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Scham und Soziale Angststörungen

Veränderung von pathologischem Schamerleben bei sozialen Angststörungen

Scham kann im weitesten Sinne als eine globale Abwertung des Selbst verstanden werden und ist durch eine kritische, wertende und verurteilende Selbstverbalisierung gekennzeichnet. Da Scham Menschen dazu motiviert, sich selbst kritisch zu betrachten, verhalten sie sich in sozialen Situationen zurückhaltender und distanzierter.  Wenn ein starker Wunsch nach positiven Reaktionen von anderen mit einem hohen Maß an Unsicherheit verbunden ist, empfinden Menschen übertriebene Scham (Schuster et al., 2021), und um diese Scham nicht erleben zu müssen, werden soziale Situationen vermieden (siehe z. B. Clark & Wells, 1995). In der Folge spielt übertriebene Scham eine wichtige Rolle bei der Entwicklung und Aufrechterhaltung einer Reihe von psychopathologischen Störungen (z. B. Depressionen, Essstörungen, posttraumatische Belastungsstörungen, somatoforme Störungen), insbesondere der sozialen Angststörung (SAD; Gilbert & Miles, 2000; Hedman et al., 2013).

Übermäßige Selbstaufmerksamkeit und das Einnehmen einer Beobachterperspektive (das Selbst als Objekt) sind zentrale Komponenten des psychopathologischen Modells der sozialen Angst von Clark und Wells. Beide Mechanismen führen zu einer verstärkten Scham in einer grundlegend selbstkritischen Überzeugung. In unserer Forschung wollen wir die Wirksamkeit und die Mechanismen von Interventionen bei der Schamregulation untersuchen. 

Eine Möglichkeit, Scham zu verändern ist die Selbstmitgefühlsbasierte Therapie nach Paul Gilbert. Selbstmitgefühl ist ein zentrales Konstrukt der CFT, das als eine freundliche und verständnisvolle Selbstperspektive in schwierigen Situationen verstanden werden kann, die durch das Verständnis gekennzeichnet ist, dass Leiden ein unvermeidlicher Teil der menschlichen Natur ist, während es in einer achtsamen Weise akzeptiert wird (Neff, 2003b). Selbstmitgefühl ist jedoch mehr als nur Freundlichkeit, es geht darum, sich des möglicherweise vorhandenen Schmerzes bewusst zu sein und die Absicht zu haben, zu versuchen, ihn zu lindern (Gilbert, 2010).

In einer experimentellen Studie konnten wir nachweisen, dass CFT Scham und Selbstkritik bei Personen mit erhöhter sozialer Angst signifikant reduzierten und damit einen vielversprechenden Weg für eine emotionsspezifische Behandlung von sozialer Angststörung darstellen (Fink-Lamotte, Hoyer et al., 2023).

Ergänzend testen wir eine KI-Chatbot-basierte Mikrointervention, bei der Personen mit erhöhtem Schamgefühl über eine sichere Messaging-Plattform (z. B. Signal) täglich kurze Aufforderungen zum Selbstmitgefühl erhalten. Das Projekt testet das Potenzial generativer Sprachmodelle (LLMs) als niedrigschwellige Hilfsmittel zur Schamregulierung.

 

Kooperationspartner:innen: 

 

Beiträge:

Fink-Lamotte, J., Hoyer, J., Platter, P., Stierle, C. & Exner, C. (2023). Shame on me? Love me tender! Inducing and changing shame and fear in social anxiety in an analogous sample. Clinical Psychology in Europe, 5(3). [IF: 1,84] https://doi.org/10.32872/cpe.789

Eingesetzte Interventionen (Verwendung frei verfügbar)

Zur Induktion von Schamerleben (Zur Verwendung bei Experimenten; Fink-Lamotte, Hoyer et al., 2024):

Zur Behandlung von Schamerleben:

  • Selbstmitgefühlsbasierte Intervention als Text und als Audio
  • Kognitives Umstrukturieren als Text und als Audio

Soziale Angststörung und Ambivalenz zur Exposition

Ambivalenz ist das gleichzeitige Vorhandensein von positiven und negativen Assoziationen zu bestimmten Objekten und Subjekten. Vor der Durchführung der Expositionstherapie sind Patienten demnach oft in einem ambivalenten Zustand. Zum einen ist die Expositionstherapie für eine ganze Reihe von Erkrankungen (z.B. Angststörungen; Stangier & Frydrich, 2002) eine der erfolgreichsten und effektivsten Interventionen der Psychotherapie, zum anderen müssen sich die Patienten im Rahmen der Exposition mit ihrer schlimmsten Befürchtung aussetzen. Purdon & Clark (2005) konnten beispielsweise in einer qualitativen Studie zeigen, dass Menschen mit sozialer Angststörung (SAD), Panikstörung oder Zwangsstörung (OCD) von Sorgen und Ängste über die bevorstehende Expositionstherapie berichteten. Hierbei ist anzunehmen, dass diese motivationalen Ursachen den Therapieerfolg mindern (z.B. Abramowitz & Arch, 2014). Bei sozialen Ängsten werden soziale Situationen, in denen aversive Emotionen wie Angst auftreten könnten durch Sicherheitsverhalten vermindert bzw. vermieden, was zu einer kurzfristigen Symptomreduktion führt und zur Aufrechterhaltung der Erkrankung beiträgt (Clark & Wells, 1995). Dementsprechend stehen Betroffene der Konfrontation mit aversivem Reizen ambivalent gegenüber, was die Therapiemotivation mindert. Es ist demnach anzunehmen, dass auf ein langfristiges Ziel ausgerichtete Therapieelemente (z.B. Motivation, Werte) die Ambivalenz gegenüber der Konfrontation im Rahmen der ERP verringern und die intrinsische Therapiemotivation stärken. In der Literatur werden hierzu verschiedene Ansätze diskutiert:

  • Patient:innen mit anderen Patient:innen in Kontakt gebracht, die eine Exposition erfolgreich durchgeführt haben .
  • Daneben wird die direkte Erhöhung der Motivation durch das Motivational Interviewing oder über die Verstärkung des Selbstbezug („Warum will ich das machen?“) und der Handlungskompetenzen („Ich kann das!“) diskutiert (Fink-Lamotte, Lüders und Exner, 2021).
  • Als dritte Idee zur Veränderung der Ambivalenz wird diskutiert, inwieweit eine Werte-Aktivierung nach der Acceptance and Commitment Therapy (Twohig et al., 2015, 2018) zu einer Reduktion der Ambivalenz führen kann.

In einer aktuellen Studie (Brinkmann et al., eingereicht) haben wir ein neues Entscheidungsparadigma entwickelt und validiert, das auf dem ABC-Modell der Ambivalenz (van Harreveld et al., 2015) basiert. Damit lässt sich die Bereitschaft zur Teilnahme an Verhaltensexperimenten bei Personen mit sozialen Ängsten erfassen. 

In zwei Interventionsstudien konnten wir zeigen, dass die Kombination aus Selbstmitgefühl und wertebasierter Reflexion die Motivation erhöht, sich angstauslösenden sozialen Situationen zu stellen. Auch die kognitive Neubewertung erwies sich als wirksam. Die Ergebnisse legen nahe, dass sowohl affektive Faktoren wie Scham als auch kognitive Komponenten gezielt angesprochen werden sollten, um die Teilnahmebereitschaft an expositionsbasierten Therapien zu fördern.

 

Kooperationspartner:innen: 

Beiträge:

Brinkmann, F., Wagner, A., Kühne, F., Hoyer, J., Exner, C., & Fink-Lamotte, J (2024). Enhancing motivation for therapy: Comparing two interventions for reducing ambivalence towards confronting social situations. Poster was presented at the 3rd Deutscher Psychotherapie Kongress, Berlin, Germany, June, 12.

Emotionsverarbeitung und Wahrnehmung bei Sozialer Angststörung

In Arbeiten mit Jugendlichen und Erwachsenen haben wir die neuronale Verarbeitung emotionaler Reize und soziale Bewertungsprozesse untersucht.

 

Zwei EEG-Studien (Rauschenbach et al., 2024; Rauschenbach et al., 2025) zeigten, dass Kinder und Jugendliche mit sozialer Angststörung (SAD) veränderte frühe und späte ereigniskorrelierte Potenziale auf emotional mehrdeutige Gesichter zeigen, selbst in Situationen, die Bedrohungsinterpretationen normalerweise abschwächen sollten. Dies deutet auf stabile Aufmerksamkeits- und Interpretationsverzerrungen hin, die zentral für die Symptomatik von SAD sein könnten.

 

Beiträge:

Rauschenbach, A. L., Hauffe, V., Fink-Lamotte, J., Tuschen-Caffier, B., & Schmitz, J. (2025). Effects of social context information on neural face processing in youth with social anxiety disorder. Journal of child psychology and psychiatry, and allied disciplines, 10.1111/jcpp.70026. Advance online publication. https://doi.org/10.1111/jcpp.70026

Rauschenbach, A. L., Hauffe, V., Fink-Lamotte, J., Tuschen-Caffier, B., & Schmitz, J. (2024). Reduced early neural processing of faces in children and adolescents with social anxiety disorder. Biological psychology191, 108827. doi.org/10.1016/j.biopsycho.2024.108827

Scham, Soziale Angst und die Klimakrise

Um herauszufinden, wie moralische Emotionen wie Scham und soziale Normen Umweltverhalten und psychische Gesundheit beeinflussen, untersucht unsere Forschung Klimascham, Selbstwirksamkeit und injunktive Normen als psychologische Mechanismen der Veränderung. Die Ergebnisse sollen dazu beitragen, die psychologischen Grundlagen des Umweltverhaltens besser zu verstehen und Interventionen zur Förderung nachhaltiger Lebensstile zu entwickeln.

In einer ersten Studie verstärkte die Schambedingung negative Emotionen und depressive Symptome, während die Normbedingung umweltfreundliche Absichten ohne emotionale Kosten förderte. Dies verdeutlicht die Risiken schambasierter Botschaften und das Motivationspotenzial sozialer Normen für nachhaltige Lebensstile.

In einer zweiten Studie setzten wir eine verfeinerte Version des Paradigmas ein, indem wir die Norm- und Schammanipulation mit einer validierten Entscheidungsaufgabe kombinierten, um Verhaltensabsichten und Emotionen über die Zeit zu verfolgen.

 

Kooperationspartner:innen:

Beiträge:

Wolski, M., Reese, G., & Fink-Lamotte, J. (2024). Einfluss von Klimascham und injunktiver Normen auf die Bereitschaft zu Umweltverhalten und psychisches Wohlbefinden. Poster was presented at the 3rd Deutscher Psychotherapie Kongress, Berlin, Germany, June, 12.

 

Psychologische Flexibilität und Demokratieförderung

In Zusammenarbeit mit dem Demokratienetzwerk Mecklenburg-Vorpommern untersuchen wir, wie Emotionen wie Scham, Wut und Angst mit politischer Rigidität und kognitiver Inflexibilität bei demokratischer Teilhabe zusammenhängen. Dafür entwickeln wir Mikrointerventionen mit einem stufenbasierten KI-gestützten Chatbot, angelehnt an das Stages of Change Modell (Prochaska & DiClemente, 1982). Ziel ist es, Perspektivenübernahme, Ambiguitätstoleranz und Resilienz zu fördern und so Scham, Wut und Angst zu reduzieren, um Polarisierung entgegenzuwirken. Das Projekt wird zunächst an zwei Schulen in Mecklenburg-Vorpommern durchgeführt und evaluiert.

 

Kooperationspartner:innen:

Beiträge:

Brakemeier, E.-L., Stapel, S., Fink-Lamotte, J., Seeck, M., Ulbricht, C. Walther, E., Willingmann, A., & Zietlow, A.-L. (2025). Psychische Gesundheit und Demokratieförderung. Panel was presented at the 4th Deutschen Psychotherapie Kongress, Berlin, Germany; April, 8-11.