena den Film ansieht, beobachtet Katalin Tamási auf einem Monitor im Nebenzimmer genau die Reaktionen des Kindes. Die 28-jährige Wissenschaftlerin möchte herausfinden, ob Lena erkennt, dass einige Worte falsch ausgesprochen werden. „Was wissen Kinder über Wörter, bevor sie fehlerfrei sprechen lernen?“ – diese Frage stellt sich Tamási in ihrer Dissertationsarbeit. Auch wenn Kinder im Alter von zwei bis drei Jahren selbst einige Worte noch nicht richtig artikulieren können, haben sie doch ein Bewusstsein für die richtige Aussprache und erkennen, wenn sich ein Wort verkehrt anhört – so die Hypothese der Psycholinguistin. Die Arbeit mit autistischen Kindern während ihres Studiums hat sie zu dieser Frage inspiriert. Denn: „Diese Kinder verstanden viel mehr, als sie zeigten“, berichtet die Wissenschaftlerin. Sie vermutet, dass es sich mit sehr jungen Kindern ähnlich verhält.

Katalin Tamási untersucht ihre Fragestellung als Doktorandin des Programms „International Doctorate for Experimental Approaches to Language and Brain“ (Idealab), das seit 2012 als Erasmus Mundus-Programm von der Europäischen Union gefördert wird. Fünf Universitäten – neben der Universität Potsdam die Universitäten von Trento (Italien), Groningen (Niederlande), Newcastle (Großbritannien) und die Macquarie University Sydney (Australien) – sind an dem Promotionsprogramm beteiligt. Zu den 15 assoziierten Partnern gehören weitere Universitäten, Kliniken, Verlage und Technologieunternehmen. Momentan forschen 21 Promovenden aus Russland, Mexiko, Portugal, den Niederlanden, dem Iran, Spanien, der Türkei, der Ukraine, Ungarn, den USA, Pakistan, Italien, Serbien, China und Deutschland unter dem Dach von Idealab.

Sprache und Gehirn sind dabei die Schwerpunkte, die die Nachwuchswissenschaftler aus verschiedenen Blickwinkeln untersuchen. „Wie ist die Sprache im Gehirn repräsentiert, wie wird Sprache verarbeitet – dies sind die Fragen, die im Programm thematisiert werden“, erläutert Barbara Höhle, Professorin für Psycholinguistik mit Schwerpunkt Spracherwerb und Koordinatorin des Projekts. Für die Stipendiaten sei die Teilnahme vor allem auch wegen der hohen Methodenvielfalt, die die fünf Unis bieten könnten, äußerst attraktiv. „Die Universitäten sind in ihrer Expertise unterschiedlich gewichtet“, so Höhle. So liege etwa an der Macquarie University der Schwerpunkt auf der Untersuchung von Lese- und Schreibstörungen, während in Potsdam vor allem der Spracherwerb erforscht werde.

Wegen der Expertise, die die Universität Potsdam auf eben jenem Gebiet zu bieten hat, hat sich auch Katalin Tamási um einen Stipendienplatz beworben. Und die Ungarin war erfolgreich – immerhin bewerben sich etwa 60 junge Wissenschaftler auf acht zu vergebende Plätze. Das Bewerbungsprozedere ist anspruchsvoll. „Neben den üblichen Bewerbungsunterlagen reichen die Bewerber einen ausführlichen Vorschlag darüber ein, was sie in ihrem Promotionsprojekt erforschen wollen“, erklärt Barbara Höhle. Kennen sie sich mit der Fachliteratur aus, formulieren sie einleuchtende Hypothesen, haben sie genaue Vorstellungen davon, wie sie ihre Fragestellung bearbeiten können? Diese Informationen sind für das Konsortium, das über die Aufnahme entscheidet, wichtige Kriterien. Anschließend wird mit den Kandidaten ein Interview per Skype geführt. „Das ist angesichts der Zeitverschiebung manchmal durchaus herausfordernd“, erzählt Barbara Höhle schmunzelnd.

Katalin Tamási konnte mit ihrem Promotionsprojekt überzeugen. Sie interessiert sich besonders für den Spracherwerb in den ersten Lebensjahren. „Wir wissen noch nicht genau, wie Wörter im kindlichen Gehirn repräsentiert sind“, erklärt sie. Wie exakt sind etwa Lenas Vorstellungen eines Wortes? Kann sie „Sonne“ und „Fonne“ voneinander unterscheiden? Und kann sie dies möglicherweise schon, obwohl sie selbst das Wort noch nicht richtig ausspricht? Um das herauszufinden, wendet Katalin Tamási eine Methode an, die in den vergangenen Jahren zunehmend Einzug in die Neuro- und Kognitionswissenschaften gehalten hat: Über die Pupillometrie – die Messung der Pupillenweite – können Wissenschaftler erkennen, wie hoch die kognitive Leistung des Gehirns ist. Denn der Muskel, der die Pupille weitet, ist gleichzeitig auch mit dem limbischen System des Gehirns verbunden. Also jenem Bereich, der für die Verarbeitung von Emotionen zuständig ist.

„Diese Methode wird erst seit Kurzem benutzt, um linguistische Fragestellungen zu untersuchen“, betont Katalin Tamási. Und so funktioniert es: Bemerkt Lena, dass mit einem Wort etwas nicht stimmt, steigt die kognitive Leistung ihres Gehirns und die Pupille erweitert sich – so die Annahme. Während das Mädchen die bunten Figuren auf dem Bildschirm verfolgt, wird ihre Pupillenweite deshalb ständig über eine Kamera erfasst und vermessen. Um zu ermitteln, ob die Methode für ihre Untersuchungen sensitiv genug ist, testet die Doktorandin in einer ersten Pilotstudie zunächst 24 Kinder. „Sollte sich herausstellen, dass diese Methode für linguistische Fragestellungen geeignet ist, hätte die gesamte psycholinguistische Community ein neues Werkzeug an der Hand“, verdeutlicht Tamási. Und auch sie selbst würde dieses Werkzeug für weitere, umfangreiche Studien nutzen.

Ihre Untersuchungen wird Katalin Tamási nicht nur in Potsdam, sondern auch an der Universität von Newcastle durchführen. Denn Mobilität ist ein wichtiger Baustein des Promotionsprogramms. Mindestens ein halbes Jahr lang sollen die Stipendiaten ihren Forschungsplatz wechseln – um weitere Methoden und Experten kennenzulernen. In Newcastle wird Katalin Tamási den Umgang mit einem Ultraschallgerät erlernen, das die Position der Zunge während des Sprechens erfasst. „Wir können damit erkennen, ob bestimmte Bewegungen, die wir nicht hören können, vorhanden sind oder nicht“, erklärt die Forscherin. In Untersuchungen zum Spracherwerb kann diese Methode präzisere Ergebnisse als etwa eine akustische Aufnahme liefern.

Nicht nur die Mobilität in der Forschung wird bei „Idealab“ großgeschrieben, auch der Austausch mit den anderen Stipendiaten und Wissenschaftlern ist ein wesentlicher Eckpfeiler. Jährlich treffen sich alle Beteiligten in einer Winterschule, die die Universitäten abwechselnd ausrichten, um Ideen und Ergebnisse zu diskutieren. In diesem Jahr wird die Universität Potsdam Gastgeber sein. Als äußerst „lohnend und hilfreich“ beschreibt Katalin Tamási diesen Austausch. „Wir sind auf einem guten Weg mit dem Programm“, ist auch Barbara Höhle überzeugt. Die Stipendiaten seien besonders von der Möglichkeit, den Forschungsstandort zu wechseln, begeistert. „Das ist natürlich auch eine Herausforderung. Umzug, Visum, neue Ansprechpartner – da ist viel Organisationstalent gefragt“, so die Professorin. Andererseits biete der Wechsel eine einzigartige Gelegenheit, Netzwerke aufzubauen. „Das ist für die Karriereentwicklung ganz entscheidend.“

Lena hat ihren Test unterdessen beendet, der Film ist vorbei. Testleiterin Carolin Jekel überprüft nun noch mithilfe eines Bilderbuchs, welche der getesteten Wörter das Kind kennt und richtig ausspricht und welche noch nicht im Wortschatz vorkommen. Zum Schluss darf sich Lena ein kleines Buch aussuchen und mit nach Hause nehmen. 

Das Projekt

Das Promotionsprogramm „International Doctorate for Experimental Approaches to Language and Brain“ (Idealab) untersucht seit 2012 Zusammenhänge zwischen Sprache und Gehirn. 

Beteiligt: Universität Potsdam, Macquarie University Sydney, University of Newcastle, Universität Trento, Universität Groningen, weitere 15 Partner aus Wirtschaft und Wissenschaft.

Förderung: Europäische Union (Erasmus Mundus)

www.em-idealab.com

Die Wissenschaftlerinnen

Prof. Dr. Barbara Höhle studierte Linguistik, Psychologie und Sozialwissenschaft an der Technischen Universität Berlin. Seit 2004 ist sie Professorin für Psycholinguistik mit Schwerpunkt Spracherwerb.

Kontakt

Universität Potsdam
Humanwissenschaftliche Fakultät
Karl-Liebknecht-Straße 24-25
14476 Potsdam 
hoehleuni-potsdamde

Katalin Tamási studierte Theoretische Linguistik in Budapest (Ungarn) und Tromsø (Norwegen) und Psychologie in Boston (USA). Seit September 2013 nimmt sie am Promotionsprogramm „Idealab“ teil.

Kontakt

Universität Potsdam
Humanwissenschaftliche Fakultät
Karl-Liebknecht-Straße 24-25
14476 Potsdam
tamasiuni-potsdamde

Text: Heike Kampe, Online gestellt: Agnes Bressa

 

Veröffentlicht