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Scham und Soziale Angststörungen

Veränderung von pathologischem Schamerleben bei sozialen Angststörungen

Scham kann im weitesten Sinne als globale Abwertung des Selbst verstanden werden. Sie äußert sich in kritischer Selbstverbalisierung und führt häufig zur Vermeidung sozialer Situationen (Clark & Wells, 1995). Übermäßige Scham spielt eine zentrale Rolle bei der Entwicklung und Aufrechterhaltung verschiedener psychischer Störungen, insbesondere der sozialen Angststörung (Gilbert & Miles, 2000; Hedman et al., 2013).

Unsere Forschung untersucht die Wirksamkeit und die Mechanismen von Interventionen bei der Schamregulation. Ein vielversprechender Ansatz ist die Compassion Focused Therapy (CFT; Gilbert, 2010), die auf die Entwicklung von Selbstmitgefühl abzielt. In einer experimentellen Studie konnten wir zeigen, dass CFT Scham und Selbstkritik bei Personen mit erhöhter sozialer Angst signifikant reduziert und damit einen vielversprechenden Weg für eine emotionsspezifische Behandlung von sozialer Angststörung darstellt (Fink-Lamotte, Hoyer et al., 2023).

Aktuell testen wir eine KI-gestützte Mikrointervention, bei der Personen mit erhöhtem Schamgefühl über eine sichere Messaging-Plattform (z. B. Signal) täglich kurze Selbstmitgefühls-Impulse erhalten. Das Projekt prüft das Potenzial generativer Sprachmodelle (LLMs) als niedrigschwellige Unterstützung bei der Schamregulierung.

 

Kooperationspartner:innen: 

Eingesetzte Interventionen (Verwendung frei verfügbar)

Zur Induktion von Schamerleben (Zur Verwendung bei Experimenten; Fink-Lamotte, Hoyer et al., 2024):

Zur Behandlung von Schamerleben:

  • Selbstmitgefühlsbasierte Intervention als Text und als Audio
  • Kognitives Umstrukturieren als Text und als Audio

Soziale Angststörung und Ambivalenz zur Exposition

Ambivalenz ist das gleichzeitige Vorhandensein von positiven und negativen Assoziationen zu bestimmten Objekten und Subjekten. Vor der Durchführung der Expositionstherapie sind Patienten demnach oft in einem ambivalenten Zustand. Zum einen ist die Expositionstherapie für eine ganze Reihe von Erkrankungen (z.B. Angststörungen; Stangier & Frydrich, 2002) eine der erfolgreichsten und effektivsten Interventionen der Psychotherapie, zum anderen müssen sich die Patienten im Rahmen der Exposition mit ihrer schlimmsten Befürchtung aussetzen. Purdon & Clark (2005) konnten beispielsweise in einer qualitativen Studie zeigen, dass Menschen mit sozialer Angststörung (SAD), Panikstörung oder Zwangsstörung (OCD) von Sorgen und Ängste über die bevorstehende Expositionstherapie berichteten. Hierbei ist anzunehmen, dass diese motivationalen Ursachen den Therapieerfolg mindern (z.B. Abramowitz & Arch, 2014). Bei sozialen Ängsten werden soziale Situationen, in denen aversive Emotionen wie Angst auftreten könnten durch Sicherheitsverhalten vermindert bzw. vermieden, was zu einer kurzfristigen Symptomreduktion führt und zur Aufrechterhaltung der Erkrankung beiträgt (Clark & Wells, 1995). Dementsprechend stehen Betroffene der Konfrontation mit aversivem Reizen ambivalent gegenüber, was die Therapiemotivation mindert. Es ist demnach anzunehmen, dass auf ein langfristiges Ziel ausgerichtete Therapieelemente (z.B. Motivation, Werte) die Ambivalenz gegenüber der Konfrontation im Rahmen der ERP verringern und die intrinsische Therapiemotivation stärken. In der Literatur werden hierzu verschiedene Ansätze diskutiert:

  • Patient:innen mit anderen Patient:innen in Kontakt gebracht, die eine Exposition erfolgreich durchgeführt haben .
  • Daneben wird die direkte Erhöhung der Motivation durch das Motivational Interviewing oder über die Verstärkung des Selbstbezug („Warum will ich das machen?“) und der Handlungskompetenzen („Ich kann das!“) diskutiert (Fink-Lamotte, Lüders und Exner, 2021).
  • Als dritte Idee zur Veränderung der Ambivalenz wird diskutiert, inwieweit eine Werte-Aktivierung nach der Acceptance and Commitment Therapy (Twohig et al., 2015, 2018) zu einer Reduktion der Ambivalenz führen kann.

In einer aktuellen Studie (Brinkmann et al., eingereicht) haben wir ein neues Entscheidungsparadigma entwickelt und validiert, das auf dem ABC-Modell der Ambivalenz (van Harreveld et al., 2015) basiert. Damit lässt sich die Bereitschaft zur Teilnahme an Verhaltensexperimenten bei Personen mit sozialen Ängsten erfassen. 

In zwei Interventionsstudien konnten wir zeigen, dass die Kombination aus Selbstmitgefühl und wertebasierter Reflexion die Motivation erhöht, sich angstauslösenden sozialen Situationen zu stellen. Auch die kognitive Neubewertung erwies sich als wirksam. Die Ergebnisse legen nahe, dass sowohl affektive Faktoren wie Scham als auch kognitive Komponenten gezielt angesprochen werden sollten, um die Teilnahmebereitschaft an expositionsbasierten Therapien zu fördern.

 

Kooperationspartner:innen: 

Beiträge:

Brinkmann, F., Wagner, A., Kühne, F., Hoyer, J., Exner, C., & Fink-Lamotte, J (2024). Enhancing motivation for therapy: Comparing two interventions for reducing ambivalence towards confronting social situations. Poster was presented at the 3rd Deutscher Psychotherapie Kongress, Berlin, Germany, June, 12.

Emotionsverarbeitung und Wahrnehmung bei Sozialer Angststörung

In Arbeiten mit Jugendlichen und Erwachsenen haben wir die neuronale Verarbeitung emotionaler Reize und soziale Bewertungsprozesse untersucht. Zwei EEG-Studien (Rauschenbach et al., 2024; Rauschenbach et al., 2025) zeigten, dass Kinder und Jugendliche mit sozialer Angststörung (SAD) veränderte frühe und späte ereigniskorrelierte Potenziale auf emotional mehrdeutige Gesichter zeigen, selbst in Situationen, die Bedrohungsinterpretationen normalerweise abschwächen sollten. Dies deutet auf stabile Aufmerksamkeits- und Interpretationsverzerrungen hin, die zentral für die Symptomatik von SAD sein könnten.

Scham, Soziale Angst und die Klimakrise

Um herauszufinden, wie moralische Emotionen wie Scham und soziale Normen Umweltverhalten und psychische Gesundheit beeinflussen, untersucht unsere Forschung Klimascham, Selbstwirksamkeit und injunktive Normen als psychologische Mechanismen der Veränderung. Die Ergebnisse sollen dazu beitragen, die psychologischen Grundlagen des Umweltverhaltens besser zu verstehen und Interventionen zur Förderung nachhaltiger Lebensstile zu entwickeln.

In einer ersten Studie verstärkte die Schambedingung negative Emotionen und depressive Symptome, während die Normbedingung umweltfreundliche Absichten ohne emotionale Kosten förderte. Dies verdeutlicht die Risiken schambasierter Botschaften und das Motivationspotenzial sozialer Normen für nachhaltige Lebensstile.

In einer zweiten Studie setzten wir eine verfeinerte Version des Paradigmas ein, indem wir die Norm- und Schammanipulation mit einer validierten Entscheidungsaufgabe kombinierten, um Verhaltensabsichten und Emotionen über die Zeit zu verfolgen.

 

Kooperationspartner:innen:

Beiträge:

Wolski, M., Reese, G., & Fink-Lamotte, J. (2024). Einfluss von Klimascham und injunktiver Normen auf die Bereitschaft zu Umweltverhalten und psychisches Wohlbefinden. Poster was presented at the 3rd Deutscher Psychotherapie Kongress, Berlin, Germany, June, 12.

 

Psychologische Flexibilität und Demokratieförderung

In Zusammenarbeit mit dem Demokratienetzwerk Mecklenburg-Vorpommern untersuchen wir, wie Emotionen wie Scham, Wut und Angst mit politischer Rigidität und kognitiver Inflexibilität bei demokratischer Teilhabe zusammenhängen. Dafür entwickeln wir Mikrointerventionen mit einem stufenbasierten KI-gestützten Chatbot, angelehnt an das Stages of Change Modell (Prochaska & DiClemente, 1982). Ziel ist es, Perspektivenübernahme, Ambiguitätstoleranz und Resilienz zu fördern und so Scham, Wut und Angst zu reduzieren, um Polarisierung entgegenzuwirken. Das Projekt wird zunächst an zwei Schulen in Mecklenburg-Vorpommern durchgeführt und evaluiert.

 

Kooperationspartner:innen:

Beiträge:

Brakemeier, E.-L., Stapel, S., Fink-Lamotte, J., Seeck, M., Ulbricht, C. Walther, E., Willingmann, A., & Zietlow, A.-L. (2025). Psychische Gesundheit und Demokratieförderung. Panel was presented at the 4th Deutschen Psychotherapie Kongress, Berlin, Germany; April, 8-11.