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Erfahrungsbericht: Feldforschung an der UAIIN

Ich studiere Spanisch und LER auf Lehramt im Master, habe während meines Bachelors ein Auslandssemester an der Universidad Nacional in Bogotá studiert und seit diesem Zeitpunkt enge Verbindungen nach Kolumbien beibehalten. So lag es für mich nahe, diesen Kolumbienbezug für meine Masterarbeit zu nutzen.

Ich hatte schon seit geraumer Zeit von der Entstehung indigener Universitäten in mehreren Ländern Lateinamerikas gehört und war sehr interessiert mehr über die politischen Bewegungen der indigenen Völker sowie Ansätze der Dekolonisierung des Wissens zu erfahren. Die Universidad Autónoma Indígena Intercultural (UAIIN) im Departamento Cauca, Kolumbien, war für mich von besonderem Interesse, da hier ein Fokus auf Lehrerbildung lag. So beschloss ich meine Masterarbeit in diesem Bereich zu verorten und begann die Planung der Feldforschung.

Diese Information ist wichtig, denn sollte man planen, die indigene Universität zu besuchen oder in diesem Bereich zu forschen, sollte man sehr gut Spanisch sprechen und am besten schon mit Kolumbien, der Geschichte, den unterschiedlichen kulturellen Konventionen der Regionen und vor allem mit den politischen Bewegungen der indigenen Völker vertraut sein. Auf die Details, die beim ersten Aufenthalt in Kolumbien wichtig sind, werde ich daher in diesem Bericht nicht eingehen.


Studienfach: Lehramt Spanisch/LER

Gastuniversität: Universidad Autonóma Indígena Intercultural (UAIIN)

Gastland: Kolumbien

Planungsphase

Vor der Abreise nach Kolumbien musste einiges organisiert werden. Da es kein Abkommen zwischen der Universität Potsdam und der UAIIN gibt, war ich in der gesamten Organisation auf mich allein gestellt. Die wichtigsten Schritte, die ich chronologisch abarbeitete waren folgende:

1. Interessenschwerpunkt meiner Forschung festlegen: Nach einer ausgiebigen Recherche und dem Besuch eines pädagogischen Kolloquiums beschloss ich mich auf den Aspekt der Interkulturalität, der einen wichtigen Stellenwert an der UAIIN sowie im pädagogischen Programm einnimmt, zu fokussieren. Dennoch war es mir wichtig eine gewisse thematische Offenheit beizubehalten, da unklar war, was ich am Ende wirklich im Feld erfahren würde.

2. Kontaktaufnahme mit der UAIIN: Hierbei musste ich gut durchdenken, wie ich mein Anliegen formulierte. Einem sollte bewusst sein, dass man von einer „westlichen“ Universität kommt und dass somit das Forschungsinteresse an indigener Bildung von Seiten der UAIIN durchaus kritisch betrachtet werden kann. Es wird dabei von einer „versteckten“ Kolonialisierung über Bildung und Forschung geredet. Daher war es mir sehr wichtig meine Forschung so zu gestalten, dass die UAIIN nicht nur „benutzt“ wird, sondern auch einen Profit daraus ziehen kann. In meiner ersten Anfrage betonte ich daher mein Interesse an einer kooperativen Gestaltung meiner Arbeit. Die UAIIN antwortete schnell und kurz auf mein Anliegen mit positiver Resonanz und einer Einladung an die Uni zu kommen.

3. Kommunikation mit der UAIIN etablieren: Es wurde schnell deutlich, dass die schriftliche Kommunikation nicht über die Einladung, an die UAIIN zu kommen und das grundsätzliche Interesse eines Wissensaustauschs, hinausgehen würde. Da ich schon einige Male in Kolumbien war, wusste ich, dass ich mich von der Knappheit oder dem Ausbleiben der Antworten nicht abschrecken lassen durfte. Die „körperliche Präsenz“ zur Vorstellung seiner Anliegen ist in Kolumbien sehr wichtig. Schriftliche Kommunikation kann schnell vergessen werden, ohne das negativ zu meinen.

4. Betreuung der Arbeit: Ein weiterer Schritt war eine geeignete Betreuung für meine Arbeit zu finden. Diese sollte natürlich nicht nur thematisch passen, sondern auch den Prozess der Feldforschung unterstützen. Ich fand meine Betreuung schließlich am Institut für Inklusionspädagogik im Bereich Diversity in education. Diese war vor und während des Aufenthalts eine wichtige und hilfreiche Unterstützung.

5. Finanzierung / Bewerbung PROMOS: Meinen Aufenthalt von knapp 2 Monaten in Kolumbien zu finanzieren, stellte die nächste Herausforderung dar. Ich entdeckte, dass die Stipendien von PROMOS auch für Abschlussarbeiten im Ausland vergeben werden und das sogar mit relativ knapper Vorlaufzeit. So schaffte ich es, mich rechtzeitig auf das Stipendium mit meinem Forschungsvorhaben zu bewerben und erhielt erfreulicherweise das Stipendium.

6. Unterkunft vor Ort: Ich organisierte mir schon vor der Abreise eine Unterkunft in Popayán (dort befindet sich die UAIIN) über Airbnb. Normalerweise würde ich je nach Zeitumfang empfehlen sich für 1-2 Wochen ein Zimmer zu mieten und vor Ort eine Wohnung zu suchen. Das ist um ein Vielfaches günstiger als Airbnb oder Hostals

Ankunft in Kolumbien

Auch wenn ich schon des öfteren in Kolumbien war, merkte ich wieder aufs Neue, dass man sich Zeit einräumen sollte, um richtig anzukommen. Der Höhenunterschied gemischt mit Jetlag ist nicht zu unterschätzen. Ich brauchte auch einige Zeit um mich wieder daran zu gewöhnen, wie man sich ganz normal in seinem Umfeld bewegt. Es ist fast egal in welcher Stadt Kolumbiens man ist, die meisten sind laut, es gibt sehr viel Verkehr, man sollte wissen wie, wann und wo man sich besser nicht aufhalten sollte, das Essen ist anders (u.a. viel fettiger) als in Deutschland etc.
Einen Kulturschockpuffer einzuplanen ist also selbst für Erfahrene eine gute Idee sowie den gesamten Zeitplan generell eher zu großzügig als zu knapp zu gestalten. Bei mir war dies nicht der Fall und ich habe direkt eine Woche verloren, da ich sofort nach meiner Ankunft krank geworden bin. 

An der UAIIN

Wie zuvor erwähnt, war eine detaillierte Kommunikation vor meiner Ankunft an der UAIIN etwas schwierig umzusetzen. Somit war mein erster „live“ Kontakt erneut ein wichtiger Schritt, um einen guten Zugang zur Uni zu bekommen. Auch hier kann ich empfehlen sich gut vorzubereiten um mit genügend interkultureller Sensibilität zu erscheinen.
Die UAIIN liegt am nördlichsten Ende von Popayán und ist mit dem Bus gut erreichbar. Allerdings dauert es eine Weile zu verstehen, welchen Bus man nehmen kann und wo man genau aussteigen muss. Es gibt keine Haltestellen, sondern man hält die Busse einfach auf der Straße an und sagt Bescheid, wenn man aussteigen möchte.
Wie erwartet, war es den Organisator*innen vor Ort sehr wichtig, dass die Arbeit nicht nur einseitigen Profit bringt, sondern kooperativ gearbeitet wird. Diese Herangehensweise unterstützte ich voll und ganz. Ich reichte nochmal ein ausführliches Proposal ein und saß schon einen Tag später mit der pädagogischen Leitung der Universität zusammen, um das weitere Vorgehen zu planen. Ich kann nur betonen, dass ich unglaublich viel Glück hatte, so schnell und so herzlich aufgenommen zu werden. Ich denke, dass dies nicht die Regel ist, denn die „konventionelle“ Forschung westlicher Universitäten wird  - wie schon erwähnt - mitunter kritisch betrachtet.
An der UAIIN liegt neben unterschiedlichen Fachrichtungen, die auf dem Wissen der verschiedenen indigenen Völker aufbauen z.B. indigene Medizin, indigenes Recht, Revitalisierung  der Mutter Erde etc. ein großer Fokus auf dem pädagogischen Bereich, sprich auf der Ausbildung von Lehrer*innen nach indigenem Bildungsmodell. Diesen Bereich wollte ich näher kennenlernen.
Eine weitere wichtige Charakteristik der Uni ist der Fakt, dass diese keine Präsenzuniversität ist. Ich wusste, dass die Territorien der indigenen Gemeinden eine wichtige Rolle im Lehrplan spielen, aber dass es fast gar keine Präsenzveranstaltungen gab, war mir vorher nicht bewusst. Stattdessen gibt es in allen Fachrichtungen vier große Exkursionen pro Jahr, in denen die unterschiedlichen Territorien besucht werden und vor Ort quasi „Intensivwochen“ stattfinden. Die Grundausrichtung der UAIIN ist generell Praxis- und Kontextorientiert. Das heißt die unterschiedlichen Einflussfaktoren jeder Region / Gemeinde, wie z.B. die Kosmovisionen und Rituale, die Flora und Fauna, die Zusammensetzung der Schülerschaft etc. sollen während der Exkursionen kennengelernt und in die jeweiligen Lehrpläne integriert werden.
Die Studierenden von „pedagogía comunitaria“ (u.a. mein Forschungsinteresse) sollten im März glücklicherweise eine Exkursion in ein ein paar Stunden entferntes Gebiet unternehmen und mir wurde vorgeschlagen dort mitzufahren. Ich war natürlich begeistert von dieser Möglichkeit.
Ein weiteres wichtiges Prinzip an der Uni besteht in der aktiven Teilnahme an Ritualen. Spiritualität nimmt einen fundamentalen Part der Weltanschauungen indigener Völker ein, und diese werden auch an der Uni praktiziert. Generell wird praktischen Erfahrungen ein großer Stellenwert eingeräumt. Das heißt man sollte eine gewisse Offenheit und Unvoreingenommenheit mitbringen und bereit sein aus seiner Komfortzone hinauszutreten.

Flexibilität!

Meine Erfahrung hat mir gezeigt, dass das allerwichtigste bei einer Feldforschung die Flexibilität ist. Im Endeffekt kam alles anders als erwartet. Die indigenen Völker des Cauca organisierten einen friedlichen Protest, um für ihre Rechte zu kämpfen. Dieser zog sich über einen sehr langen Zeitraum hin, da nicht auf die Forderungen eingegangen wurde und sich dieser immer weiter verlängerte. Die gesamte Belegschaft der UAIIN nahm selbstverständlich auch daran teil. Leider verschärfte sich die Situation zunehmend, es gab Tote und Verletzte. Dies zeigte mir zum einen die Komplexität der Situation der indigenen Bevölkerung im Cauca und allgemein in Kolumbien sowie die unausweichliche Einbettung aller Prozesse in die politische Bewegung. Auch auf einer persönlichen Ebene war diese Erfahrung von vielen emotional bewegenden Momenten gezeichnet.
Die anfangs geplanten Vorhaben konnten in diesem Ausnahmezustand leider nicht umgesetzt werden. Das Ende der Blockade fiel auf mein Abreisedatum. Dennoch war es mir möglich meine Feldforschung an die Umstände anzupassen und Daten bei dem Protest, mit verschiedenen Personen der UAIIN, an Schulen, die mit dem indigenen Bildungssystem arbeiten etc. zu erheben.  In der Situation war es sehr wichtig die Möglichkeiten, die sich auftaten auch zu nutzen. Dies kostete mich z.T. große Überwindung, denn es gab nie einen festen, sicheren Rahmen. Dank vieler sehr hilfsbereiter Menschen und Freund*innen, hat alles im Endeffekt gut funktioniert.
Generell kann ich nur empfehlen viel Zeit mitzubringen. Ich habe erst vor Ort verstanden, wie lange man wirklich braucht, um im Feld anzukommen und Zusammenhänge zu verstehen. Auch wenn ich schon viele Vorkenntnisse mitbrachte, waren diese ein Bruchteil von alldem, was ich in der kurzen Zeit dort lernen und erfahren konnte. Ich wäre gerne noch mindestens 1-2 Monate länger geblieben.

Studienfach: Lehramt Spanisch/LER

Gastuniversität: Universidad Autonóma Indígena Intercultural (UAIIN)

Gastland: Kolumbien


Rückblick

Insgesamt kann ich nur betonen, wie dankbar ich für diese Erfahrung bin. Nicht nur über die unglaublich spannenden wissenschaftlichen und subjektiv bedeutsamen Erkenntnisse, die ich im Feld sammeln und die interessanten akademischen Kontakte, die ich knüpfen konnte, sondern insbesondere auch auf einer persönlichen Ebene Herausforderungen und Grenzen zu überwinden, meine interkulturelle Sensibilität zu stärken und noch weiter über den Tellerrand zu blicken. Die Gelegenheit den Aufbau eines Bildungssystems kennenzulernen, das nicht dem eurozentrisch okzidentalen System entspricht und sich diesem z.T. entgegenstellt, war eine riesige Bereicherung und hat mich sehr viel gelehrt.

Dennoch würde ich definitiv nicht jeder Person raten, solch ein Vorhaben umzusetzen. Wenn aber ein großes Interesse an indigenen Wissenssystemen und Kulturen zusammen mit einer guten Planung, großzügigem Zeitumfang, interkultureller Kompetenz, Sensibilität für Machtstrukturen, Offenheit und Flexibilität besteht, kann ich nichts mehr empfehlen, als seine Abschlussarbeit in Kooperation mit der UAIIN oder in einem verwandten Feld zu schreiben.

Kolumbien

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