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33 Fragen an Katharina Wesselmann

Was kann uns Literatur aus dem antiken Griechenland und dem Römischen Reich über unsere Gegenwart verraten? Warum werden antike Symbole immer wieder von Rechtsextremen vereinnahmt? Und wie kann uns genaues Lesen gegen diese Vereinnahmungen helfen? Auf diese und weitere Fragen sucht Katharina Wesselmann Antworten. Sie ist seit 2023 Professorin für Klassische Philologie an der Universität Potsdam und gibt Einblick in ihr Fach und ihren Weg in die Wissenschaft.

1.    Römisches Reich oder Antikes Griechenland?
Beides. Ich mag auch Hunde und Katzen.

2.    Was hat Ihr Interesse an der Antike geweckt?
Mich hat schon als Kind die Mythologie fasziniert, und die Vorstellung, mit lange vergangenen Epochen zu kommunizieren.

3.    Woran forschen Sie aktuell?
Diesen Sommer möchte ich ein kleines Buch zum zweisprachigen Arbeiten im Unterricht fertigstellen; das nächste große Projekt wird dann eine Überblicksdarstellung zur antiken Geschichtsschreibung.

4.    Von 2004 bis 2018 haben Sie Latein und Griechisch an einem Basler Gymnasium unterrichtet. Wieso hat es Sie dann an die Universität gezogen?
Von der Universität war ich nie ganz weg – den Ausschlag hat dann gegeben, dass ich eine feste Stelle bekommen habe, während die Situation an der Schule durch die geringen Schülerzahlen in meinen Fächern immer prekär war.

5.    Was wären Sie heute, wenn Sie nicht Professorin für Klassische Philologie wären?
Kunsthistorikerin. Ich wollte eigentlich in Kunstgeschichte promovieren, bekam dann aber eine Stelle in der Gräzistik. Tja.

6.    Sie wohnen in Berlin und pendeln damit wie ein Großteil der Studierenden an die Uni Potsdam. Wie nutzen Sie die Zeit im Zug?
Je nach Tagesform beantworte ich Mails, lese oder mache ein Schläfchen.

7.    Basel oder Berlin, wo lebt es sich besser?
Kommt auf die Prioritäten an: Haben Sie lieber eine funktionierende Verwaltung oder ein aufregendes Hauptstadtleben?

8.    Können uns antike Texte etwas über uns als moderne Menschen verraten?
Wir finden uns in allen Texten immer selbst wieder. Aber je weiter ein Text von uns entfernt ist, desto deutlicher wird uns unsere eigene Zeitgebundenheit.

9.    Bedeuten diese historischen Konstanten, dass es so etwas wie eine unveränderliche menschliche Natur gibt?
Das müssen Sie vielleicht eine Philosophin fragen. Aber natürlich sprechen die antiken Texte auch von Emotionen, die uns heute genauso umtreiben.

10.    Im Frühjahr ist die Universität Potsdam dem Berliner Antike-Kolleg (BAK) beigetreten, einem Verbund von zehn Forschungseinrichtungen. Was ist die Aufgabe des Kollegs?
Im BAK haben wir ganz neue Möglichkeiten der Vernetzung und des Austauschs, zum Beispiel mit der Ägyptologie, der Archäologie und der Altorientalistik. Davon kann die Klassische Philologie nur profitieren.

11.    Und welche Rolle übernimmt die Universität Potsdam hierbei?
Wir beteiligen uns an großen Forschungsvorhaben. So bin ich Teil einer Gruppe, die sich mit Wirklichkeitskonstruktion in antiken Welten beschäftigt.

12.    Wo soll die Reise hingehen – was erhoffen Sie sich von der Zusammenarbeit mit den anderen Hochschulen und Forschungseinrichtungen?
Ich erhalte bereits jetzt viel Input für meine eigene Forschung. In Zukunft hoffen wir, Stellen für junge Forschende einzuwerben.

13.    Aktuell nutzen viele rechte Gruppierungen griechische und römische Symbole, auf X gibt es unzählige kulturpessimistische Profile mit antiken Statuen als Profilbild. Was soll damit wohl ausgedrückt werden?
Früher war alles besser: Alle Menschen waren weiß wie eine Marmorstatue und die Männer hatten das Sagen.

14.    In Ihrem Aufsatz „Warum Antike?“ empfehlen Sie das genaue Lesen als Mittel gegen diese Arten der Vereinnahmung. Was kann man dabei lernen?
Wer genau hinschaut, findet fast immer Komplexität statt einfacher Weltbilder.

15.    Im Mai haben Sie die Podiumsdiskussion „Forschen in der Diktatur? Wie antidemokratische Strömungen Wissenschaft gefährden“ moderiert. Gerade die Geisteswissenschaften geraten aktuell ins Visier. Sehen Sie Ihr Fach dabei auch gefährdet?
Die Klassische Philologie ist nicht so sehr im Fokus der Demokratiefeind*innen, wie es Klimaforschung oder Gender-Studies sind. Die Bedrohung wissenschaftlicher Freiheit geht uns aber alle an.

16.    Braucht Forschung Demokratie?
Natürlich: Forschung braucht offene, angstfreie Debatten und eine transparente Fehlerkultur.

17.    Denken Sie, KI kann in Ihrem Forschungsfeld eine Hilfe sein?
Im Moment ist die KI ein zweischneidiges Schwert, weil sie so unzuverlässig ist. Heute produziert sie einen fehlerfreien lateinischen Text, morgen totalen Müll. Aber natürlich ist es faszinierend, mit welchen Denkmustern sie arbeitet.

18.    Welches historische Klischee würden Sie am liebsten aus dem kollektiven Gedächtnis löschen?
Dass die alten Griechen die besseren Menschen waren.

19.    Haben Sie ein Lieblingsgedicht, antik oder nicht?
Schwer zu entscheiden. Weit oben auf der Liste ist sicher Catulls Attis-Gedicht über einen jungen Mann, der im Dienst der Göttin Kybele zur Frau wird. Das ist inhaltlich extrem spannend und sprachlich unglaublich schön.

20.    Haben Sie schon mal auf Griechisch oder Latein geträumt?
Nein.

21.    Haben Sie eine Lieblingsübersetzung der Odyssee?
Ich finde die neue englische Übersetzung von Emily Wilson sehr interessant. Aber das griechische Original ist trotzdem am meisten zu empfehlen.

22.    Gedrucktes Buch oder E-Book?
E-Books sind so viel praktischer – aber das Leseerlebnis ist beim gedruckten Buch ein anderes.

23.    Vor Kurzem ging das Meme „Wie oft denken Sie an das Römische Reich?“ viral. Wie oft denken Sie an das Römische Reich?
Berufsbedingt ziemlich oft.

24.    Das Thema Antike liefert der Popkultur immer wieder Inspiration. Sehen Sie dies als etwas Positives oder wird dadurch vor allem Schaden angerichtet, der schwer zu beheben ist?
Nein, das ist ganz großartig. Es ist wunderbar, dass vergangene Epochen die Fantasie der Menschen weiter anregen.

25.    Neben Griechischer und Lateinischer Philologie haben Sie auch Kunstwissenschaft studiert. Beeinflusst die Kunstwissenschaft Ihre Forschung noch heute?
Ich denke viel in Bildern und befasse mich immer wieder neu mit kunsthistorischer Rezeption antiker Erzählungen.

26.    2021 haben Sie Ihr Buch „Die abgetrennte Zunge: Sex und Macht in der Antike neu lesen“ veröffentlicht. Hat sich in Sachen Gleichberechtigung genug getan in den letzten drei Jahrtausenden?
Dass Frauen (wie auch queere oder migrantifizierte Menschen) systematisch diskriminiert werden, ist wohl eine der anthropologischen Grundkonstanten, mit denen wir leben müssen. Immerhin leben wir – noch – in einer Zeit, in der diese Problematik thematisiert werden darf.

27.    Seit 2005 veranstaltet die Professur für Klassische Philologie jedes Jahr den Potsdamer Lateintag, der bei Lehrer*innen und Schüler*innen gleichermaßen beliebt ist. Was erwartet die Teilnehmer dort?
Spannende Vorträge und Workshops: dieses Jahr zum Thema „Plurale Antike: Migration, Mehrsprachigkeit, Multikulturalität“.

28.    Wird das Schulfach Latein relevant bleiben, auch wenn es in den vergangenen Jahren immer weniger Schülerinnen und Schüler als Fremdsprache gewählt haben?
Ich hoffe es – und glaube eigentlich auch daran. Die altsprachliche Community in Deutschland ist sehr lebendig und engagiert.

29.    Gibt es eine Forscherin oder einen Forscher, die oder den Sie bewundern?
Viele. Was mich immer sehr beeindruckt hat, ist die Rekonstruktion der frühgriechischen Lyrik aus Papyrusfragmenten durch Forscher*innen wie Denys Page, Edgar Lobel oder Eva-Maria Voigt. Diese Mischung aus perfekter Sprach- und Metrikkenntnis einerseits und kreativer Fantasie andererseits macht mich fast sprachlos.

30.    Welche Forschungslücken in Ihrem Feld würden Sie gerne geschlossen wissen?
Es ist erstaunlich, wie viele wichtige antike Texte nicht wissenschaftlich kommentiert worden sind. Da bleibt noch einiges zu tun.

31.    Forschen oder lehren Sie lieber?
Die Mischung ist ideal – ich kommuniziere sehr gerne über meine Inhalte und bekomme von den Studierenden auch viel Anregung. Ab und zu brauche ich dann aber meine Ruhe, um alles auszuarbeiten.

32.    Was würden Sie erforschen, wenn Ihnen dafür unbegrenzte Ressourcen zur Verfügung stünden?
Ich würde das klassizistische Antikenbild des 19. Jahrhunderts erforschen – ausgehend von Wissenschaftlern wie Friedrich August Wolf und Wilhelm von Humboldt, deren Auffassungen vor allem den Schulunterricht bis heute prägen.

33.    Wenn Sie nicht gerade forschen oder lehren, tun sie am liebsten was?
Leider gar nichts Spektakuläres: Freund*innen treffen, wandern, radeln, essen, trinken, Museen besuchen, schwimmen, Musik hören, ins Kino gehen – was man halt so macht.


Katharina Wesselmann ist seit 2023 Professorin für Klassische Philologie an der Universität Potsdam.

 

Dieser Text erschien im Universitätsmagazin Portal - Zwei 2025 „Demokratie“.