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Cumbia Villera

Die Cumbia ist ein in Lateinamerika äußerst populärer Musikstil, der als Sound der Arbeiterklasse galt. Die traditionelle Cumbia entstand in Kolumbien und verbreitete sich von dort in Südamerika. Es bildeten sich zahlreiche regionale Variationen heraus. Dazu zählt auch das Ende der 1990er-Jahre in den Vororten von Buenos Aires entstandene Subgenre der Cumbia Villera. Obwohl Argentinien als das am weitesten entwickelte Land in Lateinamerika betrachtet wird, klafft dort die Schere zwischen reichen und armen Bevölkerungsschichten besonders weit auseinander. Erwerbslose und sozial benachteiligte Bevölkerungsgruppen wurden in die Slums an den Rändern der Stadt verdrängt, in die sogenannten Villas. Diese Entwicklung wurde durch den Neoliberalismus der neunziger Jahre noch verstärkt. Die Ausgegrenzten in den Villas entwickelten die traditionelle Cumbia weiter und nannten ihre eigene Ausdrucksform Cumbia Villera, welche zu einer Art Markenzeichen wurde, auf das man stolz sein konnte. Als solches wurde diese Kommunikationsform zum Sprachrohr der Jugendlichen, die damit Kritik an ihrer Situation übten. Auf dem Musikmarkt hatten sie damit bald durchschlagenden Erfolg, zumal sich dieses Musikgenre durch Raubkopien schnell verbreiten ließ. Das stärkte die Identität der Jugendlichen.

Musikalisch wurde der traditionelle Cumbia-Sound um elektronische Elemente und neue Riffs erweitert, sodass eine Mischung aus afrokubanischen Tänzen, Trance und Sitarsounds entstand. Aber auch der Inhalt der Texte veränderte sich. Besangen die unpolitischen Lieder der klassischen Cumbia fast ausschließlich die Liebe, so thematisieren die Songs der Cumbia Villera den Alltag der Elendsviertel, in dem Drogen, Sex und Kriminalität eine wichtige Rolle spielen. Wie im Rap wird Männlichkeit im Allgemeinen glorifiziert und Frauen werden abgewertet, mit Ausnahme der Mutter; sie wird in ihrer entsexualisierten Rolle sakralisiert. Besorgte Elternorganisationen setzten sich daher erfolgreich für eine Zensur der Cumbia Villera ein: sie darf im Radio erst ab 22 Uhr gesendet werden. Dies führt dazu, dass einige Radiosender den Musikstil gänzlich aus ihrem Programm strichen.

Dennoch verbreitet sich die Cumbia Villera und wurde in andere Länder exportiert. In Mexiko ist sie besonders bei Jugendlichen der Mittelschicht beliebt; das Lebensgefühl der Unterschichten gleicht Langeweile und Saturiertheit aus. So wurde die Cumbia Villera kommerzialisiert und zunehmend dem Rap angeglichen; im Kleidungsstil mit Baggypants, Basecaps und Sportoberteilen, aber auch im Hinblick auf den Sprachgebrauch. So wurde auch das Konzept des „nigger“ übernommen, der in der Cumbia Villera zum „negro“ wurde (was dort Menschen indigener Abstammung bezeichnet). Die Villeros verwenden diesen Ausdruck für sich selbst, wodurch er seine Despektierlichkeit verliert und als Zeichen gegenseitiger Wertschätzung gilt. Auf diese Weise wird das Stigma des Villeros als „negro“, d.h. als drogenabhängiger Dieb und gefährlicher Säufer, ins Positive verkehrt. Somit dokumentieren die Songs nicht nur die Missstände und sind damit als eine Chronik sozialer Ungerechtigkeit zu verstehen, sondern haben gleichzeitig auch eine Ventilfunktion.

Quellen (Auswahl):

Autorin Anna Finzel
Zeitraum Juni 2013