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Erasmus+ Erfahrungsbericht - İstanbul Bilgi Üniversitesi


Studienfach: B.A. Europäische Medienwissenschaft

Aufenthaltsdauer: 09/2017 - 06/2018

Gastuniversität: İstanbul Bilgi Üniversitesi

Gastland: Türkei

Vorbereitung des Auslandsaufenthalts

Was mich betrifft, so führte mich eher Istanbul zum Erasmus-Programm als das Erasmus-Programm nach Istanbul. Denn ich war zuvor bereits mehrere Male in der Stadt und hatte mir immer gewünscht, dort eine Weile zu leben. Als ich dann erfuhr, dass die Uni Potsdam mit Istanbuler Universitäten Erasmus-Partnerschaften unterhält, musste ich nicht lange überlegen und bewarb mich erfolgreich auf einen Platz im Programm. Allerdings, seinerzeit möglicherweise aufgrund der politischen Situation in der Türkei, gab es neben mir wenige bis gar keine anderen Interessenten für einen dortigen Erasmus-Aufenthalt, daher war meine „Bewerbung“ praktisch reine Formsache und die Zusage quasi gewiss. Danach wurde ich von der Gasthochschule per Mail kontaktiert und über die wichtigsten Termine zu Beginn des Auslandsaufenthalts sowie mitzubringende Dokumente für meine Aufenthaltsgenehmigung  informiert, das gesamte Procedere verlief reibungslos. Noch während der Bewerbungsphase habe ich die Erfahrung gemacht, dass sogar Lehrende der Universität Potsdam meine Entscheidung für Istanbul mehr oder weniger kritisch hinterfragten und mich einige Kommilitonen bisweilen wie einen Verrückten ansahen, wenn ich ihnen über meine Türkei-Pläne berichtete. Ich hoffe, dass in Zukunft wieder mehr Studenten über den eurozentristischen Tellerrand hinweg sehen und Interesse für Länder wie die Türkei zeigen, sich ihre eigene Meinung vor Ort bilden und nicht sich im Vorfeld verunsichern lassen durch Freunde, Familie und mediale Berichterstattung – es lohnt sich.

Studium an der Gastuniversität

Die „Bilgi University“ ist eine Privatuniversität nach amerikanischem Vorbild und gehört zur „Laureate Education“, einer US-Holding im Bildungssektor, welche weltweit kommerziell Universitäten betreibt. Die Universität versteht sich als Dienstleister – das Studium ist für Nicht-Erasmus-Studenten sehr teuer – und ist daher mit staatlichen deutschen Hochschulen nur bedingt vergleichbar. An finanziellen Mitteln mangelt es der Universität definitiv nicht, die Standorte sind hochmodern ausgebaut und technisch bestens ausgestattet, verfügen über ausreichend Freiräume und Arbeitsplätze sowie gut sortierte Bibliotheken. Außerdem wird für Studenten und Lehrende eigens ein Shuttlebus-Service zu verschiedenen Punkten in der Stadt unterhalten. Die Betreuung der Studenten bzw. Gaststudenten ist, dem oben angesprochenen Dienstleistungscharakter entsprechend, ebenfalls sehr gut. Die Qualität der Lehre ist, gemessen an den Inhalten der Lehrveranstaltungen und der Kompetenz der Lehrenden, nach meiner Erfahrung als gut zu bewerten. Fast alle Dozenten, mit denen ich zu tun hatte, sprachen hervorragend Englisch und machten einen seriösen Eindruck. Von Zensur oder gar Indoktrination, wovon im Hinblick auf das türkische Bildungswesen teilweise berichtet wird, kann mit Blick auf die Bilgi Universität keine Rede sein, im Gegenteil. Auch brisante politische Themen wurden im Rahmen der Lehrveranstaltungen offen diskutiert und kritisiert. Ergänzend zur Lehre durch Professoren und wissenschaftliche Mitarbeiter werden von der Bilgi Universität auch Leute aus der Praxis „eingekauft“; an meiner Fakultät waren das z.B. Dokumentarfilmer, Drehbuchautoren, Fotografen, z.T. mit internationaler Reputation. Leider, und hier komme ich abermals zurück zum Dienstleistungscharakter der Bilgi Universität, litt die Qualität der Lehrveranstaltungen teilweise unter der Inkompetenz und dem Desinteresse mancher türkischer Studenten, die ihr Studium offenbar im Geiste einer Bezahlen-statt-Arbeiten-Mentalität betrachten. Da wurde eine Film-Rezension auch gerne mal von imdb.com kopiert oder mangels Sprachkenntnisse ein türkischer Text mit google.translate ins Englische übersetzt (einheimische Studenten müssen offiziell ein C1-Englisch nachweisen). Nicht, dass die Dozenten dies durchgehen ließen, aber die Naivität, mit der hie und da zu betrügen versucht wurde, war verblüffend und durchaus amüsant. Es kam auch vor, dass Studenten während der Lehrveranstaltung durchgehend geschlafen oder Musik gehört haben oder ein Telefonat annahmen, ohne den Raum zu verlassen. Klar, so etwas kommt auch an deutschen Universitäten vor, aber in diesem Ausmaß habe ich das noch nicht erlebt. Die Anforderungen an Prüfungsleistungen waren – mit Potsdam verglichen – gering, worüber ich mich gar nicht beschweren möchte. Rückblickend empfinde ich die meisten meiner Lehrveranstaltungen an der Bilgi Universität als bereichernd, insbesondere die praktisch orientierten. Letztlich liegt es ja an einem selbst, was man vom an der Uni offerierten Wissen mitnimmt oder liegen lässt, in der Türkei gleichermaßen wie in Deutschland und unabhängig vom Schwierigkeitsgrad einer Prüfung.

Kontakte zu  einheimischen und ausländischen Studierenden

Zu Beginn des Semesters wurden seitens der Uni einige Veranstaltungen organisiert, die dem Kennenlernen der Erasmus-Studenten untereinander sowie der Kontaktaufnahme mit einheimischen Studenten dienen sollten. Wer wollte, hatte auch die Möglichkeit, an einem mehrtägigen Ausflug nach Kappadokien teilzunehmen. Außerdem wurde jedem Austausch-Student ein so genannter „Buddy“ zur Seite gestellt, der gegebenenfalls behilflich sein sollte bei der ersten Orientierung, der Wohnungssuche oder Dingen, die das Uni-Leben betreffen. Für Leute, die das erste Mal nach Istanbul kommen und/oder noch sehr jung sind und sich erstmals allein im Ausland zurechtfinden müssen, kann dies sicherlich eine große Hilfe sein. Was mich persönlich betrifft, so blieben die meisten meiner Uni-Kontakte eher oberflächlich, dafür habe ich abseits der Universität viele Leute kennengelernt, Einheimische wie andere Ausländer. Im Allgemeinen lässt sich sagen, dass die Türken interessiert und aufgeschlossen auf Fremde reagieren. Im Gegensatz zu deutschen Großstädten gibt es in Istanbul verhältnismäßig wenige Ausländer, die keine Touristen sind, und die türkische Gesellschaft ist vergleichsweise wenig international beeinflusst – eine beträchtliche Anzahl der Einheimischen hat noch nie das Land verlassen.

Sprachkompetenz vor und nach dem Auslandsaufenthalt

Da ich an der Bilgi Universität in englischer Sprache studierte, hat sich insbesondere mein Schriftenglisch verbessert. Mein Sprachenglisch ist zumindest flüssiger und sicherer geworden, aber das weniger durch Gespräche mit Einheimischen als durch die Tatsache, dass ich für eine Weile einen US-amerikanischen Mitbewohner hatte und häufig in internationalem Umfeld verkehrte. Die meisten jungen Türken sprechen immer noch erheblich schlechter Englisch als gleichaltrige Mittel- und Westeuropäer. Ich habe auch einen Türkischkurs an der Universität besucht. Diese Kurse kann ich nicht empfehlen, aber sie generieren ECTS und sind leicht zu bewältigen. Wer richtig Türkisch lernen will, sucht besser nach einem Intensivkurs an einer Sprachschule. Das kostet zwar Geld, aber soweit ich weiß, erstattet die Uni Potsdam Sprachkurse in der Landessprache bis zu einem bestimmten Betrag, ebenso wie Kurse in der Unterrichtssprache. Meine Türkischkenntnisse reichen inzwischen, um im Alltag überall zurecht zu kommen, aber richtige Konversation fällt mir schwer. Die türkische Sprache hat mit der deutschen strukturell überhaupt nichts gemein und wer sie in kurzer Zeit richtig lernen will, sollte ein hohes Maß an Disziplin aufbringen. Aber die Türken sind es nicht gewohnt, dass Ausländer ihre Sprache sprechen, und so können einem schon wenige Brocken Türkisch Sympathien einbringen und Türen öffnen.

Wohn- und Lebenssituation

Ich hatte das Glück, dass eine gute Freundin, die zudem in Istanbul aufgewachsen ist, ungefähr zur gleichen Zeit wie ich von Österreich nach Istanbul gezogen ist. Sie hat dort eine große Wohnung gemietet, in welcher ich zur Untermiete ein Zimmer beziehen konnte. Leichter geht es natürlich nicht. Wer sich vor Ort selbst eine Bleibe suchen muss, dem bleiben verschiedene Optionen. Es gibt Studentenwohnheime, in denen man derzeit relativ leicht Zimmer bekommt; Wohngemeinschaften bieten Zimmer an (z.B. Evarkadasi); auch auf Airbnb finden sich bezahlbare Angebote zur Dauermiete. Ich habe in Kadiköy gewohnt, einem Viertel auf der asiatischen Seite der Stadt. Dieser Stadtteil ist liberal-modern geprägt und beherbergt zahlreiche Bars, Restaurants, Cafés, Boutiquen und kleine Geschäfte. Die kilometerlange Promenade entlang des Marmarameeres ist in ihrer Form in Istanbul einzigartig, dort findet man auch zahlreiche Grünflächen und Parks mit Meerblick und kann wunderbar Sport treiben, was in den engen und vollen Straßen der Stadt sonst weniger angenehm ist. Mit der Kombination aus Fähre (nach Besiktas) und Shuttle-Bus benötigt man von Kadiköy aus etwa 45 bis 60 Minuten zu allen Campi der Bilgi Universität, was für Istanbuler Verhältnisse sehr gut ist. Ich kann jedem nur empfehlen, wenn möglich auf die asiatische Seite und insbesondere nach Kadiköy zu ziehen. Die Gegend bietet mit die höchste Lebensqualität in ganz Istanbul, ist auch nachts sicher und nicht so mit Touristen und Abzocker-Läden überfrachtet wie z.B. Beyoglu (Taksim etc.)  auf europäischer Seite. Kurz gesagt, in Kadiköy erlebt man authentischen Istanbuler Alltag moderner Prägung. Wer es traditioneller mag, z.B. um den kulturellen Kontrast stärker zu erleben, der schaue nach Üsküdar, einem Nachbarbezirk. An öffentlichen Verkehrsmitteln stehen einem in Istanbul zahlreiche Optionen zur Verfügung. Neben öffentlichen Bussen, Taxen, Straßenbahnen und U-Bahnen gibt es Schiffe, Sammeltaxen (Dolmus) und private Omnibusse (Minibüs). Sehr zu empfehlen ist die App „Citymapper“, welche im Gegensatz zu Google.maps auch die letzteren drei Verkehrsmittel berücksichtigt und einem stets die besten Optionen aufzeigt, um von A nach B zu gelangen. Die Lebenshaltungskosten sind aktuell (Stand Juli 2018) gering – sofern man über harte Devisen, also z.B Euros, verfügt. Grund ist der seit einiger Zeit erhebliche Verfall der türkischen Lira. Eine Grundregel, an der man sich orientieren kann: Importierte Markenartikel und Alkohol sind teurer, alle anderen Waren in der Regel günstiger als in Deutschland. Die Mietpreise sollten auch immer günstiger sein, aber es gibt Vermieter, die Zimmer gezielt an Ausländer vermieten und ihre Preise in Euro oder Dollar festsetzen. In Geldfragen sollte man einen sensiblen Umgang wahren und bedenken, dass sich die türkischen Gehälter der hohen Inflation kaum anpassen und die Einheimischen somit mehr und mehr zu kämpfen haben. Geldautomaten sind überall zahlreich vorhanden, lassen sich meistens auf Englisch oder sogar Deutsch und anderen Sprachen bedienen und akzeptieren fast alle Visa und Mastercard. Es empfiehlt sich, vor Beginn des Aufenthaltes ein Konto zu eröffnen, welches eine Kreditkarte mit kostenloser Auslandsabhebung zur Verfügung stellt, z.B. bei der Commerzbank oder DKB. VORSICHT: Beim Abheben fragen die Automaten oft, ob zu einem vorgeschlagenen Kurs von Euro in Lira konvertiert werden soll. Dieser Kurs ist immer schlechter als der aktuelle und beinhaltet Gebühren, deshalb sollte man NEIN anwählen um den richtigen Kurs zu erhalten. Zum Thema Versicherung: Wer bei einer deutschen Krankenkasse gesetzlich versichert ist, hat es leicht, da ein Abkommen mit der Türkei besteht, welches die Anerkennung der deutschen Krankenversicherung garantiert. In diesem Fall muss man sich nur ein bestimmtes Dokument ausstellen lassen, das man dann den Einwanderungsbehörden vorlegt, sobald man vor Ort seine längerfristige Aufenthaltsgenehmigung beantragt (für Deutsche gilt ein 90-Tage-Visum ab Einreise). Private Krankenversicherungen werden anscheinend seit neuestem nicht mehr anerkannt, selbst wenn sie alles erdenkliche abdecken und man eine notariell beglaubigte Übersetzung des Versicherungsdokuments vorlegt (so in meinem Fall). Man muss dann eine türkische Basisversicherung abschließen, es gibt da einen speziellen Tarif für Ausländer; dieser Wisch kostet ca. 250 TL  (ca. 45 €) für 12 Monate, eine Summe, die man verschmerzen kann, auch wenn es ärgerlich ist weil völlig absurd.

Sonstige Hinweise

Die Bürokratie in der Türkei ist um ein vielfaches verworrener und planloser als in Deutschland. Behördengänge können langwierig und frustrierend ausfallen, Dokumente werden verschlampt und es kann sein, dass man auf inkompetente Beamte trifft, die einen nicht verstehen wollen oder können. So arbeiten z.B. in der Ausländerbehörde Leute am Info-Schalter, die kein Wort Englisch sprechen. Hätte ich gewusst, was dort auf mich zukommt, hätte ich von Anfang an gelassener damit umgehen können. Am Ende funktioniert aber immer alles irgendwie! Wichtig ist, die Nerven zu behalten, freundlich zu bleiben und sich nicht abspeisen zu lassen.

Studienfach: B.A. Europäische Medienwissenschaft

Aufenthaltsdauer: 09/2017 - 06/2018

Gastuniversität: İstanbul Bilgi Üniversitesi

Gastland: Türkei


Rückblick

Meine Zeit in Istanbul war eine sehr aufschlussreiche und ich bin froh, diesen Schritt gegangen zu sein. Von Anfang an galt mein Interesse vor allem der Stadt, den Menschen, dem kulturellen Einblick und dem Lebensgefühl in diesem faszinierenden, geschichts- und kontrastreichen Land. Von der Bilgi Universität war ich positiv überrascht, habe von dort nicht nur vieles an Wissen mitnehmen können, sondern auch mit vergleichsweise moderatem Aufwand viele ECTS erzielt, womit ich das meines Erachtens reformbedürftige Bologna-System ein Stück weit von innen heraus, mit seinen eigenen Waffen, überlisten konnte. Ich kann jedem, der die Möglichkeit hat, nur ans Herz legen, nach Istanbul zu gehen – am besten gleich für zwei Semester. Es warten spannende Eindrücke und Erkenntnisse, die man innerhalb einer 7-tägigen Städtereise im Backpacker-Hostel nicht gewinnen kann. Was meine persönlichen Eindrücke betrifft, möchte ich nicht tiefer als bisher ins Detail gehen; die Gefahr wäre groß, dass die Meinung des interessierten Lesers vorweg beeinflusst, der scharfe Blick getrübt würde. Und das Türkei-Bild in Deutschland ist leider bereits durch viele  äußere Faktoren beeinflusst und teilweise auch verfälscht. „Die“ Türkei existiert nämlich nicht so, wie es hierzulande durch viele Medien kolportiert wird. Und „die“ Türkei, das ist gewiss nicht nur die Türkei Erdogans, ganz besonders nicht in Istanbul.

 

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